Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß die Gesuche um über eine Woche hinausgehenden Urlaub von Ihnen genehmigt sind.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 23. Februar 1952 einen Zwischenbescheid auf die Kleine Anfrage Nr. 192 der Fraktion der SPD betreffend Verstöße gegen das Erste Überleitungsgesetz gegeben, der als Drucksache Nr. 3155 vervielfältigt wird.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 26. Februar 1952 die Kleine Anfrage Nr. 241 der Fraktion der SPD betreffend Einflußnahme des Bundesjustizministeriums auf rechtswissenschaftliche Veröffentlichungen beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3154 vervielfältigt.
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 20. Februar 1952 gemäß § 30 Ziffer 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn nebst Stellenplänen für das Geschäftsjahr 1951 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Ein Exemplar des Wirtschaftsplanes liegt im Archiv zur Einsichtnahme auf.
Der Sprecher der Deutschen Vertreter in der Beratenden Versammlung des Europarates, Herr Abgeordneter Dr. Pünder, hat unter dem 5. Februar 1952 einen Bericht über den zweiten Teil der Dritten Ordentlichen Sitzungsperiode der Beratenden Versammlung vom 26. November bis 11. Dezember 1951 erstattet. Der Bericht wird als Drucksache Nr. 3150 vervielfältigt werden.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 26. Februar 1952 gemäß § 4 Abs. 2 des Gesetzes für Sicherungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft in der Fassung vom 5. Mai 1951 die Verordnung zur Ergänzung der Verordnung NEM II/51 über Verwendungsbeschränkungen von Kupfer und Kupferlegierungen mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Ein Exemplar der Verordnung liegt im Archiv zur Einsichtnahme auf.
Ich darf darauf hinweisen, daß die heutige Tagesordnung nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ergänzt werden soll um die Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über weitere steuerliche Maßnahmen bei festverzinslichen Wertpapieren . Es ist vorgesehen, diesen Punkt nach dem Punkt 4 in die Tagesordnung einzufügen. — Ich darf unterstellen, daß das Haus damit einverstanden ist.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung: Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Fall Kemritz .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 20 Minuten und, falls eine Aussprache gewünscht wird, eine Aussprachezeit von 90 Minuten vor. — Das Haus ist mit dieser Regelung einverstanden.
Zur Begründung der Großen Anfrage Herr Abgeordneter Dr. Greve!
Dr. Greve , Anfragender: Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat sich in seinen Sitzungen vom 20. und 21. Juni 1951 ausgiebig mit dem Fall Kemritz beschäftigt. Ich brauche aus diesem Grunde nicht noch einmal auf die Einzelheiten, die dem Hohen Hause damals vorgetragen worden sind, einzugehen. Ich möchte mich auf einige wenige Zitierungen aus der Rede des Herrn Bundesministers der Justiz vom 20. Juni 1951 beschränken. Der Herr Bundesminister der Justiz sagte damals unter dem Beifall der überwiegenden Mehrheit dieses Hauses:
Inwieweit durch diese Verfahren, besonders durch ein ehrengerichtliches Verfahren oder gar durch einen Zivilprozeß, amerikanische .Interessen berührt werden sollen, das ist das Geheimnis der amerikanischen Behörden geblieben.
Weiter:
Die Angabe des Rechtsamtes der amerikanischen Hochkommission, die von Kemritz bei den Verhaftungen geleistete Unterstützung sei legal gewesen, erscheint unhaltbar. ... Die Bundesregierung hat kein Verständnis für die Haltung der amerikanischen Behörden in diesem Falle. ...
Ich bin der Ansicht: Die im Fall Kemritz von der amerikanischen Behörde vertretene Auffassung ist für uns und für jedes Rechtsempfinden unerträglich. Ich habe heute mittag gegen 12 Uhr mit einem Beamten des amerikanischen Hohen Kommissars eine Rücksprache gehabt. Dieser Beamte hat mir erklärt — ich gebe seine Worte wieder —: Kemritz befindet sich nicht mehr in deutscher Jurisdiktion.
Auf diese Erklärungen des Herrn Bundesministers der Justiz hin befaßte sich der Rechtsausschuß dieses Hauses mit den damals gestellten
Anträgen und ließ durch seinen Vorsitzenden den
Bundestag bitten, zu beschließen — ich zitiere hier
die Ziffern 3, 4 und 5 des damaligen Beschlusses,
um die Bedeutung, die dieser Beschluß damals gehabt hat und die er auch heute noch hat, in Ihre
Erinnerung zurückzurufen —:
3. Der Bundestag erwartet, daß Eingriffe der Besatzungsmächte unterbleiben, durch die Personen der deutschen Justiz entzogen werden, welche eines Verbrechens beschuldigt sind.
4. Im Fall Kemritz müssen die ehrengerichtlichen Befugnisse der Anwaltschaft und die Ansprüche der geschädigten Hinterbliebenen gewahrt bleiben.
5. Der Bundestag ersucht die Bundesregierung, dahin zu wirken, daß im Zuge der Verhandlungen über die Wiederherstellung des normalen rechtlichen und politischen Standes Deutschlands die Einschränkungen der deutschen Gerichtshoheit beseitigt werden, insbesondere daß das Recht der Besatzungsmächte entfällt, in die deutsche Rechtspflege einzugreifen.
Es war damals die einhellige Meinung der überwiegenden Mehrheit dieses Hauses, daß gerade die Ziffer 5 dieses Beschlusses des Deutschen Bundestags auch auf den Fall Kemritz exemplifiziert werden sollte. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß während der Beratung des Falles Kemritz am 20. und 21. Juni 1951 uns von der amerikanischen Hohen Kommission die Mitteilung gemacht wurde, es sollten uns noch im Verlaufe der damaligen Debatte Tatsachen bekanntgegeben werden, die den Tatbestand, der dem sogenannten Fall Kemritz zugrunde liege, auch in unseren Augen in einem andern Licht erscheinen ließen, als es damals der Fall zu sein schien.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir warten heute noch auf die Bekanntgabe dieser Tatsachen, die den Fall Kemritz auch in unseren Augen in einem andern Licht erscheinen lassen. Ich weiß nicht, welche Gründe dafür maßgebend gewesen sind, wenn solche Tatsachen vorlagen, uns diese nicht bekanntzugeben oder, wenn solche Tatsachen nicht vorlagen, uns damals eine derartige Mitteilung zu machen. Diese Mitteilung sollte offenbar als eine Beruhigung der damaligen Atmosphäre gemeint sein. Ich glaube aber, daß die allseits bekannten Tatsachen, die dem Fall Kemritz zugrunde liegen, nicht dazu angetan sind, uns in irgendeiner Weise zu beruhigen.
Unmittelbar im Anschluß an die Debatte vom 20. und 21. Juni vorigen Jahres hatte sich das Landgericht Berlin mit einer Schadenersatzklage der Witwe des durch Herrn Kemritz zu Tode gebrachten Herrn von Hake zu befassen. Es war damals auch versucht worden, über den Herrn Senator für Justiz der Stadt Berlin die Akten in die Hände der amerikanischen Hohen Kommission gelangen zu lassen. Das ist nicht gelungen. Die Vierte Ferienkammer des Landgerichts Berlin verkündete am 24. Juli 1951 ein Versäumnisurteil gegen den Rechtsanwalt und Notar Dr. Hans Kernritz, damals noch mit Wohnsitz Bad Homburg v. d. Höhe, Philosophenweg 9, angegeben, nach dem dieser an die Klägerin 11 640 DM nebst Zinsen Schadenersatz zu leisten und an die Klägerin eine monatliche Rente von 300 DM zu zahlen hat.
Im Anschluß an dieses am 24. Juli 1951 verkündete Urteil wurde von derselben Kammer des Landgerichts Berlin unter dem 8. August 1951 der Beschluß verkündet, nach dem der Vollzug aus dem eben von mir erwähnten Urteil, also dem am 24. Juli 1951 verkündeten Versäumnisurteil, ausgesetzt wird,
nachdem nunmehr
— heißt es in dem Beschluß —
das Amt des Hohen Kommissars der Vereinigten Staaten für Deutschland erklärt hat, daß der Beklagte ihr Beauftragter gewesen sei und daß daher die Angelegenheit unter § 2 der Erklärung über die Grundsätze in Verbindung mit Art. 7 des Gesetzes Nr. 7 der Alliierten Kommandantur Berlin, mithin in das Vorbehaltsgebiet der alliierten Besatzungsmächte falle, und jede Vollstreckungshandlung aus dem ergangenen Schuldtitel untersagt hat.
Meine Damen und Herren, hier handelt es sich nicht mehr um eine Handlung der amerikanischen Hohen Kommission, die bezweckte, den Herrn Kemritz nicht unter die Strafjurisdiktion der Anwaltschaft oder der deutschen Gerichte zu bringen, sondern hier handelt es sich um einen besonders eklatanten Eingriff in ein schwebendes Zivilverfahren. Es handelt sich hier darum, daß von seiten der amerikanischen Hohen Kommission verhindert wurde, daß ein Urteil des Landgerichts Berlin zur Vollstreckung gebracht wurde. Es mutet weiter in diesem Zusammenhang zumindest für uns, die wir eine genaue Kenntnis der Vorgänge, wenn sie in anderer Art und Weise bei der amerikanischen Hohen Kommission bekannt sein sollten als bei uns, nicht haben, seltsam án, daß nach Mitteilungen aus der „Neuen Zeitung" vom 8. August 1951 der Herr Hohe amerikanische Kommissar die Behauptung aufgestellt haben soll, daß der von Herrn Kemritz ausgelieferte Herr von Hake seinerzeit von den Alliierten als Kriegsverbrecher gesucht worden ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht unsere Aufgabe, hier zu untersuchen, ob die Behauptung des Herrn Hohen amerikanischen Kommissars zutrifft oder nicht zutrifft. Es sollte jedenfalls nicht üblich werden, daß in einer Angelegenheit, mit der sich der Deutsche Bundestag damals wirklich aus einer Sorge um die Rechtsentwicklung in Deutschland beschäftigt hatte, von seiten der amerikanischen Hohen Kommission, insbesondere von dem Herrn Hohen Kommissar selbst, Äußerungen dieser Art gemacht werden. Wir bedauern außerordentlich, dáß wir keine genaue Kenntnis davon bekommen haben, welche Unter-
lagen dem Herrn Hohen amerikanischen Kommissar über den Fall Kemritz zur Verfügung stehen, die uns nicht zugänglich gemacht worden sind und wir bedauern weiter, daß der Herr Hohe amerikanische Kommissar es bis heute unterlassen hat, die Bundesregierung trotz verschiedener Vorstellungen über die Dinge aufzuklären, die auch heute noch einer Aufklärung gerade im Hinblick auf die Vorgänge bedürfen, die sich um die Mitte des Jahres 1951 aus Anlaß der Tätigkeit des Herrn Kemritz abgespielt haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem zwei Monate vergangen waren, haben meine politischen Freunde die Große Anfrage eingebracht, die heute hier zur Verhandlung steht, nachdem sechs Monate vergangen sind. Heute schreiben wir den 28. Februar 1952. Seit dem 15. August 1951 ist es nicht möglich gewesen, dem Deutschen Bundestag in einer für die Entwicklung unserer Rechtsverhältnisse auch in Beziehung auf die Besatzungsmächte so wichtigen Angelegenheit eine Aufklärung zu geben. Lediglich unter dem 11. Januar 1952 ist uns von dem Herrn Bundesminister der Justiz mitgeteilt worden:
Da die Vertreter der amerikanischen Hohen Kommission das Schreiben des Herrn Bundesministers der Justiz vom 23. November 1951 bisher nicht beantwortet haben, habe ich heute
— so schreibt der Bundesminister der Justiz unter
dem 11. Januar 1952 —
bei dem 'Sekretär der amerikanischen Delegation angefragt, wann voraussichtlich mit der nächsten Besprechung gerechnet werden kann. Ich werde Sie über den Fortgang der Verhandlungen unterrichten.
Meine Damen und Herren, offenbar erst, nachdem bekanntgeworden ist, daß der Deutsche Bundestag sich heute, nachdem die Angelegenheit zweimal vertagt worden ist, endlich nochmals mit dem Fall Kemritz befaßt, scheint der Herr Bundesminister der Justiz gebeten worden zu sein, heute nachmittag um 15 Uhr zu der Hohen amerikanischen Kommission zur Besprechung dieses Vorgangs zu kommen.
Herr Bundesminister, ich möchte Sie bitten, mit aller Eindringlichkeit die Sorge, die uns bereits in den Verhandlungen am 20. und 21. Juni 1951 befallen hat und die uns aus Anlaß der Behandlung dieses Falles Kemritz auch heute wieder erfüllt, dem Herrn Hohen amerikanischen Kommissar bzw. seinem Sachbearbeiter vorzutragen.
Wir haben große Befürchtungen, meine Damen und Herren, daß der Fall Kemritz und das, was mit dem Fall Kemritz in Zusammenhang steht, nicht die Würdigung auf seiten der amerikanischen Hohen Kommission finden, die sie finden müßten, und zwar haben wir diese große Sorge gerade im Hinblick auf den abzuschließenden Generalvertrag und die diesem anhängenden Verträge deswegen, weil uns bis heute noch nicht bekanntgeworden ist, welche Auffassung auf seiten der amerikanischen Hohen Kommission bzw. auf seiten der alliierten Kommission in ihrer Gesamtheit über die Frage des Evokationsrechts grundsätzlich besteht. Bevor wir von seiten der zuständigen Stellen unserer Bundesregierung keine Mitteilung darüber bekommen, ob die Besatzungsmächte, ob insbesondere die amerikanische Hohe Kommission endlich auf das Evokationsrecht, das sie im Falle Kemritz für sich in Anspruch genommen hat, verzichten, sehen wir keine Möglichkeit, aus dem Dilemma herauszukommen, in das uns der Fall Kemritz in unseren Rechtsverhältnissen, insbesondere auch in unseren Rechtsbeziehungen zu den Besatzungsmächten gebracht hat.
Wir bitten Sie, meine Damen und Herren, unserer Großen Anfrage 'dieselbe' Bedeutung zu schenken, die die Beratung des Falles im vorigen Jahr gefunden hat.