Rede von
Herbert
Kriedemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Solange nicht jemand aus den Reihen der Regierungskoalition aufsteht und für die eine oder andere Partei in dieser Regierungskoalition erklärt, daß sie mit dem, was Herr Abgeordneter Farke hier eben ausgesprochen hat, nicht einverstanden sei, werden Sie sich gefallen lassen müssen, daß wir Sie alle mit dem identifizieren, was hier eben von der Seite der Regierungskoalition gesagt worden ist.
— Das müßte im einzelnen in vielen Fällen erst noch bewiesen werden.
Wenn Sie damit nicht einverstanden sind, so kommen Sie her und erklären Sie das. Hier ist ausdrücklich auf die Koalition Bezug genommen worden. Hier hat es eine gemeinsame Erklärung der Regierungskoalitionsparteien gestern schon gegeben, und Sie können uns nicht übelnehmen, wenn wir sagen: Gleiche Brüder — gleiche Kappen.
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Farke hat hier zum Schluß ausgesprochen, daß seiner Überzeugung nach — und ich sage das bis zu einer ausdrücklichen Distanzierung davon — offenbar auch die Koalition immer schon oder mindestens jetzt der Meinung ist, daß das, was mein Freund Ohlig heute morgen bezüglich unseres ernsthaften und ehrlichen Bemühens um das Zustandekommen eines Gesetzes gesagt hat, dem auch wir Sozial-
demokraten würden zustimmen können, eben nicht ehrlich war. Ich bedauere außerordentlich, daß Herr Abgeordneter Kunze im Augenblick nicht im Saal ist. Ich hätte ihn sonst gern, und zwar ausdrücklich persönlich von hier aus, nach seiner Meinung dazu gefragt und auch ihm gesagt, daß alles das, was zwischen uns in diesen 15 Monaten gesprochen worden ist, solange völlig sinnlos ist, wie er sich von dieser Äußerung hier nicht ausdrücklich distanziert.
Es ist heute mit einer, wie ich meine, sehr plausiblen Begründung gesagt worden, warum wir uns um das Zustandekommen eines Lastenausgleichs bemüht haben, dem auch die Sozialdemokraten zustimmen könnten, warum wir uns um einen Lastenausgleich bemüht haben, der von einer breiten Mehrheit getragen würde. Wenn ich auch alles Verständnis für recht peinliche Gefühle auf Ihrer Seite angesichts dessen, was dabei unter Ihrer Verantwortung herausgekommen ist, habe, so kann ich es nicht unwidersprochen hinnehmen, wenn auf eine so unmögliche und ungehörige Weise hier unser ehrlicher Wille und unsere Arbeit von 15 Monaten kritisiert wird.
— Das ist umgekehrt gar nicht so. Sie hätten dabei sein sollen, mit welcher Geduld und mit welchem Aufwand an Argumenten wir uns bemüht haben, einen großen Teil der Mitglieder dieses Ausschusses erst einmal das sehen zu lassen, worüber sie solange geredet haben, bis es an Hand eines Gesetzentwurfs konkret formuliert worden ist.
Zu den Paragraphen und Zusammenhängen, die hier im Augenblick zur Debatte stehen, folgendes. Die schönen Zeiten sind j a vorbei, in denen man unter dem häufigen Gebrauch des Wortes „unser Recht" den Vertriebenen und den Geschädigten aller Kategorien einreden konnte, es gehe hier bei dem Kampf für das quotale Prinzip um die Gerechtigkeit. Es hat sich ja inzwischen schon — und das ist eine der dankenswerten Leistungen des Regierungsentwurfs — herausgestellt, daß diese Bezugnahme auf die Gerechtigkeit wohl aus einer Philosophie stammt, in der das Recht um so größer ist, je größer das Vermögen ist oder war.
Es hat jedenfalls zur Klärung des Bewußtseins in der Öffentlichkeit außerordentlich viel beigetragen, als man den Geschädigten, vor allen Dingen den älteren unter ihnen, an Hand der letzten Seite des Regierungsentwurfs an Zahlen klarmachen konnte: erstens, wie unterschiedlich das Recht überhaupt ist, und zweitens, für wen denn der quotale Lastenausgleich interessant ist. Es hat sich aber jetzt in der Aufhebung der Höchstgrenze für die Schadensfeststellung das quotale Prinzip auf eine quotalbrutale Weise durchgesetzt, und zwar ohne jede Grenze durchgesetzt.
Meine Damen und Herren! Wir haben einmal ganz zu Anfang der Beratungen im Ausschuß den Vorschlag gemacht, man möge doch dieses quotale Prinzip auf alle Geschädigten anwenden und dabei den Schaden, den 75% aller Geschädigten erlitten haben und der nur — man möge mir das Wort ,,nur" erlauben und wolle es richtig verstehen —in dem Verlust von Hausrat, Arbeitsplatz, Mietwohnung usw. besteht, nicht weniger sorgfältig behandeln als den Schaden, den die Minderheit von 25 % an Vermögen im engeren Sinne — Aktien,
Häusern, Grundstücken usw. — erlitten hat. Wir haben dann weiter den Vorschlag gemacht, man möge doch diesen quotalen Lastenausgleich ein bißchen sozial veredeln und all denen, die in den unteren Kategorien einen Vermögensverlust erlitten haben, den Schaden voll erstatten. Es sollte nach unserem Vorschlage gleichgültig sein, welcher Art dieser Schaden war, ob in einem bescheidenen Hausrat oder in einem Aktienpaket oder in einem Sparbuch; man sollte eine entsprechend hohe Quote geben und darüber hinaus noch etwas zur Veredelung der Angelegenheit bei denen tun, die einen kleinen Schaden erlitten und kleine Quoten haben, nämlich niemandem mehr als den untersten Betrag zahlen, ehe nicht alle, die nur diesen Betrag zu erhalten haben, ihn erhalten konnten.
Da hat man uns von Ihrer Seite entgegengehalten, daß dies, nämlich die gleichmäßige Anwendung des quotalen Prinzips auf alle Geschädigten und auf alle Arten von Schäden, das Ende des quotalen Lastenausgleichs sei. Dabei ist eben mit aller Eindeutigkeit zum Ausdruck gekommen, daß der quotale Lastenausgleich, das quotale Prinzip, die Zurückführung der Leistungen auf den erlittenen Schaden nur für eine Minderheit interessant ist und in der Minderheit wiederum nur für diejenige Minderheit, die klug genug war, ein großes Vermögen zu verlieren. Überlegen Sie sich selbst, wie sich z. B. die Hausratshilfe heute nach Ihren eigenen Überlegungen im Feststellungsgesetz gestalten würde, wenn die Entschädigung nach Ihrem Schlüssel unter dem quotalen Prinzip bemessen werden würde.
Sie wissen ganz genau, daß das weder Ihre Absicht war, noch daß Sie das jemals ernsthaft wollen werden.
Es ist hier von meinem Freunde Ohlig darauf hingewiesen worden, daß der Versuch, die Vermögensschäden anders als durch die Eingliederung, die Einreihung in eine bestimmte Zahl von Schadensgruppen festzustellen, ein hoffnungsloser Versuch ist. Wir haben j a schon bei der Beratung des Schadensfeststellungsgesetzes darauf hingegewiesen, daß es in der Mehrzahl der Fälle geradezu unmöglich ist, die Schäden festzustellen. Es wird um so unmöglicher, je mehr man den Ehrgeiz hat, sie möglichst genau festzustellen. Wir haben darauf hingewiesen, in welche fürchterlichen Gewissenskonflikte Sie diejenigen hineinstürzen, die ihren Schaden nachweisen sollen, und vor welche unlösbare Aufgabe Sie diejenigen stellen, die Sie zum Richter über die nicht durch Unterlagen beweisbaren Schadensanmeldungen machen. Das alles hat Sie nicht davon abgehalten, das Feststellungsgesetz zu machen. Mindestens im Interesse derjenigen, die sich im Rahmen dieser Feststellungsbehörden eine angenehme Beschäftigung versprechen, soll nun auch noch der Versuch gemacht werden, die Schäden spitz festzustellen, um möglichst lange damit zu tun zu haben.
Der zweite Punkt ist die gleichzeitige Bekanntgabe der Ersatzleistungen, der Schadensquoten. Es wird hier immer wieder mit den 30 Jahren operiert. Glauben Sie denn im Ernst, daß es heute für irgend jemanden interessant ist, zu wissen, daß er für seinen nachgewiesenen oder behaupteten Schaden irgendeinen Ersatz bekommt — aber später, vielleicht sogar erst in 30 Jahren? Wenn es überhaupt Sinn hat, den Geschädigten etwas zu sagen, dann doch nur, wenn man ihnen gleichzeitig auch wenigstens andeutungsweise den Termin nennen kann,
zu dem sie den ihnen zuerkannten Betrag erhalten werden. Das ist aber heute völlig unmöglich. Alles das kann erst gesagt werden, wenn man einen einigermaßen zuverlässigen Überblick über das Aufkommen auf Grund der Erfahrungen in den ersten Jahren hat und wenn man einen einigermaßen zuverlässigen Überblick über das hat, was für eine Entschädigung überhaupt in Frage kommt. So lange kann aber mit der Durchführung des Lastenausgleichs nicht gewartet werden.
Es muß unter allen Umständen alles getan werden, um so schnell wie möglich — und dazu ist der Zeitraum von 5, 6 Jahren schon reichlich lang —
alle diejenigen wieder einzugliedern, die dafür überhaupt nur in Frage kommen. Auf das Prinzip der Eingliederung, wie wir es vorschlagen, werden wir bei einem späteren Paragraphen noch zurückkommen. Es wird aber selbst das absolut über den Haufen geworfen, was dazu im Gesetz steht, vor allem das Prinzip der Eingliederung nach volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten, wenn Sie hier auf eine Weise, wie es nun die Mehrheit, zum Schluß weit über das hinausgehend, was die Regierungsvorlage in dieser Richtung einmal unternommen hat, tut, Schadensgruppen fallenlassen und für jeden Vermögensschaden einen festen Betrag und prozentuale Zuschläge jetzt in diesem Gesetz schon beschließen wollen. Ganz abgesehen davon, daß auch das nur ein leeres Versprechen ist, machen Sie hier sehr unsichere Rechtsansprüche virulent. Sie werden mit mir der Überzeugung sein, daß gerade diejenigen, die hier nach diesem Gesetz, das Sie beschließen wollen, Anspruch auf eine höhere Quote bekommen, es auch am energischsten verstehen werden, ihre Ansprüche zu realisieren. Das bedeutet gegenüber dem beschränkten Aufkommen nicht nur eine Gefährdung all der vordringlichen sozialen Leistungen; es bedeutet darüber hinaus eine Gefährdung der Ansprüche, die aus einem kleinen Vermögensschaden resultieren.
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Kather hat sich darüber beklagt, daß die Inanspruchnahme der erhalten gebliebenen Vermögen in einer Weise erfolgt, daß man von einer
50%igen Vermögensabgabe nicht reden kann. Herr Dr. Kather hat damit durchaus recht. Er wendet sich vielleicht nur nicht ausdrücklich genug an die richtige Adresse. Er hätte das eigentlich auch schon früher wissen müssen, als er — Mitglied einer Regierungspartei, die mit einem ganz bestimmten Programm angetreten ist — es übernommen hat, die Interessen aller Geschädigten zu vertreten, auch die Interessen der 75 %, die nach dem quotalen Gesichtspunkt einen Anspruch an den Lastenausgleich eigentlich nicht haben und denen Herr Farke heute ja bestätigt hat, daß zu ihren Gunsten leider übertriebene soziale Leistungen in dieses Gesetz hineingekommen sind.
Wir Sozialdemokraten nehmen für uns in Anspruch, daß wir in den ersten zwei Sitzungstagen eine Frage bereinigt haben, die mit dem Gesetzentwurf der Regierung aufgeworfen wurde: die unerträgliche Behandlung der Alten, derjenigen, denen nicht anders geholfen werden kann als durch eine Rente. Wir haben gesagt, daß wir an den Beratungen überhaupt nicht mehr teilnehmen, wenn man nicht erst einmal von der letzten Seite des Regierungsentwurfs abrückt, wo bekanntlich die Sorge aus dem Lastenausgleich für die Leute mit einem kleinen Vermögensschaden bei 13 DM im Monat anfing und wo das, was heute aus dem Soforthilfegesetz jeder bekommt — 70 DM —, erst jemand bekommen sollte, der über 70 Jahre alt war und über 150 000 Mark Vermögen verloren hatte.
Wenn Sie etwa stolz darauf sein wollen, Herr Kollege Farke, daß Sie den sozialdemokratischen Forderungen hier nachgegeben haben, dann will ich Ihnen das wirklich nicht schwer machen.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kather hat uns klarzumachen versucht, aus welchen Motiven er persönlich die Ausweitung der Schadensregulierung durchgesetzt hat. Herr Kollege Kather, Sie haben damit eigentlich noch einmal erklärt, warum Sie Mitglied der Regierungspartei sind; denn ebenso, wie die Art und Weise der Vermögensabgabe nicht zu trennen ist von der Wirtschaftsgesinnung, von der finanzpolitischen Gesinnung der Regierung und ihrer Parteien, wie sie ja nicht nur im Lastenausgleich, sondern auch in den Steuergesetzen zum Ausdruck kommt, so ist das, was Sie hier unter der Überschrift „Es lebe die Gerechtigkeit!" für 40 000 oder für 52 000 Leute gemacht haben, eben auch ein Stück von dem Geist oder, meinetwegen sagen Sie auch, Ungeist, der hier mit angesprochen werden muß. Herr Kollege Kather, das ist doch eine merkwürdige Rache, die Sie da an der Ihnen unzureichend erscheinenden Vermögensabgabe genommen haben, indem Sie das, was da aufkommt, zunächst einmal auch noch auf diejenigen konzentrieren wollen, die, weil sie —wie gesagt — das größere Vermögen gehabt haben, meinen, das größere Recht zu haben. Was glauben Sie denn, Herr Kather, was Ihnen die Geschädigten antworten werden, wenn Sie ihnen sagen, daß das etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat, wenn Sie zum Schluß persönlich für genau 12 000 Leute einen Mehraufwand von allein 400 Millionen DM hier in das Gesetz hineingebracht haben? Herr Kollege Kather, operieren Sie bitte nicht damit, daß sich das auf 30 Jahre vertagt. Die Leute, denen zuliebe Sie hier auftreten, wollen ja nicht noch 30 Jahre warten. Die wollen hier erst einmal ihren Rechtsanspruch verbrieft haben. Dann werden sie das kassieren, Herr Dr. Kather, und ich fürchte sogar, Sie werden ihnen dabei kräftig helfen. Daß aber dabei alle anderen auf der Strecke bleiben, wird man sehen. Das wird unvermeidlich sein, wenn sich hier nicht eine vernünftige Mehrheit findet, die die Leistungen aus diesem Gesetz auch unter dem Kapitel Hauptentschädigung auf das beschränkt und auf das orientiert, was nach der Aufkommensseite möglich ist. Wir haben Ihnen verschiedene Wege gezeigt, um die Aufkommensseite so weit wie nur irgend möglich zu stärken. Wir sind damit nicht durchgekommen. Wir werden aber nicht in den gleichen Fehler verfallen, Herr Kather, in den Sie hier verfallen zu sein scheinen, nun auf der Leistungsseite Dinge zu fordern, an deren Erfüllung überhaupt nicht gedacht werden kann.
Meine Damen und Herren! Die Bemühungen um den Paragraphen, der jetzt zur Debatte steht, sind ein Stück unseres Bestrebens um die produktive Verwendung der Mittel, die aus der Vermögensabgabe aufkommen. Wir haben — das wissen einige von Ihnen, die sich schon früher mit unseren grundsätzlichen und praktischen Forderungen zum Lastenausgleich auseinandergesetzt oder sie zum mindesten unvoreingenommen zur Kenntnis
genommen haben - immer besonderen Wert darauf gelegt, daß das, was aus den produktiven Vermögen für den Lastenausgleich abgezweigt wird, auch wieder produktiv eingesetzt wird, weil wir — obwohl wir uns das nicht extra im „Arbeitgeber" schriftlich bescheinigen — auch an die Wirtschaft und an ihre Notwendigkeiten denken, wobei wir uns vielleicht von anderen dadurch unterscheiden, daß wir bei „Wirtschaft" nicht nur an das Geld-verdienen denken, sondern daß wir bei „Wirtschaft" auch an die Volkswirtschaft und an diejenigen denken, die nicht unmittelbar an der Lenkung der Wirtschaft beteiligt, sondern leider mehr Objekte der Wirtschaft sind. Wir werden auf diesen Zusammenhang bei all den anderen Paragraphen zurückkommen, bitten Sie aber mit allem Nachdruck, unter ausdrücklicher Berufung auf die Regierungsvorlage und unter Hinweis darauf, daß wir in dieser Richtung durchaus zu einem Kompromiß bereit sind, indem wir uns jetzt die Regierungsvorlage zu eigen machen — Sie wissen, daß wir früher viel weniger Schadensgruppen wollten usw. — —
— Die Regierungsvorlage ist nicht anders. Wir reden hier über Schadensgruppen, und über nichts anderes wird im Augenblick geredet.
— Woran dachten Sie? Über den Paragraphen diskutieren wir, über den werden wir nachher abstimmen, und zwar namentlich abstimmen, weil auch wir der Meinung sind, daß es sich hier geradezu um die Schlüsselfrage dazu handelt, ob aus diesem Lastenausgleich allen nach Maßgabe ihrer Situation geholfen wird oder ob aus diesem Lastenausgleich nur der Minderheit geholfen wird, die ein so großes Vermögen verloren hat, daß sie mit der Quote, die Sie ihr zubilligen, etwas anfangen kann. Daß die Träger aller kleinen Vermögensschäden mit der Hauptentschädigung, die Sie ihnen geben, nicht viel anfangen können, ist Ihnen auch bekannt.