Rede von
Dr.
Ferdinand
Friedensburg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen die Initiative der sozialdemokratischen Kollegen und unterstützen ihr Bemühen, die Aufmerksamkeit der
Öffentlichkeit für diesen peinlichen und schmerzlichen Fall Kemritz wachzuhalten. Es geht uns hierbei nicht darum, unser eigenes Recht in einem bestimmten Einzelfall nun mit besonderem Nachdruck zu wahren, sondern es geht uns darum, daß es sich um einen Fall handelt, der eine große grundsätzliche Bedeutung hat
und auf den die Öffentlichkeit auch immer wieder hingewiesen werden muß.
Wenn man meinen mag, daß der Zeitpunkt vielleicht im gegenwärtigen Augenblick der Verhandlungen zwischen den alliierten Besatzungsmächten und dem deutschen Volk nicht besonders glücklich sei, so sind wir entgegengesetzter Ansicht. Gerade weil wir wünschen, daß in dieser neuen, kommenden Regelung, die wir von ganzem Herzen begrüßen, Vorkehrungen, Bürgschaften geschaffen werden, daß sich derartige Fälle auf deutschem Boden nicht wiederholen, müssen wir rechtzeitig unsere Stimme erheben.
Die Verhandlung dieses Falles ist aber auch aus anderen Gründen gerade im gegenwärtigen Augenblick zeitgemäß. Es mag ein Zufall sein, daß gerade zur gleichen Stunde jetzt auf dem Petersberg die Verhandlungen wieder aufgenommen werden. Aber niemand — weder bei den Alliierten noch im Justizministerium — kann es uns verargen, daß wir den Eindruck haben, daß sechs Monate Wartezeit seit den letzten Verhandlungen ein bißchen lang gewesen sind. So ist es vielleicht ganz gut, wenn die deutsche Volksvertretung ihre Stimme erhebt und dafür sorgt, daß die Dinge nicht in einem gar zu gemächlichen Tempo erledigt werden.
Endlich — das ist noch ein nicht ganz unwichtiger Gesichtspunkt — lesen wir gerade heute morgen wieder in den Zeitungen Mahnungen, die bestimmte alliierte Stellen an die deutsche offentlichkeit, an deutsche Minister, an bestimmte deutsche Entwicklungen gerichtet haben, Mahnungen, die wir für durchaus begreiflich und in mancher Hinsicht auch für berechtigt halten. Aber wir meinen, daß derartige Mahnungen einen stärkeren Eindruck machen würden, wenn nicht von der Seite, von der diese Mahnungen stammen, Fehler begangen würden, die diese gleichen Entwicklungen sogar begünstigen.
Manche schmerzlichen Entwicklungen, die auch wir in Deutschland bedauern, hinsichtlich des Erwachens eines neuen nationalistischen Geistes, werden gerade dadurch provoziert, daß sich Fälle wie der Fall Kemritz auf unserem Boden ereignen.
Es ist vielleicht ganz gut, wenn manche Leute, die sich so gern als Gouvernanten aufspielen und den warnenden Finger bei allen möglichen Gelegenheiten erheben, daran erinnert werden, daß . eine Gouvernante, die ihren Finger hochhebt, saubere Finger haben muß, damit sie wirklichen Respekt bei den Zöglingen findet.
— Ich glaube, Sie haben den allerwenigsten Anlaß, zu dieser Angelegenheit Ihren Mund aufzutun.
— Meine Damen und Herren, wenn diese Unsauberkeit sogar das Blut von Unschuldigen ist,
dann ist, glaube ich, der Eindruck dieses erhobenen
Fingers auf die Zöglinge besonders schmerzlich.
Meine Damen und Herren, es ist vielleicht ganz sinnvoll, daß ein Vertreter Berlins zu dieser Frage Stellung nimmt. Wir haben j a in Berlin besonderen Anlaß, uns mit dem Fall Kemritz auseinanderzusetzen, einmal weil die Dinge, die sich hier ereignet haben, sich auf Berliner Boden abgespielt haben, dann aber auch, weil wir naturgemäß auch für die politische Seite dieses Falles eine ganz besondere Aufmerksamkeit übrig haben. Es ist vielleicht doch einmal ganz wichtig, daran zu erinnern, daß Berlin nicht mit der Luftwaffe und mit Panzerwagen verteidigt werden kann, sondern daß es nur verteidigt werden kann, wenn die Berliner Bürger in dem Bewußtsein leben, die bessere Sache, die anständigere Sache zu vertreten. Deswegen sind wir ungeheuer empfindlich für alles, was die moralische Position Berlins antasten könnte, und es würde ein Verhängnis nicht nur für Berlin und nicht nur für ganz Westdeutschland, sondern auch für die Amerikaner sein, wenn diese moralische Position, . die wir in Berlin zu verteidigen haben, irgendwie durch Handlungen der Besatzungsmächte beeinträchtigt werden könnte.
Die Angelegenheit verdient aber auch deshalb heute eine erneute Behandlung, weil die Nachrichten, die wir über die Besprechungen auf dem Petersberg am 5. September 1951 erhalten haben, uns nicht gerade hinsichtlich der Entwicklung ermutigen, die wir für die Zukunft zu erwarten haben. Soweit ich unterrichtet bin, haben die Amerikaner mit Eigensinn denselben Standpunkt vertreten, den sie vorher schon in der Öffentlichkeit vertreten haben, nämlich daß sie rechtlich und moralisch überhaupt in einer völlig unangreifbaren Situation seien. Deshalb möchte ich auch zur Unterstützung unserer Unterhändler, die augenblicklich tätig sind und vielleicht auch noch weiter tätig sein werden, einen Augenblick auf die rechtliche Seite des Falles eingehen, zumal ich Anlaß gehabt habe, mich früher auch dienstlich damit zú befassen.
Von amerikanischer Seite werden zwei juristische Einwendungen gegen das .deutsche Vorgehen gegen Kemritz erhoben. Erstens einmal wird gesagt, daß die Kemritz-Opfer gar nicht auf kriminellem Wege beseitigt worden seien, sondern daß die Handlungen des Kemritz und der Besatzungsbehörden, die mit ihm gearbeitet haben, irgendwie Rechtens gewesen seien. Es wird — und das hat leider auch ein von uns sehr hochgeschätzter und mit freundschaftlicher Gesinnung begrüßter Herr, nämlich der Herr Hohe Kommissar McCloy, gesagt — ausgeführt, es habe sich hier um Leute gehandelt, die als Vertreter des nationalistischen und militaristischen Geistes unter den automatischen Arrest gefallen wären und als Kriegsverbrecher angesehen werden müßten. Ich möchte das doch in Kürze einmal klarstellen. Es ist j a für uns nicht ganz leicht, weil, wie auch ,der Herr Bundesjustizminister ausführte, wir die Bestimmungen gar nicht kennen, nach denen ein automatischer Arrest verfügt werden konnte. Aber darüber besteht, glaube ich, kein Zweifel — und auch nach den Ausführungen des Herrn Hohen Kommissars McCloy besteht kein Zweifel darüber —, daß der Herr Hohe Kommissar der Ansicht ist: Leute, die sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben, unterliegen dem automatischen Arrest.
Er hat geglaubt, daß dazu insbesondere diejenigen Personen gehören, die sich in, der deutschen
Abwehr während des Krieges betätigt haben. Meine Damen und Herren, die Tätigkeit der in den Kemritz-Fall verwickelten Personen innerhalb der Abwehr ist zum großen Teil durchaus streitig. Völlig unstreitig ist sie nur bezüglich einer Person, nämlich bezüglich des Hans Kemritz selber, der eine besonders hervorragende Rolle in der deutschen Abwehr gespielt hat. Es ist vielleicht auch nicht uninteressant, daß, soweit ich feststellen konnte, nicht eines der Kemritz-Opfer der Nationalsozialistischen Partei angehört hat. Nur ein einziger in diesem ganzen Komplex ist ein wirklicher Nazi gewesen, nämlich der Rechtsanwalt Hans Kemritz, der diese Untaten dann vollbracht hat.
Wenn man sich das klarmacht, dann wird man ein wenig mißtrauisch auch gegen manche Wendungen, die wir von ausländischer Seite gegen das Wiedererwachen des nationalsozialistischen Geistes in Deutschland hören.
Aber es scheint mir auch wichtig zu sein, daß diese sogenannte Abwehrtätigkeit zum Teil in, ich möchte beinahe sagen, geradezu lächerlicher Weise begründet worden ist. So handelt es sich in dem einen Fall um ein Kemritz-Opfer mit Namen Gersdorff, dessen Tätigkeit für die Abwehr darin bestanden hat, daß er von seinem Vorgesetzten zum Kraftfahrer eines Abwehroffiziers gemacht und diesem zugeteilt worden ist. Er hat sonst nichts mit der Abwehr zu tun gehabt.
Oder vielleicht ein für die ganze Angelegenheit noch besonders charakteristischer und peinlicher Fall. Eines der Opfer von Kemritz ist die Stenotypistin Elisabeth Flehr gewesen. Sie ist nach vier- einhalbjähriger Haft an Leib und Seele gebrochen zurückgekehrt. Worin bestand deren Tätigkeit für die Abwehr? Meine Damen und Herren, sie war während des Krieges in der Abwehr tätig, aber sie war Stenotypistin bei dem damaligen Major Hans Kemritz, der sie nachträglich wegen ihrer Tätigkeit in der Abwehr angezeigt und sie als Kriegsverbrecherin gekennzeichnet hat.
Man muß sich diesen Fall in seiner ganzen Bedeutung einmal klar machen, um zu begreifen, welche Bitterkeit und welche Erregung gerade auch in der Berliner Bevölkerung, die diese Dinge kennt, zu diesem Fall bestehen.
Dann ist bekannt — das ist hier im Bundestag schon das letzte Mal erwähnt worden —, daß ja in einigen Fällen Leute von Kemritz ausgeliefert worden sind, die bereits durchgeprüft worden waren und die „unconditionally", also bedingungslos, von den amerikanischen Behörden freigegeben waren. Es kann doch unmöglich die Ansicht der amerikanischen Juristen und des amerikanischen Hohen Kommissars sein, daß dieselben Leute nachträglich noch einmal Rechtens dem automatischen \\ Arrest unterliegen.
Weiter handelt es sich um die Fälle Dannenberg und Klose. Klose war ein 60 Jahre alter Mann, der inzwischen im Zuchthaus umgekommen ist. Ich habe mich mit dem Fall eingehend beschäftigt; es ist nichts erkennbar, was irgendwie ein Vorwand hätte sein können, Klose zum Kriegsverbrecher zu stempeln.
Übrigens . noch eine bemerkenswerte und sehr unerfreuliche Einzelheit: diese Anzeigeschriften, diese Anklageschriften sind von Kemritz dann auch noch unterschrieben worden. Er hat die Leute nicht nur an den NKWD, an den geheimen Sicherheitsdienst der Russen ausgeliefert, sondern auch noch die Anklageschrift geliefert, auch im Falle seiner eigenen Sekretärin, deren Tätigkeit für die Abwehr lediglich in ihrer Tätigkeit bei ihm selber bestanden hatte.
Unter den Opfern gibt es einige Leute, die in keiner Weise betroffen sind. Ich kenne einen Fall, der mir auch persönlich sehr nahe steht, weil die Tochter des Betreffenden in meinem Institut tätig ist. Ich habe mich mit diesem Fall — es ist der Fall des Amtsgerichtsrats Rieckenberg — nach allen Seiten beschäftigt. Es ist auch nicht die Spur eines Verdachts gegen ihn gegeben. Dieser Amtsgerichtsrat Rieckenberg war nicht Pg; er ist aus dem Dienst gegangen, als die Nazis ans Ruder kamen, und dann im Kriege Gerichtsoffizier gewesen, was man vielleicht gegen ihn anführen könnte. Aber der Fall hat auch sonst seine Bedeutung. Rieckenberg war nämlich mit Kemritz befreundet; Kemritz war der Anwalt der Familie. Er hat für Rieckenberg beispielsweise das Testament als Notar gemacht. Und als Rieckenberg nun aus der Gefangenschaft zurückkam, freigegeben von den britischen Militärbehörden, hat ihn Kemritz zu sich bestellt als seinen alten Freund, angeblich unter dem Vorwand, um ihm eine Stellung zu verschaffen; und als er zu ihm kam, hat Kemritz ihn dem russischen Geheimdienst ausgeliefert.
Es handelt sich hier also nicht nur um kriminelle Dinge, sondern es handelt sich um das Verhalten eines regelrechten gemeinen Halunken, und ich beneide eine Besatzungsmacht nicht, die sich vor einen solchen gemeinen Halunken stellt.
Aber, meine Damen und Herren, die juristische Seite ist noch in einer andern Richtung zu verfolgen. Die auch vom Herrn Bundesjustizminister und von Herrn Rechtsanwalt Kollegen Greve angeführten Einzelheiten zeigen mir, daß die Amerikaner darauf bestanden haben, die gegen Kemritz eingeleiteten Gerichtsverfahren aus der deutschen Gerichtsbarkeit herauszunehmen und zum Stillstand zu bringen. Es ist mir sehr zweifelhaft, Herr Justizminister — vielleicht ist das ein Fall, der noch nicht geprüft worden ist —, ob die amerikanische Regierung auch juristisch dazu in der Lage ist. Ich bezweifle das, da es sich um Berliner Boden handelt, durchaus. Hier wäre ein Kommandanturbeschluß notwendig gewesen; nach unseren Berliner Bestimmungen kann überhaupt eine einzelne Militärregierung gar nicht für sich bestimmte Hoheitsakte vornehmen und in die deutsche Gerichtshoheit eingreifen, und es ist mir nach allem, was ich weiß, Herr Bundesjustizminister, außerordentlich zweifelhaft, ob es gelingen würde, eine einmütige Ansicht der drei westlichen Alliierten zu derartigen Beschlüssen herbeizuführen. Wenn schon falsch beratene amerikanische Gerichtsbehörden auf ihren formalen Rechten bestehen sollten, würde ich es gar nicht für schlecht halten, sie darauf hinzuweisen, daß gerade von der formalen Seite her ihr Recht keineswegs unbezweifelbar erscheint.
Ferner habe ich mich gefragt und frage auch das Hohe Haus: Kann denn das Recht der alliierten Besatzungsbehörden, ihre Beauftragten der eigenen
Gerichtsbarkeit vorzubehalten, dahin führen, daß auch alle übrigen kriminellen Delikte, die die Betreffenden begehen, dem deutschen Richter entzogen werden? Das würde ja ein wunderschöner Freibrief sein! Ich höre, daß im Falle Kemritz auch ein anderes Gerichtsverfahren, das sich auf Vorgänge im Kriege bezieht, wo Kemritz einen Meineid geleistet haben soll, nunmehr dem deutschen Richter entzogen werden soll. Meine Damen und Herren, das ist doch ein völlig unmögliches Verfahren! Die Amerikaner und auch der Hohe Kommissar haben darauf hingewiesen, Kemritz habe das Leben von mehr Menschen gerettet, als er Menschen zum Tode geliefert habe. Nun, das ist ein moralisch etwas bedenkliches Abwägen gegeneinander. Wo kommt denn eine Obrigkeit, wo kommt eine Gerichtsbehörde hin, wenn sie solche Erwägungen anstellt?
Meine Damen und Herren, nach allem, was wir hören, bestehen die „geretteten Menschenleben" des Kemritz darin, daß er sich den Amerikanern gegenüber verpflichtet hatte, seine Opfer vorher d em amerikanischen Geheimdienst mitzuteilen, und daß der amerikanische Geheimdienst sich dann vorbehielt, einzelne dieser Opfer für sich in Anspruch zu nehmen, sie' also nicht den Russen ausliefern zu lassen. Es wäre doch dasselbe — stellen Sie sich das bitte einmal vor! —, als wenn eine deutsche Polizeibehörde von der Tätigkeit eines Mörders in ihrer Stadt Kenntnis hat und mit diesem einen Vertrag schließt: Du darfst ruhig ,weiter morden; du mußt bloß deine Opfer vorher mitteilen, damit ich mir einzelne vorbehalten kann, die du dann nicht umbringen darfst. .
Was für ein moralischer Abgrund tut sich auf, I wenn wir diese Dinge überhaupt nur einen Augenblick ernsthaft weiterverfolgen!
Nun hat der Hohe Kommissar Mr. McCloy in seinem Interview vom 7. August zugesagt, daß er Kemritz vor ein amerikanisches Gericht stellen wolle. Ich zitiere wörtlich nach der Meldung der Deutschen Presse-Agentur:
Mr. McCloy hat in dem Interview zur rechtlichen Seite des Falles Kemritz erklärt: Kemritz wird vor ein amerikanisches Gericht gestellt, sobald das Berliner Verfahren gegen ihn niedergeschlagen ist. Das amerikanische Gericht wird die von deutscher Seite gegen Kemritz erhobenen Vorwürfe auf Grund der Unterlagen prüfen, die von dem gemischten deutsch-amerikanischen Untersuchungsausschuß erarbeitet wurden.
Wir haben von einem derartigen Gerichtsverfahren nichts gehört. Ich glaube, nicht falsch unterrichtet zu sein, wenn ich feststelle, daß Herr Kemritz in Heidelberg frei umhergeht und wieder nach Möglichkeiten sucht, auf deutschem Boden der Gerichtsbarkeit, der Rechtshoheit zu dienen. Ich möchte deshalb bei dieser Gelegenheit ausdrücklich an diese Zusage des Herrn Hohen Kommissars erinnert haben.
Meine Damen und Herren, je mehr man sich überhaupt mit den Dingen befaßt, desto schmerzhafter und peinlicher wird die ganze Angelegenheit. Mir ist zumute, als wenn ich einen guten Freund habe, dem ich Vertrauen und Achtung entgegenbringe und auf dessen Vertrauen und Achtung ich meinerseits angewiesen bin, und ich muß diesen Freund bei einer höchst unehrenhaften Hand-
lung mir gegenüber ertappen. Es ist ein außerordentlich schmerzliches und peinliches Gefühl, die Auseinandersetzung auf einer solchen Basis zu führen. Die amerikanischen Gerichtsbehörden machen es sich einfach. Ein amerikanischer Sachbearbeiter im Fall Kemritz hat einem deutschen Berichterstatter, dem Berichterstatter der „Illustrierten Berliner Zeitschrift" folgende bemerkenswerte Erklärung gegeben:
Bitte, kommen Sie mir nicht hochmoralisch!
Ich bin seit 1945 in Deutschland und habe in
Nürnberg allerhand gesehen und erlebt.
Meine Damen und Herren, wenn wir eine solche Auffassung bei den alliierten Gerichtsbehörden zulassen, dann ist gerade das, was von amerikanischer Seite bei uns immer gewünscht wird, die reeducation, die moralische Wiedergeburt, das Wiedererwachen eines anständigen, freien, tüchtigen Geistes, auf diesem Wege am allersichersten vereitelt.
Über die politische Seite ist kein Wort zu verlieren. Ich möchte dazu nur ein sehr interessantes Zitat aus der „New York Times" verlesen. Die „New York Times", die ja gewiß nicht gerade besonders deutschfreundlich eingestellt ist, hat am 7. August 1951 zu den Verhandlungen im Berliner Abgeordnetenhaus und im Bundestag folgendes gesagt:
Die moralische Position der Vereinigten Staaten in Berlin, ja in ganz Deutschland, steht auf dem Spiel, und dieser Punkt ist viel wichtiger als die Frage, ob Dr. Hans Kemritz der Witwe eines der Männer, die er in sein Berliner Büro lockte, eine Entschädigung zahlen muß oder nicht.
Ich glaube, wir können dem gar nichts weiter hinzufügen.
Für die weitere Behandlung haben wir einige praktische Wünsche, die ich dem Herrn Bundesjustizminister vortragen darf. Zunächst wünschen die Kemritz-Opfer bzw. die Hinterbliebenen der Kemritz-Opfer, daß die Erklärung der hingeschiedenen Männer und Väter als Kriegsverbrecher von alliierter Seite revoziert wird.
Man soll solche Dinge nicht zu gering schätzen. Ich habe gerade in den Verhandlungen mit den Witwen erlebt, wie bitter dieser Vorwurf empfunden wird, und ich glaube, sie haben recht, wenn sie sagen, daß ihre ganze Stellung im Erwerbsleben und im gesellschaftlichen Leben Deutschlands dadurch beeinträchtigt wird, daß ihre Männer von der höchsten Stelle der amerikanischen Militärregierung aus als Kriegsverbrecher erklärt worden sind. Eine Hohe Militärregierung würde sich sicher auch nichts vergeben, wenn sie sich etwas daran erinnerte, daß hier menschlich außerordentlich schmerzliche Folgen eingetreten sind. Ich denke an die Witwe des Dr. Faust, die mit fünf unversorgten Kindern — ein sechstes ist inzwischen gestorben — dasitzt und die seit dem Tode ihres Mannes, also seit sechs Jahren, mit ihren Kindern unaufhörlich in bitterster Not gelebt hat. Wenn man glaubt, diesen Opfern den Rechtsweg abschneiden zu müssen, so ist man um so mehr verpflichtet, von sich aus einzugreifen und wenigstens diese bittere Not irgendwie zu lindern. Ferner bin ich der Ansicht, daß das von dem Herrn Hohen Kommissar McCloy in Aussicht gestellte Gerichtsverfahren durchgeführt werden muß.
Endlich, meine Damen und Herren, glaube ich im Namen von Ihnen allen und auch im Namen des ganzen deutschen Volkes zu sprechen, wenn ich der Ansicht bin: was auch immer aus Kemritz wird, wir wünschen nicht, daß er künftig noch deutschen Boden beschmutzt! Ein solches Subjekt können wir im neuen Deutschland nicht gebrauchen,
und wenn die Amerikaner ihn haben wollen, dann sollen sie ihn behalten!
Meine Damen und Herren, wir wünschen — und das ist vielleicht das Wichtigste — Sicherheit dafür, daß sich solche Fälle auf deutschem Boden künftig nicht mehr ereignen können. Es ist schmerzlich genug, daß es einmal gewesen ist. Es mag eine schlecht unterrichtete Militärregierung gegeben haben, die in falsch verstandenem Solidaritätsgefühl mit ihren Leuten zunächst einmal die begangenen Fehler zu decken versucht hat; aber für die Zukunft wünschen wir, daß die Wiederholung derartiger Fälle für alle Zeiten unmöglich gemacht wird.
Zum Schluß darf ich zitieren, was ein anderer Hoher Kommissar, der amerikanische General Clay, über das Verhältnis der Deutschen zu den Amerikanern gesagt hat. Er hat nämlich beim Abschied gesagt: „Wir Amerikaner brauchen in Deutschland nicht Vasallen, sondern wir brauchen Freunde". Das, was hier an Aufgaben politischer und sonstiger Art zu vollbringen ist, kann in der Tat nicht von Vasallen erfüllt werden, und wir wünschen, keine Vasallen zu sein.