Rede von
Günter
Goetzendorff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(Fraktionslos)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als unabhängigem Abgeordneten sind mir nur wenige Minuten zugebilligt. Ich werde schon aus Gründen der Zeit kaum der Versuchung erliegen, die Gnade des Himmels oder den Segen des Herrgotts anzurufen, wie dies gestern und heute so oft geschah.
Ich habe auch nicht die Zeit, mich mit den Einzelheiten des Vertrags auseinanderzusetzen, beispielsweise mit dem Raub der Alliierten am deutschen Auslandsvermögen, der durch diese Verträge sanktioniert wird, mit der Ungeheuerlichkeit, daß uns zugemutet wird, trotz Inkrafttretens dieser Verträge noch deutsche Soldaten hinter alliierten Gefängnismauern zu wissen.
Was mich bewegt, ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen wir wieder marschieren müssen. Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, durch die dem Hohen Hause vorliegenden Verträge würden wir Deutsche künftig nicht nur Objekt sein, sondern wir würden auch gegebenenfalls mithandeln können. Handeln kann aber einmal heißen: marschieren. Marschieren irgendwann, irgendwo, irgendwohin, bis zu einem mutmaßlichen bitteren Ende.
Der Herr Bundeskanzler hat weiter gesagt, diese Verträge würden für die nächsten 50 Jahre einen Krieg unmöglich machen und verhindern, daß unser Vaterland Kriegsschauplatz wird. Ich weiß nicht, was die Zehntausende ehemaliger deutscher Soldaten, die am Lautsprecher die Ausführungen des Herrn Kanzlers gehört haben, sich hierbei gedacht haben.
Vielleicht haben sie sich mit der Feststellung begnügt, daß Herr Dr. Adenauer ein Optimist ist. Worauf sich diese hoffnungsträchtige Ansicht des Herrn Kanzlers gründet, hat er uns nicht überzeugend nachzuweisen vermocht. Oder glaubt er im Ernst, daß im Falle eines Krieges das Häuflein einer noch in den Geburtswehen liegenden europäischen Armee der Dampfwalze aus dem Osten Halt gebieten könnte? Diese europäische Armee hat erst vor wenigen Stunden der greise Expräsident der Vereinigten Staaten, Hoover, einer vernichtenden Kritik unterzogen. Er hat von dilettantischen Versuchen gesprochen, er hat diese europäische Armee ein Phantom genannt. Glaubt der Herr Kanzler im Ernst, bestenfalls 25 Divisionen könnten verhindern, daß Deutschland Kriegsschauplatz wird? Einer geballten Macht von mehr als 150 Divisionen russischer Soldaten stünde dann
ein verlorener Haufen entgegen, der alle Hände voll zu tun hätte, um mit dem Mißtrauen in den eigenen Reihen fertigzuwerden.
Wie sieht es mit der europäischen Verteidigungspotenz einschließlich Englands aus? Die Franzosen sind uns bisher jeden Beweis schuldig geblieben, daß sie unsere Freunde sind. Ihr Land ist von Kommunisten durchsetzt, und ihre Divisionen werden ein getreues Spiegelbild der politischen Verhältnisse bieten. Vielleicht wird dann nicht nur nach vorwärts, sondern im Ernstfall auch nach rückwärts geschossen. Den Kampfwert der italienischen Armee werden wir nach diesem verlorenen Krieg nicht allzu hoch einschätzen. Der Brite ist ein tapferer Soldat; aber er hat in der Geschichte schon oft erkennen lassen, daß er seine soldatischen Tugenden nur dann voll entfaltet,
wenn es darum geht, die eigenen Interessen zu vertreten.
— Ich habe, Herr Kollege Gerstenmaier, ein Gefühl dafür, denn es geht um unsere Zukunft und unser Schicksal. Oder sollen vielleicht die Truppen des Holländers den Kampfwert verstärken?