Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß sich diese Diskussion dem Ende zuneigt, zeigt dieses Haus, das mein Vorredner trefflich zu leeren vermocht hat.
Lassen Sie mich dennoch zum Schluß dieser Debatte einige Punkte klarstellen, die nach meiner Überzeugung in der Diskussion mindestens sehr ernsthafte Schwierigkeiten, Mißstimmungen, möglicherweise auch Irrtümer heraufbeschworen haben.
Erstens. Herr Kollege Erler hat noch einmal hier gegen den europäischen Verteidigungsvertrag plädiert, plädiert in der Art, als ob es sich in diesem Vertrag um eine höchst problematische Militärallianz handeln würde, aber nicht um das, was wir in diesem Vertrag sehen und, wie wir glauben, auch beweiskräftig dem deutschen Volk vorlegen können. Die Militärallianz alten Stils spielt hierbei überhaupt keine Rolle, sondern es handelt sich um ein Mittel ersten Ranges für die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa, für die europäische Einigung.
Ich möchte wissen, ob die Ablehnung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft etwa den Sinn haben soll, daß man bereit ist, den Russen — die ganz nach unserer Überzeugung, wie es der Herr
Bundeskanzler ausgeführt hat, keinen Anspruch auf einen besonderen Preis dafür haben, wenn sie das räumen, was ihnen nicht rechtmäßig gehört — einen Preis, ja einen Überpreis anzubieten, der etwa so aussehen könnte: Torpedierung der europäischen Einigung! Ich muß gestehen, daß mich diese Erwägung mit sehr ernster Sorge erfüllt, und ich kann nur hoffen, daß ich mich darin irre und daß auch der Kollege Erler der Meinung ist, daß es mitnichten erlaubt sein kann, den Russen oder irgend jemand sonst gegenüber die Möglichkeit der europäischen Einigung, die nun einmal mit dieser Kernbildung begonnen hat, als Preis anzubieten. Ich bin der Meinung, wenn das der Fall wäre, dann würden Sie damit Rußland nicht mehr und nicht weniger als unsere deutsche Zukunft, ja die Zukunft Europas überhaupt anbieten und würden sie damit vernichten.
Eine zweite Bemerkung zu dem, was der Herr Kollege Brandt hier gesagt hat. Sehr verehrter Herr Kollege Brandt, wir haben niemals die Absicht gehabt — und ich denke, daß wir es auch nie getan haben —, unter irgendeinem Gesichtspunkt oder in irgendeinem Augenblick das Schicksal und die Leiden von 18 Millionen Menschen in der Ostzone unter propagandistischen Gesichtspunkten zu verwerten. Daran haben wir weder gedacht noch haben wir es gewollt oder beabsichtigt. Meine Freunde und ich haben nichts anderes zum Ausdruck gebracht als das, daß wir bis zum Erweis des Gegenteils davon durchdrungen sind, daß diese 18 Millionen keinen andern Wunsch haben, als in die Freiheit zu kommen, und diejenigen, die in die Freiheit wollen — sie mögen sein, wo sie wollen —, die stehen auf unserer Seite!
Schließlich noch ein Wort zu Frau Wessel. Sehr verehrte Frau Kollegin, es ist nicht unsere Schuld, wenn man dadurch ins Zwielicht gerät, daß andere mit den besten Absichten, die einen bewegen, so manipulieren, daß man sich unablässig in der Verteidigung befindet. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß niemand von uns Ihnen unterstellt oder auch nur angedeutet hat, daß Sie Kommunistin seien.
Ich bin aber der Meinung, daß jedes Mitglied dieses Hauses in seinem politischen Verhalten darauf achtgeben und besondere Aufmerksamkeit darauf verwenden muß, ob und inwieweit es von anderen Mächten manipuliert wird.
Im übrigen haben wir hier frei das gesagt, was wir meinen, als wir davon gesprochen haben, daß wir nicht die Aufrüstung, sondern die Abrüstung in der Welt für den besseren Weg halten würden, und ich sehe keine sehr überzeugende Antwort darin, wenn uns daraufhin vorgehalten wird, daß das, was wir mit dem EVG-Vertrag zu beschließen willens seien, unweigerlich zum Wettrüsten führen müsse. Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß dieser Diskussion noch einmal darauf hinweisen, daß die Sowjetunion bis jetzt immerhin mit mindestens zwei Tatbeständen bewiesen hat, daß sie die Abrüstung in der Welt, von der doch nicht nur geredet wurde, sondern mit der ein ernsthafter Versuch gemacht worden ist, ignoriert. Sie hat die Abrüstung der drei Mächte ignoriert, und, worauf ich auch einmal hinweisen möchte, sie igno-
riert dauernd den Versuch des großen internationalen Ausgleichs, der auf der Ebene der Vereinten Nationen gemacht worden ist; denn schließlich sind die Vereinten Nationen ein Instrument nur für diesen Zweck, und sie dienen nur diesem Thema, dem Thema des internationalen Ausgleichs mit friedlichen Mitteln. Wer torpediert ihn? Antwort: immer nur und immer wieder die Macht im Osten!
In Anbetracht dieser Tatbestände, meine ich, sollte man uns nicht vorhalten, daß wir irgend etwas zu einem nicht in die Welt gehörenden Wettrüsten beitragen wollten, in einem Augenblick, in dem wir lediglich von dieser Ignoranz der Russen Kenntnis nehmen und das tun, was uns aufgetragen ist, nämlich unsere Menschen- und unsere Christenpflicht, sehr verehrte Frau Wessel, zu erfüllen, die auch darin besteht, daß wir gehalten sind, unsere Nächsten davor zu schützen, daß sie dem andern in die Hand fallen,
dem andern, der dann das macht, was wir neulich in Berlin gehört haben, der den Menschen so verwandelt, daß man ihn nur noch als einen Ausgelieferten beschreiben kann. Was ist denn der Mensch im Bereich der gesamten Sowjetmacht? Nichts anderes als ein Ausgelieferter!
Wer dies Schicksal von sich und von denen, die mit ihm sind, ganz gleichgültig, ob sie in seinem politischen Denken mit ihm konform gehen oder nicht. abwenden will, der trete auf unsere Seite, und zwar rechtzeitig auf unsere Seite.
Damit, meine Damen und Herren. bin ich am Schluß. Ich glaube, es wäre ein Mißverständnis, wenn man diese Debatte etwa unter dem Gesichtspunkt betrachten, analysieren oder kommentieren wollte, daß hier die Regierungsparteien eine Vorlage ihrer Regierung verteidigt hätten. An dem ist es nicht. Ich gestehe: aus zwei Gründen. Zunächst
einem ganz simplen Grunde: ringsum in der Welt Brandstätten. Ich finde nicht, daß derjenige sich verteidigen muß oder in einer Verteidigungssituation ist. der sich nun daran macht, eine Feuerwehr aufzustellen. Davon kann keine Rede sein, daß man sich deswegen verteidigen müßte. Es ist wahr: wir stehen hier für eine europäische Verteidigungsgemeinschaft. Aber deshalb verteidigen wir uns noch nicht. Und zweitens: Wir sind daran, die weiße Fahne über Deutschland herunterzuholen, und wer uns daran hindern will, der soll es vor dem deutschen Volk und vor seinem Gewissen verantworten. Aber diejenigen, die diese Fahne herunterholen, um die Fahne unseres eigenen Volkes, unseres eigenen Staates zu befestigen, die sind nicht in der Verteidigungsposition.
Nein. meine Damen und Herren, darin werden wir mißverstanden. Wir holen die weiße Fahne herunter. Hindert uns nicht daran! Wenn ihr nicht mitgeht. dann verantwortet es vor unserem Volk und vor eurem Gewissen. Wir aber gehen vorwärts! in diesem Vorwärtsgehen steht unser Wille. diese Verträge zu ratifizieren. Deshalb wiederhole ich das. was ich am Anfang dieser Diskussion für meine Freunde gesagt habe: wir sagen auch nach dieser Debatte ja zu dem Vertragswerk.