Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist etwas viel verlangt, wenn nach diesem Höhepunkt der Debatte noch weitere Redner die Aufmerksamkeit dieses Hauses in Anspruch nehmen. Nach fast zwolfstündiger Debatte ist es natürlich, daß die meisten Argumente bereits besprochen worden sind. Aber ich glaube, daß in vieler Hinsicht die Aufgabe der Debatte, die wir heute haben, restlos verkannt worden ist. Das Parlament hat sich in einer sehr entscheidenden Stunde einen schlechten Dienst erwiesen, daß es sich nicht in der Lage sah, die Grundfragen — Schicksalsfragen unseres Volkes — wirklich mit der notwendigen Abgrenzung und mit dem notwendigen Takt zu behandeln, wie das sonst bei einer solchen Debatte, die mehr ist als nur eine außenpolitische Debatte, notwendig wäre. Man kann etwas melancholisch werden, wenn man daraus Rückschlüsse auf den Zustand unseres Volkes ziehen wollte. Ich weigere mich aber, diese Rückschlüsse zu ziehen, und sehe in diesen Dingen nichts anderes, als daß die Spannung, die die Welt beherrscht, auch bis in dieses Haus hineinschlägt.
In der Wertung dessen, was hier gesagt wird, wäre anzuraten — besonders im Ausland —, die einzelnen Äußerungen, die gemacht worden sind, cum grano salis zu nehmen. Es war eine schlechte Methode der Debatte beim Schumanplan, daß es die Opposition für notwendig fand, einzelne Ausführungen der französischen Abgeordneten hier vorzutragen, um aus diesem Teil auf das Ganze zu schließen.
Wir hoffen auf die Weisheit derjenigen, die unsere Debatte im Ausland auswerten werden, daß sie auch nicht die einzelne Äußerung für das Ganze setzen und daß sie auch nicht die Überspitzung für den Inhalt nehmen.
Ich möchte mich bemühen und ich halte es dem Gegenstand alleine angemessen, daß man mit so wenig Feuerwerk spricht, als das überhaupt nur möglich ist. Ich möchte fast sagen, man kann gar nicht langweilig und nüchtern genug werden, um diesen Gegenstand zu behandeln.
Es ist die Aufgabe dieser Aussprache, in allererster Linie die Stellung unserer Regierung in ihren Verhandlungen draußen zu stärken; denn das ist doch jedem klar: Die Frage, um die es sich heute hier handelt, kann doch nicht eine Frage parteipolitischer Machtkämpfe sein. Der Vortrag der einzelnen Auffassungen hat doch eine deutliche Grenze dbrt, wo etwa durch eine Schwächung der Position unserer Bundesregierung für das Ganze, nämlich für die Bundesrepublik und damit für Deutschland, ein Schaden daraus entsteht.
Die zweite Aufgabe dieser Debatte ist, die Besorgnisse psychologischer Art, die im deutschen Volke hervorgetreten sind, auszuräumen, soweit das möglich ist — und es ist möglich!
Und schließlich hat sich diese Debatte auch mit den echten Argumenten der Opposition — der Sozialdemokratischen Partei in erster Linie — auseinanderzusetzen. Damit möchte ich beginnen, um den negativen Teil meiner Ausführungen vorauszuschicken.
Diese Argumente der Opposition kann man einteilen in täuschende Einwendungen, von denen man den Eindruck hat, als würden sie selber nicht ganz ernst genommen. Die nächste Gruppe der Argumente sind die nebensächlichen Fragen, die gegenüber dem Grundproblem nur als beiläufig zu behandeln sind. Und dann bleiben die echten Argumente übrig: Einwendungen, die zum Teil auch von uns geteilt werden, die aber noch nicht im Rahmen des gegenwärtigen Standes der Verhandlungen ausgetragen sind und für die eben die Regierung dieses Landes der notwendigen Unterstützung durch dieses Haus, durch das Parlament, bedarf.
Zu den unechten Argumenten der Opposition rechne ich folgende. Die Öffentlichkeit sei nicht genügend informiert worden! — Dazu hat der Herr Bundeskanzler bereits das Notwendige ausgeführt, so daß ich mich ganz kurz fassen kann. Ich glaube, daß das Zerschwatzen von unfertigen Dingen immer zum Nachteil ausschlägt. Man muß sich einmal vorstellen, was es bedeutet, wenn nun in sämtlichen Zeitungen — und man weiß doch, wieviele Feinheiten in der Textierung irgendeines Entwurfs enthalten sind — und in Wahlversammlungen diese Dinge zerredet werden! — Muß man denn immer unreife Äpfel essen: Man kann sie doch auch einmal ausreifen lassen! — Das würde bedeuten, daß mit voreiligen Stellungnahmen nicht nur immer wieder die Position im Innern dieses Landes versteift wird, -sondern natürlich auch die Position unserer Verhandlungspartner im Auslande, weil auch deren Öffentlichkeit angesprochen wird. Ich glaube, daß diese Forderung der sogenannten offenen Diplomatie, von der man immer redet, ein Irrtum ist; denn gewisse Dinge reifen tatsächlich in der stillen Aussprache, bis sie fertig sind, sehr viel besser. Muß denn immer vor der Öffentlichkeit das Mißtrauen erzeugt werden, daß etwas von der Regierung präjudiziert werde, ohne daß sie sich die notwendige Rückendeckung besorge? Ich glaube, es gehört zu den primitivsten Voraussetzungen unserer Nachkriegsdiplomatie, daß es ja ganz im Interesse der Regierung liegt, für eine fertige Sache oder dann, wenn diese Sache zum eigentlichen Zuge kommt, die breite Solidarität des deutschen Volkes hinter sich zu bekommen. Das gehört mit zu den Kernfragen. Deshalb bedeutet das Argument von der mangelhaften Information nichts anderes, als daß eben dieser Regierung hinsichtlich des, Weges, den sie für richtig hält, hinsichtlich ihrer Verhandlungsmethodik das Mißtrauen ausgesprochen wird, ohne daß man dabei im einzelnen weiß, bis zu welcher Station man vorangekommen ist. Es ist auch nicht Aufgabe dieses Hauses, diplomatische Methoden, die eine ganz ausschließliche Angelegenheit der Exekutive sind, zu kritisieren und über sie zu urteilen. Was dieses Haus hier angeht, sind die politischen Grundsatzfragen.
In der Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer ist dann etwas angeklungen, was meine politischen Freunde und ich nicht ganz hinnehmen können. Es wird immer davon geredet, daß, wenn man eine solche Verteidigungsorganisation im Rahmen Gesamteuropas aufbaue, damit irgendwelche militaristischen oder sonstigen Kräfte ans Ruder kämen und sich damit die ganze Struktur des Staates ändere. Was für eine unnötige Diffamierung des Soldaten liegt darin! Denn wenn man glaubt, daß immer, wenn irgendwo ein General auftritt, das _ sofort eine Änderung der Struktur unseres Staates zur Folge habe, dann bedeutet das doch, daß man jedem General oder der Mehrzahl der Generale Unterstellungen macht. Das muß man als Diffamierung bezeichnen. Ich brauche mich nicht in die Militärphilosophie zu verlieren, aber ich - möchte das Wort vom Militarismus, das letzthin bereits aus einer Kriegspropaganda des ersten Weltkrieges stammt, in ernsthaften Diskussionen möglichst überhaupt nicht mehr hören; denn wenn es Leute gegeben hat, die vom wilden Soldaten gebissen waren — das hat es in anderen Armeen auch gegeben. Sehen Sie sich doch die Lustspielfiguren der ganzen Welt an! Vom Soldaten Schwejk bis zum miles gloriosus von Plautus hat man es für nötig befunden, diesen Typus in der Literatur zu schildern. Wir sollten doch dièse Figuren nun nicht zum Maßstab all dessen machen, was ein Soldat nach Grundsatz und Wesen darstellt. Wenn man in dieser Form der Beurteilung, militärische Fragen zu behandeln, fortfährt, dann soll man nicht um die Stimmen der Soldaten in einer Form buhlen, die oftmals schon nicht mehr ganz erfreulich ist.
Dann kommt die berühmte Geschichte vom Vorrang der Sozialpolitik. Hat man denn so wenig einsichtig die Finanzpolitik der gegenwärtigen Bundesregierung verfolgt, daß man nicht sieht, daß die Finanzpolitik darauf gerichtet war, in einem zähen Ringen und mit der notwendigen Voraussicht die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik zu sichern? Und wenn Herr Schäffer als der Türhüter gegen die Inflation auftritt und damit seine Popularität, ja oft Kopf und Kragen riskiert,
dann bedeutet das doch eine sehr deutliche Willensbekundung der Bundesregierung, daß sie ungeachtet des Spannungszustandes in der Welt, ungeachtet der Lasten, die auf uns zukommen, eben an dem Konzept festhält, daß eine gute Wirtschafts- und damit auch eine gute Sozialpolitik allerwichtigste Beiträge Deutschlands sind, daß man mit dieser Verringerung der Spannungen, die in unserem Gebiet bestehen, einen Verteidigungs-
Beitrag erster Ordnung leistet. Hinter dem Argument: „Erst die Sozialpolitik, dann alles andere!" verbirgt sich ja immer wieder die Diffamierung, gegen die wir uns wenden müssen, die Bundes-. regierung treibe keine wirksame Sozialpolitik. Es ist jetzt hier nicht die Zeit und der Ort, mit Statistiken zu kommen, um nachzuweisen, was tatsächlich am sozialen Zustand sich geändert hat. Das Argument vom Vorrang der Sozialpolitik gehört doch letztlich auch zu denen, die man dem rhetorischen Schein zurechnen muß.
Ich möchte auf die militärischen Dinge nicht im einzelnen eingehen. Es war da auch von den Kosaken die Rede, die im Rhein ihre Pferde tränken. Wir wollen uns doch einmal dieser dummen Bilder enthalten, wenn ich mir auch nicht verkneifen kann, zu bemerken, daß unsere Voreltern, die es tatsächlich noch erlebt haben, daß die Kosaken ihre Pferde im Rhein tränkten, gegenüber der russischen Frage damals eine sehr viel instinktsicherere Haltung einzunehmen vermochten, als das leider in unseren Tagen der Fall ist.
Dann kommt die berühmte Geschichte von der strategischen Idee, die wir nicht kennen. Dazu nur ein Satz. Ich möchte wirklich einmal das System sehen, das seine strategischen Ideen .preisgibt und etwa von der Öffentlichkeit diskutieren läßt. Ich meine, dadurch wird doch die ganze Idee nutzlos, und man muß einige Millionen ausgeben, um alles zu ändern.
Mit großer Entschiedenheit muß -ich mich auch gegen eine Argumentation der Opposition wenden, mit der sie in eine Herabsetzung des europäischen Gedankens mit einstimmt, dagegen, daß immer wieder, wenn irgendein Schritt getan werden muß, der oft seine Schwierigkeiten — auch seine diplomatischen Schwierigkeiten — in. sich schließt, dieser Schritt als ein Verpacken eines deutschen Nachteils in eine europäische Manschette dargestellt wird. So ähnlich, glaube ich, ist die Sache formuliert worden. Was steckt denn eigentlich in diesem Argument darin? Letztlich — trotz aller Beteuerungen, die hier wieder gemacht worden sind — eine Herabsetzung des europäischen Gedankens. Dabei ist es von besonderem Wert, sich darüber klar zu sein, daß dieser europäische Gedanke bisher der einzige politische Gedanke ist, der in unserem Volke und insbesondere auch in der deutschen Jugend einen wirklichen Widerhall gefunden hat. Also auch dieses Fundament soll um des Vorteils einer rhetorischen Blüte willen madig gemacht werden, um damit eine der wichtigsten politischen Hintergrundsvoraussetzungen und die politische Basis im Volke für den Weg, den die Bundesregierung und mit ihr die gesamte Koalition gegangen ist, zu zerstören.
Es geht nun um die Methode. Da wurde von dem Ob und dem Wie gesprochen. Das sind so diese berühmten theoretischen Zerspaltungen eines einheitlichen Vorgangs. Es ist eine Vexierfrage, wenn man sagt, der Verteidigungsbeitrag müsse erst nach der Frage des Ob und dann nach der Frage des Wie — oder umgekehrt — behandelt werden. Das Wie ist ja schließlich die Frage der Voraussetzungen. Und daß ein Gebiet wie das unsrige verteidigungswürdig ist und man sich mit allen Kräften darum zu kümmern hat, die Verteidigung vorzunehmen, ist doch eine Selbstverständlichkeit. Infolgedessen kann über diese Grundvoraussetzungen gar nicht gesprochen werden. Letztlich geht die ganze Diskussion dann eben auf in der Frage nach dem Wie oder, besser formuliert, in der Frage nach der Wirksamkeit jener Verteidigungsorganisation.
Dann ist in den Worten von Herrn Kollegen Arndt eine ganz interessante Offenbarung außenpolitischer Konzeptionen der SPD zutage getreten. Es wurde der Bundesregierung vorgehalten, sie hätte die Politik treiben müssen, erst einmal den letzten Krieg zu liquidieren, um dann die Fundamente der Zukunft zu legen. Ich möchte nichts Boshaftes sagen; das ist jetzt vielleicht nicht am Platze. Aber was heißt denn das: „erst einmal den letzten Krieg liquidieren"?
— Ich habe es mir so notiert; ich werde das Stenogramm noch nachlesen.
— Gut, ich will das akzeptieren. Wie könnte man das methodisch machen? Das ist meiner Ansicht nach ein juristisches Denkgebilde. Will man denn bei der Opposition nicht davon Notiz nehmen, daß dieser letzte Krieg eben nicht normal zu Ende gegangen ist, sondern völlig gegen die üblichen Formen des Völkerrechts? Die Großmächte, die ihn gewonnen haben, haben sozusagen ein pouvoir constituant für das neue Völkerrecht in Anspruch genommen. Es ist keine Beendigung durch Friedensvertrag erfolgt. Jeder Schritt, der vorwärts getan werden muß, wird immer zugleich Liquidierung des Krieges und zugleich Fundamentierung der Zukunft sein. Dieser Ausgangspunkt der Außenpolitik ist nun einmal objektiv gegeben. Dadurch, daß die vier Mächte auseinandergefallen sind, nachdem die drei Mächte des Westens erkannt hatten, daß es mit dem Bolschewismus in seiner Expansion eben keinen Ausgleich gibt, kann es gar keine andere Methode der Außenpolitik geben, als die Folgen des letzten Krieges damit zu liquidieren, daß man sich den Formen der Völkergemeinschaft in Zukunft anpaßt. Diese Formen sehen natürlich anders aus, als es im nationalstaatlichen Denken üblich war. Ich stelle immer wieder fest, daß die Opposition auf diesem Gebiet ein geradezu starres Denken hat.
Besonders bei der Rede von Herrn Professor Schmid konnte man alle Denkfiguren eigentlich nur verstehen, wenn sie im Jahre 1875, 1876 gesagt worden wären und wenn es sich darum gehandelt hätte, einen Friedensvertrag zwischen einem ziemlich mächtigen Deutschland und einem weniger mächtigen fremden Staat auszuhandeln.
— Gut, wir können sie auch nationalliberale Argumente nennen, wobei ich nicht in den Verdacht kommen möchte, dieser Gleichsetzung voll zuzustimmen, Herr Kollege Kiesinger!
Ich komme zu den Argumenten, die sich auf die Verfassungsfragen beziehen; sie gehören zu denen, die ich als nebensächliche Argumente bezeichnen möchte. Im Falle der Bedrohung eines Landes ist die Frage des procedere eigentlich ziemlich nebensächlich. Hat man sich denn — dieses Wort ist hier schon gefallen — eigentlich noch keinen klaren Begriff, von dem gemacht, was Notwehr ist? Notwehr ist diejenige Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
Das ist zweifellos eine zivilrechtliche Vorstellung. Aber es gibt auch so etwas wie ein Notwehrrecht im Völker- und Staatsleben.
Ich möchte mich mit dem Argument auseinandersetzen, der Beitritt der Bundesregierung zu einer europäischen Verteidigungsorganisation mache eine Verfassungsänderung notwendig. Meine Damen und Herren, wenn Sie gesagt haben, damals, als diese Verfassung geschaffen worden ist, habe man an diese Dinge überhaupt nicht gedacht, ja, man habe sie gar nicht regeln wollen, dann können Sie, wenn Sie nun schon so juristisch argumentieren wollen, es auch nicht durch eine Verfassungsänderung machen. Denn das wäre eine Grundsatzentscheidung, die für alle Zeiten nur durch eine restlose Beseitigung der Verfassung und durch einen neuen konstitutiven Akt geschehen könnte, wenn man es schon so konsequent durchdenkt. Der Umstand, daß dies eine Unmöglichkeit, ja eine Absurdität ist, beweist, daß diese ganze Idee einer Verfassungsänderung ein hergeholtes Argument ist. Ich möchte nicht wiederholen, was der Herr Bundeskanzler im Hinblick auf Art. 24 und die Ausführungen des Herrn Kollegen Schmid im Parlamentarischen Rat, die ganz eindeutig waren, gesagt hat. Ich möchte allerdings diese Auslassung eines Mitglieds des Gesetzgebers, obwohl ich seinerzeit in meiner Rede vom November 1950 auch auf sie Bezug genommen habe, noch gar nicht einmal als so entscheidend betrachten. Es ist eine vollkommene Verkennung der politischen Situation unseres Staates, wenn man die Souveränität als ein Bündel von Hoheitsrechten betrachtet, die man, wie etwa der mittelalterliche Lehnsstaat, sammeln müßte, und wenn man dann sagt, angesichts der Beschränkungen, die die Londoner Empfehlungen gegeben hätten, enthalte das Grundgesetz dieses Hoheitsrecht nicht, es stehe uns also nicht zu, müsse daher — ich weiß nicht, woher — von irgendwo geholt werden.
Ich komme auf meinen Ausgangspunkt zurück. Dieses Hoheitsrecht der Selbstverteidigung eines Staates ist ein Naturrecht des Staates. Denn wenn er .es nicht hätte oder nicht in Anspruch nehmen würde, hätte er überhaupt keine Staatsqualität und könnte sie künftig auch nicht gewinnen.
Wer die deutsche Souveränität als etwas auffaßt, was man von den Siegern Stück für Stück verliehen bekommen könnte, irrt sich grundsätzlich.
Die deutsche Souveränität ruht, und in dem Rahmen, in dem das Bedürfnis und die Möglichkeit, ein Hoheitsrecht auszuüben, auf uns zukommt, ist dieses Hoheitsrecht gegeben.
Nun kam es heute zu einer etwas absurden Konstruktion von unseren föderalistischen Kollegen, die sagten: diese Rechte liegen grundsätzlich bei den Ländern und werden dann an den Bund abgetreten; man müßte also erst eine Kapitulation mit den Ländern über dieses Hoheitsrecht abschließen. Das ist eine Verkennung von verfassungsrechtlichen Vorgängen.
Das Deutsche Reich von 1870 beruhte allerdings auf einem völkerrechtlichen Vertrag, der nachher zugleich verfassungsrechtlichen Charakter bekam. Wenn es ein rein völkerrechtlicher Vertrag gewesen wäre, hätte sich im Jahre 1908 oder 1910 kein Land separieren und von diesem Vertrag wieder lösen können. Es ist eine völlige Verkennung des Begriffes des Deutschen Reiches, zu meinen, daß dieses Recht auf Separation nach Gründung des Reiches noch gegeben gewesen wäre. Damit ist es eben kein volkerrechtlicher Bund mehr, sondern ein Bundesstaat, der nach außen eine Einheit ist. Es ist völlig undenkbar, in diesem Sinne aus dem Bunde von 1870 etwa die Folgerung zu ziehen, daß nun quasi völkerrechtlich zwischen Bund und Ländern ein Vertrag über die Beanspruchung dieses Hoheitsrechtes geschlossen werden müßte, das seit der Weimarer Verfassung bereits beim Bunde gelegen hat. Es gibt in der Welt und in der Geschichte kaum noch Bundesstaaten, in denen das Recht der Wehrhoheit bei den ursprünglichen Staaten liegt. Das ist eine .natürliche Bundeskompetenz. Immerhin war seit dem Inkrafttreten der Weimarer Verfassung und de facto auch in der Zeit der Bismarckschen \\ erfassung dieses Recht der obersten Wehrhoheit, nämlich das Recht — und das ist ja gerade das, was in Anspruch genommen wird —, Militarbündnisverträge nach außen hin zu schließen, schon längst eine Kompetenz des Bundes geworden. Ich wende mich hier gegen das Recht der Separation und damit gegen eine solche Uberspitzung des Föderalismus, weil man unter Umstanden an der Saar aus einer solchen Auffassung Folgerungen ziehen könnte, die wir als Angehorige des Deutschen Reiches — als die wir uns heute noch fühlen — ablehnen müssen, weil sie eine schwere Preisgabe der deutschen Position bedeuten.
Im Rahmen der Verfassungsfragen hat Herr Kollege Etzel etwas sehr Getahrnches gesagt. Er hat auf die Frage Bezug genommen, welchen Status denn ein Soldat der europäischen Verteidigungsorganisation haben wird, und er hat dann voing abwegige Schlüsse aus der Kapitulation und aus den i .ontroilratsgesetzen sowie aus dem ehemaligen Viermachte-Regime gezogen.
Ich halte mich für verpflichtet, dazu Stellung zu nehmen, damit nicht etwa ein russischer Vertreter eines Tages im Sicherheitsrat etwas vorbringt, was der Kollege Etzel bestimmt so gar nicht gemeint hat und auch gar nicht hat sagen wollen. Ein Soldat der europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist eben nicht Soldat einer Nation, sondern Soldat der Gemeinschaft. Die Verteidigungsgemeinschaft ist zwar kein europäischer Bundesstaat, sondern eine Verwaltungsorganisation. Um die Qualität dieser Gemeinschaft brauchen wir uns nicht zu streiten. Kriegsrechtlich ist damit aber der Status eines Soldaten dieser Organisation vollkommen festgelegt. Bei dem Versuch, etwa in einem juristischen Perfektionismus und mit einem überscharfen Gewissen — Juristen, ich bekenne mich selbst dazu, neigen hierzu — die Dinge zu übertreiben und bis in die letzte Konsequenz zu durchdenken, kommt man unter Umständen auf Irrwege. Ich glaube, Herr Kollege Etzel ist damit auf Irrwege gekommen. Mit der Tatsache, daß es sich hier um Soldaten einer internationalen Organisation handelt, fallen alle übrigen Bemerkungen' und Betrachtungen — Kontrollratsgesetz, Bedeutung der Kapitulation, Abrüstung Deutschlands und was daraus gefolgert wird — als nicht zur Sache gehörig fort.
Wenn wir über Grundsatzfragen sprechen, ist es ein unbedingtes Erfordernis, daß wir das Problem richtig abgrenzen und nicht Fragen erörtern,
deren Erörterung nicht notwendig ist. Wenn wir darüber hinausgehen, setzen wir Meinungen in die Welt, auf die man uns später einmal festlegen könnte.
— Herr Heinemann soll mit dieser These reisen. Das ist ja überhaupt ein etwas unglücklicher Fall. Darauf komme ich aber nachher noch zu sprechen. Wenn ich mich auf den Standpunkt der europäischen Gemeinschaft stelle, brauche ich nicht dazu Stellung zu nehmen, was Potsdam und Yalta gewesen sind, ob das Verträge .waren oder nicht. Dann mag sich der Jurist ausdenken, was es bedeutet, wenn sie nicht ratifiziert worden sind. Das nur nebenbei. Die Diskussion der Frage, was die militärische Kapitulationsurkunde war, behalten wir uns, wie gesagt, vor, am besten im Rechtsausschuß, wenn es einmal notwendig wird.
Ich möchte dann zu einer Frage übergehen, die mich am meisten bewegt und die vielleicht das Wichtigste an der heutigen Debatte sein sollte, nämlich zu den Besorgnissen, die das deutsche Volk an den Beitritt zu einer solchen Verteidigungsgemeinschaft knüpft. Wenn wir über diese Frage in diesem Hause schon sprechen, halte ich es für unsere Pflicht als Abgeordnete, hier so klar und so deutlich wie irgend möglich zu sprechen. Dabei möchte ich einmal all die Bezugnahmen auf moralische, auf gefühlsmäßige Argumente beiseite lassen. Wir sind ein Volk, das den Krieg furchtbar verloren hat. Ich möchte einmal sauen: der deutsche Durchschnittsmensch ist sehr überfordert worden. Nun soll er auch zu diesen Dingen wieder Stellung nehmen. Man mutet dem Gemüt unseres Volkes und dem einzelnen Menschen reichlich viel zu. Ich halte es für eine sehr schlechte seelische Therapie, diesem Volk nun mit solchen Formulierungen zu kommen, wie sie Herr Dr. Schumacher oft gebraucht hat und wie sie heute Herr Professor Schmid gebraucht hat. Ich glaube, wir erweisen unserem Volke damit, einmal rein vom Therapeutischen aus gesehen, einen schlechten Dienst.
— Wir werden uns wiedersprechen. Aber ich
möchte auf folgendes hinweisen. Sie haben den
Wahlkampf in Süddeutschland im Herbst 1950
unter einer Diktion geführt — und auch die jetzige
Debatte ist unter dieser Diktion geführt worden —,
aus der ,der einfache und unkomplizierte Mensch
nichts anderes entnehmen konnte als: Sie sind dagegen, unter allen Umständen, nicht nur unter den gegenwärtigen Umständen, sondern unter allen Umständen.
Mit diesem Argument haben Sie damals einen, übrigens überraschend geringen, Stimmenzuwachs erreicht.. Dann haben Sie nachher anders taktiert. Glauben Sie, daß wir der Demokratie einen guten Dienst tun, wenn diese Zweideutigkeiten, dieses Spielen mit den Imponderabilien unserer kranken Seele auf der einen Seite und das Spielen mit messerscharfen Nuancen in den Argumenten, die der einfache Mensch ja doch überhören muß, fortgesetzt werden, — glauben Sie, daß Sie sich selbst damit einen Dienst erweisen? Was bedeutet denn die Lehre von den Neuwahlen anderes? Gewiß, in England gibt's so etwas; da gibt es so eine Art von programmatischem Mandat. Das hat sich dort eingebürgert. Aber trotzdem hat das Parlament in England, als die allgemeine Wehrpflicht eingeführt werden mußte, die eine vollkommene Abkehr von der bisherigen Tradition des Landes war, die Frage entschieden, ohne vorher eine Neuwahl unter dem Motto durchzuführen: „Willst du die Wehrpflicht, oder willst du sie nicht?"
— Nein, das wird man nicht machen. Denn dann würde sich folgendes ergeben. Gewiß — vorausgesetzt, es kommt dann so, daß Sie die Verantwortung übernehmen —, dann werden Sie genau dasselbe tun müssen, was jetzt die Regierung macht.
Dann lassen Sie diesen Vorgang bei ein paar
Grundsatzfragen hinterher ein paarmal geschehen,
— was das Volk dann sagen wird? — Es fühlt sich betrogen!
— Denken Sie an den Panzerkreuzer; da ist die Sache geführt worden unter der Losung „Panzerkreuzer oder Kinderspeisung". Natürlich, er mußte gebaut werden. Was ist das Schlußergebnis bei diesen Neuwahlen über Grundsatzfragen? Zweimal vielleicht läßt sich das Volk die Geschichte gefallen, daß nachher die Opposition, die dann an der Regierung ist, das tun muß, was sie vorher bekämpfte.
Aber dann eines Tages wird das Volk es merken. So hat man es auch in Weimar gemacht; da hat man auch diese schlechte Methode angewandt, bis das Volk sich betregen fühlte und schließlich nach dem starken Mann rief.
Infolgedessen ist es eine jener ganz schweren Pflichten, die eine Regierung und auch die Mehrheit eines Parlaments zu übernehmen hat, wenn solche Grundsatzfragen in der Zeit der Legislaturperiode in voller Verantwortung entschieden werden. Das Urteil des Volkes wird dann kommen, wenn es eine Übersicht über das Richtig oder über das Falsch gewonnen hat, am Ende der Legislaturperiode.
Meine Damen und Herren, von Frau Wessel ist dann der Standpunkt vertreten worden, daß man doch irgendwann einmal mit dem Gedanken der Gewaltlosigkeit anfangen müsse, so gewissermaßen nach dem Grundsatz: „Hannemann, geh du vor-
an!", — aber der Satz geht weiter: „du hast die dicksten Stiebeln an!" Wir haben eben keine dicken Stiebeln an! Wenn wir ein mächtiger Staat wären, könnte man die Sache mit dieser Methode versuchen.
Aber wie liegen denn die Tatsachen? Dort auf der einen Seite 24 bis 30 Divisionen, hier dagegen steht bloß ein Drittel dieser Kräfte im Westen. Wir haben viel zuviel Krieg geführt in der ganzen Debatte. Es geht nämlich um etwas ganz anderes. Es geht hier um eine politische Frage. Die militärtechnischen Fragen wollen wir den Militärs überlassen. Wir stellen fest: Dort besteht eine Macht, die Sowjetunion, mit einer offensiv aufgestellten Armee. Der Herr Bundeskanzler hat die entsprechenden Informationen für 1950 bekanntgegeben. Gewiß, ich will gar nicht damit rechnen, daß sie jetzt gleich angreifen wollen. Aber ich frage doch nun einmal: Was dient dem Frieden der Welt mehr: indem man nichts tut, indem man sich also aufs hohe Roß setzt und sagt: erst einmal wünschen wir einen perfekten Friedensvertrag und eine perfekte Souveränität, eine perfekte Wiedergutmachung dessen, was da früher mal geschehen ist usw. usw., und dann sagt: wir wünschen also eine modernisierte Armee und eine absolute Sicherung unseres Gebiets, und dann werden wir erst bereit sein, j a zu sagen? Oder ist es nicht angemessener — und ganz einfach sehe ich die Dinge so —, daß man versucht, einen Vertrag zu schließen, der der exponierten Lage unseres Gebietes, der Kräfteüberlegenheit und dem Angriffsaspekt, der sich durch das Verhalten der anderen ergibt, Rechnung trägt, indem eine Beistandsverpflichtung, eine automatisch wirkende Beistandsverpflichtung der ganzen Welt gegeben wird? Es geht — wenn ich mich mit diesen Besorgnissen des deutschen Volkes auseinandersetze — nicht um militärisch-technische Fragen, sondern es geht um eine politische Frage.
Ich weiß nicht, aber ich glaube, der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede schon gesagt, was damals die akute Gefahr war, und auch die Opposition hat ausgeführt, worin die akute Gefahr bestand. Das ist im Jahre 1950 die Neutralisierung gewesen. Nun, meine Damen und Herren, die Begriffe „Neutralität", „Neutralisierung" und „Verteidigungsbeitrag" gehen etwas durcheinander, da muß man zunächst mal einiges klarstellen. Daran, daß wir erklären, wir wollen neutral sein, kehrt sich kein Mensch, der die Macht hat, diese Neutralität zu verletzen. Es gibt, wie Sie wissen, die vier Fälle der denkbaren Neutralität, aber ich will sie hier jetzt nicht im einzelnen aufzählen. Der Kernpunkt ist jedenfalls immer, daß man diesen Willen, neutral zu bleiben, respektiert. Sehen Sie sich nun das Kräfteverhältnis an! Es sieht nicht so sehr nach einem Respektieren dieses Willens, neutral zu bleiben, aus, und deshalb entfällt diese Konzeption.
Und was ist Neutralisierung? Das ist ein Vertrag der vier Mächte, die sich darüber einig werden: dieses Gebiet wollen wir nicht in einen kriegerischen Konflikt einbeziehen. Meine Damen und Herren, ich habe leider nicht mehr viel Zeit, um dieses' Problem, das immerhin so ist, daß man es genau analysieren müßte, jetzt eingehend zu behandeln. Aber was bedeutet Neutralisierung? Genau das, was der Russe haben will! Dann brauchte er gar keinen Krieg zu führen, um ganz Deutschland in seinen Machtbereich einzubeziehen; denn damit hätte er dieses Ziel ohnehin schon erreicht. Aber noch etwas bedeutet es: nicht etwa, daß dieses Gebiet dann nicht vom Krieg überzogen A wird, sondern ich behaupte: die Neutralisierung zieht den Krieg geradezu herbei.
Denn jede kleinste Verschiebung der Macht zugunsten der Sowjetunion oder zugunsten der Westmächte trägt dann die Gefahr in sich, daß angesichts einer solchen Neutralisierung die eine oder die andere Seite zur Intervention schreitet. Im übrigen zementiert — dieses scheußliche Wort ist neuerdings bei uns aufgekommen, offenbar aus einer Art Bunkersprache — doch die Neutralisierung einen Zustand absoluter Ohnmacht und damit die Notwendigkeit, dann Befehlsempfänger bei allen vier Mächten zu sein. Und zum dritten bedeutet Neutralisierung nicht etwa eine Garantie des Friedens, sondern geradezu die Gewährleistung dafür, daß jeder Streit zwischen den vier Mächten auf unserem Rücken ausgetragen wird.
Diese Gefahr angesichts der Methoden des Kalten Krieges, der Fünften Kolonne, abzuwenden, ist doch zunächst einmal das Politische. Der Preis dafür, daß wir einen Verteidigungsbeitrag erbringen, besteht dann darin, daß künftig eine Neutralisierung Deutschlands nicht mehr möglich ist. Das ist das eine, was wir gewinnen. Das andere, was wir in unserer exponierten und gefährlichen Lage gewinnen, ist die automatisch wirkende Beistandsverpflichtung der freien Welt.
Das sind immerhin zwei Punkte, die, realistisch betrachtet, eine außerordentlich wichtige, eine unschätzbar wichtige Position schaffen, die in sich die große politische Möglichkeit bietet, wirklich kriegverhütend zu wirken.
Dann ist von Provisorium und Definitivum gesprochen worden. Meine politischen Freunde sind bei jeder Gelegenheit gegen dieses Provisorium Sturm gelaufen, denn ein Provisorium bedeutet in der Auslegung politische Ohnmacht. Meine Damen und Herren, wie wollen Sie Deutschland wiederherstellen, wenn Sie diesem Teil des Landes nicht die Kraft geben und ihm nicht die Verantwortung aufbürden, für die andern mitzuhandeln?!
Was zu der Kritik von Herrn Professor Schmid an dem Generalvertrag und an dem Verteidigungsbeitrag noch zu bemerken ist, möchte ich einem anderen Sprecher meiner Fraktion überlassen. Man muß diese Dinge in Ruhe erörtern; es hat doch keinen Sinn, hier Rhetorik zu betreiben. Wir sind leider nicht in der Lage gewesen, die Dinge so zu behandeln und durchzusprechen, wie es gut gewesen wäre.