Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte mich zu Anfang an Frau Brauksiepe wenden. Frau Brauksiepe, ich bewundere eigentlich Ihren Mut, wie Sie sich hier hinstellen können und Rekrutierung der Jugend, Kriegsvorbereitung, ja sogar Opferbereitschaft der Frauen propagieren, im gleichen Jargon, wie wir das noch allzu deutlich von der NS-Frauenschaft einer Scholtz-Klink in Erinnerung haben. Ich weiß nicht, ob Ihnen diese Sprache noch sehr geläufig ist. Hier fehlte nämlich nur noch ein Wort, nämlich: „in stolzer Trauer".
Dabei scheuen Sie und Ihre Frau Kollegin Brökelschen nicht davor zurück, längst als gefälscht entlarvte Dokumente für Ihre Hetze zu benutzen. Eigentlich sollten Sie sich dafür zu schade sein. Aber ich empfehle Ihnen, einmal ganz unverhüllt, ohne Phrasen den Frauen und Müttern die volle Wahrheit über Ihre Pläne der Kriegspolitik zu sagen. Dann werden Sie nämlich merken, daß Sie niemals mehr das Recht haben, in dieser Art im N amen der Frauen zu sprechen. Warum verbieten Sie denn die Volksbefragung? Weil Sie wissen, daß das ganze Volk den Krieg, ganz gleich unter welchen Bedingungen, ablehnt,
daß das ganze Volk gegen Sie, gegen die Politik des Bundeskanzlers steht.
Dabei ist es so billig, jede Friedensäußerung als kommunistisch, als moskauhörig darzustellen. In dieser Debatte, wo es um das Schicksal unseres Volkes geht, wo über Leben und Zukunft unserer Jugend verhandelt wird, spreche ich zu Ihnen als Frau über die Angst und die Sorge der Frauen und Mütter.
— Jawohl, auch als Kommunistin. In Hunderten von Briefen und Entschließungen, in Unterhaltungen mit Frauen und in Besuchen von Frauen aller Schichten des Volkes bin ich dazu aufgefordert worden.
Ich möchte Ihnen aber auch von der ungeheuren Empörung sprechen, die unsere Bevölkerung angesichts der Tatsache erfaßt hat, daß der Bundeskanzler auffordert, kaltblütig die Massengräber vorzubereiten,
kaltblütig unsere Städte und Dörfer, unsere schöne deutsche Heimat neuem Bombenterror, der völligen Vernichtung preiszugeben.
Das ist das, worüber kaltblütig verhandelt werden soll.
Wehrgesetz bedeutet Krieg, Generalvertrag und Atlantikpakt dienen allein dem Angriffskrieg. Wir aber können nicht kaltblütig sein, wenn es um unsere Kinder geht, wenn es um die Erhaltung all der Werte geht, die uns nach zwei furchtbaren Kriegen noch geblieben sind. Ich selber habe durch die Kriegsvorbereitung ein Kind verloren und ich habe noch ein Kind zu verteidigen. Ich verteidige das Leben dieses Kindes zugleich mit dem Leben aller Kinder unserer Mütter in Deutschland.
Ebenso empört sind aber die Frauen darüber, als gestern die Vertreter der Regierungsparteien und Dr. Adenauer ausgesprochen haben, daß sie diese Pläne der Aufrüstung und der Kriegsvorbereitung bereits bei der Wahl zum Bundestag hatten, während sie ihren Wählern mit sozialen Phrasen von der Erhaltung der Familie und von einer blühenden Wirtschaft leere Versprechungen gaben.
Heute sagen Sie es ganz offen, daß Sie damals schon vorhatten, die Familie zu zerstören, die Wirtschaft zu vernichten.
Herr Abgeordneter Kiesinger hat gestern zum Ausdruck gebracht, der Bundestag habe die Legitimation, über ein Wehrgesetz zu beschließen, weil er selber und seine Kollegen sich bei der Wahl über diese Konsequenzen völlig klar gewesen seien.
Es ist eine Tatsache, daß die führenden Leute der
Koalitionsparteien sich schon bei der Beratung des
Grundgesetzes darüber einig waren, in Westdeutschland die Remilitarisierung durchzuführen.
Was soll dabei das Geschwätz von einer neuen Ethik in einer neuen Wehrmacht? Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man eigentlich darüber lachen. Aber ich frage Sie: Wo ist der Abgeordnete im Bundestag, der sagen kann, daß er in dem damaligen Wahlkampf nur ein Wort davon verraten hat, daß er bereit ist, die Remilitarisierung vorzubereiten?
Hätte er damals auch nur ein Wort davon dem deutschen Volk, den deutschen Frauen, der deutschen Jugend verraten, dann gäbe es keine Adenauer-Regierung. Dann hätte das Volk Sie damals schon davongejagt, anstatt Sie in den Bundestag zu schicken. '
Sie werden doch heute schon in Ihren eigenen Versammlungen von den Besuchern und Ihren eigenen Anhängern abgelehnt, wenn Sie die Remilitarisierung propagieren. Das mußte der Abgeordnete Majonica vorgestern in Bonn bei den Studenten erfahren, und auch Herr Dr. Mende hat das in Wuppertal erfahren müssen.
Sie sprachen gestern und auch heute davon, daß man hier nicht gefühlsmäßig herangehen solle. Gleichzeitig aber benutzen Sie als einziges Argument für Ihre schmutzigen Kriegspläne übelste Antisowjethetze, die. an die niedrigsten Instinkte appelliert und die Menschen aufputschen will.
Wie konnen Sie von der „Erhaltung der abendländischen Kultur" sprechen angesichts der für uns so bitteren Erfahrung, daß ein Krieg alle kulturellen Errungenschaften zerstört und alles Wertvolle vernichtet, daß ein Krieg die Menschen demoralisiert.
Der Abgeordnete Kemmer von der CSU sprach allerdings vor Monaten einmal das prophetische Wort, daß unsere neuen Kasernen Kulturstätten sein sollen.
Ist das etwa Ihre Kultur, Herr Dr. Adenauer? Die Frauen wollen von Ihnen die Wahrheit über Ihre Geheimabmachungen wissen, über alles das, was in Ihrer gestrigen Rede fehlte. Sie wollen wissen, ob Sie die Enthüllungen des Generalsekretärs der SED, Walter Ulbricht, über den Inhalt des Generalvertrags zu leugnen vermögen. Sie haben gestern den Wahrheitsbeweis nicht antreten können.
Die Frauen wollen die Wahrheit über das Wehrgesetz, über den Generalvertrag und alles, was damit im Zusammenhang steht!
Darüber haben Sie peinlichst geschwiegen, Herr
Bundeskanzler. Ich möchte Ihnen darum sagen,
was in Ihrer Rede fehlte. Erstens alles, was Ihr
künftiger Kriegsminister Blank à la ' Hitler dem
Volk über den Rundfunk verkündete, nämlich daß
300 000 bis 400 000 junge Menschen als erste Rate
zur Rekrutierung in die Kasernen einziehen sollen.
Mit welchem Zynismus, mit welcher Verhöhnung sprach er zu den Müttern, als er eine Mutter sagen ließ: Na, Junge, dann fang mal an, deine Sachen zu packen! Wenn Herr Blank auch nur einen Funken Ehr- und Schamgefühl hätte, würde er es nicht wagen, eine Mutter so zu beleidigen.