Rede von
Friedrich Wilhelm
Wagner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir lehnen es ab, ein so trauriges Vorkommnis wie das, das sich im Fall Kemritz offenbart, irgendwie 'zu einer nationalistischen oder sonstigen Hetze gegen die Vereinigten Staaten zu mißbrauchen. Wir stellen mit großem Schmerz diese Geschehnisse fest. Es geht uns nicht wie den Kommunisten, die sich darüber freuen, daß eine Dienststelle einen so wahnsinnigen Fehler begangen hat. Was Iden Hinweis des Vorredners auf die -von meinem Freund Dr. Arndt in seiner großen Rede vom 20. Juni vorigen Jahres geäußerte. Meinung, diese Dinge wären nicht möglich gewesen, wenn der Hohe Kommissar in Deutschland anwesend gewesen wäre, anlangt, so muß ich sagen: das spricht in keiner Weise gegen meinen Freund Dr. Arndt. Wenn er eine so hohe Meinung von dem Hohen Kommissar hatte, so entspricht das unserer allgemeinen Tendenz, immer eher an das Gute unserer Mitmenschen zu glauben als an das weniger Gute.
— Das trifft auf alle die 'zu, die in der Vergangenheit bewiesen haben, daß es ihnen auf Menschenrechte ankommt und nicht darauf, die Menschen zu knechten, zu versklaven und umzubringen, wenn sie für die Freiheit eintreten.
Meine Damen und Herren, es ist nicht zu vermeiden, daß die Kommunisten bei so ernsten Debatten immer wieder versuchen, hier irgendein Süppchen zu kochen. Aber diese Debatten sind dazu wirklich nicht geeignet. Sie hätten so viele Möglichkeiten, sich in ihrem Laden und bei ihren Auftraggebern umzusehen, daß ihnen jedes moralische Recht fehlt, sich über Dinge aufzuregen, gegen die wir das Recht zu protestieren haben.
Nun sagte der Herr Bundesjustizminister, die Regierung habe alles getan, was sie tun konnte; und ich kann nicht verkennen, daß der Herr Bundesjustizminister und die Bundesregierung sich in einer nicht gerade beneidenswerten Lage in diesem Fall Kemritz befinden. Ich kenne den Herrn Bundesjustizminister viel zu gut, als daß ich nicht wüßte, daß er innerlich über die ganzen Vorgänge aufs tiefste erschüttert ist und empört ist über das, was hier vorgeht. Aber das Entscheidende ist doch schließlich der Umstand, daß politisch aus dieser berechtigten Empörung heraus eine gewisse Hand-
lung erforderlich ist; und da befinde ich mich allerdings in scharfem Gegensatz zu seiner Auffassung.
Der Herr Bundesminister meint, nachdem nunmehr dieser Kemritz nicht mehr auf deutschem Boden weile, sei ein Auslieferungsverlangen sinnlos. Diese Erkenntnis ist beim Herrn Bundesjustizminister neu; zum mindesten war sie nicht vorherrschend, als er uns seinerzeit, nämlich am 20. Juni, seine leidenschaftlichen Ausführungen vorgetragen hat. Jenes Mal berichtete er uns bereits, indem er sagte, Kemritz befinde sich nicht mehr in deutscher Jurisdiktion, er habe den deutschen Boden schon verlassen; und trotz dieser Feststellung — die sich nicht von der heutigen unterscheidet — erklärte er schließlich — ich wiederhole das Zitat von vorhin —,
daß die Bundesregierung sich darüber schlüssig
-werden muß, ob sie Antrag auf eine Art von
Auslieferung des Kemritz stellen wird.
Was jenes Mal nicht sinnlos war, ist es heute noch viel weniger. -
Ich stehe auf dem Standpunkt, daß man der amerikanischen Öffentlichkeit diesen Fall Kemritz vortragen muß. Denn die öffentliche Meinung in Amerika ist gerade für solche Dinge außerordentlich empfänglich, und die öffentliche Meinung in Amerika ist eine Riesenmacht, eine Macht, größer als in jedem anderen Lande.
— Sie haben ja keine Ahnung von diesen Dingen, weder von den Konzernen noch von Amerika! — Deswegen glaube ich, daß, wenn die Bundesregierung durch einen Auslieferungsantrag das Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit auf dieses schändliche Verhalten des Kemritz lenken und dadurch die Stellung gewisser amerikanischer Dienststellen in Deutschland der amerikanischen Offentlichkeit offenbar würde, dort eine Stimmung erzeugt würde, die sogar für die noch nicht erfolgte Sühne des Falles Kemritz Heilung bringen würde. Sie brauchen sich nur zu vergegenwärtigen, daß die „New York Times" in einem Artikel, den Herr Kollege Friedensburg in der Sitzung, ich glaube, vom 28. Februar, zitiert hat, bereits in einer Weise Stellung genommen hat, die durchaus die Möglichkeit eröffnet, daß das, was hier über Dienststellen in Deutschland nicht möglich ist, über die amtlichen Stellen, gedrängt von der öffentlichen Meinung Amerikas, geschaffen werden kann und daß darüber hinaus auch Änderungen in den Bestimmungen, die nächstens unserer Beratung unterliegen, möglich sind.
Die Resignation der Regierung, die in den Worten des Herrn Ministers zum Ausdruck kommt: „Wir können nicht mehr, als wir können", ist meines Erachtens nicht geeignet, irgendwie das Gefühl derer zu befriedigen, die den Fall Kemritz kennen und die ihn sehen. Meine Damen und Herren, wenn die amerikanische Öffentlichkeit z. B. erfahren würde, daß die amerikanischen Dienststellen in Deutschland folgenden Standpunkt einnehmen, dann könnten Sie eine sehr bittere Reaktion- erleben. Denn die Amerikaner nehmen nach dem Memorandum der Bundesregierung den Standpunkt ein: es dreht sich im Falle Kemritz überhaupt nicht um eine ungesetzliche Handlung. Das können Sie einem Durchschnittsamerikaner nie beibringen, ebensowenig wie das irgendein Deutscher glauben kann. -
Sie nehmen weiter den Standpunkt ein: Sollte aber eine ungesetzliche Handlung vorliegen — und das ist nun das Erschütternde an der ganzen Affäre —, dann wären die Besatzungsbehörden berechtigt, einem deutschen Gericht — wie es wörtlich heißt — jedes Verfahren zu entziehen, welches unmittelbar den Schutz, das Prestige und die Sicherheit der Besatzungsmacht berührt. „Nach amerikanischer Auffassung" — so heißt es wörtlich weiter in dem Memorandum — „werden durch ein deutsches Gerichtsverfahren gegen Kemritz das Prestige und die Sicherheit der amerikanischen Besatzungstruppen berührt".
Meine Damen und Herren, es ist erschütternd zu hören, wie dadurch das Prestige der amerikanischen Besatzungsmacht berührt werden kann, wenn ein Mann, der die schwersten Verbrechen begangen hat, vor den für ihn zuständigen Richter gestellt wird. Das ist unbegreiflich. Das Prestige der amerikanischen Besatzungsmacht leidet umgekehrt unter der Tatsache, daß man dem Gerichtsverfahren nicht seinen Lauf gelassen hat.
Das Prestige leidet umgekehrt unter der Tatsache,
daß die Amerikaner diesen Verbrecher zum mindesten nicht vor ihr eigenes Gericht gezogen haben.
Es leidet umgekehrt unter der Tatsache, daß die Amerikaner einem -Mann, der Freund Himmlers -und Heydrichs war, einem Mann, den sie zum Agenten gemacht haben, gestattet haben, mit anderen gegen den Kaufpreis von Menschenleben zu arbeiten.
Das ist das, worunter das amerikanische Prestige bei uns in Deutschland leidet. Das ist das Erschütternde für jeden, der Amerika liebt und Amerika kennt. Das ist das Prestige, um das die amerikanischen Stellen sich viel mehr kümmern sollten, als sie es in der Vergangenheit getan haben.
Ich bin überzeugt, das amerikanische Volk würde nicht dulden, daß man das Prestige auf einer so falschen Seite sucht, und es würde hier eine Korrektur vornehmen, die erforderlich ist im Interesse des rechtsstaatlichen Gedankens, im Interesse der Menschenwürde und im Interesse der freundschaftlichen Zusammenarbeit der Völker. Aber Maschinen in den Staaten sind stark, auch Maschinen in demokratischen Staaten. Sie können nur dann, wenn sie gefährlich geworden sind, zurückgedrängt werden, wenn in den Demokratien sich das Volk dahinterklemmt und das Volk dagegen Stellung nimmt. Ich appelliere an die Bundesregierung, nicht zu resignieren, sondern ihren Apparat spielen zu lassen, auf daß dafür gesorgt werde, daß diese Dinge eine Publizität erhalten, die sie tatsächlich erfordern.
Nun muß ich dem Herrn Kollegen Friedensburg widersprechen. Er scheint mich völlig falsch verstanden zu haben. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß in dem neuen Vertrag, den ich schon vorher zitiert habe und den der Herr Bundesjustizminister nach mir zitiert hat, dem Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen keinesfalls fürs die Zukunft ausgeschlossen ist, daß wir wieder einen Fall Kemritz erleben.
Ich stehe im Gegenteil auf dem Standpunkt, daß man bei genauem Studium des Art. 3, insbesondere des Art. 3 Abs. 3 b geradezu sichert, daß in der Zukunft solche Fälle sich genau so abrollen können wie in der Vergangenheit. Denn es heißt in Art. 3 Abs. 3 b — ich -muß von Abs. 3 ausgehen —
Vorbehaltlich der Bestimmungen des Abs. 1 dieses Artikels und jeder anderen einschlägigen Bestimmung des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten oder der in seinem Art. 8 aufgeführten Zusatzverträge dürfen deutsche Gerichte die ihnen nach deutschem Recht zustehende Gerichtsbarkeit ausüben.
Und dann kommt der Buchstabe — der ist im Augenblick uninteressant — und schließlich der Buchstabe (b), nach dem die deutschen Gerichte die ihnen nach deutschem Recht zustehende Gerichtsbarkeit ausüben dürfen
in Strafverfahren gegen natürliche Personen, es sei denn,
— und nun kommt die Ausnahme —
daß die Untersuchung wegen der angeblichen Straftat von den Strafverfolgungsbehörden der betreffenden Macht oder Mächte endgültig abgeschlossen war oder diese Straftat in Erfüllung von Pflichten oder Leistung von Diensten für die Besatzungsbehörden begangen wurde.
Da haben Sie genau das Gegenteil. Wer Dienste für die Besatzungsbehörden begeht — und wer entscheidet, ob die Straftat nicht im Rahmen dieser Dienstleistung begangen worden ist? —, der kann nach wie vor, wenn das ratifiziert wird, nicht von den deutschen Gerichten abgeurteilt werden.
Ich behaupte also, daß genau das Gegenteil dessen der Fall ist, was der Bundesjustizminister vorgetragen hat. Ich behaupte also, daß dieser Vertrag keinesfalls einen Fall Kemritz für die Zukunft vermeidet und daß man aus dem Fall Kernritz nichts gelernt hat oder, wenn man etwas ge1 ernt hat, nicht in der Lage war, das hier im Vertragswerk durchzusetzen. Es ist also nicht so, Herr Kollege Friedensburg, daß diese Regelung uns veranlassen würde, unseren bisherigen Standpunkt zu ändern. Im Gegenteil — und wir werden später ausführlich dazu sprechen —, gerade dieser Fall Kemritz und die erfolgte Regelung in diesem Vertragswerk zeigen, daß es völlig unannehmbar ist, wenn wir für die Zukunft nicht ähnlich traurige und tragische Fälle erleben wollen.