Rede von
Georg
Pelster
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Finanzminister hat gestern zur Frage der Finanzlasten bereits das Notwendige gesagt. In Ergänzung dessen möchte ich aber darauf aufmerksam machen, daß es mir und allen anderen Mitgliedern des Finanzausschusses, die mit diesen Fragen hauptsächlich zu tun haben, wie auch allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses nicht angenehm ist, wenn durch den Schmuggel so ungeheure Summen den Finanzen des Bundes entzogen werden. Wir wissen darum, daß auch von den Besatzungstruppen der Schmuggel gefördert wird. Ich möchte aber sagen, daß es nicht richtig ist, allein diesen die Schuld zuzumessen; gut wäre es auch, wenn unser Volk sich im Kauf dieser Schmuggelwaren von Angehörigen der Besatzungstruppen etwas zurückhielte. Das könnte auch dazu beitragen, diese Schäden, die der deutschen Volkswirtschaft erwachsen, wesentlich zu mildern.
Zum andern werden wir es nie erreichen, der Arbeitslosigkeit ganz Herr zu werden. Wir sehen aber auch das Problem, das zur Beratung vor uns steht, nicht allein unter dem Gesichtspunkt, daß dadurch die Arbeitslosigkeit wesentlich gemildert werden könnte. Es ist richtig, daß ein Teil junger Menschen unter Umständen einberufen wird. Es ist auch richtig, daß dafür andere in die Arbeitsplätze einrücken. Aber eines wird auch richtig sein und von niemandem bestritten werden: solange der Zustrom aus der Ostzone, hervorgerufen durch den Druck der Unfreiheit, hervorgerufen durch die Gefahr für Leib und Leben, anhält, werden wir niemals in der Lage sein, mit dem Problem der Arbeitslosigkeit in der Hauptsache fertigzuwerden.
Wenn ich zu der Frage der Finanzen Stellung nehme, so möchte ich sagen, daß das ganze Vertragswerk nach unserer Meinung immerhin ein Schritt zur Besserung ist, daß es ein Schritt ist auf dem Wege unseres Volkes zur vollen Freiheit und Selbständigkeit, ein Meilenstein auch auf dem Wege zur Befriedung Europas und zur Sicherung des Weltfriedens. Das Vertragswerk fordert Opfer, das ist auch uns bekannt, und diese Opfer — das sage ich ganz offen — machen auch uns Sorgen und haben dem Finanzminister schwere Sorgen gemacht. Wir wissen, daß das deutsche Volk schwerer belastet ist als andere Völker. Wir tragen ungeheuer an den Lasten zweier verlorener Kriege. Der Finanzminister hat schon zum Ausdruck gebracht, daß die deutsche Steuerlast die schwerste Steuerlast ist, die je von einem Volk getragen wird. Der Bundesfinanzminister hat auch dargetan, wie hart das Ringen gewesen ist, um den Besatzungskostenbeitrag möglichst tragbar zu gestalten, auf eine niedrige Ebene herunterzudrücken. Ich weise hin auf die große Rede, die er im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich gehalten und in der er — am 20. März 1952 — überzeugend dargetan hat, daß alles, alles geschehen ist, um die Dinge so weit zu steuern, daß die Belastung für das deutsche Volk tragbar geblieben ist. Auch in seiner gestrigen Rede hat er das wiederum überzeugend dargetan. Mit dem Finanzminister sind auch wir besorgt und bestrebt, keine Rückwirkungen eintreten zu lassen, wie sie vielfach in der Öffentlichkeit herausgestellt worden sind. Wir sind der Meinung, daß diese Belastung, die wir für die Sicherheit des Friedens, für die Sicherheit unseres Volkes auf uns nehmen müssen, nicht zu einer Rückwirkung auf die sozialen Verpflichtungen der Bundesrepublik führen darf. Wir müssen hier unsere Pflicht tun, und wir haben sie getan.
In diesem Zusammenhang ist es gut, einmal ein Wort über diese Dinge zu sagen. Die sozialen Verpflichtungen sind seit 1949 ständig in starkem Maße gestiegen; sie sind auch im letzten Etat wiederum mit über 500 Millionen DM höher angesetzt, weil wir nach der Seite hin eine stärkere Belastung tragen müssen, um der grimmigsten Not dieser Opfer des Krieges wenigstens zu steuern. Es ist vielleicht gut, darauf hinzuweisen, daß wir 1938 nach der Seite der sozialen Belastung bloß 71/, Milliarden Mark zu tragen hatten und 1951 allein an sozialer Belastung 17,8 Milliarden DM aufzubringen hatten.
Ich will es mir versagen, noch im einzelnen auf diese Dinge einzugehen. Wir wissen, es ist eine Ehrenpflicht für uns, die Opfer des Krieges im weitesten Sinne auch weiterhin zu versorgen, ihnen beizustehen. Die dem deutschen Volk aus dem zur Beratung anstehenden großen Vertragswerk erwachsenden finanziellen Belastungen dürfen — das sage ich nochmals — nicht zu einer Verminderung der sozialen Fürsorge führen. Es muß unsere Sorge sein, auch die Herabdrückung des Lebensstandards hintanzuhalten. Bisher ist uns das gelungen, ist es uns auch gelungen, den Lebensstandard zu erhöhen, zu verbessern gegenüber dem, was vorher war.
Wir wollen auch eines: ehrlich prüfen, was mit diesen Verträgen verbunden ist. Wir müssen es ablehnen, diese Prüfung auf der Ebene des Schlagworts durchzuführen. Wenn man heute morgen zum Bundeshaus ging, dann konnte man auf allen Straßen diese kleinen Zettel finden: „Generalvertrag ist Generalverrat — Deutsche fordern Friedensvertrag!" Es liegt ja nicht allein bei uns, daß der Friedensvertrag uns gewährt wird. Wir wollen die Frage auch nicht auf der Basis der Drohung lösen, wie sie vielleicht den meisten Mitgliedern dieses Hohen Hauses in den letzten Tagen zugegangen ist:
Die Unterzeichnung des Generalvertrags ist der größte Verrat, den je die Weltgeschichte gesehen hat, und wird einmal für die Verantwortlichen, die diesen unterschrieben haben, die schrecklichsten, die allerschwersten Folgen haben, zumal 90 % des deutschen Volkes diesen Vertrag ablehnen.
Hier verbindet man zugleich eine Drohung
für diejenigen damit, die aus ehrlichster Sorge vor ihrem Gewissen bestehen wollen und nun alles tun, um dem deutschen Volke den besten Weg in die Freiheit zu öffnen.
Gestern ist mehr als einmal zum Ausdruck gebracht worden, daß ein anderer Weg aufgezeigt werden möge. Wir hörten das Schlagwort: „Das, was wir verteidigen sollen, muß verteidigenswert sein." Jeder, der unvoreingenommen diese Dinge prüft, muß mit uns der Meinung sein, daß das, was wir bis heute geschaffen haben, was wir durch die gemeinsame harte Arbeit unseres Volkes erreicht und aufgebaut haben, tatsächlich wohl verteidigenswert ist; und wir müssen die Frage mit ja beantworten.
Es ist auch gut, im Zusammenhang mit dem, was in der letzten Zeit gerade in der Öffentlichkeit immer wieder von neuem zum Ausdruck gebracht wird, vor dem ganzen deutschen Volke hier einmal wieder aufzuzeigen, daß es wirklich nach unserer Meinung schon verteidigenswert ist, wenn wir unter den schwersten Umständen unsere Produktion — im Vergleich mit 1936 — von 57 % in der Mitte des Jahres 1948 bis zur Mitte des Jahres 1951 auf 134 % insgesamt — im Durchschnitt gesehen - erhöhen konnten und in den letzten Monaten 137 °/o des Produktionsstandes von 1936 erreicht haben. Ist es denn nicht verteidigenswert, wenn es uns gelungen ist, für das deutsche Volk Arbeit zu schaffen und Absatz zu schaffen durch den Wiedereinbau unseres Volkes und unserer gesamten Wirtschaft in den Welthandel, wenn es uns gelungen ist, unsere Ausfuhr von 206 Millionen im September 1948 auf 1368 Millionen im September 1951 zu steigern? Ist es denn nicht verteidigenswert, daß es uns gelungen ist, im Gebiet der Bundesrepublik 3,7 Millionen Menschen mehr in Arbeit zu bringen, als vor dem Kriege beschäftigt waren? Ist es nicht verteidigenswert, daß wir in den letzten zwei Jahren immerhin noch eineinhalb Millionen Menschen mehr in Arbeit bringen konnten?
Ist es nicht verteidigenswert, wenn es uns gelungen ist — und das kann auch nicht bestritten werden, dafür haben wir nun die Beweise zu stark in der Hand —, die Kaufkraft unseres Volkes, und zwar der breiten Masse unseres Volkes, von 66 % im Juli 1948 auf 108 — verglichen mit 1938 gleich 100 — zu steigern?
Wenn angesichts dieser unbestreitbaren Tatsachen noch jemand behaupten will, daß all dieses
nicht verteidigenswert sei, dann haben wir dafür kein Verständnis.
Wir freuen uns auch, daß der Bundeskanzler gestern Gelegenheit nahm, den ganzen Leidensweg, den unser Volk seit 1945 gegangen ist, einmal aufzuzeigen. Wenn wir an die Verhältnisse denken, die 1945 in den ersten Tagen nach dem Zusammenbruch herrschten, und das Vorwärtsschreiten bis zum heutigen Tage überblicken, dann dürfen wir schon sagen, daß das, was unter den schwersten Umständen staatspolitisch und wirtschaftspolitisch erreicht worden ist, schon wert ist, verteidigt zu werden, und zwar von allen Schichten unseres Volkes ohne Ausnahme.
Aber nicht davon allein ist unsere Entscheidung abhängig. Wir wissen: das große Vertragswerk bringt uns schwere finanzielle Belastungen. Es ist aber daneben die Frage zu stellen: Ist denn die Erhaltung des Friedens und die Sicherung des Friedens kein Opfer wert? Es ist die Frage zu stellen: Ist die Freiheit und die Sicherheit unseres Volkes und Vaterlandes nicht wirklich ein Opfer wert? Ist die Sicherung des Erfolgs gemeinsamer Arbeit des ganzen Volkes wirklich kein Opfer wert? Ist die Verhinderung eines Krieges, der doch ein unvorstellbar Vielfaches auch an finanziellen Opfern, vor allem aber an Blutopfern, fordern würde — ganz abgesehen von den furchtbaren Nöten für unser ganzes Volk, ganz abgesehen von den Zerstörungen, von denen unsere Städte noch Jahrzehnte zeugen werden —, ist all das nicht ein Opfer wert?
Ich sage nochmals: der Schutz von Blut und Leben unserer deutschen Menschen - auch unserer deutschen Menschen — muß uns schon einige hundert Millionen Mark wert sein.
Ich denke immer noch — das sage ich Ihnen ganz offen — daran, wie ich 1945 bei Cherbourg in der Gefangenschaft saß; hier im Hause sind ja mehrere, die das gleiche Schicksal geteilt haben. Damals hatten wir nur eine Sorge: Was wird in der Heimat sein? Wird das Heim, die Wohnung und alles noch stehen, oder wird alles zerstört sein? Denn die wüstesten Gerüchte liefen um. Werden unsere Lieben noch leben? Damals haben wir gesagt: alles, alles, was ist, kann aufgehoben, kann wieder erreicht werden, wieder aufgebaut werden, nur nicht vor Gräbern stehen müssen!
Und das wollen wir in Zukunft nicht mehr. Deshalb sagen wir auch: Das ist schon einige hundert Millionen Mark wert.
Nachdem der Finanzminister gestern in eingehender Weise zu den Dingen Stellung genommen und sie aufgezeigt hat, kann ich mir weitere Ausführungen auf dem Gebiet ersparen. Nur auf eines möchte ich eingehen.
Von anderer Seite ist dargetan worden, daß die Lasten, die uns Generalvertrag und Verteidigungsvertrag bringen, auch bei der heutigen Lage vom deutschen Volk ohne Erhöhung der Steuern, auch ohne Verminderung des Lebensstandards, getragen werden können. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hat in einer Sitzung vor kurzer Zeit das ganze Problem eingehend untersucht und dazu auch öffentlich Stellung genommen. Er ist der Meinung, daß der für den laufenden Haushalt des Bundes vorgesehene
Verteidigungsbeitrag bei einer Mehrbelastung in der Größenordnung von zwei Milliarden gegenüber den bisherigen Besatzungskosten steuerlich und finanziell tatsächlich ohne Erhöhung der Steuern möglich ist. Das ist das Wesentliche. In diesem Wissenschaftlichen Beirat sind nicht allein Anhänger der Koalition tätig geworden. Das sind Wissenschaftler auch aus anderen Gruppen unseres Volkes, die diese Dinge eingehend geprüft haben. Wir sind einverstanden mit dem Ergebnis der Beratungen dieses Wissenschaftlichen Beirats, wenn er sagt: „Voraussetzung dafür ist freilich, daß der Bedarf der öffentlichen Haushalte — außer den Aufgaben für Verteidigungszwecke — keine Erweiterung und Ausdehnung erfahren darf."
Ich glaube, Sie sind mit mir der Meinung, daß das erste sein muß Sicherheit für unser Leben, Sicherheit für unser Volk. Darüber hinaus muß es unsere Aufgabe sein, die Lebensgrundlagen unserer Wirtschaft sicherzustellen. Das muß — ich betone es nochmals — unsere vornehmste Aufgabe sein. Unterlassen wir dies, dann, dürfen wir sagen, ist sehr, sehr in Frage gestellt, ob das, was wir weiterhin aufbauen wollen, jemals noch für unser deutsches Volk tragend werden kann.
Es ist gefordert worden, daß Engpässe in der Wirtschaft, die notwendig auftreten, wenn wir all das, was heute an Lasten auf uns kommt, tragen wollen, beseitigt werden. Dieses Hohe Haus hat in der Vergangenheit und vor kurzer Zeit noch dazu Stellung genommen und klar zum Ausdruck gebracht, daß es bereit ist, alles zu tun, um diese Engpässe zu beseitigen. Wir wissen auch, daß das manchmal nicht ohne eine gewisse Kreditausweitung möglich ist. Aber auch das haben wir und hat die Regierung in gemeinsamer Arbeit mit der Bank deutscher Länder — den Forderungen dieses Hohen Hauses entsprechend — in der Vergangenheit schon durchexerziert, um dadurch unser Wirtschaftsleben weiter vorwärtszubringen. Keineswegs wollen wir — da stimmen wir mit dem Wissenschaftlichen Beirat überein — eine inflationäre Kreditpolitik im Interesse der Finanzierung allein des Verteidigungsbeitrags. Die Erinnerungen aus der Vergangenheit schrecken da. Wir wissen auch um die Folgen einer solchen Politik und stimmen darin vollkommen mit den Ausführungen und Darlegungen des Wissenschaftlichen Beirats überein. Unsere Aufgabe, die Aufgabe aller vernünftigen Menschen und aller verantwortlichen Stellen in Staat und Wirtschaft muß es sein, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, die im zweiten Teil dieses Gutachtens dargelegt worden sind. Wir sind der Meinung, daß es unser aller Aufgabe sein muß, irgendwelche Aufblähungen, wie wir sie auch aus der Vergangenheit kennen, unter allen Umständen hintanzuhalten, und stimmen hier mit dem Wissenschaftlichen Beirat überein.