Rede von
Dr.
Helmut
Bertram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Kreise Soest sind in großem Umfang Beschlagnahmen von Gelände zugunsten von Trainingcamps angekündigt worden, ferner Beschlagnahmen zugunsten der Erweiterung eines Flugplatzes in Werl. Der Kreis Soest ist einer der fruchtbarsten Kreise und einer der fruchtbarsten Bezirke der ganzen Bundesrepublik überhaupt. Wir haben nur sehr wenig Wald, Wiesen und Forste in unserem Kreis. Die wenigen Streifen, die wir in diesen Geländestücken im Kreise Soest haben, sollen fast restlos beschlagnahmt werden, und zwar der sogenannte Werler Stadtwald, das Brandholz und das Gelände im Lohner Klei.
Die Erregung in den beteiligten Kreisen ist außerordentlich. Nachdem die Angelegenheit bekannt wurde, sah man die Bauern zum Brandholz ziehen, ein Fahrzeug hinter dem andern, um von ihrem Holz zu retten, was sie retten konnten, und vor einer drohenden Beschlagnahme in Sicherheit zu bringen. Die zuständigen Vereine, die zuständigen Forstbehörden, der Verein Heimatpflege und wie sie alle heißen mögen, haben sich gegen diese Maßnahmen gewandt.
Der Kreis Soest ist überhaupt schon in militärischer Hinsicht sehr stark belastet. Wir haben in Soest selbst drei große Kasernenkomplexe, die mit belgischen Besatzungstruppen belegt sind; wir haben eine starke englische Garnison; wir haben in einer Stadt, die durch den Krieg zu 63 % zerstört ist, in außerordentlich starkem Maße Beschlagnahmen von Wohnungen und von Hotels zugunsten der Besatzungsmacht. In der Stadt Werl sind zahlreiche Hotels und Wohnungen beschlagnahmt. Der frühere Fliegerhorst ist für die belgische Besatzungsmacht beschlagnahmt worden, das größte Industriewerk Werls, die D o m a g, die immer über tausend Menschen beschäftigt hat, ist zugunsten der belgischen Reparatureinheit, der REMI, beschlagnahmt worden. Dadurch sind tausend Werler Arbeiter gezwungen, regelmäßig nach auswärts zu fahren, um dort ihr Brot zu verdienen.
All diese schweren Belastungen, die wir jetzt schon durch Maßnahmen der Besatzungsmacht zu tragen haben, werden dadurch verschärft, daß die einzigen größeren forstwirtschaftlich und gemischtwirtschaftlich genutzten Grundstücksflächen, die wir im Kreise Soest haben, jetzt zugunsten von Trainingcamps beschlagnahmt werden sollen. Wir haben in Vorverhandlungen darauf hingewiesen, daß doch nicht ausgerechnet nur der Kreis Soest so stark mit Beschlagnahmen belastet werden müsse, daß man auch andere Kreise heranziehen solle. Man hat uns erklärt: „Ja, in andern Kreisen müssen demnächst die deutschen Divisionen ihre Standorte finden, und wir werden in den andern Kreisen, die ihr uns als Ersatz vorschlagt, auch noch weitere Beschlagnahmen vornehmen."
Diese Dinge sind natürlich auf der Ebene, auf der sie bisher verhandelt worden sind, nicht ordnungsmäßig durchzubekommen. Das Hauptziel unseres Antrages ist, ein eindeutiges Verfahren einzuschlagen. Das Verfahren, das jetzt eingeschlagen wird, ist völlig undurchsichtig. Es hat sich zwar ein interministerieller Ausschuß gebildet. Zu diesem interministeriellen Ausschuß werden die Anforderungen der Besatzungsmacht getragen. Dieser interministerielle Ausschuß auf Landesebene versucht dann zu erörtern, ob durch diese Beschlagnahmen nun besonders schwere Schäden eintreten oder nicht. Aber dieser interministerielle Ausschuß ist eben ein reines Verwaltungsorgan ohne jede Kompetenz, ohne jede Sicherung der Anhörung der Betroffenen, ohne jede Sicherung einer angemessenen Entschädigung, vor allem aber ohne jede Sicherung der Wahrung übergeordneter, überörtlicher Interessen, und damit nicht geeignet, diese schwerwiegenden Eingriffe überhaupt eingehend zu beurteilen.
Wir brauchen deshalb dringend für dieses ganze Verfahren eine Neuregelung, die es gestattet, aus dem Dunkelkammerverfahren der reinen Verwaltungshandhabung herauszukommen in ein geordnetes Rechtsverfahren. Hinzu kommt, daß die Inanspruchnahme von derartigem Gelände zugunsten der Besatzungsmacht eine Handlungsweise ist, die meiner Ansicht nach ganz eindeutig gegen das geltende Völkerrecht verstößt. Durch die Haager Landkriegsordnung ist wohl eine Erweiterung des derzeitigen Besitzstandes der Besatzungsmacht nicht zugelassen. Wenn die Besatzungsmacht Befehle erteilen und dieses Land auf dem Zwangswege beschlagnahmen will, so muß sie das verantworten, wenn sie die nötigen Konsequenzen daraus ziehen will. Keinesfalls ist es aber zulässig, daß in diesem Stadium deutsche Behörden mitwirken, indem sie diesen Maßnahmen zustimmen und dadurch dulden, daß Privateigentum zugunsten der Besatzungsmacht weggenommen wird. Erst wenn zwischen den Besatzungsmächten und den Deutschen ein Vertragsverhältnis zustande gekommen sein sollte, ist es überhaupt denkbar, daß auf der
Basis der Freiwilligkeit tatsächlich eine entsprechende Mitwirkung deutscher Stellen verantwortet werden könnte.
Es kommt hinzu, daß wir keine Kontrolle über die Kosten und den Aufwand der neu errichteten Trainingcamps haben. Die Soester und die sonstigen Firmen, die bei den Besatzungsaufträgen beteiligt sind, bestätigen übereinstimmend, daß der Aufwand, der für diese Einrichtungen getrieben wird, ganz ungewöhnlich ist. Ganz abgesehen von der Einrichtung ist auch die Art und Weise der Errichtung der Bauwerke für die Dauer gedacht. Es werden Einrichtungen geschaffen, die nicht einmal in deutschen Kasernen, die doch sehr gut und schön gewesen sind, zu finden waren. Die neuen Trainingcamps sollen massive, zweigeschossige Kasernen darstellen, die unterkellert sind, und sie liegen in den besten Waldstreifen, die überhaupt vorhanden sind. Die Panzer sollen von dort aus das Waldgelände und das Land befahren, und wie sehr Wald und Feld leiden, wenn Kettenfahrzeuge regelmäßig die Gegend befahren, ist ja aus Manöverberichten allen gut bekannt. Wir jedenfalls haben im Kreise Soest durch derartige Panzerkettenfahrzeuge schon außerordentliche landwirtschaftliche Schäden zu verzeichnen gehabt.
Wegen der Gefahren, die der gesamten Bevölkerung des Kreises Soest durch die erneute und weitere Inanspruchnahme zugunsten militärischer Zwecke, und zwar militärischer Zwecke der Besatzungsmacht drohen, haben sich sowohl der Rat der Stadt Werl mit diesem Problem beschäftigt und in eingehenden Entschließungen, die sie sowohl an die Landesregierung wie an die Bundesregierung gerichtet haben, dringend gewarnt, dies Verfahren durchzuführen. In der Stadt Werl hat bereits ein Schweige- und Protestmarsch stattgefunden, bei dem schwarze Fahnen mitgeführt worden sind, und auf Plakaten hat gestanden: „Wir wollen pflügen und nicht fliegen!" Dieses Plakat ist anläßlich der Erweiterung des Flugplatzes Werl entworfen worden.
Nun wird erwidert: Ja, der Flugplatz Werl wird möglicherweise nicht eingerichtet werden, weil die Geländeverhältnisse dort sehr ungünstig sind. Aber von anderer Seite wird wieder auf folgendes hingewiesen: Wenn wir erst die Trainingcamps haben und die dafür erforderlichen Geländestreifen beschlagnahmt sind, dann kommt selbstverständlich hinterher auch der Flugplatz; denn was einmal Flugplatz gewesen ist, muß es auch wieder werden. So sind wir im Kreise Soest tatsächlich in einer Weise belastet. zu der man in anderen Kreisen nichts Vergleichbares findet, und zwar in einem Verfahren belastet, das unter Ausschluß der Kontrolle deutscher parlamentarischer oder sonstiger Stellen völlig willkürlich durchgeführt wird, einem Verfahren, das vor allem jetzt, da es kein vertragliches Verhältnis zwischen uns und den Besatzungsmächten gibt, das diesen Zustand billigen könnte, als absolutes Unrecht bezeichnet werden muß.