Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat sich gerade einen Augenblick lang überlegt, ob sie taktvollerweise aus dem Hause gehen sollte, damit Sie Ihren Familienzwist unter sich austragen können.
Aber da das bei der dritten Lesung doch schlecht geht, blieb uns nichts anderes übrig, als dieses muntere Gespräch mit anzuhören.
— Herr Kollege Bertram hat manchmal bestimmte Stellen, wo er nicht mitkommt:
es dreht sich um den Familienzwist, nicht um den Mittelstand! Sie müßten doch auch bemerkt haben, wie komisch Herr Rademacher argumentiert hat. Immerhin, der Herr Kollege Rademacher hat, vielleicht ganz unbeabsichtigt, einen Punkt angeschnitten, den wir einmal etwas ernsthafter überlegen und behandeln sollten.
— Ich habe gesagt: Herr Kollege Rademacher hat einen sehr peinlichen und kritischen Punkt angeschnitten, mit dem wir uns noch einen Augenblick befassen müssen. In der Ausschußsitzung ist uns mitgeteilt worden, welches Ergebnis die Investitionshilfe bisher gehabt hat. Es ergibt sich daraus, daß 311 297 Betriebe aufbringungspflichtig gewesen sind,
daß 38 488 Betriebe Stundungsanträge gestellt haben, also insgesamt damit zu rechnen wäre, daß etwa 273 000 Betriebe wirklich aufbringungspflichtig sein würden.
Aus diesen Ziffern und aus dem, was nachher
weiter gesagt worden ist — ich komme gleich darauf —, geht hervor, was auch Herr Rademacher angedeutet hat und was uns gar nichts Neues ist —
nur die Rechte des Hauses wollte es bis dahin nicht
wahrhaben —: daß die sehr krampfhaft aufrechterhaltene „Freiwilligkeit", diese schöne Fassade,
kläglich und kärglich in sich zusammengebrochen
ist. Sie wissen, die deutsche gewerbliche Wirtschaft
wollte die „freiwillige Milliarde" aufbringen, sie
wollte einen „einheitlichen Willen" bekunden, sie
wollte einen „gemeinsamen Entschluß" durchführen, und sie hat vor allem erklärt und sehr viel
Propaganda damit gemacht — insofern war sehr
interessant, was Herr Rademacher nun als Kommentar sagte —, daß sie diesmal in einer so wichtigen Frage ihre ansonsten sehr bekannten eigensüchtigen Wünsche hinter die „Notwendigkeiten des Staatsganzen" zurückstellen wolle. Nun, von den 310 000 aufgeforderten und den wahrscheinlich etwa 280 000 wirklich aufbringungsverpflichteten Betrieben hatten bis zum Stichtag des 20. Juni 1952, als wir im Wirtschaftsausschuß die Änderungen beraten haben, ganze 84 865 Betriebe gezahlt.
Sie haben insgesamt knapp 150 Millionen DM aufgebracht, das sind mit Mühe und Not 60 % des Solls der ersten Tranche dieser Investitionsanleihe! 35 % aller derer, die eigentlich freiwillig diese Milliarde gemeinsam leisten wollten, haben bis heute überhaupt nichts von sich hören lassen; sie spielen einfach gegenüber den „Notwendigkeiten des Staatsganzen" den toten Mann.
Nun sagen Sie natürlich, die wirtschaftliche Situation habe sich geändert, und es seien Schwierigkeiten entstanden, die man nicht habe voraussehen können. Da leider, wie ich feststellen muß, der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht mehr da ist, kann er nicht hören, was ich ihm zu dieser Situation sagen muß. Wenn nämlich der soeben heute neu etablierte „ungekrönte König der Kartellgegnerschaft" im Lande herumreist und überall in jeder Rede erklärt, Steuersenkungen seien jetzt die Rettung der Wirtschaft, dann braucht sich im Grund genommen kein vernünftiger Mensch zu wundern, wenn die Steuern oder auch die fälligen Leistungen nicht aufgebracht werden. Das ist etwas, was Sie in Betracht ziehen sollten. Vielleicht sorgen Sie einmal dafür, daß die Wochenendreden unserer Minister etwas „konformer" werden in dem, was Sie zu erreichen suchen Das, was wir vor Jahr und Tag vorausgesagt haben, als wir das Gesetz im Ausschuß beraten haben, ist jedenfalls eingetreten: Der Gemeinschaftsausschuß, dem Sie mit sehr viel Entgegenkommen — und mit sehr viel Gunst von der Rechten — die Möglichkeit gegeben haben, sich gewissermaßen an Stelle des Parlaments als Gesetzesmacher zu konstituieren, — dieser Gemeinschaftsausschuß hat keine Resonanz gefunden. Und er hat vor allem innerhalb seiner eigenen Kreise nicht die Autorität, die notwendig gewesen wäre, um die Idee der Aufbringung der Milliarde durchzuführen.
Sie wissen andererseits — das ist der Grund, weshalb wir diesen Änderungsvorschlägen in der Gesamtheit nicht zustimmen können —, daß die eigentliche Idee ja gar nicht war, Ihre „eigensüchtigen Interessen" hinter die des Staatsganzen zurückzustellen, sondern Sie 'wußten sehr genau, daß Ihnen eine Steuer bevorstand, und Sie wollten mit dem Dreh der freiwilligen Leistung dieser Steuer aus dem Wege gehen.
Nachdem nun die Ziffern, die ich nannte, deutlich zeigen, wohin das alles geführt hat, bleibt eine Tatsache bestehen, und damit geht der letzte Nimbus dieser großen Investitionshilfe in die Binsen. Übriggeblieben 'ist nämlich nichts anderes als der nackte Eigennutz, — übriggeblieben ist nichts anderes als das, was wir schon so oft kennengelernt haben, nämlich höchst eigensüchtige Wünsche. Jetzt kommen Sie, meine Herren, und sagen: Die „Idee" hat nicht genügt, — diese Attraktion für die Zeichnung hat nicht ausgereicht. Jetzt müssen wir dieser Anleihe einen besonderen Anreiz geben. Nachdem Sie vor einem Jahr — Sie entsinnen sich, der Kanzler hätte mit 'dem Investitionshilfegesetz beinahe eine Parlamentskrise heraufbeschworen — gewünscht haben, daß wir es sogar vor den Parlamentsferien des vorigen Jahres verabschieden, hat nun der Gemeinschaftsausschuß gewünscht, man solle Steuerfreiheit für die Einkommen- und Körperschaftsteuer beschließen.
Im Hinblick auf das Kapitalmarkt -Förderungsgesetz, das ja — glaube ich — demnächst in diesem Parlament in die erste Lesung kommt, haben wir Sie im Ausschuß darauf aufmerksam gemacht, wie unlogisch und inkonsequent es ist, daß Sie angesichts eines Gesetzes, das dieses Haus noch gar nicht verabschiedet hat, in die Änderungen, die Sie zur Investitionshilfe vorschlagen, schon Steuerbegünstigungen aufnehmen. Wir haben Ihnen empfohlen, zu warten, bis das Kapitalmarkt-Förderungsgesetz kommt, und die Investitionshilfe dann einzubauen. Sie haben es vorgezogen, anders zu verfahren. Richtig, Sie sind sehr zufrieden mit der Rolle, Herr Naegel, die Sie für die diesmal nicht vorhandenen Vertreter des Gemeinschaftsausschusses im Ausschuß übernommen haben. Aber Sie müssen eben auch dann gegenüber der Bevölkerung die Verantwortung dafür tragen, daß Sie nun mindestens 25 oder 30 Millionen DM Steuerausfall wieder — wie 'das bei dieser Koalition üblich ist — aus den Taschen der armen Bevölkerung herausholen.
Vom Finanzministerium ist gesagt worden, der Steuerausfall oder sagen wir richtiger: der Steuerverzicht, der durch diese Steuerbegünstigung vom Bund übernommen wird, betrüge nur 25 bis 30 Millionen DM. Ich bin aber doch recht skeptisch, ob diese Zahl stimmt. Ich möchte Sie einmal daran erinnern, daß wir im Jahre 1951 mit Steuerbegünstigungen ganze knappe 25 Millionen DM an Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt an Private unterbringen konnten. Das war nur dadurch möglich, daß ein Steuerverzicht in Höhe von 12,5 Millionen erfolgt ist. Mit anderen Worten: der Bund hat mit dieser Politik die Hälfte dessen, was man dem Kapitalmarkt zuführen wollte, durch Steuerverzicht indirekt aus einer Kassa bezahlt. Wir haben Zahlen, aus denen hervorgeht, daß im Jahre 1951 — ich will der Debatte über die Kapitalmarkt -Förderungsmaßnahmen keineswegs vorgreifen — die sämtlichen steuerbegünstigten Förderungen zugunsten des Kapitalmarkts insgesamt 1 565 Millionen DM erbracht haben. Der Steuerverzicht, also der Steuerausfall in den Kassen der Länder und indirekt des Bundes, hat nach den Angaben des Bundesfinanzministeriums 1951 zwischen 512,5 bis 692,5 Millionen DM betragen! Ob d a s eine richtige Politik ist, bleibt dahingestellt. Aber es ist ein typisches Zeichen dafür, daß es auf alle Fälle falsch ist, in diesem Änderungsgesetz nun auch mit Steuerbegünstigungen zu operieren.
Nun möchte ich noch etwas sagen, weil das Problem der Liquidität als Argument für Ihre Änderungswünsche bzw. die Ides Gemeinschaftsausschusses ein so großes Gewicht gehabt hat. Sie wissen — wenigstens diejenigen, die sich mit Geld, Kapital und der Wirtschaft beschäftigen -- sehr genau, daß wir das Phänomen haben, daß die Geldflüssigkeit in der Bundesrepublik, zum mindesten seit Ende März, in einem ungeheuren Umfang zugenommen hat. Wenn Sie den Wochenbericht der Bank deutscher Länder für die erste Juniwoche, der heute in die Fächer gelegt worden ist, einmal durchlesen, dann finden Sie die Feststellung, daß die kurzfristigen Kredite an Wirtschaft und Private in der ersten Juniwoche um 144,7 Millionen DM — wie die BdL sagt: beträchtlich — zurückgegangen
sind. Wir haben erheblich hohe Beträge dieses Rückgangs der kurzfristigen Kredite. Mit anderen Worten: wir haben schon beinahe alarmierende Feststellungen, daß die Liquidität, die Geldflüssigkeit, ein beängstigendes Format annimmt. Deshalb hat die Bank deutscher Länder ja auch am 28. Mai den Diskontsatz von 6 auf 5 % gesenkt. Das tut man bekanntlich nicht, wenn die Industrie illiquid ist und es ihr schlecht geht, sondern wenn es sich aus der Fülle heraus als ratsam und notwendig erweist, eine kleine Bremse anzulegen. Das Problem der Liquidität ist also nicht entscheidend, wenn Sie jetzt Änderungsmaßnahmen treffen , — jedenfalls nicht im Prinzip entscheidend.. Daß die eine oder andere Firma oder Branche etwa notleidend geworden sein kann, wird niemand bestreiten. Allerdings, niemand wird auch verantworten können, daß man nun für eine Branche etwa dem zustimmt, was gerade vorhin beantragt worden ist.
Sie machen einen Kardinalfehler, indem Sie jetzt die Steuerfreiheit für die Papiere beschließen, die ausgegeben werden sollen. Sie wissen, daß der Bundesfinanzminister, höchstwahrscheinlich nicht zuletzt deshalb, seinen Protest vorgebracht hat, weil Sie nämlich mit der Steuerbegünstigung, die Sie dieser einen Milliarde und den dafür auszugebenden Wertpapieren geben wollen, einen erheblichen Teil des Erfolges vorher zunichte machen oder in Frage stellen, der durch das Kapitalmarkt-Forderungsgesetz erreicht werden soll. Wenn Sie der Meinung sind, das Argument, das ich hier vorbringe, stimme vielleicht nicht, dann möchte ich Sie doch auf eines hinweisen, was Ihnen zu denken geben sollte. Es liegt mir wirklich fern, zu so vorgerückter Stunde noch viel zu dem weiß-blauen Husarenritt des Landes Bayern auf dem schwarzrot-goldenen Kapitalmarkt in der Bundesrepublik zu sagen. Aber die Tatsache, daß in wenigen Tagen ein Betrag von 176 Millionen DM für eine achtprozentige Schatzanweisungsanleihe gezeichnet worden ist, bei der ausdrücklich vermerkt war, daß sie der Einkommensteuer unterworfen ist, ist doch in vieler Hinsicht ein deutliches Merkmal dafür, daß man die Investitionshilfe nun völlig zu einem Geschenk an die angeblich so gebefreudige Industrie macht, weil man nämlich dies e Milliarde keineswegs in irgendeiner Form hätte zu begünstigen brauchen. Interessant ist außerdem — ich will es für den Fall hinzufügen, daß Sie es nicht wissen —, daß 85 % dieser 176 Millionen nicht in Bayern, sondern außerhalb Bayerns gezeichnet worden sind. Da kann nun weiß Gott niemand sagen, daß in der Bundesrepublik die Knappheit an flüssigem Geld groß ist und die Illiquidität, von der so oft gesprochen wird, wirklich ernsthaft eine Gefährdung auch der Investitionsanleihe sein könnte.
—Lieber Herr Preusker, vielleicht fragen Sie einmal beim bayerischen Finanzminister nach; wir haben doch jetzt keine öffentliche Fragestunde, und ich bin nicht in der peinlichen Lage, ein Auskunftsminister der Bundesregierung zu sein.
Ein Wort noch zu der Entschließung, die eingebracht worden ist. Daß sie vom Kollegen Wellhausen — das spricht eben doch für die Finanztheoretiker — exakter formuliert worden ist als vom Ausschuß für Wirtschaftspolitik, ist für uns kein ausreichender Anlaß, ihr zuzustimmen. Wir werden sie ablehnen.