Rede von
Dr.
Hermann
Etzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus der Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik und dem Grundgesetz geht hervor, daß der Bund keine Wehrhoheit besitzt. Die westdeutschen Ministerpräsidenten brachten in
ihrer einstimmig beschlossenen Mantelnote vom 10. Juli 1948, mit der sie ihre Gegenvorschläge zu den alliierten Vorschlägen überreichten, zum Ausdruck, sie hätten bei der Behandlung des Frankfurter Dokuments besonderen Wert darauf legen müssen, daß bei der Neuregelung alles vermieden werde, was die Kluft zwischen West und Ost vertiefen könnte. Mantelnote und Gegenvorschläge zeigen deutlich, daß zunächst nur die Schaffung eines Zweckverbandes mit Verwaltungsstatut für die drei Zonen gewollt war. An eine Konstruktion mit Wehrhoheit hat niemand gedacht.
Tatsächlich trägt das Grundgesetz alle Züge eines Provisoriums. Es enthält keine Bestimmung über die Befugnis des Bundes zu einem Wehrgesetz. Die Kommandogewalt ist in ihm nicht geregelt. Aus Art. 4 kann nicht durch Gegenschluß gefolgert werden, daß das Grundgesetz die Wehrhoheit des Bundes ohne weiteres unterstellt. Die Absicht der Vorschrift liegt, wie sich aus den Verhandlungen des Parlamentarischen Rats ergibt, auf anderem Gebiet. Sie wollte der Rekrutierung Deutscher als Fremdenlegionäre für die Besatzungsmächte vorbeugen. Ebensowenig besagt der Artikel 24 etwas über Art und Mittel der Einordnung der Republik in ein System kollektiver Sicherheit. Bundesrepublik und Grundgesetz sind durch die Delegation von Hoheitsrechten der sich verbündenden Länder entstanden. Diese konnten nicht mehr Zuständigkeiten abtreten, als sie selbst
besaßen. '
Ich lasse dahingestellt, ob sie die Wehrhoheit in der Gründungszeit des Bundes besaßen. Jedenfalls wollten sie keine solche abtreten. Beispielsweise konnte die bayerische Staatsregierung nach Art. 180 der bayerischen Verfassung bis zur Errichtung eines heute noch nicht bestehenden deutschen demokratischen Bundesstaates,
infolge der Teilung Deutschlands noch nicht bestehenden deutschen demokratischen Bundesstaates, der allein in den entscheidenden Verfassungsbestimmungen der bayerischen Verfassung gemeint war,
mit Zustimmung des Landtages Zuständigkeiten auf den Gebieten der auswärtigen Beziehungen, der Wirtschaft, der Ernährung, des Geldwesens und Verkehrs an deutsche Gemeinschaftseinrichtungen mehrerer Staaten oder Zonen abtreten. Kein Wort von Wehrhoheit, Wehrverfassung, Wehrpflicht! Daß eine Delegierung der letzteren von Bayern niemals gewollt war, erweist das von seinem Landtag einstimmig beschlossene Gesetz Nr. 94 vom 21. 11. 1947, dessen § 1 bestimmt: „Kein Staatsbürger kann zum Militärdienst oder zur Teilnahme an Kriegshandlungen gezwungen werden."
Hierdurch wurde, wenn schon nicht ein förmliches verfassungsmäßiges Recht, so doch sachlich ein Grundrecht geschaffen, das nicht durch Bundesrecht gebrochen werden kann. Es kann also nicht darum gehen, durch landsmannschaftliche Aufgliederung der Kontingente, wie der bayerische Ministerpräsident Ehard sagt, zu verhindern, daß bayerische Bauernsohne auf norddeutschen Kasernenhöfen marschieren müssen,
sondern darum, daß das Gesetz Nr. 94, das der gleiche Dr. Ehard ausgefertigt hat, respektiert wird. Sollte nach der totalen Niederlage und der bedingungslosen Kapitulation irgendwo im Bundesgebiet eine Wehrhoheit entstanden sein, so läge sie nach Art. 70 des Grundgesetzes nicht beim Bund, sondern bei den Ländern und ihren Bevölkerungen. Die Bundesrepublik könnte sie nur durch bündische Nach- oder Neugründung, niemals aber nur durch Änderung des Grundgesetzes erhalten.
Auch nach der ursprünglichen Meinung der Besetzer hat der Bund keine Wehrhoheit. Andernfalls wäre es unverständlich, daß in der Niederschrift der Petersberger Abmachungen vom 22. November 1949 festgestellt wurde: „Die Bundesregierung erklärt ihre feste Entschlossenheit, die Entmilitarisierung aufrechtzuerhalten und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die Neubildung irgendwelcher Streitkräfte zu verhindern." Es ist zu bedauern, daß die Bundesregierung die rechtzeitige Klärung der so wichtigen verfassungsrechtlichen Frage unterlassen hat.
Noch schwerwiegender und ganz und gar unentschuldbar ist ein anderes Versäumnis der Bundesregierung. Sie weiß, daß die Westmächte an dem Potsdamer Abkommen festhalten, in dem die völlige und endgültige materielle und ideologische Abrüstung und Entmilitarisierung vereinbart und als Kontrollratsrecht vorgeschrieben ist. Es ist ihr natürlich auch bekannt, daß wir uns formell noch im Kriegszustand mit Rußland befinden
und daß die Verletzung der Kapitulation ein Kriegsverbrechen ist.
Welches wären also
im Ernstfalle
die furchtbaren Folgen für brave deutsche Soldaten,
die wieder den ersten Stoß auszuhalten hätten, welches ihr Schicksal? Sie würden von Rußland zu Gewaltbrechern von Kapitulation und Kontrollratsrecht, also zu Partisanen erklärt und im Fall ihrer Gefangennahme als solche behandelt. Wer könnte die Verantwortung dafür vor Gott, den Menschen, und der Geschichte übernehmen wollen?
An dieser für deutsche Soldaten entsetzlichen Lage würde auch dadurch nichts geändert, daß deutsche Divisionen als Teile einer Europa-Armee aufgebaut werden. Wir klagen den Bundeskanzler, wir klagen die Bundesregierung an, die deutsche Öffentlichkeit hierüber nicht aufgeklärt zu haben.
Am 27. Januar hat der Herr Bundeskanzler bei einem Empfang der Auslandspresse erklärt, daß er bereits 1948 als Privatmann den Aufbau einer westdeutschen Wehrmacht vorbereitet und den General Speidel beauftragt habe,
Vorschläge für einen deutschen Verteidigungsbeitrag auszuarbeiten. — Das wird in der Auslandspresse gemeldet. — Diese Erklärung hat — wenn sie zutrifft — bestürzend, sie hat niederschmetternd im In- und Ausland gewirkt. Wie will Herr Dr. Adenauer — ich unterstelle die Richtigkeit dieser ausländischen Pressemeldungen — bei einer solchen Selbstenthüllung fürderhin noch das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit seiner Politik aufrechterhalten können? Seine Politik ist auf der Annahme aufgebaut, daß die französische Politik europaorientiert sei. Wer es noch nicht wußte, hat durch die Debatte des französischen Parlaments über den Schumanplan und durch die penetrante Fortsetzung der schon von Bidault, dem Gründer der französischen CDU, begonnenen Saarpolitik einen brüsken, schmerzlichen Anschauungsunterricht erhalten. Es erweist sich, daß die Prämisse der Politik des Kanzlers eine Illusion ist: So ist seine ganze Konzeption im Begriff zusammenzubrechen.
Man will uns zwar stark nach dem Osten machen, uns ,,gleichzeitig aber — das ist die westalliierte Politik — schwach, geschäftsbeschränkt, bevormundet nach dem Westen halten.
Das ist Surrealismus der Politik. Es ist eine Rechnung, die niemals aufgeht.
So oft wir zu einem Ansinnen der anderen ja sagten, bekamen wir sehr bald darauf erneut und verstärkt Druck und Zwang des Besatzungsstatuts zu spüren. Das war so nach der Paraphierung und Ratifizierung des Petersberg-Abkommens, nach dem Eintritt in den Europarat, nach der Annahme den Thesen des Kommuniqués der New Yorker Außenministerkonferenz vom 12. September 1950, und das war so nach der Annahme des Schumanplans.
Der Herr Bundeskanzler möge in eine grundlegende Revision seiner Politik eintreten und von seiner bisherigen Methode ablassen. Die Fortsetzung seiner Methode würde unausweichlich eine schwere Erschütterung des Gefüges der Bundesrepublik, wahrscheinlich sogar Schlimmeres hervorrufen. Sein Kalkül entbehrt der festen Grundlage. Es ist spekulativ, es ist hypothetisch. Wir warnen die Bundesregierung, in der Frage des Verteidigungsbeitrags illegal zu verfahren. Im düsteren Aspekt eines etwaigen Bruderkriegs beschwören wir sie, nicht unmenschlich und unsittlich zu handeln.
'
Wir wollen nicht die ewige Wiederkehr des Gleichen. Wir wollen nicht wie Karthago im dritten punischen Krieg in einem dritten Weltkrieg untergehen. Unsere Aussichten und Hoffnungen, unser Glück und unsere Zukunft liegen in der Erhaltung des Friedens.
Für ihn lohnt es sich, das Höchste zu wagen und jede Möglichkeit der Politik auszuschöpfen.
Von dieser Einsicht und Notwendigkeit muß sich der Bundestag bei seinen Beschlüssen und Entscheidungen leiten und bestimmen lassen.