Rede von
Alfred
Loritz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(Fraktionslos)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)
Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht, wie die meisten meiner Vorredner, meine Rede vom Blatt ablesen, sondern Ihnen in freier Rede sagen, was das Volk zu dem ganzen Problem der Wiederaufrüstung denkt. Wenn Sie Demokraten sein wollen, dann, bitte, fragen Sie doch das Volk in geheimer Abstimmung; dann werden Sie sehen, ob das Volk wirklich, wie mein Herr Vorredner behauptet hat, zu 80 % zugunsten einer Wiederaufrüstung stimmen oder ob es, wie ich behaupte, sich zu 80 und 90 % gegen die Wiederaufrüstung aussprechen würde.
Wir von der WAV
haben schon vor Jahren verlangt, daß über die wichtigsten Fragen, von denen Wohl und Wehe des ganzen Volkes auf Jahrzehnte und Jahrhunderte hinaus abhängt, das Volk in geheimer Abstimmung gefragt wird und nicht bloß ein paar Hundert Abgeordnete darüber entscheiden dürfen wie Autokraten und Diktatoren. Leider ist dieser Programmpunkt der WAV von Ihnen, meine Herren, verlacht und verspottet worden. Heute sind manche in diesem Hause, die uns innerlich vielleicht recht
geben und sagen: Hätten wir nur rechtzeitig in die neue Bundesverfassung so etwas wie ein Plebiszit hineingenommen, hätten wir dem Volke die Möglichkeit gegeben, sich in geheimer Abstimmung darüber auszusprechen, was das Volk will! Denn nur das Volk muß die Kosten tragen, wenn hier in diesem Hause eine falsche Politik gemacht wird! Wenn doch alle, die die Wiederaufrüstung wollen, sich freiwillig für den Kriegsdienst meinetwegen in Korea oder in Indochina, oder wo sie wollen, melden würden; aber diejenigen, die die Wiederaufrüstung nicht wollen, die sollt Ihr in Ruhe lassen, die sollt Ihr nicht zwingen, wiederum ihre Knochen zu Markte zu tragen und in einer dritten Katastrophe zu riskieren, daß das deutsche Volk vollends vernichtet wird. Habt Ihr denn schon die Schutthaufen vergessen, die noch draußen auf den Straßen und in den Häuserruinen liegen? Habt Ihr schon vergessen, wie viele Hunderttausende von Menschen als Krüppel herumlaufen und fast verhungern müssen, weil sie nur Bettelrenten bekommen?
Unter solchen Umständen eine Wiederaufrüstung anzubieten, ist ein psychologischer Fehler ersten Ranges. Wenn Sie sagen, nicht mit dem Gefühl müsse man an diese Fragen herangehen, sondern mit dem Verstand, so erkläre ich Ihnen: der psychologische Faktor ist in der Politik mit der allerwichtigste! Das Volk, das man solange verhöhnt hat, weil es seine Pflicht im Kriege getan hat, das Volk wird nicht nach ein paar Jahren, so wie es die Ami's von uns wollen, eine Kehrtwendung um 180 Grad machen, wieder hinausgehen und wieder im Schützengraben seine Haut zu Markte tragen.
Das deutsche Volk ist von dieser Regierung Adenauer falsch informiert worden; das kann ich Ihnen beweisen! Ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten eine deutsche Zeitung des Auslandes, die sich in schwersten Jahren immer für die Deutschen eingesetzt hat, die von Deutschen geschrieben und für Deutsche bestimmt ist; ich zitiere den „Courier" aus Regina in Kanada. Dort sieht man die Lage besser als wir hier im Inneren. Dieses Blatt schreibt wortwörtlich:
In gehobener Stimmung erklärte Bundeskanzler Adenauer nach seiner Rückkehr aus Paris, daß die Vereinbarungen der vier Außenminister das Beste darstellen, was Menschen sich ausdenken konnten. Man vergleiche diesen blühenden Unsinn, der allerdings sinngemäß auf einem Platz namens Wahner Heide geäußert wurde, mit dem amtlichen Wortlaut der alliierten Bekanntmachungen, und man erhält einen Einblick in die Politik der Selbsttäuschung und der Volkstäuschung, die in Bonn geübt wird.
So schreiben deutsche Zeitungen; ich zitiere Ihnen keine ausländischen Stimmen, sondern die Stimmen von Deutschen, die besser informiert sind als wir.
Ich rufe Ihnen- nochmals zu: Wenn Sie wieder aufrüsten wollen, nehmen Sie den Stahlhelm auf den Kopf, aber lassen Sie unser Volk in Ruhe! Es geht heute um das Letzte, nämlich darum, ob das, was uns aus zwei verlorenen Weltkriegen noch übrigeblieben ist, in einem dritten Weltkrieg aufs Spiel gesetzt werden soll.
Der Herr Bundeskanzler Adenauer sagt: Wir müssen möglichst stark aufrüsten, denn nur dann können wir die Russen dazu veranlassen, daß sie uns Ostdeutschland herausgeben.
— Ich habe mitstenographiert. Welcher Wahn ist diese Auffassung Adenauers!
Möglichst stark aufzurüsten, um dann den Frieden zu bekommen — so eine falsche politische Einstellung haben wir schon einmal gehört!
Das Gegenteil ist richtig! Wir sollten uns aus dem Machtkampf der zwei Großen herauszuhalten versuchen, solange es geht, so wie das Niklas von der Flüe seinerzeit seinem Volk erklärt hat: „Haltet Euch heraus aus den Händeln der Großen, solange das nur irgendwie möglich ist!" Bei uns aber tut unsere Regierung alles, um den anderen möglichst viele Divisionen anzubieten, und manchem General pressiert's schon, daß er im Kasernenhof die Leute wieder schikanieren oder, von irgendeiner Etappe aus dem Hintergrund die Regimenter in den Kampf hineinwerfen kann.
Wir müssen eines tun: In dem Streit zweier ganz starker Kerle müssen wir uns in der Hinterhand halten! Das ist die richtige Politik. Man wird uns noch brauchen! Es ist nicht wahr, daß wir durch Warten vielleicht eine günstige Chance verlieren. Im Gegenteil, wenn wir warten, bekommen wir erst eine bessere Chance!
Durch Zuwarten ist in der Geschichte noch selten etwas` verloren worden. Durch Kriege und durch Torheit und durch Drauflos-Stürmen ist in der deutschen Geschichte aber schon sehr viel kaputtgemacht worden, Herr Bundeskanzler; das möchte ich Ihnen ins Gedächtnis zurückrufen!
Herr Bundeskanzler, Sie wissen genau, daß Rußland erklärt hat: Eine Wiederaufrüstung Deutschlands wird den Krieg bedeuten und von Rußland nicht geduldet werden. Was berechtigt Sie, diese Drohung als Bluff zu betrachten? So hat MacArthur auch gesagt, als die Chinesen erklärten, eine Überschreitung des 38. Breitengrades werde von ihnen nicht geduldet werden. Er marschierte los, und schon war die Sauerei da,
und Hunderttausende von Menschen mußten dafür ihr Leben verlieren! Herr Bundeskanzler, die Gefahr, daß durch diese Wiederaufrüstung der Krieg geradezu herbeigeführt wird, ist tausendmal größer als die Gefahr, daß durch ein Zuwarten irgendein Unglück über uns hereinbricht.
Ich möchte Ihnen zum Schluß noch eines sagen: Die Wiederaufrüstung wird uns in eine Katastrophe hineinbringen, weil sie psychologisch falsch ist; weil sie in dem großen außenpolitischen Geschehen falsch ist; weil wir wirtschaftlich dazu nicht in der Lage sind; weil unsere Jahrgänge zum allergrößten Teil verblutet sind!
Das Blut der Jahrgänge, die unterdessen nachgewachsen sind, sollte man, weiß Gott, schonen und man sollte sparsam mit ihnen umgehen.
Aus all diesen Gründen beschwören wir Sie, Herr Bundeskanzler,
von dieser Politik, sich bedingungslos an einen der beiden großen Machtblöcke anzuschließen, abzustehen, vielmehr abzuwarten, wie es so viele, wie es Dutzende anderer Staaten machen, nicht bloß die arabischen Länder, nicht bloß Japan; sogar England wartet ab und schickt nicht die Divisionen nach Korea, die die Amerikaner gern von England haben möchten!' Nur uns, dieser Regierung Adenauer, pressiert es! Diese Adenauer-Regierung will vorangehen wie der Jackele, mit dem Kopf durch die Wand, und riskiert dabei, unser Volk nochmals ins Unglück zu führen.
Herr Bundeskanzler, Ihre Rede von gestern war die Rede eines Kanzlers; aber sie war keine Kanzlerrede, sondern sie war eine Abkanzelungsrede
gegenüber all denen, die anders denken als Sie. Das ist das große Unglück in Ihrer Politik, daß Sie sich um die Meinung des Volkes nicht kümmern,
sondern daß Sie das tun, was' Sie oder ein kleiner Kreis um Sie unter allen Umständen durchsetzen will.
Leider habe ich nur 10 Minuten Redezeit bekommen; es gäbe noch so viel zu sagen. Sehen Sie, meine Herren von der CDU, das nennen Sie Demokratie, wenn Sie mir die Redezeit durch Mehrheitsbeschluß beschneiden. In welchem anderen Parlament der Welt wäre denn das der Fall, daß so gehandelt wird? Nur bei Ihnen ist das so. Sie nennen das Demokratie. Diese „Demokratie" haben Sie gestern dadurch gezeigt, daß Sie mit Wasserschläuchen auf harmlose Frauen und auf Kriegsversehrte habén spritzen und mit, dem Gummiknüppel auf sie haben einhauen lassen!
Ich muß leider zu Ende kommen. Es wäre noch soviel zu diesem Punkte zu sagen, und wir haben nicht die Möglichkeit, weil der Großteil — —