Rede von
Dr.
Hans
Reif
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schluß dieser Debatte sollte weiß Gott nicht polemisch sein. Trotzdem habe ich mich zum Wort gemeldet, als der Herr Kollege Brandt aus Berlin sprach. Nun hat Herr Kollege Gerstenmaier schon von sich aus — wobei ich mich anschließen möchte — uns gegen die Behauptung verwahrt, als wenn jemand von uns aus der Kenntnis der Notlage unserer Volksgenossen in der sowjetischen Besatzungszone Kapital schlagen wollte. So ist es doch nicht, Herr Kollege Brandt. Genau so wie Sie komme ich, wenn ich in Berlin bin, täglich mit Freunden aus der sowjetischen Besatzungszone zusammen. Ich habe mir wirklich alle Mühe gegeben, mit ihnen darüber zu sprechen, ihre Meinung zu erforschen, ob sie diesen Weg für richtig halten oder nicht. Ich weiß, daß wir nicht alle fragen können; aber ich habe niemals etwas anderes gehört als das Vertrauen, daß dann, und nur dann, wenn dieser Weg, so wie er in der Bundesrepublik nun seit Jahren beschritten worden ist, fortgesetzt wird, die Hoffnung sich realisieren kann, von der die Menschen dort leben. Ich habe nie etwas anderes gehört, Herr Brandt, und das ist wohl noch viel wichtiger als die Sorge vor dem, was kommen mag, wenn dieser Bundestag die Ratifizierung der Verträge ablehnen sollte.
Das ist, glaube ich, das größte Manko dieser Diskussion, daß die Opposition uns auf der einen Seite bei vieler Kritik — zu der sie als Opposition berechtigt ist; das ist ihre Funktion —
erstens einmal keine positiven Gedanken über eine Konzeption der Ostpolitik gebracht hat,
und zweitens — und wiederum ist das sehr viel
schlimmer —, daß keiner von Ihnen auf die Frage
eingegangen ist: Wie wirkt denn nun eine Ablehnung dieser Verträge auf die Haltung des Kremls?
Allein darauf kommt es doch an. Herr Lemmer hat hier ausgesprochen, daß es, nachdem diese Politik — von der er sogar sagte, vielleicht hätte er sie gar nicht gemacht — nun in der Zusammenarbeit mit den demokratischen Völkern des Westens so weit fortgeschritten ist, geradezu eine Ungeheuerlichkeit wäre, wollten wir diese Politik sabotieren.
Dann hat Herr Brandt noch ein Wort gebraucht, das sehr wenig in diese Diskussion paßt. Er hat von „militärischen Lieblingsvorstellungen" gesprochen. Herr Brandt, ich bin in beiden Weltkriegen einfacher Soldat gewesen; ich würde mich weiß Gott nicht für militärische Lieblingsgedanken irgendeines Generals oder meinetwegen auch irgendeines Ministers einsetzen. Darum geht es doch gar nicht. Wer die Ausführungen meines Freundes Mende gehört hat und wem bekannt ist, wie über diese Dinge verhandelt worden ist, der weiß auch, daß, wenn wir die Verteidigung bejahen und wenn wir diesen Schritt gehen, wir das menschlich und demokratisch Modernste tun wollen, was überhaupt auf diesem Gebiet denkbar ist. Daran darf doch niemand zweifeln. Auch der Herr Bundeskanzler hat es wiederholt ausgesprochen.
Und das allerletzte, die angebliche Bindung der deutschen Politik durch diesen Deutschlandvertrag.
Herr Brandt hat sich auf ausländische Pressestimmen berufen. Auch die ausländische Presse macht Politik. Ich will das gar nicht verkleinern. Man soll diese Pressestimmen kennen und sich danach ein Bild machen, wie die Dinge draußen liegen. Aber das viel Wichtigere ist doch, daß wir von nun an — und zwar nicht weniger, sondern mehr als bisher — die Möglichkeit haben, nicht mit der ausländischen Presse, sondern mit den ausländischen Regierungen zu diesem Ziel zusammenzuarbeiten. Herr Brandt, es ist doch einfach nicht wahr, daß wir jetzt mehr gebunden sind als vorher. Wer hat denn vorher eine Politik der Wiedervereinigung machen können ohne die Hilfe der Amerikaner, der Engländer und der Franzosen? Jetzt haben sie sich verpflichtet, uns in dieser Politik beizustehen. Wenn Sie heute abend oder morgen früh die Note lesen werden, dann werden Sie sehen, daß diese Verpflichtung schon jetzt sehr viel mehr bedeutet als die Kritik, die von Ihrer Seite ausgesprochen worden ist, erwarten läßt.