Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Über das Gesetz zur Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ist in diesem Hause so viel Grundsätzliches gesagt worden, daß ich es mir ersparen möchte, noch einmal eine Grundsatzdebatte mit der Opposition zu führen.
Allerdings möchte ich nicht verschweigen, daß es uns sehr seltsam anmutet, daß der Sprecher der Sozialdemokratischen Partei hinsichtlich der Verzögerungstaktik hier derartige Ausführungen gemacht hat, obwohl er sehr genau wußte — ich möchte nicht auf die Situation mit der Wahlordnung eingehen —, wie stark die Opposition im Bundesrat daran beteiligt war, daß dieses Gesetz nicht schon viel früher wirksam werden konnte.
Denn die Opposition im Bundesrat war nach meiner Auffassung schon damals, als die Vorbesprechungen im Bundesarbeitsministerium stattfanden, und bei den Beratungen des Gesetzes genau so über die Grundsatzprobleme informiert wie jetzt.
Aber nicht das soll der Anlaß sein, weshalb ich noch ein Wort zur Opposition sagen möchte. Ich finde es immer ein wenig peinlich, wenn von_ den Kräften, die zu verschiedenen Zeiten in der jüngsten Vergangenheit der deutschen Geschichte so unterschiedliche Auffassungen über die Demokratie gehabt haben, nun so große Worte von demokratischen Formen gefunden werden! Besonders peinlich, wenn es um die Selbstverwaltung und die Zulassung derjenigen geht, die man in der Demokratie als „Minderheiten" zu bezeichnen pflegt.
Ich glaube, wir sind in diesem Hause alle einig darüber, daß das Recht der Minderheit zu achten eine der vornehmsten Tugenden der Demokratie sein sollte.
Anlaß der weiteren Auseinandersetzung war wieder einmal die Frage der sogenannten Zersplitterung der Sozialversicherungsträger, auf die ich hier auch nicht eingehen möchte. Ich möchte nur ausdrücklich feststellen: das, was im Selbstverwaltungsgesetz hinsichtlich Bremerhaven bei der zweiten Lesung von uns so ausführlich diskutiert worden ist, sollte doch auch Sie darüber belehrt haben, daß es damals nicht um demokratische Maßnahmen ging, noch nicht einmal um Fragen der Sicherung eines Sozialversicherungsträgers oder der Notwendigkeit der Auflösung oder Errichtung neuer Versicherungsträger, sondern um ganz undemokratische Terrormaßnahmen im Zeichen der Besatzungspolitik, deren wir uns eigentlich schämen sollten.
Mit diesem Gesetz wollen wir nichts anderes tun, als das wiedergutmachen, was in dunklen Tagen der deutschen Geschichte und in der Nachkriegszeit geschehen ist. Es würde auch der Opposition gut anstehen, wenn sie das, was in Bremerhaven in ihrem Namen mit Hilfe der Militärregierung geschehen ist, und das, was in Berlin auch im Namen ihrer Freunde mit Hilfe einer anderen Besatzungsmacht geschah, nicht hier unter demokratischen Vorzeichen verteidigen würde.
Es ist immer ein wenig peinlich, zu hören, wie sehr gefährdet die Demokratie ist, wenn bei der Selbstverwaltung Vereinigungen von Arbeitnehmern eine Rolle spielen könnten, die vielleicht — und man erhebt da den drohenden Finger — den Staat und die Sozialversicherung gefährden könnten. Ich habe es bei den Debatten um die Gewerkschaftsprobleme und um den Brief des Herrn Fette an den Herrn Bundeskanzler schon sehr deutlich ausgedrückt, was wir darunter verstehen. Aber, meine Herren und Damen hier im Deutschen Bundestag, wenn Sie wissen, daß in Berlin die Angestellten der Angestelltenversicherungsanstalt von einem kommunistischen Bürgermeister und kommunistischen Funktionären 1945 bedroht wurden und daß sie von einem Abgeordneten der -SPD, der uns hier vor den Gefahren warnt, die vom FDGB drohen, herangeholt wurden, dann ist es besonders bedauerlich und für uns peinlich, daß wir uns mit diesen Dingen hier immer wieder auseinandersetzen müssen.
Wir wollen keine platonischen Beteuerungen der Demokratie, sondern wir wollen, daß wir sie gemeinsam hier dem deutschen Volke vorleben.
— Schreien Sie doch nicht so! Sie haben ja hier auch das Wort gehabt. -
Fühlen Sie sich so schrecklich im Unrecht? Ich hoffe, daß in Ihren Reihen sehr viele Demokraten sein werden, die sich dieses Tatbestandes schämen und die mit uns dafür sorgen werden, daß wir das Recht wiederherstellen; denn uns geht es nur um i das rechtsstaatliche Denken, in dem man nicht mit Mitteln, wie sie mit Hilfe der Besatzungspolitik in den Jahren 1945 bis 1946 gehandhabt wurden und die von Ihnen noch heute verteidigt werden, Auffassungen durchzusetzen pflegt.
Wir haben heute nochmals einen Antrag gestellt, den wir bereits in der zweiten Lesung in der Koalition gestellt haben und den ich im Namen der Fraktion der Freien Demokratischen Partei und der Deutschen Partei zu begründen die Ehre habe. Wir haben den Wunsch, daß das Selbstverwaltungsgesetz und die Novelle zum Selbstverwaltungsgesetz wie jedes andere Gesetz, das von diesem Hause beschlossen wird, auch die Berlin-Klausel enthält. Wir haben den Wunsch, daß dieses Gesetz sowie das Selbstverwaltungsgesetz auch im Lande Berlin angewandt wird.
Wir fühlen uns damit sogar in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Sozialdemokratischen Partei in Berlin
und mit allen guten Demokraten, nicht nur in diesem Hause, die wünschen, daß auch in Berlin das Recht der Bundesrepublik gilt. Für diejenigen von Ihnen in der SPD, denen das lächerlich erscheint, werde ich die eigenen Entschließungen Ihres Landesvorstands mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen. Wie Sie selber wissen, ist in Berlin auf Ihrem Landesparteitag beschlossen worden — ich entnehme es dem „Telegraph"; diese Zeitung ist ja wohl unverdächtig, nicht sozialdemokratisch zu sein —, „die SPD sehe in der Eingliederung Berlins in das Gesetzgebungs- und Finanzsystem des Bun-
9742 Deutscher Dundestag — 220. Sitzung. Donn, Donnerstag, den 26. Juni 1952
des den einzig möglichen Weg zur politischen, wirtschaftlichen und sozialen Sicherung Berlins". So
heißt es in der Entschließung Ihrer eigenen Partei.
— Und in Berlin, meine Herren und Damen? Ich spreche jetzt wiederum mit einer Zeitungsstimme die Meinung der Berliner aus; gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich zitiere. Ich spreche jetzt mit den Stimmen, die sich in Berlin nicht nur in der Diskussion zu Zeiten der Wahlkämpfe damit beschäftigen, sondern die seit 1945 nicht aufgehört haben, sich damit zu beschäftigen, „daß diese im Berliner Abgeordnetenhaus so oft gegebene Erklärung, daß Berlin wahrhaft ein Land des Bundes sein will und daß alle Gesetze des Bundes auch wirklich in Berlin gelten sollen, doch eine Deklaration ist, an der man zweifeln muß und von der man manchmal meint, daß die Hintertüren, die man in Sondergesetzen zu öffnen wünscht, dann die Versuche einer wahren Angleichung zur Farce machen würden". In Berlin kann man darüber einiges mehr hören als hier, und wenn es auch Berliner Vertreter gibt, die glauben, daß wir im Bund diese Dinge nicht so gründlich kennen und verfolgen, so mögen sie auch aus diesen Zeitungen hören, daß das, was in Berlin im Hinblick auf das Überleitungsgesetz für die Renten- und Unfallzulagen diskutiert worden ist, daß das, was in Berlin damals in bezug auf die Angleichung der Rentengesetze bereits zum 1. April dieses Jahres beschlossen worden ist, bis heute trotz aller Beteuerungen nicht in Kraft getreten ist.
Ich habe in einer Berliner Zeitung, die, glaube ich, der CDU nahesteht, im „Tagesspiegel"
vor nicht langer Zeit einen Aufsatz darüber gelesen, daß dem Ausschuß für Arbeit des Abgeordnetenhauses nun ein Überleitungsgesetz vorliege,
in dem ganz eindeutig erkennbar sei, daß man in dem Teil, der die Krankenversicherung in Berlin angehe, sehr zweifelhafte Äußerungen abgegeben habe, die uns fragen lassen, ob es denn mit der Angleichung der VAB wirklich ernst sei?
Was die Selbstverwaltung in Berlin angeht — und wegen der Selbstverwaltung haben wir den Antrag gestellt —, so ist das, was dort beabsichtigt ist, wohl etwas seltsam, wenn man sich die Ausführungen der Vertreter der Sozialdemokratischen Partei noch einmal vor Ohren führt, nämlich, daß dort ein Vorstand, der nach dem in Berlin zu schaffenden Gesetz zu bestellen sein soll, in der Lage sein wird, die bisherige Satzung zu ändern oder eine neue aufzustellen. Es erscheint auch seltsam, daß dort nicht einmal die Gewerkschaften schlechthin, für die Sie so warme und anerkennende Worte gefunden haben, sondern nur die eine Gewerkschaft, nämlich das Monopol, das wir nicht meinen, die Möglichkeit haben soll, das Vorschlagsrecht auszuüben. Die Besorgnis, daß in Berlin Schwierigkeiten entstehen könnten, weil der FDGB daraus Ansprüche ableiten könne, ist ganz unbegründet. Ich meine, daß der FDGB keine unabhängige Gewerkschaft, ja überhaupt keine Gewerkschaft ist, und daß es Ihnen sehr leicht sein sollte, das in Berlin zu beweisen.
Im übrigen wiederhole ich, was ich hier bei anderen Gelegenheiten gesagt habe. Die Berliner, die so beispielhaft bewiesen haben, daß sie wissen, was Freiheit ist, werden auch wissen, was die Gefahren bedeuten, die vom Osten her kommen. — Sicherlich besser, als manche hier im Bundesgebiet!