Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Grundgesetz hat durch Art. 39 einem Drittel der Bundestagsmitglieder die Befugnis gewährt, die Einberufung des Bundestages zu verlangen. Dieser Anspruch kann nur den Sinn haben, daß der Bundestag auch mit d e r Tagesordnung einberufen wird, die dem Begehren zugrunde liegt. Nach unserer Überzeugung steht deshalb auf der Tagesordnung die Sache, deretwegen der Bundestag einberufen ist, und Sie sollten nicht glauben, Sie könnten nachher dem Grundgesetz mit irgendwelchen Mitteln der Geschäftsordnung beikommen, indem Sie sich vorstellen, daß fünf Abgeordnete dazu genügen, einer Tagesordnung zu widersprechen.
Die von der Verfassung geschützte Minderheit soll das Recht haben, mit ihrem Anliegen gehört zu werden und es vertreten zu können.
Infolgedessen steht nach unserer Auffassung der
Bericht des Auswärtigen Ausschusses über den
Antrag der Sozialdemokratischen Partei betreffend
unserer Auffassung gehört auch dazu der Antrag
aus der Drucksache Nr. 3392, über den Generalvertrag und den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft vor der Unterzeichnung
ein. Weißbuch mit den Vertragstexten vorzulegen.
Einige Überschlaue allerdings, die immer noch nicht begreifen, was Volksvertretung bedeutet, haben errechnet,
daß diese Sitzung 35 000 DM Ausgaben verursache. Aber da kosten ja zwei Minuten Verteidigungsbeitrag mehr!
Denn bei 850 Millionen im Monat, die die Bundesregierung bewilligen will, müssen für jede Minute etwa 20 000 DM gezahlt werden.
Und hat man vergessen, daß 1933 die Abschaffung des Parlaments den Wohlstand der ganzen Nation opferte?
Wir sind nicht gewillt, jetzt hier Debatten über die Geschäftsordnung zu führen. Wir behalten uns vor, Ergänzungen zur Geschäftsordnung vorzulegen, um für die Zukunft zu sichern, daß einem Recht aus dem Grundgesetz nicht wieder formalistische Einwände entgegengesetzt werden.
Heute sind wir nicht hier, um über Formalien zu streiten. Es geht uns um die Schicksalsfrage der Nation!
Deshalb ist meine Aufgabe, zu begründen, warum
wir die Einberufung des Bundestages gefordert
haben und warum nach unserer Überzeugung auf
der Tagesordnung steht, daß der Ausschuß für
auswärtige Angelegenheiten uns zu berichten hat
und daß die Bundesregierung vor Unterzeichnung der Verträge durch Vorlage eines Weißbuches mit den Texten aller Abkommen die Möglichkeit zur Aussprache zu geben hat.
Wir rechtfertigen diese Tagesordnung mit der Art, dem Zeitpunkt und den Wirkungen der geplanten Verträge. Man kann uns nicht einwenden, daß es allein Sache der Regierung sei, zu verhandeln. Denn die Unterzeichnung ist kein Akt des Verhandelns mehr. Ehe sie unterschreibt, kann und muß die Regierung also dem zu ihrer Kontrolle berufenen Parlament Aufschluß geben, was sie als angeblich unterschriftsreif ausgehandelt hat.
Der erste Grund hierfür ist: Es handelt sich um Verträge besonderer und außerordentlicher Art, ihrem Wesen nach um ein unwiderrufliches Stück Ersatzfrieden. Immer aber sind solche Vertragsentwürfe erst im Parlament beraten, bevor man sie unterschrieb. Die Weimarer Nationalversammlung hat sich dieses Recht nicht nehmen lassen. In diesen Tagen erst hat das britische Unterhaus über unser Thema debattiert, und soeben haben die außenpolitischen Ausschüsse der französischen Nationalversammlung und des Rates der Republik Frankreich beschlossen, vor der Unterzeichnung diese Entwürfe zu beraten.
Dabei handelt es sich für die anderen Vertragspartner doch nur um einen Vorgang ihrer Außenpolitik, für uns dagegen um ein Stück Verfassung, unter der wir leben sollen, um eine Art Übergrundgesetz. Es wäre wirklich erschütternd, sich heute am dritten Jahrestag des Bonner Grundgesetzes vorstellen zu müssen, daß dieses Grundgesetz schon wieder in den letzten Zügen liege.
Will die Bundesregierung diese Unterrichtung des Bundestages verweigern, will sie ihm das Wort abschneiden, so setzt sie sich in Widerspruch zu der einzig möglichen Auffassung von parlamentarischer Demokratie, die in allen anderen Kulturvölkern der Welt lebendig ist.
Unter allen Umständen muß der Bundestag selbst hier und heute beweisen, daß er die Vertretung des Volkes ist.
Noch am 3. Mai dieses Jahres hat der Herr Kollege St r a uß als Fraktionsvorsitzender der CSU im „Münchner Merkur" erklärt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Stellen wörtlich verlesen —:
Die Fraktion der CDU/CSU ... kann es aber mit ihrem politischen Gewissen und ihrer Verantwortung für das deutsche Volk in der Bundesrepublik und darüber hinaus im gesamten Deutschland nicht vereinbaren, in einer für seine zukünftige Existenz wirklich lebenswichtigen Entscheidung unter Zeitdruck gesetzt zu werden
und deshalb ohne genaue Prüfung aller Punkte dieses Vertrags Bestimmungen hinzunehmen, die vom deutschen Standpunkt aus und im Sinne der europäischen Schicksalsgemeinschaft als eine große Belastung empfunden werden müssen.
Beim Abschluß solcher Vertragswerke
— Herr Kollege Strauß, haben Sie gesagt —
darf es nicht auf einige Tage oder auch Wochen ankommen.
Wenn bis zum 20. Mai die strittigen Punkte nicht geklärt sind, dann darf eben erst zu einem späteren Zeitpunkt unterzeichnet werden.
Dann, Herr Kollege Strauß, haben Sie folgenden Satz geprägt:
Die Fraktion der CDU/CSU hat immer betont, daß sie y o r der Unterzeichnung die Verträge noch kennenlernen und auf ihre abschließende Gestaltung noch Einfluß nehmen wolle.
Genau das ist es, was wir hier fordern, nicht
wahr? Und wo ist Ihr Mut geblieben?
Der zweite Grund zur Rechtfertigung dieser Tagesordnung ist: Sie können uns nicht mit der Ausrede abspeisen, daß formaljuristisch die Unterschrift noch keine rechtlichen Wirkungen erzeuge. Alle Welt weiß. die Unterschrift ist ein politisches Ereignis, sie hat politisches Gewicht und politische Folgen. Warum soll sie wohl im gleichen Saal geleistet werden, wo das Grundgesetz entstand? Warum soll sie mit einem Fackelzug gefeiert werden,
obwohl schon einmal ein Fackelzug damit endete, daß ganz Deutschland brannte?
Warum will die Regierungskoalition sich selbst an feierlichen Empfängen beteiligen? Wollen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, sich als Abgeordnete in die Lage begeben, auf diesen Festlichkeiten über etwas zu jubilieren, was Sie gar nicht kennen und was öffentlich zu beraten Sie abgelehnt haben?
Aber noch weiter: der Herr Bundesminister des Innern, Herr Dr. Lehr, hat durch Fernschreiben die Landesregierungen ersucht, am Tag der Unterzeichnung, am kommenden Montag, die Lehrer zu veranlassen, sie sollten die Schulkinder
auf die Bedeutung dieses Vertragswerkes hinweisen, sie sollten schulfrei geben,
die Gebäude sollten beflaggt werden.
Das ist ein Mißbrauch wehrloser Kinder! Aber vor allen Dingen beweist es doch, daß die Bundesregierung dem Akt der Unterzeichnung eine ganz besondere politische Bedeutung beimißt.
Angesichts dieser Vorbereitungen und aller Umstände können Sie doch nicht abstreiten, daß die geplante Unterschrift mehr ist als ein Federzug, der seine Kraft erst von einem späteren Zustimmungsgesetz bekommen soll.
Die Begründung zur Tagesordnung, warum wir es für wichtig halten, hierüber zu reden: Diese Unterschrift würde ein politisches Eigengewicht von unübersehbarer und verhängnisvoller Tragweite haben. Diese Unterschrift soll absichtlich in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit den gegenwärtig schwebenden Viermächteverhandlungen über die Aufrechterhaltung der deutschen Einheit stehen. Unsere Tagesordnung ist daher durch das Gebot gerechtfertigt: der Bundestag muß wissen und entscheiden, was diese Unterschrift bedeutet, solange noch die Tür of fen ist zu Viermächteverhandlungen über gesamtdeutsche Wahlen und die Einheit der Bundesrepublik Deutschland.
Der dritte und letzte Grund, der unsere Tagesordnung rechtfertigt, sind die Wirkungen, die zu behaupten die Bundesregierung sich bemüht. Die Bundesregierung sagt ja selbst gar nicht, daß die geplante Unterschrift ein Nichts sei, solange der Bundestag noch keine Möglichkeit zur Beratung und Entscheidung hatte. Mit einem ungeheuerlichen Propagandaaufwand will die Bundesregierung glauben machen, daß die Unterzeichnung von Verträgen, deren Texte dem Bundestag vorenthalten werden, Souveränität und Sicherheit vollende und Europa begründe. Hierüber zu urteilen und sich selbst anzupreisen, ist allerdings nicht das Amt einer Bundesregierung. Wir bestehen auf dem Recht des Bundestages, darüber zu wachen, daß keine politischen Tatsachen vollendet werden, die er nicht verantworten will. Unsere Pflicht ist es, als die Volksvertretung das Grundgesetz zu wahren, das in seinem Vorspruch das gesamte deutsche Volk auffordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Ehe daher der Herr Bundeskanzler seinen Namen unter ein Vertragswerk setzt, das im Widerspruch zum Grundgesetz zwischen Deutschland und der Bundesrepublik unterscheidet und die an Saar und Elbe verstümmelte Trizone als angebliche „Bundesrepublik" verselbständigt, muß uns das Wort gegeben werden, um rechtzeitig begründen zu können:
Diese Vertragsentwürfe bringen keine Freiheit, sondern die Versteinerung der Besatzungsgewalt.
Diese Vertragsentwürfe bringen keine Gleichberechtigung, sondern verewigen die Ungleichheit.
Diese Vertragsentwürfe bringen keine Einheit Deutschlands, sondern besiegeln die Teilung.