Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der vorigen Woche die zweite Lesung dieses Gesetzes gehabt. Bei der
1 dritten Lesung müssen wir uns noch einmal vor Augen führen, was mit diesem Gesetz eigentlich gemeint ist. Ich darf sagen: in einer Leidensgeschichte dieser Selbstverwaltung ist nun heute ein gewisser markanter Punkt erreicht worden.
Es ist ja -an sich beinahe unwahrscheinlich, daß wir sieben Jahre nach 'dem En-de -des autoritären Regimes immer noch keine Selbstverwaltung haben. Mindestens seit 1948 wäre doch der Weg dazu frei gewesen.
Aber schon im Wirtschaftsrat und dann später hier bei den Beratungen über das- Selbstverwaltungsgesetz von 1951 war -die 'Gelegenheit benutzt worden, innerhalb der Selbstverwaltung Dinge durchzuführen, die wir als Verschlechterung ansprechen müssen. Sie setzte insbesondere bei zwei Punkten ein. Einmal nämlich dabei, daß die Beteiligung der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber in den Selbstverwaltungsorganen nun ganz grundsätzlich auf die Parität abgestellt werden sollte und ab-gestellt worden ist, obwohl doch früher — seit Bismarck — in der Krankenversicherung das Verhältnis 2/3 zu 1/3 mit großem Erfolg durchgeführt war. Die andere Verschlechterung lag darin, daß Idas Wahlverfahren einer ständigen Komplizierung unterworfen wurde, je länger darüber gesprochen wurde.
Es ist immer — und mit Recht — beklagt worden, daß die Arbeitnehmer bzw. die Versicherten nicht mehr das genügende Interesse -an ihrer Sozialversicherung hätten. Aber wie sollen denn die Versicherten, die doch -aus ihrem eigenen Lohn im wesentlichen die Sozialversicherung tragen, Interesse an ihrer Versicherung haben, wenn ihnen der entscheidende Einfluß versagt und vorenthalten wird? Darum ging eben 'der Kampf bei dem Selbstverwaltungsgesetz von 1951. Aber zu behaupten, daß des-halb, weil dieses Selbstverwaltungsgesetz von 1951 uns nicht gefiele, nun hinterher eine Verzögerungstaktik angewandt worden wäre, ist doch eine Methode politischer Unaufrichtigkeit; denn bei allem Mißbehagen, das wir gegenüber diesem Gesetz empfunden haben, ist doch der Wunsch auf Selbstverwaltung der Arbeitnehmer auch bei uns ganz selbstverständlich vorhanden und er sollte möglichst rasch erfüllt werden.
Wenn nun von einem Versagen bei der Entwicklung -dieses Gesetzes gesprochen worden ist, so glaube ich, sollte man insbesondere einmal ein Versagen innerhalb des Bundesarbeitsministeriums, aber, wie wir glauben, auch bei den Regierungsparteien ansprechen.
Ich möchte darauf hinweisen, daß beim Bundesarbeitsministerium 'die Bearbeitung durch aie Ministerialstellen weitgehend unter einer gewissen Unzulänglichkeit gelitten hat. Schon die Texte des Selbstverwaltungsgesetzes waren so unzulänglich, daß dann eine sehr umfangreiche Wahlordnung erforderlich wurde. Aber es tauchten dann später auch Schwierigkeiten juristischer Art -auf, die das Bundesarbeitsministerium selbst zugeben mußte, als es zum bekannten Entwurf des Bundesrates sagte, daß der Bundesrat die Lücken dieses alten Gesetzes nicht ausreichend geschlossen hätte. Von einem eigenen Entwurf des Bundesarbeitsministeriums in diesem Zeitpunkt haben wir aber nichts gehört. Man hat dann dem Bundesrat vorgeworfen, er hätte doch damals auch dem Gesetz zugestimmt. Aber auch die Regierungsparteien haben dem Gesetz von 1951 zugestimmt. Auf dieser Basis also kann man, glaube ich, nicht diskutieren.
Nun, ich spreche von der Verwaltung des Bundesarbeitsministeriums, von einer gewissen bürokratischen und uneinsichtigen Haltung, zum Teil sogar einer gewissen Rechthaberei, die sich im Ausschuß bemerkbar machte, und offensichtlich nicht nur bei uns, als der Opposition, als unangemessen aufgefallen ist. Vor allem war aber die Vorlage der Regierungsparteien, die doch offenbar im Zusammen-gehen mit -dem Arbeitsministerium vorbereitet worden war, in Form und Inhalt juristisch und sachlich nicht einwandfrei. Zum Teil war die Länge -der Beratungen, die dann im Ausschuß erfolgen mußten, darauf zurückzuführen, daß der Ausschuß selbst erst einmal eine Arbeit, die eigentlich 'im Bundesarbeitsministerium hätte erledigt werden müssen, nun formal durchführen mußte.
Die Vorlage, die die Regierungsparteien eingebracht haben, schließt aber nun nicht nur die Lücken, die seinerzeit vom Bundesrat angesprochen worden waren, sie stellt darüber hinaus nach unserer Auffassung den Versuch dar, die Versicherungsrechte einseitig zu verschieben.
Das geschieht einmal — davon haben wir bereits das letzte Mal gesprochen, aber wir werden auch heute noch einmal kurz darüber reden müssen — dadurch, daß die Stimmen der Rentner denen der Versicherten zugeschlagen worden sind, so daß das Verhältnis der Stimmen der Arbeitgeber zu denen der beschäftigten Versicherten, die doch die Beiträge tragen, nicht mehr paritätisch, sondern eben zugunsten der Arbeitgeber, die eine geschlossene Gruppe darstellen, verschoben worden ist, so daß nunmehr ein Übergewicht der Arbeitgeber da ist.
Zum andern war bereits in dem Selbstverwaltungsgesetz von den Vereinigungen der Arbeitnehmer gesprochen worden. Wir haben uns schon damals gegen diese Einfügung gewandt. In der weiteren Behandlung dieser Frage und der Rechte dieser Arbeitnehmervereinigungen ist deutlich geworden, daß offensichtlich bestimmte Tendenzen damit verfolgt worden sind. Meine Damen und Herren, wem soll denn die Einführung dieser Vereinigungen eigentlich dienen, und wem dient sie in Wirklichkeit? Dienst sie nicht den radikalen Gruppen, an denen doch weder die Regierungsparteien noch die Opposition irgendein Interesse haben können? Liegen hier nicht, wie ein beklagenswertes Wort im Ausschuß ,vermuten ließ, sogar Tendenzen gegen die Gewerkschaften vor?
Wir hatten im Ausschuß eine Anregung von Herrn Abgeordneten Arndgen, die wenigstens gewisse Gruppen ausschalten wollte. Sie erlauben uns, daß wir in unserem Umdruck Nr. 579 in der Ziffer 3 dieser Anregung nachgehen, nachdem Sie die vollkommene Eliminierung der Arbeitnehmervereinigungen das letzte Mal abgelehnt haben. Wir haben nun eine Formulierung gewählt, die an das anklingt, was 'Herr Kollege Arndgen einmal im Ausschuß zu formulieren versucht hat, und die wenigstens eine gewisse Begrenzung hinsichtlich dieser Vereinigungen von Arbeitnehmern vornehmen will. Wir hoffen, daß wir in diesem Punkte mit Ihnen einig gehen können.
Daß wir dem Grunde nach diese Vereinigungen in dem Gesetz nicht haben möchten, das wissen Sie vom letzten Mal. Ich möchte aber noch einmal folgendes sagen. Diese Vereinigungen — und wir wissen ja, welche Sie im Grunde meinen —, die heute völlig unbehelligt sind, werden durch diese Einfügung in das Wahlverfahren, wie meine Freunde glauben, in das politische Rampenlicht gerückt, in ein Rampenlicht, wie weder Sie noch wir es wollen bzw. wollen sollten.
Wir beklagen diese Tendenzen, die sich in dem Gesetzentwurf zeigen, besonders wenn wir darin grundsätzliche Bestrebungen sehen müßten, in sozialpolitischen Angelegenheiten die Gewerkschaften nicht als die berufenen Vertreter der Arbeitnehmer anzusehen, sondern daneben Gruppen heranzuziehen, die ihrem Wesen nach unbestrittenermaßen nicht Gewerkschaften sind.
Das letzte Mal ist in diesem Zusammenhang von einem Monopol der Gewerkschaften und auch von der Koalitionsfreiheit gesprochen worden. Nun, ich möchte dieses Wort vom Monopol der Gewerkschaften gar nicht weiter vertiefen, obwohl ich glaube, daß man einiges dazu sagen 'könnte. Aber darin sollten 'wir doch einig sein, daß das Grundgesetz, wenn es von der Koalitionsfreiheit spricht, nur Vereinigungen von Arbeitnehmern mit gewerkschaftsähnlichem Charakter meint. Wir sollten also in die Wahlen bei der Selbstverwaltung nur solche Formationen einführen. Wir möchten, meine Damen und Herren auch von den Regierungsparteien, vor dieser gefährlichen Gratwanderung warnen, die hier — zu einer Aufspaltung der Arbeitnehmerschaft — vorgenommen zu werden scheint.
Nun zum dritten Punkt, nämlich der Förderung einer 'weiteren Aufsplitterung innerhalb des Sozialversicherungswesens! Wenn nur Lücken ausgefüllt werden sollten, dann brauchte diese jetzt eben genannte Tendenz zur Aufsplitterung nicht in irgendeiner Form in diesem Gesetzentwurf zum Zuge zu kommen. Denn hier setzen sich ohne Not nach unseren Auffassungen Sonderinteressen durch. Die Sozialdemokratie hätte ja bei dieser Gelegenheit ihre Auffassung zur Aufsplitterung der Versicherungsträger, d. h. ihre Gegnerschaft dazu in irgendeiner Form zum Ausdruck bringen können. Wir haben es nicht getan, weil uns daran lag, die Wahlen so schnell wie möglich durchzuführen. Aber die Bestimmungen, die jetzt in der Vorlage enthalten sind, über die Erleichterung z. B. der Errichtung von Innungskrankenkassen oder über den leidigen Fall von Bremerhaven, zeigen nur, daß man diese Gelegenheit einer gewissen Möglichkeit der Stimmenüberlegenheit jetzt benutzen wollte, um für diese Sonderinteressen einiges herauszuholen.
— Wenn man das wollte, dann hätte man wenigstens, Frau Kalinke, wie ich Ihnen das letzte Mal 'bereits sagte, demokratische Sicherungen treffen sollen. Warum wird z. B. bei der Errichtung von Innungskrankenkassen die Befragung der Gesamtarbeitnehmerschaft ausgeschaltet und nur noch der Gesellenausschuß eingeschaltet, und warum gibt man einer Mehrheit von Arbeitnehmern allein nicht die Möglichkeit, gegen die Neuerrichtung von Krankenkassen wie im Falle des Bremerhavener Gebiets zu stimmen und koppelt die Stimmen der Arbeitnehmer mit denen der Arbeitgeber zusammen, so daß sich die Arbeitgeber nur der Stimme ,zu enthalten brauchen, um damit die alten Kassen automatisch wieder aufleben zu lassen? Demokratie ist das nicht. Das ist auch nicht irgendeine Form, die etwa die Arbeitnehmer in erster Linie an der Errichtung von Kassen interessieren sollte.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie, daß ich bei dieser Gelegenheit gleich einige unserer Anträge begründe, damit wir nicht allzu lange mit diesen Dingen zu tun haben. Ich möchte hier darauf hinweisen, daß wir in unserem Antrag Umdruck Nr. 579 eine in dem zweiten Umdruck Nr. 533 enthaltene Änderung vorgenommen haben. Wir möchten nämlich die Ziffer 5 des Umdrucks Nr. 579 zurückziehen und möchten dafür die Ziffer II a) des Umdrucks Nr. 583 berücksichtigt sehen. Es handelt sich hier urn die sogenannten Außenseiter, die in die Geschäftsführung hineinkommen sollen und hineinkommen können. 'Sie haben in der zweiten Lesung die Möglichkeit ausgeschaltet, daß die beamtenmäßigen Voraussetzungen innerhalb von 15 Monaten nachgeholt werden können. Wir möchten bitten, daß dieser Satz wieder eingefügt wird, und zum andern möchten wir, daß in dem darauffolgenden Satz, der jetzt in der Vorlage steht, ausdrücklich gesagt wird, daß .die 'Ableistung der vorgeschriebenen Prüfungen für diese sogenannten Außenseiter nicht erforderlich sein solle. Wir möchten bitten, die Entscheidung, ob solche Außenseiter die erforderliche Befähigung haben, nachdem Sie unseren letztmaligen Antrag abgelehnt haben, wenigstens nicht einer Behörde, sondern einem Ausschuß zu überantworten, der bei 'einer obersten Verwaltungsbehörde begründet werden und der paritätisch aus Gewerkschaften _und Arbeitgebern zusammengesetzt werden soll.
Dann zu den weiteren Anträgen auf den Umdrucken Nm. 579 und 583. Das letzte Mal ist eine
Änderung der Stimmbezirke herbeigeführt worden. Wir bitten noch einmal, sich zu überlegen und zu prüfen, ob nicht, wie es unserer Auffassung entspricht und auch — was neulich schon betont worden ist — der Auffassung der Arbeitgeber, die in ihrer Zeitschrift das gleiche Argument vorgebracht haben, die Stimmbezirke in größeren Betrieben über 50 Arbeitnehmer die Betriebe selber sein sollen. Wir haben dementsprechend in Ziffer 6 dieses Umdrucks unseren Antrag vom letzten Mal wiederholt.
Außerdem haben Sie aber die Wahl auf den Sonntag beschränkt bzw. auf den vorangehenden Samstag nachmittag, für die Betriebskrankenkassen auf den gesamten Samstag. Wir möchten den Antrag, den der Kollege Winkelheide seinerzeit im Ausschuß gestellt hatte, hier wieder aufnehmen, wonach die Wahlen am Sonntag und an einem vorangehenden oder nachfolgenden Werktag durchgeführt werden sollen. Wir sind eben der Auffassung, daß auch an einem Werktag soll gewählt werden können.
Endlich der Antrag, die Angelegenheit Bremerhaven wieder auf den Stand des Gesetzes von 1951 zurückzuführen.
Meine Damen und Herren, hätte die Vorlage der Regierungsparteien sich, wie der Bundesrat das vorgeschlagen hatte, strikt daran gehalten, lediglich die juristischen Lücken des Selbstverwaltungsgesetzes auszufüllen, dann wäre das Gesetz voraussichtlich längst unter Dach und Fach, die Wahl hätte eingeleitet, vielleicht sogar schon durchgegeführt werden können, und die Sozialdemokratie hätte voraussichtlich auch zustimmen können.
Meine Damen und Herren, wir bitten Sie herzlich, die Anträge, die wir vorgelegt haben, doch noch anzunehmen. Wenn das geschieht, dann würden wir der jetzigen Vorlage zustimmen können.