Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Generalvertrag über die künftigen Beziehungen Deutschlands zu den Westmächten soll im Sinne seiner Befürworter die Besatzungszeit abschließen und die Voraussetzung für den Aufbau einer neuen deutschen Wehrmacht schaffen. Diese soll dann im Verein mit den Soldaten der Westmächte versuchen, den noch vorhandenen Rest Europas gegen die Gefahr einer Überrollung aus dem Osten zu schützen. Natürlich wäre es niemals zu diesem Vertrag gekommen, wenn der Geist von Teheran, Jalta und Potsdam noch lebensfähig wäre. Wir erinnern uns nur zu gut der erklärten Absicht unserer Gegner in Ost und West, Deutschland für immer niederzuhalten und ihm die Aufstellung von Soldaten, die Anschaffung oder gar die Benutzung von Waffen für alle Zeiten zu verbieten.
Manche sagen nun, unsere Situation heute sei ähnlich der Lage, wie sie sich nach dem. Versailler Vertrag ergeben hatte. Wir glauben aber, daß sich unsere heutige Lage von der damaligen grundlegend unterscheidet und daß die Siegermächte nach 1918 praktisch nur das Ziel hatten, aus uns ein Höchstmaß an Reparationen herauszupressen, und nur Sorge trugen, daß die winzige Reichswehr zu keinem Instrument werden konnte. Heute spricht man nicht von 100 000 Mann, sondern man fragt: Wieviele Soldaten kann Deutschland überhaupt stellen? Vor einem Jahr war es eine Viertelmillion, heute ist es eine halbe Million, und es wird wohl mehr werden. Die drohende Existenz des Kremls garantiert uns auch in Zukunft, daß die Westmächte gezwungen sind, den Wahnsinn von 1945 zu liquidieren.
Der bekannte Brief des Bundeskanzlers über die Bedrohung der westlichen Welt durch den Osten stammt vom August 1950. Wäre diese Gefahr
der Bedrohung von der Gesamtheit des Westens schon damals entsprechend ernst eingeschätzt worden, dann könnten — die Zeitfrage für sich allein betrachtet — heute schon deutsche Streitkräfte unter Waffen stehen. Aus innerer Uneinigkeit und aus Mißtrauen gegen uns hat sich der Westen bisher reichlich Zeit gelassen. Infolgedessen erscheint es uns nicht notwendig, daß man nun auf deutscher Seite die Dinge mit einer Eile betreibt, als ob Erfolg oder Mißerfolg von fünf Minuten abhängig wäre.
Bei aller Würdigung der Bedeutung der Verteidigung des Abendlandes, die wir in keiner Weise bestreiten, müssen wir doch gleichzeitig noch ein anderes Problem in unsere Betrachtungen einbeziehen, nämlich die Herbeiführung einer Wiedervereinigung Deutschlands, dessen Zerreißung ebenfalls auf das Konto von Teheran, Jalta und Potsdam geht. Es liegt uns fern, die Dinge von der falschen Perspektive jener Leichtgläubigen zu betrachten, die die Versprechungen der Sowjet-Politiker zu dem Thema „deutsche Einheit" als vollwertige Münze in Zahlung nehmen wollen. Vor einem solchen Leichtsinn warnen die Erfahrungen der letzten Jahre.
Aber dessenungeachtet mißbilligen wir, daß die Bundesregierung es völlig unterlasssen hat, durch taktisch notwendige Züge die angeblich ehrliche Verhandlungsbereitschaft des Ostens auf eine wirkliche Probe zu stellen. Wir haben lediglich die UNO um die Entsendung einer Kommission gebeten, deren Erfolg oder vielmehr Mißerfolg von Anfang an feststand.
Der Bundeskanzler verläßt sich nun anscheinend zu sehr auf ein Ergebnis des Notenwechsels zwischen den Westmächten und der Sowjet-Union. 1 Aber wir glauben, daß die Noten des Westens in Moskau wohl schwerlich ernst genommen werden; denn man weiß dort natürlich ganz genau, daß zum Beispiel die Franzosen an einer Einheit Deutschlands — und wenn es zunächst auch nur bis zur Oder-Neiße-Linie wäre — überhaupt nicht interessiert sind. Sie versuchen und sind zu jeder Zeit bereit, sich mit dem Kreml gegen Deutschland zu verständigen. Im Kreml weiß man natürlich auch, daß die Engländer an Handelsverträgen mit dem Osten mehr interessiert sind als an einer Ausweitung der deutschen Produktionskraft.
Es wäre nach unserer Auffassung die Aufgabe der Bundesregierung gewesen, in aller Öffentlichkeit durch eigene Vorschläge in die Auseinandersetzung mit dem Osten einzugreifen, wobei die Vertrauenswürdigkeit des östlichen Partners zunächst nicht entscheidend sein kann. Es ist wenig sinnvoll, sich in Bonn hinzustellen und — mit Recht — die Rückkehr nach Memel und Kattowitz zu fordern, gleichzeitig aber nichts zu versuchen, um zunächst nach Stralsund und Leipzig zu gelangen. Überdies entsteht leider auch noch der Anschein, als habe man allmählich vergessen, daß Saarbrücken in Deutschland liegt.
Was ist nun der konkrete Inhalt dieses Vertrages? Alle möglichen Rückstände aus der Besatzungszeit — selbstredend nur zugunsten der anderen — bleiben erhalten. Die sogenannte Entflechtung soll im Sinne der Schwächung der deutschen Wirtschaftskraft fortgeführt werden, wo eine Mobilisierung der letzten Kraft notwendig wäre. Unser Auslandsvermögen bleibt gestohlen; unsere Patente und Erfindungen bleiben ebenfalls gestohlen. Durch die Annahme dieses Vertrages erklären wir, daß wir damit einverstanden sind. Die Reparationsfrage soll überhaupt erst in einem späteren Friedensvertrag aufgerollt werden. Wir erkennen weiterhin die Gültigkeit aller Urteile an, die Alliierte gegen Deutsche in Deutschland gefällt haben. Die Alliierten kontrollieren weiter, wer nach Deutschland einreisen darf und wer nicht. Zwar verschwinden die Kreisresident-Offiziere, die ohnehin seit zwei Jahren nicht mehr wissen, was sie zu tun haben.
Die Rechte der Besatzungstruppen bleiben im wesentlichen unverändert. Ich bezeichne sie als Besatzungstruppen, denn Verbündete sind sie nach der Konstruktion dieses Vertrages noch lange nicht. Der deutsche Steuerzahler muß auch in Zukunft große Ausgaben für luxuriöse Bedürfnisse dieser Besatzungstruppen leisten, ohne daß selbst die EVG diese Ausgaben nachprüfen könnte. Diese Luxusausgaben werden ohnehin noch die bedauerliche Nebenwirkung einer Verminderung der militärischen Schlagkraft dieser „Bundesgenossen" haben. Wenn wir aber echte und gleichberechtigte Bundesgenossen gegen einen möglichen gemeinsamen Feind sein sollen, dann dürfen wir kein Rekrutendepot für Soldaten werden, über deren Einsatz wir letzten Endes nicht entscheiden. Unsere angebliche Gleichberechtigung im Rahmen der Europa-Armee ist leider praktisch wertlos, da die Entscheidungen im Oberkommando des Atlantikpaktes gefällt werden, aus dem man uns auf französischen Wunsch hin ausdrücklich ausgeschlossen hat.
Vor der Annahme des Schumanplanes sagte man, daß es nicht so wichtig sei, wie die anderen diesen Vertrag auslegten. Inzwischen haben wir aber genug Beispiele der Auslegungskunst der Franzosen erhalten, für die alle europäischen Verträge praktisch nichts anderes vorstellen als Handhaben zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit Deutschlands. Die Franzosen betrachten auch den Generalvertrag durchaus auf ihre Weise. Herr Professor Schmid zitierte gestern bereits Herrn Schuman. Ich will ihn weiter zitieren. Am 30. Mai sagte er auch, daß sich „an den Beziehungen Frankreichs zur Sowjetunion juristisch nichts geändert" habe. Das bedeutet, daß der 1944 in Moskau gegen uns geschlossene Vertrag juristisch gültig ist.
Nichtsdestoweniger redet man von einer „gemeinsamen Verteidigung Europas".
Die Europa-Armee ist ein völlig neues Experiment auf einem völlig neuen Gebiet. Der Vertrag mag als Geschäftsordnung zunächst brauchbar sein. Daß er im Ernstfall brauchbar sein wird, möchte ich bezweifeln. Es ist kein Trost, daß die Europa-Armee nicht so schlechtgeworden ist, wie es der Plevenplan einmal bezweckte. Aber, meine Damen und Herren, militärischer Irrsinn ist kein Maßstab.
Die Europa-Armee ist in ihrer jetzigen Struktur nichts anderes als eine von Frankreich organisierte planmäßige Unzulänglichkeit. Legionen von nicht kämpfenden Dolmetschern werden wir haben. Der Kampfwert dürfte zunächst minderer Natur sein.
Mit besonderem Nachdruck muß darauf hingewiesen werden, daß das brennende Problem einer unverzüglichen Freilassung der „Kriegsverbrecher" nicht gelöst ist. Unkontrollierte Versprechungen sind kein Ersatz. Die Tatsache, daß die Alliierten zur gleichen Zeit, in der sie die Aufstellung eines
bewaffneten deutschen Kontingents für eme gemeinschaftliche Verteidigung erwarten, es allen Ernstes noch für zumutbar halten, daß Deutsche weiterhin ihre Pflichterfüllung als Soldaten und als Zivilisten hinter Kerkermauern büßen, ist ein vernichtender Beweis für die Haltlosigkeit des ganzen Geredes von der deutschen Gleichberechtigung. Die deutsche Öffentlichkeit hat von der Bundesregierung wenigstens in diesem Punkte eine unerschütterliche Standhaftigkeit erwartet — leider vergebens.
Ich komme zum Schluß. Wenn es in dieser selbstverständlichen Angelegenheit nicht möglich gewesen ist, eine uns alle befriedigende Lösung zu erreichen, dann eröffnet dies außerordentlich bedenkliche Perspektiven. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, daß es höchste Zeit ist, daß Mister Thon endlich aus Deutschland verschwindet, der 1946 beim Malmedy-Prozeß aktiv und persönlich an den Quälereien an deutschen Gefangenen beteiligt war, daß er möglichst bald zusammen mit Herrn Kempner dorthin gehen möge, wo Herr Kemritz bereits ist.
Wir stellen fest: eine Konstruktion, bei der wir lediglich aus einem kleineren Käfig in einen größeren Käfig gelangen, kann unser Volk nicht zur Mitarbeit anfeuern. Vor allem hat die jüngere Generation Sinn und Zweck eines soldatischen Einsatzes großenteils noch nicht erkannt. Das vorliegende Vertragswerk ist ungeeignet, eine solche Einsatzbereitschaft zu wecken.
Wenn der Herr Bundeskanzler die Hoffnung ausgesprochen hat, daß mit der Bildung der Europa-Armee ein Werkzeug geschaffen werde, um ohne Anwendung des letzten und äußersten Mittels, des Krieges, den deutschen Osten für Gesamtdeutschland zurückzugewinnen, so übersieht er leider die nicht bestreitbare Tatsache, das Frankreich die Wiederherstellung Deutschlands keineswegs will. Dies ist auch der entscheidende Grund, weshalb man uns auf Frankreichs Betreiben aus der obersten politischen und militärischen Leitung des Verbands der Atlantikpaktmächte herausgehalten hat.
Abschließend stelle ich fest: für die Verteidigung und für die Wiederherstellung Europas wollen auch wir die Kräfte unseres Volkes gerne mit einsetzen; aber wir verlangen dann, daß dieses Ziel von Anfang an klar ist und von allen Beteiligten angestrebt wird.
Eine Ablehnung dieser Verträge aus neutralistischen Gesichtspunkten wäre sinnlos. In der momentanen Situation gibt es für niemanden eine Neutralität. Wir lehnen die Verträge ab, weil uns ein Ziel vorgegaukelt wird, das einige unserer künftigen Bundesgenossen gar nicht erreichen wollen, und 'weil alle konkreten und unabdingbaren Voraussetzungen für unsere Bereitschaft in keiner Weise erfüllt sind.
Sollte sich der Bundestag in seiner Mehrheit für die Ablehnung entscheiden, so würde man eben weiter verhandeln, mit uns verhandeln, weil man es einfach muß, weil die Westmächte gezwungen sind, all den Wahnsinn zu bereinigen, den Herr Roosevelt der Welt eingebrockt hat.
Bei vernünftigen Bedingungen können die Deutschen an der Seite der Westmächte mitarbeiten. Man kann uns aber nicht in einem Arbeitsgang das Fell über die Ohren ziehen und die Uniform anziehen.
Von Art und Umfang erreichbarer Verbesserungen werden wir unsere Haltung bei der dritten Lesung des Vertrages abhängig machen.