Rede von
Dr.
Richard
Jaeger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis zum heutigen Tage war ich der Meinung, daß die Kommunistische Partei bei den letzten Bundestagswahlen in Bayern keine 5 % der Stimmen erhalten habe und deswegen hier auch nicht vertreten sei. Mir scheint, die Rede meines Herrn Vorredners beweist das Gegenteil, und ich habe mich bisher geirrt.
Eine klarere und deutlichere Vertretung des sowjetrussischen Standpunkts konnte in diesem Hause gar nicht vorgebracht werden..
Ich bin zu fair,
diesen Standpunkt der Bayernpartei- in die Schuhe zu schieben;
aber ich frage die Bayernpartei vor dem deutschen Volk und vor der bayerischen Wählerschaft, ob das ihre parteioffizielle Meinung ist oder nur die Privattour des Herrn Dr. Etzel!
Im übrigen, meine Damen und Herren, habe ich in diesem Hause — abgesehen von Herrn Dr. Etzel und abgesehen von der Kommunistischen Partei — kein grundsätzliches Nein zum deutschen Verteidigungsbeitrag gehört. Ich meine, das von den Kommunisten ausgesprochene Nein ist ja auch wohl bei ihnen nicht so sehr grundsätzlich; denn sie sagen in der Bundesrepublik nein und im Osten ja.
Der Ernst der Frage, der dieses Haus und das ganze deutsche Volk bewegt — und der auch durch Geschrei nicht verringert wird —, führt dazu, daß es weder ein begeistertes Ja bei den einen noch ein grundsätzliches Nein bei den anderen geben kann. Vielmehr unterhalten wir uns über die Voraussetzungen, unter denen allein ein deutsches Ja möglich ist. Über diese Voraussetzungen im einzelnen werden andere meiner-Parteifreunde sprechen; aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß sich für den Mann auf der Straße die deutsche Gleichberechtigung nicht in erster Linie in der militärischen und politischen Gleichberechtigung und was sonst in den Generalverträgen stehen mag, dartut, sondern vor allem darin, wie sie sich auf sein Leben auswirkt. Und gerade der Mann auf der Straße kann nicht an die deutsche Gleichberechtigung glauben, wenn dieses Hohe Haus zwar international nicht mehr behindert wird, ein Wehrgesetz zu erlassen, aber vielleicht , behindert sein sollte, für den deutschen Handwerker den großen Befähigungsnachweis vorzuschreiben.
Und es wird vielleicht auch an das Schicksal der Besatzungsverdrängten zu denken sein, die Herr Kollege Dr. Arndt doch etwas zu leicht übergangen hat. Wenn er wie ich einen Wahlkreis hätte, in dem der größte Flugplatz Westeuropas liegt, Fürstenfeldbruck, oder die schwergeprüfte Stadt Landsberg am Lech, würde er vielleicht über die Not der Besatzungsverdrängten etwas anders denken. Im übrigen entspricht es in keiner Weise den Tatsachen, daß wir den Besatzungsmächten Menschen statt Wohnungen angeboten hätten. Das ist eine Unterstellung, die wir allerschärfstens zurückweisen müssen.
Auch die Sozialdemokratische Partei, Herr Dr. Arndt, hat doch durch Herrn Dr. Schumacher oder andere Sprecher 60 oder 70 Divisionen — vielleicht auch etwas weniger — der Alliierten in Westdeutschland gefordert; sie hat Schutz gefordert, um unter diesem Schutz die neuen deutschen Streitkräfte aufzubauen. Auch sie hat also an eigene Soldaten gedacht.
Im übrigen hat Herr Kollege Ollenhauer gestern ein Wort gesprochen, das leicht falsch verstanden werden kann. Er hat unter dem Beifall seiner Fraktion gesagt, wir hätten uns nicht mit dem „Wie" des deutschen Verteidigungsbeitrags zu beschäftigen, sondern nur mit dem „Ob". Diese Unterscheidung ist in ihrer klaren Distinktion zweifellos eines Professors der Philosophie würdig; ob sie aber einem Politiker im Jahre 1952 zukommt, möchte ich bezweifeln.
Denn wenn wir einmal in kurzer Zeit darüber beschließen werden, wie wir das deutsche Wehrgesetz machen, meine Damen und Herren, dann wird es eilen; und wenn wir dann nicht genau wissen, wie die geistigen Voraussetzungen und wie das innere Gefüge der deutschen Wehrmacht aussehen sollen, dann stolpern wir in den alten Kommiß, den Sie wahrscheinlich so wenig wollen wie wir.
Außerdem glaube ich, daß die Formulierung, Herr Kollege Ollenhauer, den Interessen der jungen Generation gar nicht entspricht. Ich habe nun in vielen Versammlungen, nicht nur vor den 2000 Studenten in München, diskutiert, wo zuerst zwei. Drittel gepfiffen haben und nachher vier Fünftel für eine Resolution stimmten, die im Sinne meiner Ausführungen lag.
— Meine Herren von der Kommunistischen Partei, die Münchener Studenten unterscheiden sich von Ihnen dadurch, daß sie etwas lernen wollen, Sie aber nicht.
Es dient nicht den Interessen der jungen Generation; denn sie fragt zuerst nicht nach der Saar oder nach dem Oberbefehl und sonstigen Dingen, sondern sie fragt: Wie schaut nun eigentlich der Barras aus, zu dem ihr uns vielleicht rufen müßt? Darauf werden wir ihr auch eine Antwort geben müssen. Dann möchte ich erklären: Das innere Gefüge der deutschen Streitkräfte gehört für meine politischen Freunde zu den Voraussetzungen des Verteidigungsbeitrags, weil wir es gar nicht verantworten könnten, die deutsche Jugend noch einmal jenem Kommiß auszuliefern, den zum großen Teil wir alle erlebt haben. Ich habe ihn sechs Jahre lang erlebt.
Davon abgesehen hat Herr Kollege Ollenhauer es meisterhaft verstanden, eine Fülle von Gründen vorzuschieben, die es ihm erspart haben, zum Kern der Frage überhaupt Stellung zu nehmen. Denn der Kern der Frage heißt doch heute, wo wir noch nicht darüber entscheiden, sondern uns
nur grundsätzlich äußern: Werden wir, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, über die wir uns doch wohl im großen und ganzen einig sind, bereit sein, den Frieden mit Hilfe einer deutschen Verteidigungsmacht innerhalb einer europäischen Armee zu sichern, wenn es keine andere Möglichkeit, den Frieden zu sichern, gibt — weil vielleicht die Westmächte ihre Front von der Elbe an den Rhein oder an die Pyrenäen zurücknähmen? Das ist der Kern der Frage. Und der Kern der Frage ist auch, ob dem Notwehrrecht des einzelnen nicht auch ein Notwehrrecht des Volkes, ob der Notwehrpflicht des Familienvaters, wenn Frau und Kinder bedroht sind, nicht auch eine Notwehrpflicht der jungen Generation entspricht, die für ihre Mütter, ihre Schwestern, ihre Bräute, für Frauen und Kinder auch ein Jahr wird opfern müssen, um ihnen Leben und Frieden zu erhalten.
Man versteckt sich hinter verfassungsrechtlichen
Bedenken. — Meine Damen und Herren, — —
— Ich spreche nicht mit Ihnen; -Sie gehören nicht zu denen, die die Freiheit verteidigen! Ich unterhalte mich nur mit Demokraten, und das sind Sie da hinten nicht!
Man spricht — auf Seiten der Demokraten, nicht bei Ihnen — von verfassungsrechtlichen Bedenken. Als Jurist nehme ich die Verfassung ernst, aber ich glaube, diese Frage ist zunächst keine Verfassungsfrage, sie ist eine politische Frage, sie ist letzthin eine ethische Frage.
Schließlich und endlich spricht Art. 24 des Grundgesetzes klar und eindeutig, Herr Dr. Etzel, davon, daß sich der Bund zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen kann. Und ich frage Sie: Was bietet denn gegenüber der Sowjetunion, die seit 30 Jahren einen Pakt nach dem andern, den sie geschlossen hat, mit Füßen getreten hat, überhaupt noch eine irdische Sicherheit, wenn nicht die Einheit Europas, sein Zusammenschluß und seine Rüstung und der Wille, es zu verteidigen?
Damit ist die Möglichkeit einer europäischen Armee gegeben. Ob es die Möglichkeit einer Nationalarmee in Deutschland gibt — da lassen sich auch viele Gründe gegen die These der Sozialdemokraten und des Herrn Dr. Etzel anführen; aber das interessiert uns nicht, denn wir wollen keine Nationalarmee.
Wir wollen sie nicht aus innerpolitischen Gründen, wir wollen sie nicht aus außenpolitischen Gründen, wir wollen sie nicht aus prinzipiellen Erwägungen; wir wollen sie vor allem deshalb nicht, weil d e deutsche Jugend nur bereit ist, unter der Fahne Europas ein Jahr zu dienen, oder gar nicht.
Im übrigen, meine Herren von der Sozialdemokratischen Partei, wird Ihnen die Schwere der sachlichen Entscheidung nicht durch eine Zweidrittelmehrheit abgekauft.
Das deutsche Volk erwartet in dieser Schicksalsfrage keinen Verfassungsstreit, es erwartet in dieser Schicksalsfrage ein Ja oder ein Nein des Deutschen Bundestages
mit der verfassungsmäßigen einfachen Mehrheit, die tatsächlich 80 Prozent der Stimmen beträgt.
Man kann nicht mit Hilfe der Zweidrittelmehrheit an der Verantwortung vorbeigehen; man kann es nicht, weil man zur Sache selber Stellung nehmen muß. Vielleicht wäre es beinahe gut, wenn man eine Zweidrittelmehrheit brauchte, weil dann das Verantwortungsbewußtsein der Sozialdemokratischen Partei stärker angesprochen würde als seinerzeit beim Schumanplan, wo sie ja nein sagen konnte, weil wir sie nicht brauchten.
Es wäre interessant, wie sich die SPD stellen würde, wenn es auf ihr Ja und Nein ankäme. Wenn man den Blick zurückwirft auf die Geschchte der Außenpolitik der deutschen Sozialdemokratie, dann muß man nur bedauern, daß diese Partei, die von 1919 bis 1933 so viel zur Völkerverständigung und zum deutschen Wiederaufstieg beigetragen hat, sich heute so oft diesen Erfordernissen verschließt. Wenn einmal die Geschichte der Außenpolitik der SPD geschrieben wird, die Geschichte von Breitscheid bis Luetkens,
die Geschichte des beweglichen Realismus und der versteinten Hypothesen, dann wird man sie nur tragisch - nennen können.
Im übrigen, meine Damen und Herren, frage ich Sie jetzt einmal: welches ist denn eigentlich der Unterschied zwischen der Auffassung der Regierungsparteien und der der Sozialdemokratie? Wir bei der Regierungskoalition sagen Ja, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Sie sagen „Nein", weil die Voraussetzungen heute noch nicht gegeben seien. Das wäre an sich die gleiche Melodie in Moll und Dur. Wenn ich aber nun einmal die Voraussetzungen untersuche, dann ist es doch nur eine einzige, die Sie mehr haben als wir: Sie wollen die Neuwahl des Bundestages, weil Sie sch von ihr die Machtergreifung versprechen.
Nun frage ich Sie aber, Herr Dr. Arndt: Wenn die Neuwahlen stattgefunden und wenn Sie wieder alles Erwarten die absolute Mehrheit in diesem Hause hätten — würden Sie dann auch noch auf der Verfassungsänderung für ein Wehrgesetz bestehen?
— Sie sagen ja, Herr Dr. Arndt, weil Sie ein Mann von Konsequenz sind, und ich habe das von einem Jursten auch nicht anders erwartet. Aber ich darf Ihnen eins sagen: Selbst wenn Sie bei den nächsten Wahlen die absolute Mehrheit kriegen sollten — was. ich Ihnen nicht glaube und auch sonst niemand; daß Sie d e Zweidrittelmehrheit bekommen, das glaubt selbst nicht der parteifrömmste Funktionär der SPD im Lande —, werden Sie zu Ihrer Verfassungsänderung unsere Stimmen brauchen, von der CDU über die FDP und die CSU bis zur DP, oder mindestens die Hälfte dieser Stimmen. Das heißt auf deutsch: wenn Sie die politischen Voraussetzungen für ein Wehrgesetz für gegeben halten, dann werden Sie von den heutigen Regierungsparteien als Oppo-
Bition ein höheres Maß staatspolitischer Einsicht und staatsmännischen Verantwortungsbewußtseins erwarten, als Sie selbst als Opposition heute zu geben gewillt sind.
Das, meine Damen und Herren, ist der ganze Unterschied zwischen der Politik der Regierungskoalition und der der SPD.
Ich bin davon überzeugt, daß das deutsche Volk, wenn es klar und nüchtern den Tatsachen, die wir nun zwei Tage vor ihm ausbreiten, in die Augen sieht, sein Vertrauen nicht denen zuwenden wird, die in einer nationalen Krise, d. h. einer Entscheidung ohnegleichen, an die Gewinnung von Mandaten denken, sondern denjenigen, die bereit sind, die Verantwortung, die Ihnen das Volk im Jahre 1949 übertragen hat, mutig und entschlossen auf die Schultern zu nehmen.
Wir Abgeordneten der Christlich-Demokratischen
und Christlich-Sozialen Union und zumal wir Abgeordneten der Kriegsgeneration sind entschlossen,
in dieser Frage noch mehr als in anderen nicht nach parteipolitischen Vorteilen zu fragen, sondern allein nach unserem Gewissen zu handeln. Wir sind entschlossen, nicht nach dem Ausgang der kommenden Wahl zu fragen, sondern nach dem Schicksal der kommenden Generation.
Darum ist unsere Sorge — eine Sorge, die uns bedrückt, und eine Sorge, die wir meistern müssen — nicht die Neuwahl des Bundestages, Herr Dr. Arndt, sondern die Freiheit und die Sicherheit des deutschen Volkes und vor allem der Frieden Europas.