Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß doch zunächst, bevor ich auf die Anträge eingehe, folgendes zum Ausdruck bringen. Ich glaube nicht, daß der Herr Staatssekretär Sonnemann das Recht hat, an Abgeordnete Zensuren zu erteilen.
Das ist eine ganz allgemeine Feststellung und gilt auch, wenn sich in diesem Fall die Zensur auf einen kommunistischen Abgeordneten bezogen hat, der es ja nun — das wissen wir alle — versteht, von der Maul- und Klauenseuche zum Schluß auf den „imperialistischen Krieg" zu kommen. Aber davon abgesehen: es steht einem Staatssekretär nicht zu, Zensuren an Parlamentarier zu erteilen.
Ich möchte nur zu einem Teil der vorliegenden vier Anträge sprechen, zu dem noch gar nichts gesagt worden ist, zu dem auch der Herr Staatssekretär kein Wort gesprochen hat, nämlich zu dem Teil der Anträge, der sich auf die Schädlingsbekämpfung in der Bundesrepublik bezieht.
Hinsichtlich des Problems der Maul- und Klauenseuche darf ich im Namen meiner Fraktion erklären, daß wir uns den Ausführungen des Kollegen Dr. Horlacher durchaus anschließen können und auf dieser Basis im Ausschuß zusammenarbeiten werden.
Es ist das zweite Mal, daß sich das Parlament mit einer etwas außergewöhnlichen Frage, eben mit dieser Frage der schädlings- und seuchenbekämpfung, beschäftigt. Das erste Mal ging es um die Beantwortung der Anfrage Nr. 226 vom 6. November 1951. In dieser Anfrage wünschte die sozialdemokratische Fraktion von der Bundesregierung eine Antwort, welche Maßnahmen zur Bekämpfung des Buchenprachtkäfers getroffen werden. Der Buchenprachtkäfer, der in einem außergewöhnlich starken Ausmaß im Süden der Bundesrepublik aufgetreten ist und dort erhebliche Verwüstungen anzurichten droht, war ein der Land- und Forstwirtschaft bis dahin fast unbekanntes Insekt. Die Antwort, die die Bundesregierung auf diese Anfrage erteilt hat — und ich meine, auch solche Anfragen, die nicht alltäglich sind, müssen ernst genommen werden —, war nach meiner Ansicht mehr als dürftig. Diese Antwort ist auf Drucksache Nr. 2879 am 28. November 1951 erteilt worden. Ich habe mich aus einem persönlichen Interesse, das ich diesen Dingen entgegenbringe, etwas mehr um diese Fragen gekümmert und insbesondere von den südwürttembergischen land- und forstwirtschaftlichen Stellen Auskünfte bekommen, die sich in keiner Weise etwa mit denen in der Antwort des Bundesernährungsministeriums decken.
Ich sagte schon, daß dieser Käfer bis dahin ein unbekanntes Insekt gewesen ist. Aber die Sache ist ernster. Daher reicht diese Feststellung allein nicht aus. Denn es sind immerhin 260 000 Festmeter Holz befallen. 260 000 Festmeter Holz, das ist doch keine Kleinigkeit! In der Antwort der Bundesregierung heißt es: Es ist uns bekannt, daß das der Fall ist; die Schäden, von denen gesprochen wird oder die vermutet werden, sind nicht groß, denn der Buchenprachtkäfer hat nur hiebreife Buchen befallen, und das Holz wird sowieso geerntet, das fällt ja sowieso an. — In Wirklichkeit — sagen die Forstleute in Südwürttemberg — ist es aber gar nicht so; denn der Umfang des Schadens ist überhaupt noch unbekannt und zur Zeit auch gar nicht feststellbar. Und das scheint mir auch richtig zu sein. Eine Grundlagenforschung auf diesem Gebiete, eine Forschung in der Chemie und in der Biologie gibt es überhaupt noch nicht. Wenn solche Forschungen angelaufen sein sollten, so sind
sie doch in keiner Weise abgeschlossen. Daher stehen auch Forstwissenschaft und die Wissenschaft, die sich auf landwirtschaftlichem Gebiete mit diesen Dingen befaßt, in dem Fall Buchenprachtkäfer noch vor einem Rätsel.
Übrigbleiben wird nun eine Bekämpfung durch Gift in einem Umfange, daß man wegen der Folgen Angst bekommen muß. Infolge einer so radikalen Vergiftung werden pro Hektar und Jahr etwa 300 DM Kosten entstehen. Es gibt für diese Großaktion überhaupt noch keine Geräte; man muß also noch Geräte konstruieren und anfertigen, um eine so große Aktion durchführen zu können. Das Allerschlimmste bei dieser Betrachtung aber ist, daß, wie die Fachleute übereinstimmend erklären, der Erfolg keineswegs sicher ist!
Hinzu kommt — und das ist mir das größte Anliegen, ja das hat mich überhaupt hier auf diese Tribüne gebracht —, daß mit einer so großangelegten Vergiftung, wie das hier unter Umständen nötig wird, eine völlige Vernichtung der gesamten Insektenwelt auf dieser Fläche eintritt. Es werden also nicht nur Schadinsekten vergiftet und abgetötet, nein, auch alle nützlichen Parasiten, alle natürlichen Feinde dieser Insektenwelt. Die Ursache dieser Kalamität — so wird von seiten der württembergischen Forstverwaltung gesagt — liege in den ungewöhnl chen Wetterverhältnissen, insbesondere in der Dürre der Jahre 1947 bis 1949. Das wollen die ,.Fachleute" nicht glauben. Sie glauben vielmehr, daß das nicht die tatsächliche Ursache ist. Denn — so sagen sie — das hat es früher auch schon gegeben, wir haben auch früher schon dürre Jahre .und ähnliche klimatische Verhältnisse gehabt.
Die wirkliche Ursache liegt, so glaube ich, sicher viel tiefer. Sie liegt einmal darin, daß zwar nicht n u r in diesem Gebiete, aber vielleicht in diesem Gebiete ganz speziell der Wasserhaushalt restlos gestört, um nicht zu sagen zerstört worden ist. Die wirkliche Ursache liegt weiter darin, daß die natürlichen Feinde in einer Weise abgenommen haben, die noch gar nicht zu übersehen ist, und daß für die Vermehrung der natürlichen Feinde dieser Schadinsektenwelt so gut wie gar nichts getan wird, daß man heute alles Heil in Gift sucht und von nützlichen Vögeln, von Waldameisen, von Schlupfwespen und dergleichen anscheinend gar nichts weiß. In den deutschen Wäldern herrschen überhaupt keine natürlichen Verhältnisse mehr. Wir kennen doch nur noch den Begriff ,,Forsten" und nicht mehr den Begriff „Wald". Alles wird doch l'e'ite ausgerichtet nach dem sogenannten Nützlichkeitsprinzip, das am Ende aber gar kein Nützlichkeitsprinzip mehr ist. Das zur Einleitung und vielleicht zur Erklärung unserer Absicht, die Bundesregierung zu einer etwas stärkeren Beweglichkeit in diesen Fragen anzuregen, sowie zu dem Thema Buchenprachtkäfer.
Nun zu dem Antrag Horlacher und Genossen. Der Antrag horlacher und Genossen will, daß die Bundesregierung beweglicher wird, daß sie sich mit den Ländern der Bundesrepublik ins Benehmen setzt, um rechtzeitig — rechtzeitig, darauf kommt's doch an, Herr Kollege Horlacher — stärker auftretenden pflanzlichen Schädlingen und, wie Sie weiter wollen. tierischen Seuchen durch geeignete und zentrale Abwehrmaßnahmen — Bund, Länder und darüber hinaus europäische Organisationen — zu begegnen.
Gestatten Sie mir hierzu ein paar grundsätzliche Bemerkungen. Durch die ständigen Eingriffe der
Menschen in die Natur ist das biologische Gleichgewicht gestört worden. Das ist eine Tatsache, die niemand bestreiten kann. Durch die Land- und forstwirtschaftliche Kultur in der Jetztzeit und in den jetzt betriebenen Formen müssen die biologischen Zusammenhänge einfach zerrissen werden. Die Folge einer solchen willkürlichen Zerreißung der biologischen Zusammenhänge sind nun einmal derartige Schädlingsplagen, wie wir sie im Falle des Buchenprachtkäfers erlebt haben und wie wir sie — ich bin fest davon überzeugt — an anderem Ort gelegentlich wieder erleben werden. Was die Menschen heute treiben, entspricht nur scheinbar dem Nützlichkeitsprinzip. Es bringt uns kein Stück weiter, und am Schluß steht dann immer die Kalamität, am Schluß steht dann die Bekämpfung mittels Gift.
Ich darf Sie vielleicht mit ein paar Zahlen bekanntmachen. Die Kartoffelkäferbekämpfung, eine sehr wichtige Angelegenheit in Deutschland — und es gibt wohl keinen Menschen, der nicht von der Wichtigkeit überzeugt wäre —, kostet pro Jahr 25 Millionen DM, die Bekämpfung der San José-Schildhaus kostet den Steuerzahler pro Jahr 1 bis 2 Millionen DM. Wenn dabei ein Dauererfolg möglich wäre, — einen Dauererfolg gibt es aber nicht. D'ese Gelder müssen jedes Jahr wieder neu aufgebracht werden.
Am meisten bedaure ich den folgenden Umstand. Die Praxis zeigt, daß eine Grundlagenforschung für die Schädlingsbekämpfung noch nicht den Stand erreicht hat, der notwendig wäre, um die Anwendung dieses hochpotenzierten Giftes überhaupt zu rechtfertigen. Die chemischen Gifte, die heute Anwendung finden, wirken nicht selektiv und zerstören in weitem Ausmaße — das habe ich schon gesagt — andere Lebewesen, die einfach erforderlich sind, insbesondere auch Lebewesen im Boden, die für die Humusbereitung so außerordentlich wichtig sind, Parasiten und Raubinsekten, wie ich schon ausgeführt habe. Ich glaube, man sollte jetzt damit beginnen einen anderen Weg zu beschreiten, und sollte nicht auf dem bisherigen „bequemen" Weg verbleiben. Man sollte jetzt an die biologischen Schädlingsbekiimpfungsmethoden her-angeben. Hierzu wäre eine Grundlagenforschung nötig, wie sie in den übrigen Teilen Europas, insbesondere aber n Amerika schon seit 15 Jahren betrieben wird. Die Erfahrungen im Ausland sind außerordentlich wertvoll. Man sollte nun damit anfangen, diese Erfahrungen zu sammeln und auszuwerten. In Deutschland haben wir kein Institut. Wir haben eine Biologische Bundesanstalt, und ich empfehle Ihnen, den Bericht dieser Biologischen Bundesanstalt für das Jahr 1950 einmal sorgfältig zu lesen. In diesem Bericht über das Jahr 1950 werden Sie über biologische Schädlingsbekämpfung so gut wie nichts finden, weil auf dem Gebiet von dieser Anstalt nach meiner Meinung so gut wie nichts getan wird; einen anderen Schluß kann ich nicht ziehen. Sie werden das Wort ,.Biologie" nur einmal finden, und zwar in der Firmenbezeichnung dieser Anstalt. Das scheint mir keine gute und ausreichende Sache zu sein.
Nun wissen wir, daß der Aufbau der Bundesrepublik eine planmäßige Forschungsarbeit stark behindert. Das ist eine große Schwierigkeit, vor der wir einfach rein verwaltungsmäßig und verfassungsmäßig stehen. Im Bundesernährungsministerium werden Fragen der Schädlingsbekämpfung bearbeitet, und man beschäft gt sich damit. Man behandelt aber diese Fragen heute noch getrennt, einmal für die Landwirtschaft und einmal für die
Forstwirtschaft. Das scheint mir ein unhaltbarer Zustand zu sein, sowohl vom Organisatorisch- Verwaltungsmäßigen her wie auch in der Sache. Das Ministerium sollte sich überlegen, wieweit hier eine Zusammenfassung und eine Zusammenarbeit möglich ist. Hinzu kommt, daß nach meinen Feststellungen die forstwirtschaftliche Seite erheblich zu kurz gekommen ist. Für die forstwirtschaftliche Seite muß mehr getan werden. Ich brauche Sie nur daran zu erinnern, daß wir heute in der Bundesrepublik noch rund 20 Millionen Festmeter borkenkäfergefährdetes Holz stehen haben. Diese Tatsache scheint mir ausreichend zu sein, um das Ministerium dazu anzuhalten, der forstwirtschftlichen Seite etwas mehr Interesse entgegenzubringen.
Ich darf jetzt zum Schluß kommen und zusammenfassen. Nach meiner Meinung muß folgendes gefordert werden: Aktivierung der biologischen Grundlagenforschung und Verbreitung der gewonnenen Erkenntnisse und der praktischen Ergebnisse unter der interessierten Bevölkerung, insbesondere natürlich unter der bäuerlichen Bevölkerung, Lehrer für den wissenschaftlichen Nachwuchs, Gleichstellung — und darauf möchte ich das Schwergewicht legen — der nichtchemischen und biologischen Bekämpfungsmethode mit der chemischen Methode, Einsatz von Bundesmitteln auch für die biologische Grundlagenforschung und die daraus resultierenden Bekämpfungsmethoden, staatliche Unterstützung von Naturschutz ganz allgemein, speziell von Vogelschutz, Windschutz usw. und Förderung einer entsprechenden Landschaftsgestaltung; das sind alles Dinge, die zusammengehören. Außerdem ist, wenn wir die ganze Frage jetzt einmal vom Grund her anpacken wollen, eine Beteiligung der Humanmedizin an diesen Fragen zu fordern. Wir müssen weiter eine Rationalisierung der chemischen Bekämpfung dahingehend fordern, daß nur mit zur Zeit unentbehrlichen Giften, nur am günstigsten Ort und zu den günstigsten Zeitpunkten in der geringestmöglichen Menge gearbeitet werden darf und auch nur dann, wenn diese Mittel von der Biologischen Bundesanstalt anerkannt sind. Es ist kein Geheimnis. daß es heute etwa 1 000 Schädlingsbekämpfungsgifte gibt und daß in der chemischen Industrie auf diesem Sektor Gewinnspannen von 500 bis 1 000 % keine Seltenheit sind.
Zu fordern ist nach meiner Überzeugung weiter die Beauftragung eines Gremiums von fünf bis sechs erfahrenen Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis. Dieses Gremium, das wir zusammenstellen müßten, hat sich einen Arbeitsplan für die Grundlagenforschung zu machen, und dieses Gremium müßte die Arbeiten auf vorhandene Institute verteilen. Es müßte die Ergebnisse sammeln und koordinieren und müßte sie an das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie an die Länder weiterleiten. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten muß diese Arbeiten geldlich unterstützen, die Länder haben die Arbeiten durchzuführen. Das Ziel der gesamten Bekämpfung muß eine Synthese zwischen der wirtschaftlichen Forderung nach höchster Rentabilität der Land- und Forstwirtschaft und der Landschaftshygiene sein. So wie die Humanmedizin durch die Hygiene große Erfolge bei der Seuchenbekämpfung hat, muß auch die Pflanzenmedizin durch Hygiene vorbeugen und heilen. Ein gesund aufgebauter und gepflegter Dauerwald z. B. ist schädlingsfester als ein gleichartiger, im Kahlschlagverfahren bewirtschafteter Bestand, ebenso ein unter günstigem Windschutz liegender Acker. Auf den Ergebnissen der biologischen Grundlagenforschung aufbauend, hat die angewandte Wissenschaft in Zusammenarbeit mit der Praxis direkte Bekämpfungsmethoden zu entwickeln. Ich weiß, daß auf Gift nicht verzichtet werden kann, zum mindesten nicht restlos verzichtet werden kann; es sollte jedoch nicht einseitig angewandt werden, und es sollten nur die Mittel noch angewandt werden, die nach den Ergebnissen der Grundlagenforschung sinnvoll sind.
In das von mir angedeutete und geforderte Gremium sollte man nur solche Persönlichkeiten berufen, die das praktische Ziel im Auge behalten und die nicht für ihre Privatinstitute besondere Vorteile herausschlagen wollen. An den vom Gremium zu vergebenden Aufgaben müssen beteiligt werden Universität, Länderinstitute, Biologische Bundesanstalt, Pflanzenschutzämter, im Rahmen der Erprobung Vogelwarten und Vogelschutzwarten. Es soll kein neues Institut gegründet werden, keine Überorganisation erfolgen. Es müssen jedoch Stellen an den vorhandenen Instituten bewillig t werden, um Nachwuchs heranzubilden.
Ich bitte vielmals um Entschuldigung, wenn ich diese Dinge etwas breiter ausgeführt habe. Ich halte sie für außerordentlich bedeutungsvoll und wichtig und gebe dem Wunsch und der Hoffnung Ausdruck, daß auch Sie es tun. Die Sache ist wirklich ernst, und wir sollten diese Fragen gründlich und mit dem nötigen Ernst im Ausschuß erörtern. Ich möchte, wenn mir Herr Kollege Dr. Horlacher beipflichtet, anregen, daß wir im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einen Unterausschuß bilden und daß dieser Unterausschuß sich Sachverständige als Gutachter beschaffen kann, damit diese Fragen dann wirklich einer Erledigung zugeführt werden.