Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich darf folgende Mitteilungen machen: Erstens. Der Ausschuß für Verkehrswesen tritt um 10 Uhr in Zimmer 214 zu einer kurzen Sitzung über das Güterkraftverkehrsgesetz zusammen. Zweitens: Wir haben vorgesehen, die heutige Sitzung pünktlich um 19 Uhr zu beenden, da um 20 Uhr eine Sitzung der Parlamentarischen Sektion der Europäischen Bewegung und um 21 Uhr der Empfang anläßlich des Abschieds des Hohen Kommissars der Vereinigten Staaten von Amerika stattfindet.
Außerdem darf ich, damit sich die Damen und Herren darauf einrichten können, vorschlagen, daß die Wahlen unter den Punkten 3, 4 und 5 der Tagesordnung um 12 Uhr vorgenommen werden, damit wir einen festen Termin haben und damit Sie sich auf diese Wahlen einstellen können. —Das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Einfuhr- und Vorratsstellen .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 15 Minuten und eine Aussprachezeit von höchstens 90 Minuten vor. Das Wort hat Herr Abgeordneter Margulies.
Margulies , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als vor zwei Jahren in diesem Hause gegen meine Stimme und unter erheblichen Bedenken eines großes Teiles der Mit-
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glieder dieses Hauses über die erste der Einfuhr-
und Vorratsstellen beschlossen wurde, wurde damit an sich nichts Neues geschaffen; denn diese Stelle bestand bereits, wenn auch ohne ausreichende gesetzliche Grundlage. Dagegen hatte das Haus — der Gesetzgeber also — doch recht klar umrissene Vorstellungen darüber, welche Aufgaben dieser Stelle zugewiesen werden sollten. Das Aufgabengebiet gliederte sich nach den Vorstellungen des Gesetzgebers in zwei Teile. Einmal sollten diese Stellen als Einfuhrschleusen eingerichtet werden mit der Zweckbestimmung, teurere ausländische Nahrungsmittel auf das deutsche Preisniveau durch Subventionszugaben herabzuschleusen oder billigere ausländische Nahrungsmittel auf das innerdeutsche Preisniveau durch Abschöpfung heraufzuziehen, um damit eine gewisse Stetigkeit in der Preisentwicklung der Grundnahrungsmittel zu bekommen. Die zweite Aufgabe sollte sein, die aus politischen und wirtschaftlichen Gründen für notwendig gehaltene Reserve an Grundnahrungsmitteln zu bilden.
Als am 1. Juni 1950 in diesem Hause die erste Beratung des ersten der sogenannten Marktordnungsgesetze stattfand, nämlich des Gesetzes über den Verkehr mit Getreide und Futtermitteln, wurde die Begründung wie folgt gegeben:
Andererseits kann es jedoch keinem Zweifel unterliegen, daß an dem bestehenden Grundsatz einer möglichst freien Wirtschaftsentwicklung festzuhalten ist und deshalb staatliche Eingriffe sich in Grenzen halten müssen, die vom Standpunkt der Ernährungssicherung als Mindestmaß geboten erscheinen, um einen gesunden Leistungswettbewerb zu erhalten und zu fördern, nicht zuletzt im Hinblick auf das im allgemeinen Interesse erstrebenswerte Fernziel einer allmählichen Auflockerung im Rahmen der sich später ergebenden Möglichkeiten.
Herr Minister Dr. Niklas leitete die Beratung mit den Worten ein:
Auf einem so wichtigen Gebiet, wie es die Brotversorgung des Volkes nun einmal ist, kann man den Schritt von der Zwangswirtschaft in die freie Wirtschaft nicht auf einmal machen. Infolgedessen haben wir uns seit Monaten mit allen in Betracht kommenden Wirtschaftskreisen zusammengesetzt, um einen Weg zu finden.
Was hatten nun diese befragten Wirtschaftskreise damals gesagt? In einer Denkschrift des Gesamtverbandes des deutschen Groß- und Außenhandels finde ich folgende Stellungnahme:
Die vorbereiteten Gesetzentwürfe bedeuten eine vollständige Abkehr von diesem beherrschenden Grundsatz der Marktwirtschaft auf den Sektoren, für die sie erlassen werden sollen, eine Rückkehr zu Nährstandsmethoden, die der Vergangenheit angehören sollten.
Und die Gewerkschaften sagten:
Die Gewerkschaften halten eine Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide, Zucker, Ölsaaten und Öle für notwendig. Auf anderen Sektoren wie z. B. bei Fleisch, Milch und Milcherzeugnissen und anderen Agrarerzeugnissen erscheint eine Vorratshaltung weder notwendig noch ohne volkswirtschaftlichen Verlust technisch durchführbar.
Mindestens für die Milcherzeugnisse hat also der DGB recht behalten.
Aber auch die Sprecher der Fraktionen müssen einiges geahnt haben; denn sie machten in ihren Ausführungen energische Vorbehalte. Z. B. mein Fraktionskollege Fassbender sagte:
Was in diesem Gesetz verankert ist oder verankert werden soll, ist praktisch eine Machtfülle einer Bürokratie, zu der wir absolut kein Vertrauen haben.
Und Herr Kollege Horlacher sagte damals: Ich möchte mich heute dem Hauptkernstück der Einfuhr- und Vorratsstellen zuwenden und der Bundesregierung eines klar sagen, daß sie bei uns auf schärfsten Widerstand stoßen würde, wenn sie sich etwa, wie das früher beliebt wurde, eine Reihe von Einrichtungen neu schaffen würde, ohne das in der Wirtschaft schon Bestehende heranzuziehen. Ich darf hier auf die Lagermöglichkeiten unserer Raiffeisen-Genossenschaften, die Lagerhäuser des Handels, auf die Lagermöglichkeiten bei den Mühlen hinweisen. Alle diese schon bestehenden wirtschaftlichen Einrichtungen müssen in erster Linie benutzt werden, und es dürfen nicht sogenannte bundesunmittelbare Lagerverhältnisse neu geschaffen werden. Dagegen würden wir uns mit aller Entschiedenheit zur Wehr setzen.
Nun, die Einfuhr- und Vorratsstelle hat sich um die Meinung eines so prominenten Mitgliedes dieses Hauses und des Mitglieds ihres Verwaltungsrats recht wenig gekümmert. Kaum war das Gesetz verkündet, wurden die damals bestehenden Treuhandverträge für die Lagerhaltung aufgelöst und eben die bundesunmittelbaren Lagerverträge geschlossen, die Herr Kollege Horlacher hier so eindeutig abgelehnt hat.
Damit komme ich zur Betrachtung dessen, was die Bürokratie, zu der wir schon damals kein Vertrauen hatten, mit der ihr trotz aller Warnungen gegebenen Machtfülle angefangen hat und wie sie die in der Begründung zum Gesetz gegebenen Richtlinien, staatliche Eingriffe auf ein Mindestmaß zu beschränken, einen gesunden Leistungswettbewerb zu erhalten und eine allmähliche Auflockerung zu erstreben, in die Wirklichkeit umgesetzt hat. Man muß dabei zwischen den einzelnen Einfuhr- und Vorratsstellen unterscheiden. Die Voraussetzungen sind nicht auf allen Gebieten gleich. Ein Weltmarkt in Brotgetreide existiert z. B. überhaupt nicht. In den meisten Überschußländern der Erde sind es entweder Regierungsstellen oder Syndikate oder sonstige Zusammenschlüsse, die den Export lenken. Wenn hier, um diesen einen Einhandpartner entgegenzustellen, eine Einfuhr- und Vorratsstelle eine gewisse Hilfestellung in Form von Rahmenverträgen übernimmt, dann wird man das nicht mit dem gleichen Maß messen können, wie etwa dann, wenn eine andere Einfuhr- und Vorratsstelle in einem völlig freien Markt ohne Notwendigkeit über den Importhandel hinweg Kontrakte mit ausländischen Abladern schließt.
Nun, eine Tendenz ist allen Einfuhr- und Vorratsstellen gemeinsam, nämlich, ihren Aufgabenbereich ständig auszudehnen, möglichst alles selbst zu machen und den Apparat zu vergrößern. Die Richtlinien der Regierung, ,die Wünsche des Bundestages oder die zarten Andeutungen ihrer Verwaltungsräte kümmern sie dabei ebensowenig wie die Gesetze und Rechtsverordnungen, vom Wohl und Wehe der ihnen ausgelieferten Wirtschaft ganz zu schweigen. Daß die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide umgehend und ent-
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gegen der Vorschrift des Gesetzes, daß sie sich zur Durchführung ihrer Aufgaben der vorhandenen Einrichtungen der Wirtschaft bedienen soll, nun die Lagerhaltung selbst übernahm, sagte ich bereits. Der Vorgang ist deshalb besonders interessant, weil Sie sich bitte einmal die Größenordnung vor Augen halten wollen. Wenn die Bundesreserve auf 1 Million Tonnen Brotgetreide, also den Bedarf von drei Monaten, und 1 Million Tonnen Futtergetreide anwächst, dann sind damit etwa 900 Millionen DM absorbiert, also der gesamte Betrag, der im Kreditwege zur Verfügung gestellt ist, und für sonstige Manipulationen, sonstige Aufgaben, bleibt den Einfuhr- und Vorratsstellen kein Geld mehr, wie wir damals gesehen haben, als z. B. die Schweinepreise sehr stark fielen und die Einfuhr-
und Vorratsstellen nicht in der Lage waren, einzugreifen, also das zu tun, wofür sie eigentlich geschaffen waren, nämlich die Stetigkeit der Preisentwicklung zu sichern. Um nun wieder zu Geld zu kommen und ihre Ladenhüter abzusetzen, machen sie verbotene Koppelgeschäfte. Sehr beliebt ist z. B. die Abgabe von Gerste zusammen mit Sorghum, das in Deutschland wenig bekannt und schlecht verkäuflich ist. Aber über dieses Verbot setzt sich die Einfuhr- und Vorratsstelle einfach hinweg, und was nachher die Wirtschaftskreise damit anfangen, das berührt sie recht wenig.
Ein Vorgang, der außerordentlich bedenklich ist, ist, weniger der Tatsache nach, der Stopp einer Ölkucheneinfuhr. Das mag im Augenblick zweckmäßig gewesen sein; aber daß hier eine nicht einmal nachgeordnete Dienststelle eines Ministeriums, die also eigentlich nur durch die Besetzung des Vorsitzes ihres Verwaltungsrats mit dem Ministerium zusammenhängt, die liberalisierte Einfuhr einer Warengattung einfach sperren kann, das eröffnet doch Möglichkeiten, die von seiten der Bundesregierung keinesfalls erwünscht sein können. Dann werden natürlich auch in mancher Richtung die Grenzen überschritten, Spannen freiweg festgesetzt, und wir haben auch häufig den Fall gehabt, daß darüber hinaus Geschäfte direkt getätigt wurden.
Ein klassisches Beispiel dafür, was die Einfuhr- und Vorratsstellen aus dem Willen des Gesetzgebers gemacht haben, ist aber folgender Fall. Anfang dieses Jahres hat die Einfuhr- und Vorratsstelle Milch und Fett eine Reserve von Margarinerohstoffen in Form von 50 000 Tonnen Soja-Öl aufgebaut. Sie hat diese Menge selbst eingekauft und darüber mit ausländischen Partnern Kontrakte geschlossen. Dem legitimen Importhandel hat sie nur eine Mahlerfunktion überlassen und die Kontrakte selbst abgewickelt. Vor einigen Wochen wurden nun weitere 2 Millionen Dollar zur Einfuhr von Soja-Öl angewiesen, und nun verkauft die Einfuhr-und Vorratsstelle ihre 'Bestände unmittelbar an die Verarbeiter. Sie kaufte zum damaligen Marktpreis, gibt die Bestände zu einem beträchtlich darunterliegenden Preis ab, ohne Rücksicht darauf, daß die Rückdeckung zu einem wieder gestiegenen Preis erfolgen muß. Dieser Fall ist so eindeutig ein Verstoß gegen alle drei der von uns gestellten Fragen, daß man ihn nach der rechtlichen Seite untersucht hat und dabei auf eine ganze Reihe von eklatanten Rechtsbrüchen stößt. So ist der § 15 Abs. 5 des Milch- und Fettgesetzes verletzt, der vorschreibt, daß solche Transaktionen unter Verwendung der im Haushalt bereitgestellten Mittel vom Ministerium angeordnet werden können, allerdings mit der Maßgabe des gleichen Gesetzes, daß sich die
Einfuhr- und Vorratsstelle zur Durchführung der Wirtschaft bedienen soll. Nun, das hat sie beides nicht getan. Im Haushalt sind keine Mittel bereitgestellt, und die Einfuhr- und Vorratsstelle hat sich nicht der Wirtschaft bedient. Entgegen dem Runderlaß 56/51 für die Außenwirtschaft wurde die Ausfuhr auch nicht ausgeschrieben oder im Bankenverfahren durchgeführt.
Dann liegt noch eine Rechtsverletzung darin, daß der Verwaltungsrat nicht gefragt worden ist, obwohl nach § 9 Abs. 3 des Gesetzes der Verwaltungsrat über die Aufstellung von Grundsätzen, nach denen von dem Übernahmerecht Gebrauch gemacht werden soll, zu beschließen hat.
Ich will diese Beispiele nicht ins Endlose ausdehnen; sie ließen sich wer weiß wie sehr noch vermehren. Nur ein Wort noch zu der Dienststelle für Sonderverpflegung. Diese existiert eigentlich schon fünf Jahre ohne besonderen Auftrag, und wir haben sehr die Vermutung, daß dieser Dienststelle nun in Form einer Trockenobsteinfuhr ein Geschäft zugewiesen werden soll, um sie überhaupt zu beschäftigen; denn wir haben seit Jahren keine Vorstellung davon, was diese Stelle, die keine gesetzliche Grundlage hat, eigentlich macht.
Ich glaube, daß das hier vorgelegte Material an sich die Bildung eines Untersuchungsausschusses rechtfertigen würde. Meine Fraktion hat jedoch von einer solchen Forderung ausdrücklich abgesehen, um die Arbeitsfähigkeit der Einfuhr- und Vorratsstellen nicht zu beeinträchtigen. Wir erwarten aber von der Bundesregierung, daß sie die Tätigkeit der Einfuhr- und Vorratsstellen auf den Rahmen zurückführt, der vom Gesetzgeber beabsichtigt war, und wir fragen deshalb:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu erreichen, daß die Einfuhr- und Vorratsstellen in der Ausübung ihrer Funktionen
a) sich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen halten,
b) Schäden für die deutsche Volkswirtschaft vermeiden,
c) die Tätigkeit der Wirtschaft nicht mehr beeinträchtigen, als in Durchführung der ihnen zugewiesenen Aufgaben unvermeidlich ist,
d) wieder beweglich gemacht werden, um insbesondere die finanziellen Voraussetzungen ihrer Funktionsfähigkeit rechtzeitig zu sichern?
Wir fragen weiter:
Welche Aufgaben obliegen der Dienststelle für besondere Versorgungsaufgaben?