Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Ich mochte einige tatsächliche Irrtumer des Herrn Dr. Arndt sofort richtigstellen. Zunächst hat Herr Arndt gesagt, wörtlich nach dem Stenogramm:
Nach dieser Entscheidung
— die der Bundestag heute zu fällen habe —
kann der Herr Bundeskanzler in einer absehbaren Zukunft seine Unterschrift unter Verträge setzen, durch die unser deutsches Volk die Verpflichtung auf sich nimmt, seine Jugend als Soldaten zu bewaffnen, . . .
Herr Arndt ist Jurist und müßte wissen, daß diese Angabe, die er gemacht hat, falsch ist.
Von der Bundesregierung ist diesem Hause in keiner Weise eine Vorlage unterbreitet worden,
durch die die Bùndesregierung eine Vollmacht erhalten sollte. Herr Arndt als Jurist weiß ganz genau,
daß Verträge, die unterschrieben werden, rechtliche Gültigkeit erst bekommen, wenn sie vom Bundestag ratifiziert sind.
— Herr Bundestagspräsident, ich habe in der Zwischenzeit festgestellt, daß ich gestern während meiner Ausführungen 185mal von kommunistischer Seite unterbrochen worden bin. Wenn die Geschäftsordnung keine Möglichkeit bietet, dem Einhalt zu tun, dann möchte ich an Sie, meine Damen und Herren, doch die Bitte richten, mich so zu behandeln, wie Sie wünschen behandelt zu werden.
Ich muß dann gegenüber weiteren Ausführungen des Herrn Abgeordneten Arndt feststellen, daß, wie mir der amerikanische Hohe Kommissar Herr McCloy mitgeteilt hat, Herr Kollege Schumacher von ihm, als Korea kam, verlangt hat, es sollten sofort 60 bis 70 angelsächsische Divisionen in Deutschland stationiert werden.
— Meine Damen und Herren, ich bin bei der Unterredung zwischen Herrn Dr. Schumacher und Herrn McClöy selbstverständlich nicht anwesend gewesen. Ich kann Ihnen nur das sagen und habe Ihnen also nur das gesagt,
was mir noch vor kurzer Zeit Herr McCloy mitgeteilt hat.
Herr Dr. Arndt hat dann die Behauptung aufgestellt, ich hätte mich durch ein Schreiben an die Hohe Kommission vom 29. August 1950 zu militärischen Leistungen bereit erklärt. Ich habe mir in der Zwischenzeit dieses Memorandum vom 29. August holen lassen
und möchte Ihnen die Teile, die diese Frage behandeln, wörtlich verlesen:
1. Die Entwicklung im Fernen Osten hat innerhalb der deutschen Bevölkerung Beunruhigung und Unsicherheit ausgelöst. Das Vertrauen, daß die westliche Welt in der Lage sein würde, Angriffshandlungen gegen Westeuropa rasch und wirksam zu begegnen, ist in einem besorgniserregenden Ausmaß im Schwinden begriffen und hat zu einer gefährlichen Lethargie der deutschen Bevölkerung geführt.
2. Der ganze Ernst der Situation ergibt sich aus der Betrachtung der in der Ostzone versammelten sowjetischen Kräfte und der dort in beschleunigtem Aufbau befindlichen Volkspolizei. Nach bestätigten Informationen befinden sich im Raum der Ostzone an sowjetischen Truppen zur Zeit 2 Armeen schneller Truppen mit zusammen 9 motorisierten Divisionen, 4 Panzerarmeen mit zusammen 13 Divisionen, insgesamt also 22 motorisierte und Panzerdivisionen.
Die Divisionen, zu 10- bis 12 000 Mann gerechnet, sind personell voll aufgefüllt und verwendungsbereit auf den Sommerübungsplätzen versammelt. Sämtliche Führungsstäbe sind vorhanden. Die Mobilmachungsausrüstung, Munition, Betriebsstoff, Fahrzeuge, Marschverpflegung usw. ist in den Händen der Truppe, die innerhalb 24 Stunden in Marsch gesetzt werden kann. Diese sowjetischen Armeen stehen auf der Linie Neustrelitz — Döberitz — Berlin — Wittenberg — Grimma — Harz.
— Die hatten Sie damals noch nicht!
Der Aufmarsch zeigt in vorderer Linie die motorisierten schnellen Truppen, dahinter in zweiter Linie die schweren Panzerverbände mit dazwischenliegenden besonderen Artillerie- und Flakeinheiten. Dieses Bild muß als ein ausgesprochener Offensivaufmarsch bezeichnet werden.
Die Zahl der einsatzbereiten Panzer muß mit 5000 bis 6000 angenommen werden.
Die sowjetische Jagdluftwaffe befindet sich in rasch zunehmender Umbewaffnung auf Turbo-Jäger modernster Bauart. Bei gleichbleibendem Tempo der Umbewaffnung muß zur Zeit mit 300 Turbo-Jägern, Ende September mit etwa 500 gerechnet werdén. Der , Ausbau der Jägerflugplätze in der Ostzone für die Benutzung durch Turbo-Jäger ist bereits weitgehend durchgeführt. Im Raum südlich Berlin werden zur Zeit mehrere Flugplätze mit Startbahnen für Langstreckenbomber ausgestattet. Aus dieser Tatsache kann auf die sowjetische Absicht geschlossen werden, demnächst auch Verbände der strategischen Luftwaffe, die bisher im Innern Rußlands versammelt waren, in die Ostzone vorzuziehen.
Dies würde als weiteres ausgesprochenes Zeichen offensiver Absichten gewertet werden müssen.
Neben diesen außerordentlich starken sowjetrussischen Kräften macht der Aufbau der Volkspolizei in der Ostzone in den letzten Monaten besondere Fortschritte. Dabei ist ihre Entwicklung von der Polizei zur Polizei-Armee bemerkenswert. In den letzten Monaten wurden zirka 70 000 Mann aus der allgemeinen Polizei der Ostzone herausgelöst, in militärähnlichen Formationen organisiert und militärisch ausgebildet.
Diese aus dem allgemeinen Polizeiverband gelösten Einheiten sind in Bereitschaften und Schulen gegliedert. Ende Juli wurden bereits 12 000 Mann in die neue erdgraue Felduniform eingekleidet. Die Bereitschaften der Volkspolizei, von denen zur Zeit 45 in allen Einzelheiten erfaßt sind, umfassen jede etwa 1000 Mann. Sie erhalten weder polizeiliche Ausbildung noch ist ihr polizeilicher Einsatz geplant; vielmehr werden sie ausgesprochen militärisch ausgebildet.
Es sind ferner mit allen Einzelheiten erfaßt 15 Waffenschulen. Weitere Schulen befinden sich im Aufbau. Diese Schulen dienen der Ausbildung von Unterführern und Offizieren. Sie besitzen jede eine Stärke von 1000 bis 1500 Mann. Es bestehen außerdem Spezialschulen für die Ausbildung höherer Führer, von Propagandaoffizieren und für die Ausbildung an schweren Waffen. Diese Schulen bilden das Kernstück dieser Polizei-Armee. Die Bewaffnung der Volkspolizei-Bereitschaften besteht überwiegend aus leichten Infanteriewaffen. Eine volle Motorisierung ist geplant, jedoch mangels Materials noch nicht durchgeführt. Die Planung für die Weiterentwicklung der Volkspolizei sieht eine Gliederung in 5 Gruppenkommandos zu je 2 Gruppen, eine Panzerdivision und eine motorisierte Infanteriedivision vor. Die Gruppen werden nach dem vorgesehenen Organisationsschema genau das Aussehen sowjetischer Heeresdivisionen tragen.
Als Gegenkräfte stehen in Westdeutschland diesem Gegner je 2 amerikanische und britische Divisionen und einige französische Verbände gegenüber. Die Bundesregierung verfügt, wenn man von den schwachen Kräften des Zollgrenzdienstes absieht, über keine Kräfte. In der britischen Zone gibt es eine Polizei, die auf kommunaler Basis organisiert ist. Sie ist weder einheitlich ausgebildet noch einheitlich ausgerüstet. Sie besitzt keine angemessenen Waffen. Sie verfügt lediglich über eine beschränkte Zahl von Pistolen und einige Karabiner. Automatische Feuerwaffen, insbesondere Maschinenpistolen, fehlen, da sie nicht zugelassen sind. In den Ländern der amerikanischen und französischen Zone gibt es eine Polizei, die teilweise staatlich organisiert ist. Sie ist aber in kleinste Gruppen zu je 4 bis 5, höchstens 10 Mann über das jeweilige Landesgebiet verteilt. Ihre Bewaffnung und Ausbildung ist ähnlich derjenigen der Polizei in der britischen Zone. Für einen Ein-
Satz gegen einen Eingriff der Volkspolizei sind die Polizeikräfte völlig unzureichend, da sie, zahlenmäßig schwach, weder über eine entsprechende Waffenausbildung noch über Ausbildung in geschlossenem Einsatz verfügen. Sie sind auch nicht in der Lage, einen wirksamen Schutz an der Ostzonengrenze zu bilden, die in ihrer außerordentlichen Länge besondere Anforderungen stellt. Das Problem der Sicherheit des Bundes stellt sich zunächst unter dem äußeren Gesichtspunkt. Die Verteidigung des Bundes nach außen liegt in erster Linie in den Händen der Besatzungstruppen. Der Bundeskanzler hat wiederholt um die Verstärkung dieser Besatzungstruppen gebeten und erneuert diese Bitten hiermit in dringendster Form; denn die Verstärkung der alliierten Besatzungstruppen in Westeuropa kann allein der Bevölkerung sichtbar den Willen der Westmächte kundtun, daß Westdeutschland im Ernstfall auch verteidigt wird.
Der Bundeskanzler hat ferner wiederholtseine Bereitschaft erklärt, im Falle der Bildung einer internationalen westeuropäischen Armee einen Beitrag in Form eines deutschen Kontingents zu leisten.
— Warten Sie ab! Warten Sie doch mal ab, meine Damen und Herren!
Damit — —
Damit ist eindeutig zum Ausdruck gebracht,
daß der Bundeskanzler eine Remilitarisierung Deutschlands durch Aufstellung einer eigenen nationalen militärischen Macht ablehnt.
Die Bundesregierung schlägt vor, umgehend auf Bundesebene eine Schutzpolizei in einer Stärke aufzustellen, die eine ausreichende Gewähr für die innere Sicherheit zu bieten vermag. Die Bundesregierung ist sich darüber im klaren, daß eine solche Schutzpolizei nur im Wege über ein verfassungänderndes Gesetz aufgestellt werden kann.
Sie ist bereit — —
Sie ist bereit, einen entsprechenden Gesetzentwurf sofort den gesetzgebenden Körperschaften vorzulegen.
Meine Damen und Herren, dieses Memorandum ist das -Ergebnis einer langen Aussprache in der Hohen Kommission. In der Hohen Kommission war den Deutschen zum Vorwurf gemacht worden — insbesondere von französischer Seite —, daß wir_ darauf ausgingen, eine deutsche nationale Armee zu schaffen,
und der Satz, den ich da angeführt habe, brachte ganz klar zum Ausdruck, daß wir keine deutsche nationale Armee schaffen wollen.
Was ich aber vorgeschlagen habe, war die Bildung einer Schutzpolizei,
einer Schutzpolizei, die, da die Polizei im Grundgesetz ausdrücklich den Ländern zugewiesen worden ist,
nur auf Grund eines verfassungändernden Gesetzes auf Bundesebene möglich ist.
Ich bin dem Herrn Abgeordneten Arndt für seine Rede deshalb dankbar, weil ich hier einmal der gesamten deutschen Öffentlichkeit ein Bild davon habe geben können, in welcher Gefahr die Bundesrepublik seit Jahr und Tag schwebt.
Derjenige, der gegenüber einer solchen Bedrohung unseres Landes und unserer Bevölkerung erklärt, daß er nicht bereit sei, einen Beitrag zu dieser Verteidigung zu leisten, der soll sich vor seinem Gewissen und vor dem deutschen Volke dafür verantworten!