Rede von
Valentin
Baur
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Sie haben sicher alle das Schreiben des
Bundesvorstands des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 12. Mai erhalten,
in dem er das Parlament ausdrücklich ersucht, von einer Belastung des Gewerkschaftsvermögens Abstand zu nehmen.
--- Ihr Gelächter und Ihre bisherige Stellungnahme beweisen mir, daß Sie von dem Begriff „Gewerkschaftsvermögen" entweder keinerlei Ahnung haben,
woraus es besteht, oder in absolut gewerkschaftsfeindlicher Gesinnung
eben die Gewerkschaften treffen wollen. Es ist deshalb notwendig, daß Sie sich einmal von einem alten Gewerkschaftler, der nicht Gewerkschaftsangestellter ist und der 40 Jahre seines Lebens ehrenamtlich für die Ziele und Ideale der Gewerkschaft gekämpft hat, sagen lassen, was das Gewerkschaftsvermögen darstellt und wie es zustande kommt.
Zunächst möchte ich Ihnen eins sagen: Die Gewerkschaften sind keine Erwerbsunternehmungen, sondern Vereinigungen von Arbeitnehmern, die auf dem Prinzip der gegenseitigen Solidarität und der gegenseitigen Hilfeleistung aufgebaut, sind. Sie dienen nicht dem Zweck der persönlichen Bereicherung. Der größte Teil — wie ich schon gesagt habe — der Gewerkschaftsfunktionäre arbeitet — abgesehen von einem ganz geringen Prozentsatz —jahraus, jahrein
— jawohl! — völlig ehrenamtlich. Die Einnahmen der Gewerkschaften entspringen aus den Beiträgen der Mitglieder, die nur Arbeiter, Angestellte oder Beamte sind, also alles andere als vermögende Bürger. Diese Arbeitnehmer aber sind auch gleichzeitig die Kategorie von Steuerzahlern, denen auf Heller und Pfennig jede Woche und jeden Monat die Steuern exaktestens abgezogen werden
und die keine Möglichkeit haben, mit Hilfe eines versierten Steuerberaters ihr Steuersoll künstlich zu korrigieren.
Sie müssen wissen, worin das Wirkungsgebiet der Gewerkschaften besteht. Es besteht nicht nur, wie Sie in Ihrer hier zutage tretenden Kurzsichtigkeit anscheinend annehmen, aus Lohn- und Gehaltsbewegungen. Aus den Beiträgen, die allwöchentlich und -monatlich eingesammelt werden, werden zum allergrößten Teil Unterstützungen gewährt für Krankheit, für Arbeitslosigkeit sowie für andere Notfälle des täglichen Lebens, nicht zuletzt
für Alters- und Invalidenzulagen aus dem Arbeitsprozeß ausgeschiedener alter Mitglieder.
Besonders wichtig ist — wenn Sie das einen Augenblick bedenken, Herr Dr. Becker —, daß es Hunderttausende von Arbeitnehmern gibt, die im kleinen Gewerbe tätig sind oder die in kleinen Betrieben beschäftigt sind, und zwar ihr halbes oder ihr ganzes Leben lang. Diese Betriebe sind nicht in der Lage, Altersunterstützungen oder Pensionen zu gewähren, wie es große Firmen tun können. Gerade im Interesse dieser Leute, die ganz besonders im Handwerk und im Kleingewerbe beschäftigt sind, sind die Altersunterstützungen als Zulagen bei den heutigen Rentenhöhen unerläßlich.
Das Naziregime — auch das wollen Sie bedenken — hat den Gewerkschaften ihr gesamtes Eigentum gestohlen. Noch ist es erst zum geringeren Teil zurückerstattet und besteht zu allem hin zum großen Teil noch aus nicht aufgebauten Ruinen. Die Währungsreform hat das bescheidene Barvermögen, das die Gewerkschaften ab 1945 in Reichsmark wieder ansammeln konnten, völlig hinweggeschmolzen.
Sie erhielten keinerlei Betriebsfonds, wie sie beispielsweise Betriebe usw. bekamen. Das ist mit einer der Hauptgründe, weshalb das Unterstützungswesen der Gewerkschaften bis heute noch nicht den Stand von 1933 erreicht hat.
Sie treffen und strafen also, wenn Sie diese Barvermögen nicht freistellen, in denen ausschließlich ein Reservefonds für die alten und die kranken, die arbeitslos gewordenen Kolleginnen und Kollegen zu sehen ist, diesen ärmsten Teil unseres Volkes.
Darüber hinaus ist es j a auch Aufgabe der Gewerkschaften — und das scheinen Sie auch zu übersehen —, in Kursen und mit einer auserlesenen Literatur die arbeitenden Staatsbürger zu schulen, damit sie bei dem ständigen Wachsen der Kompliziertheit der Arbeitsvorgänge auch in der Entwicklung der Technik auf dem laufenden gehalten werden können und so eine geschulte Arbeiterschaft darstellen.
Die Eigentumsverwaltungsgesellschaften dienen ebenfalls nicht der Gewinnung von Profiten oder sonstigen Vorteilen, sondern ihre Aufgabe ist es, die so schwer verdienten Groschen und Beiträge der Mitglieder gut zu verwalten und in Reserve zu halten,
besonders in großen Krisenzeiten — das ist eine einfältige Bemerkung; beim Generalstreik gibt es keine Unterstützung, das sollten Sie wissen; und Ihr Zwischenruf beweist nur, daß Sie gar nichts wissen —,
besonders in Krisenzeiten — und diese sind Ihnen ja nicht unbekannt —, in denen die Gewerkschaften dann in hohem Maße die ausgesteuerten arbeitslosen Mitglieder ebenfalls unterstützen müssen. Diesem Zweck in erster Linie und der Altersunterstützung dienen die beschwerlich zusammengetragenen Arbeitergroschen der Gewerkschaften.