Meine Damen und Herren, ich war es auch nicht. Ich könnte mir aber vorstellen, daß ich nach einigen Flaschen Wein, die zu trinken ja keine Sünde ist, sogar im Jux einmal die Marseillaise singen würde.
— Nun, eben drum. Meine Damen und Herren, Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung! Davon also jetzt kein Wort mehr!
Die Diskussion scheint heute hier drei Dinge völlig durcheinandergeworfen zu haben. Das eine ist der Fall Krebs; nicht nur der Fall Krebs, sondern eine ganze Reihe von Fällen, von „Krebsschäden", die wir im Augenblick im öffentlichen und im parlamentarischen Leben Deutschlands immer wieder feststellen müssen. Ich habe keine Unterlagen, um nachprüfen zu können, ob die Zitierungen der Ausführungen des Herrn Dr. Krebs auf einer Parteiversammlung in Frankfurt am Main der Wahrheit entsprechen. Ich weiß nicht, ob ein Verfahren schwebt. Wenn ich das wüßte, würde ich meinen Mund halten, um in ein solches Verfahren nicht einzugreifen. Wenn der Herr Dr. Krebs dort tatsächlich dieses schöne Beispiel von dem Pelz voll Läusen, die zu knacken seien, gebraucht haben sollte — und er würde darunter uns alle miteinander verstehen —, dann, meine Damen und Herren, wollen Sie von mir verlangen, daß ich ein scharfes Urteil fälle? Oder unterstellen Sie mir nicht ohne weiteres, daß ich dann Herrn Dr. Krebs auf das allerschärfste verurteilen würde?
Aber was hat das eigentlich mit der Entnazifizierung zu tun?
Die Grundgedanken der Entnazifizierung sind doch folgende gewesen, und der größte Teil des deutschen Volkes hat sie ja inzwischen längst akzeptiert. Die Freiheit des demokratischen Bürgers beruht darauf, daß er das Recht hat, sich zu irren, daß er das Recht zum Bekenntnis hat. Die Idee des Gesinnungstäters oder des Gesinnungsverbrechers stand doch am Anfang des vergangenen Jahrhunderts, als die modernen Staatsideen reiften. Wenn ich mich nicht täusche — ich bin kein Staatsrechtler —. stammt das schon aus der Zeit von Montesquieu. Dieser Gedanke des Gesinnungsverbrechers, des Überzeugungstäters, der zu respektieren ist, dessen Taten nicht das übliche Crimen darstellen, hat uns geleitet, die Forderung der Entnazifizierung aufzustellen. Sie ist letzten Endes in dem geistigen Denken des Abendlandes viel, viel länger fundiert. Sie basiert auf dem Gedanken der Ritterlichkeit gegenüber demjenigen, der besiegt ist und der sich geirrt hat. Also demjenigen, der einmal, ohne gegen Strafgesetze und Anständigkeit verstoßen zu haben, eine andere politische Meinung hatte, darf diese Meinung dann nicht mehr vorgeworfen werden.
— Nein, Herr Kollege Wuermeling, wenn er bereit ist, aus echter Überzeugung heraus wiedergutzumachen
Millionen, die unter dem Gesetz der Massenpsychologie, ohne daß sie eigentlich verantwortlich sind, Nationalsozialisten waren, fallen darunter.
— Nein, das ist das Thema, das hier irrtümlicherweise mit dem Fall Krebs verwechselt wurde.
Das ist die Geschichte.
Ich habe es nicht nötig, den Nationalsozialismus zu verteidigen, weil ich kein Nationalsozialist war. Aber eine glückliche Zukunft unseres Volkes ist nur dann abzusehen, wenn es gelingt, alle Gutgläubigen und alle, die bereit sind, Demokraten zu sein, mit offenen Armen aufzunehmen.
Und nun das dritte Problem: Versammlungsschutz, Versammlungsgesetz, üble Sitten in Deutschland! Wenn wir den Fall Krebs generalisieren wollen, dann schauen wir bitte über die Grenzen der Parteien hinaus. Ich muß doch empfehlen, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie sich auch anderer Vorfälle erinnern. Wissen Sie nicht, was bei jener Versammlung in Wiesbaden passiert ist, in der der Saalschutz der KPD, nachher unterstützt von der Polizei, die Zwischenrufer verprügelt hat und die mit einem Choral aus dem Gesangbuch geendet hat? Ist das keine Verwilderung der politischen Sitten in Deutschland? Sollten wir nicht alle miteinander langsam wieder lernen, was ganz einfacher Anstand ist?