Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Richter.
Dr. Richter: (Fraktionslos): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt an sich gar keinen Zweifel darüber, daß ein jeder es für seine Pflicht ansehen muß, für die Sicherheit Restdeutschlands und Resteuropas alles zu tun, was nur getan werden kann. Aber es ist eines dabei notwendig: daß wir stets daran denken, daß wir als Nation und als provisorischer Staat für Gesamtdeutschland sprechend besondere Pflichten haben, die wir unbedingt erfüllen müssen und deren
Gipfel die Aufrichtung eines deutschen Reiches sein
muß, das wirklich souverän ist und den anderen
gleichberechtigt gegenübersteht. Die im Augenblick
durchgeführte politische Eingliederung, die wir
durch den Schumanplan beispielsweise in ganz bestimmte Formen gezwängt erlebt haben, wird nunmehr ergänzt durch die militärische Eingliederung
in eine ganz bestimmte politische Konzeption, an
deren Spitze die Europaarmee stehen soll, — eine
Armee, die selbst von namhaften Militärs der
Amerikaner als eine Bonner Illusion bezeichnet
wurde und die ebenso von einem Mann abgelehnt
worden ist, der nun wirklich in diesen Dingen mitreden kann, nämlich Generaloberst Guderian. "
Es ist verständlich, daß Sie, meine Damen und Herren — meine Herren, muß ich hier wohl sagen! —, darüber lächeln; Herr Bucerius, aus dem einfachen Grunde, weil Sie wahrscheinlich nicht so Soldat waren, wie es Guderian gewesen ist.
Aber wenn wir schon über die Remilitarisierung hier sprechen und Sie sich so für diese Sache einsetzen, dann mache ich Ihnen nur den einen Vorschlag: Stellen Sie doch den Antrag, daß der Bundestag als kriegsstarkes Bataillon vorneweg geht! Ich würde allerdings unter dem Kommando, das wir heute haben, dann für mich die Kleiderkammer ausbitten. Ich war im letzten Kriege nämlich vorn und möchte in diesem Krieg nicht für eine Firlefanzerei meine Haut zu Markte tragen.
Ich möchte noch eines sagen. Dem, was man heute aufbauen will, fehlt die völkerrechtliche Grundlage; und das sollten Sie doch beachten. Es ist schon von dem Kollegen Dr. Etzel mit Recht darauf hingewiesen worden, daß von seiten der Westmächte diejenigen, die im Osten etwa zum Soldatendienst gezwungen werden würden, und auf seiten der Ostmächte diejenigen, die auf seiten der Westmächte zum Soldatendienst gezwungen werden würden, als Partisanen angesehen werden können. Sollten Sie über diese Dinge nicht Bescheid wissen, dann empfehle ich Ihnen, den englischen Völkerrechtler Oppenheim nachzulesen, der doch vollkommen unbeeinflußt über diese Dinge gesprochen und auch darauf hingewiesen hat, daß diejenigen, die nach einer Kapitulation sich noch als Soldaten betätigen, jederzeit wie Franktireure behandelt werden können.
Es fehlt nicht nur die völkerrechtliche Grundlage, es fehlt auch die moralische Grundlage. Der Herr Bundeskanzler hat einmal davon gesprochen, daß wir ein zu 90 % souveräner Staat seien; es ging zum mindesten so durch die Presse. Es gibt entweder souveräne Staaten oder nichtsouveräne Staaten; aber nach Prozenten kann man die Souveränität nicht berechnen. Dann haben wir entweder Kolonien, Protektorate oder etwas Ähnliches vor uns. Ein Protektorat sind wir bestimmt nicht; denn niemand wird den Mut oder den Willen haben, uns dann wirklich zu schützen, wenn es darauf ankommt.
Das Moralische ist außerdem systematisch durch die Besatzungsmächte, durch unsere Umerzieher, zerschlagen worden.
Ich erinnere an die zahllosen Prozesse, ich erinnere
daran, daß heute noch Deutsche, die nichts anderes
— Na, Sie kümmern sich sonst nicht darum, da muß ich es wenigstens tun! — Darüber hinaus weise ich darauf hin, daß schon an einem Eid jede westdeutsche Wehrmacht zerbrechen muß.
Die Entscheidung ist heute: sollen wir uns in eine West- oder Ostkonzeption bedingungslos — wie es ja letzten Endes sein wird — eingliedern lassen oder nicht? Wir sind durchaus nicht die „Ohne uns", und ich möchte darauf hinweisen, daß ich zu einer Zeit, als Sie überhaupt kein Gewehr gedanklich aufzunehmen in der Lage waren, mich bereits für eine deutsche Nationalarmee eingesetzt habe.
Nebenbei bemerkt ist das rein praktisch gesehen auch die einzige einsatzbereite und einsatzfähige Einheit. Das dürfen Sie auch aus den Äußerungen führender und sehr bekannter französischer Militärs entnehmen können. Nachdem eine solche Einheit aufgebaut worden ist, kann man darüber reden, ob und unter welchen Bedingungen sie mit anderen Wehrmachten zusammenarbeitet. Da möchte ich sagen, daß wir zu einer solchen Zusammenarbeit bereit sind. Eine heutige Eingliederung erscheint uns schon deswegen als vollkommen verfehlt, weil einmal die Regierung immer wieder betont hat, daß sie nur ein ganz bestimmtes Deutschland als Deutschland versteht und gewisse urdeutsche Gebiete eben nicht zu diesem Deutschland rechnet,
und weil darüber hinaus auch der Herr Bundeskanzler — jeder Widerspruch ist sinnlos; Sie haben den gegenteiligen Beweis noch nicht angetreten — in London erklärt hat, daß man zwar die Oder-Neiße-Linie nicht anerkennen wolle, daß man aber doch über diese Fragen reden könne, wenn man wisse, wie Polen gegenüber dem Westen eingestellt sei. Das heißt, man macht heute schon den Polen und nicht nur ihnen irgendwelche verlockenden Angebote oder zum mindesten irgendwelche verlockenden Aussichten. Man sagt ihnen, ihr könnt, wenn es darauf ankommt, damit rechnen, daß wir auf irgendwelche Gebiete verzichten.
, Nein, das dürfen wir niemals tun, im Gegenteil.
Es gibt einen Mann, der durch die Politik des Zauderns, durch die Politik des Abwartens immer wieder gezeigt hat, daß man eben doch zu Erfolgen kommen kann, wenn man nur wartet. Das ist Franco, der erklärt hat, man solle eine offensive Politik in dieser Richtung treiben und niemals, wie es Herr Buttenwieser gesagt hat, eine defensive Politik. Denn dann wird man niemals zur Befreiung des ostdeutschen Gebiets, niemals zur Einheit Deutschlands und auch nicht etwa zu einem wirklichen Europa, nämlich zur Freiheit auch der Völker, die noch zu Europa gehören, aber heute unter der Knute des Ostens stehen, kommen.
Darüber hinaus möchte ich Sie auf folgendes hingewiesen haben: Die Gefahr besteht für uns weiterhin darin, daß immer wieder betont worden ist, man wolle uns dann einfach aufgeben; man wolle irgendwo am Rhein, an den Pyrenäen — was weiß ich, wo — eine Verteidigungsstellung beziehen.
— Sie brauchen sich gar keine Mühe zu geben. Ich habe hier eine Zeitung, die Sie von der CDU als gute christliche Menschen kennen müßten, eine katholische Zeitung, nämlich die „Deutsche Tagespost", in der ein Ausspruch Montgomerys steht, der erklärt hat, daß selbst einer längeren Besetzung Westeuropas durch die Sowjets schon aus psychologischen Gründen ein Operationsplan der Westmächte zugrunde gelegt werden dürfe. Ich glaube, damit ist alles gesagt. Man will uns erst von der einen Seite befreien; dann werden wir von der andern Seite wieder befreit, und so geht es hin und her à la Korea, und diejenigen, die dann die wirklich Leidtragenden sind, sind vielleicht nicht Sie, aber draußen das deutsche Volk. Weil wir uns für das deutsche Volk einsetzen und nicht wollen, daß es unnütz Blut lassen soll, daß es wieder einmal seine Haut für fremde Interessen zu Markt tragen soll, deshalb wenden wir uns mit aller Entschiedenheit gegen Ihre Absichten. Wir wissen genau: es ist vielleicht nicht mehr lange Zeit, daß wir uns noch dagegen wenden können.
— Sie sind sonst auch nicht so eifrig darauf bedacht, daß die Redezeit bei anderen Abgeordneten genau eingehalten wird. Auch der Präsident hat es bisher nicht so genau beachtet. Ich weiß nicht: es würde nur einen sehr schlechten Eindruck machen, wenn man heute wiederum ausgerechnet bei mir die Redezeit in einer derartigen Form begrenzte.