Rede von
Heinrich Georg
Ritzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure zunächst, daß das Hohe Haus Gelegenheit genommen hat, bei diesem wichtigen Punkt der Tagesordnung die Redezeit auf die Hälfte herabzusetzen. Es handelt sich hier um Milliardenbeträge. Da wäre es freilich nützlicher gewesen, wenn sich ein vollbesetztes Haus
Rechenschaft über die Dinge gegeben hätte, um die es hier geht, und wenn es auch Gelegenheit hätte nehmen können, dieser mutigen, tapferen Denkschrift der Bundesregierung die nötige Beachtung zu schenken; aber offensichtlich fehlt sie in weiten Teilen des Hauses. Ich kann nur hoffen, daß die Besatzungsbehörden keine falschen Schlüsse daraus ziehen.
Wir stehen vielleicht bald vor der Ablösung des Besatzungsstatuts. Es könnte die Frage aufgeworfen werden, ob es überhaupt noch nötig und nützlich sei, über die Dinge zu reden. Ich habe den Eindruck, daß wir noch lange an den Problemen kranken werden, wenn nicht ein wirklicher Gesundungsprozeß, der durch eine echte, ehrliche Zusammenarbeit erzielt werden könnte, eingeleitet und durchgesetzt wird.
Dieser Gesundungsprozeß kann sich nicht nur auf die Bundesregierung und die Besatzungsbehörden beziehen, sondern er muß sich auch auf die Länder und die Gemeinden beziehen. Wir wissen aus den Darlegungen im Haushaltsausschuß, daß insbesondere auf dem Gebiete der Gemeindemitarbeit einige Bedenken und Nachteile zu verzeichnen sind.
Wir von der sozialdemokratischen Fraktion wünschen, daß vor allem drei Gesichtspunkten Rechnung getragen wird, einmal der erwähnten besseren Zusammenarbeit, dann den gegebenen Sparmöglichkeiten und einer besseren Kontrolle, Sparmöglichkeiten auf dem Gebiete der Zivilverwaltung und der Militiärverwaltung der Alliierten und bessere Kontrolle auf allen Gebieten, insbesondere aber bei der Vergebung von Aufträgen.
Wir haben keinen Zweifel, daß bei Teilen der Alliierten der gute Wille vorhanden ist. Es liegen auch gewisse Beweise dafür vor. Wir haben aber ebensowenig Zweifel daran, daß sich — vielleicht auf Grund der Verantwortung einzelner, die ihre Kompetenzen überschritten haben mögen — Dinge ereignet haben, die ins gute Tuch gehen und die wir vom Standpunkt der deutschen Volkswirtschaft und des deutschen Elends nicht ohne Kritik passieren lassen dürften.
Der amerikanische Hohe Kommissar hat seine Bereitwilligkeit erklärt, in gewissen Fragen — wie es heißt — einer Zusammenarbeit mit deutschen Stellen zuzustimmen. Der Herr englische Kommissar bzw. die Regierung Großbritanniens haben erklärt, daß sie einen Sparkommissar eingesetzt haben. Und die französische Regierung hat — ich zitiere aus dem Bericht — eine Rechnungsprüfungskommission und neuerdings eine rein französische Sondersparkommission eingesetzt. Nun, gebrannte Kinder scheuen das Feuer! Wir haben auf diesem Gebiet reichlich Lehrgeld gezahlt. und wir möchten so klar. wie nur möglich den Wunsch zum Ausdruck bringen, daß eine ehrliche Zusammenarbeit zwischen den Beauftragten der Alliierten und den Beauftragten der Bundesregierung zustande kommt, nicht nur in gewissen Fällen, sondern ganz generell.
Wir haben dafür zwei Hauptgründe. Der eine ist materiell. der andere politisch. Der materielle Grund besteht in der Feststellung, die einmal etwa vor Jahresfrist mein Fraktionskollege Herr Professor Dr. Baade zum Ausdruck gebracht hat, als er erklärte, daß nach den gewissenhaften Feststellungen statistischer Stellen ein Viertel des Gesamtaufwands Verteidigungszwecken und drei Viertel anderen Zwecken dienten. Ich glaube, eine derartige Feststellung, die auch untermauert werden kann, sollte eigentlich zum Auf-. sehen mahnen und Veranlassung dafür sein, daß hinsichtlich des Zustandekommens der Besatzungskosten, die das deutsche Volk zu tragen hat, an Haupt und Gliedern eine gründliche Revision
erfolgt.
Der politische Grund, den wir haben, besteht in einer sehr einfachen Feststellung. Übermorgen schreiben wir den 8. Februar. Damit sind sechs Jahre und neun Monate seit dem Waffenstillstand vom 8. Mai 1945 verflossen. Wir glauben, daß es an der Zeit ist, daß man nunmehr, nachdem das deutsche Volk auf anderen Gebieten heftig umworben wird, dem deutschen Volk auch auf diesem Gebiete einer ungerechtfertigten Belastung endlich einmal jene Gerechtigkeit angedeihen läßt, auf die es einen moralischen, einen politischen und einen menschlichen Anspruch erhebt und hat.
Wir unterscheiden zwischen echten und unechten Besatzungskosten. Wir konstatieren nach dem Etat des Jahres 1951 eine Besatzungslast von 7 Milliarden 658 Millionen DM. Wenn Sie sich einmal vergegenwärtigen wollen — ich bitte den Herrn Präsidenten um die Erlaubnis, einige Zahlen zu zitieren —, was das bedeutet, dann darf ich in Erinnerung rufen: das Bulletin der Bundesregierung hat diese dankenswerte Zusammenstellung in Nr. 50 gebracht — ich empfehle sie Ihrem an-gelegentlichen Studium —, aus der sich ergibt, daß von der gesamten Ausgabe des Bundeshaushalts 1951 die eben erwähnten 7,6 Milliarden 40,2 % darstellen.
Sie werden das Größenverhältnis erst recht erkennen kennen, wenn Sie berücksichtigen, daß beispieisweise im gleichen Haushalt die Finanzhilfe für Berlin mit 2,1 % berechnet wird und erscheint, und wenn Sie den Riesenumfang der Soziallasten laut Bundeshaushalt zum Vergleich heranziehen. Ich erinnere an die Tatsache, daß wir — hauptsächlich auf Grund zweier Weltkriege — etwa 15 Millionen Rentenbezieher haben und daß der gesamte Sozialetat des Bundeshaushalts 39,3 % oder 7,4 Milliarden umfaßt. Also die Besatzungskosten sind noch erheblich höher als der gesamte Sozialetat.
Ich will wegen der Kürze der Zeit darauf verzichten, Ihnen andere Vergleichszahlen zu bringen. Aber ich glaube, dab diese Starrheit, die unserem Etat allein durch diesen Posten mit über 40 % verliehen wird, Beweis genug dafür ist, daß wir zwingende Veranlassung haben -- auch unter etwa veränderten Verhältnissen der Zukunft —, darauf zu drangen, daß hier eine Revision an Haupt und Gliedern eintritt. Diese Revision hat tausend Möglichkeiten, ob sich das um die Lampen für Unteroffizierswohnungen handelt, in denen nicht eine gewöhnliche Tischlampe für 30 Mark genügt, sondern eine handgefertigte Lampe für 200 bis 250 Mark notwendig ist, oder ob es sich beispielsweise in Köln-Marienburg um Villen für Offiziere handelt, bei denen eine 150 000 bis 200 000 Mark
und die Wohnungseinrichtung 40 000 Mark kostet,
ob es sich um einen Mißbrauch von Wohnungen
handelt in Fällen, wo — ich zitiere aus dem Haushaltsausschuß — zwei Personen 10 bis 13 Zimmer
oder drei Personen 15 Zimmer benützen, oder ob es sich um einen Bedienungsmißbrauch handelt, wenn drei Engländer in einer großen Wohnung acht deutsche Bedienstete benötigen,
oder ob es sich darum handelt, die Zahl in Erinnerung zu rufen, die der Herr Berichterstatter bereits genannt hat, nämlich daß 452 874 Deutsche als Personal für die Besatzungsmacht benötigt werden, oder ob es sich darum handelt, festzustellen, daß ein Teilchen, ein Quentlein dieser mißbräuchlichen Entwicklung nun dadurch abgestellt worden ist, daß die Dienstrnädchenkosten wenigstens zum Teil auf die Hausherren und Haushaltungsvorstände übertragen worden sind.
Alles, meine Damen und Herren, kommt letzten Endes darauf hinaus, daß eine scharfe kritische Prüfung Platz greifen muß, auch gegenüber den Bedürfnissen des Herrn Generals,
der 4,5 cbm getrockneter Wasserflöhe benötigt.
Ich habe im Haushaltsausschuß gefragt: Für was? — Für Goldfische! Ich habe mich erkundigt, welches Format die Goldfische haben. Etwa das eines Haifisches? — Stimmt nicht, sind normale Gold-. fische, die aber anscheinend mit 4,5 cbm getrockneter Wasserflöhe einen Notvorrat angelegt bekommen! Oder aber eine Lady, die für 202 DM Parfüm braucht! Oder wenn auf Kosten des Besatzungshaushalts Kinderwageneinlagen, Damenschlafanzüge oder zur Sicherheit der Besatzungstruppen Damenreitsättel beschafft werden! Kurzum, es sind eine Fülle von Dingen, die, wie ich wiederholen möchte, zum Aufsehen mahnen.
Auch gewisse andere Ausgaben könnten eingespart werden. Bei meinen zwangsläufigen Autofahrten erfreue ich mich durchaus nicht immer des Anblicks der amerikanischen Militärpolizei, die die Landstraßen sicher macht, der Militärpolizei, die bei der Verkehrskontrolle an die Stelle der deutschen Polizei tritt. Ich könnte mir auch denken — erst heute morgen habe ich im Haushaltsausschuß um deswillen reklamiert —, daß die Möglichkeit bestünde, gewisse Ausgaben zu ersparen, die die Herren Hohen Kommissare verursachen und die entstehen bei der Ausübung von Grenzkontrollen, bei der Ausfüllung völlig überflüssiger Grenzkontrollkarten zum Zwecke der Information der Hohen Kommission durch deutsche Zöllner. Hier könnte bestimmt erheblich eingespart werden. Das gleiche gilt für die Einschränkung und Unterlassung der Briefzensur, der Telefonzensur und was dergleichen Schönheiten mehr sind.
In dem Bulletin Nr. 62 sind eine ganze Reihe von Fällen erwähnt, in denen die Kostenvoranschläge weit überschritten worden sind. Ich empfehle dieses Bulletin Ihrer Aufmerksamkeit. Ich will es hier nicht verlesen, aber ich will Sie mit der neuesten Entwicklung in der französischen Zone bekanntmachen. Dort werden Bauten mit einer Bauzeit von drei Monaten durchgehetzt mit Zuschlägen bis zu 100 %,
mit Vertragsstrafen, die die Unternehmer bereits so weit gebracht haben, daß sie diese Vertragsstrafen zur Sicherheit schon in die Kalkulation miteinbeziehen.
Ich möchte auch, ähnlich wie Herr Bausch, nur auf Grund einiger Tatsachen auf die Beanspruchung der Wohnungen hinweisen. Vor mir liegen Briefe: Wie lange soll die Beschlagnahme dieses Hauses und die Rechtlosigkeit der Geschädigten noch dauern? Denkt man erst an eine Übergabe nach völliger Ruinierung, auf daß wir dereinst
unser mit großer Mühe, viel Fleiß und größter finanzieller Belastung erstelltes Einfamilienhäuschen erst als Wrack zurückerhalten? Oder andere Dinge, die mir noch heute hier in die Hand gedrückt worden sind als Beweis für die Situation: In Gießen-Wieseck, einem kleinen Vorort der Universitätsstadt Gießen, sind in den letzten Tagen bzw. Nächten in vier Einfamilienhäusern die Wasserrohre gebrochen und die Häuser überschwemmt worden. Diese Einfamilienhäuser, beschlagnahmt von den Alliierten, stehen seit Jahr und Tag leer!
Meine Damen und Herren, ich glaube, man läßt sich von einem großen Irrtum leiten. Man glaubt: die Deutschen können zahlen, wir brauchen sie nur zu belasten! Die Dinge liegen anders. Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal nachzuprüfen — ich bedaure sehr, daß die Zeit nicht reicht, um das auch vor aller Öffentlichkeit im einzelnen darzulegen —, wie es sich mit der Steigerung und der Entwicklung des Sozialprodukts in einigen Ländern verhält. Wenn wir das Jahr 1937 als Grundlage nehmen und den Maßstab 100 anlegen und daran feststellen, was an Sozialprodukt pro Kopf erzielt wird, dann finden wir in Deutschland 94 % des Ergebnisses von 1937, in Großbritannien 118,7 %, in Dänemark 155,1 %, in Frankreich 120,6 % und in den USA 157,3 %. Aber auch auf andere Weise, auch an Hand der steuerlichen Entwicklung, an Hand vor allem aber dessen, was pro Kopf der Bevölkerung an Lebensmöglichkeiten zur Verfügung steht, läßt sich beweisen, daß diese Art der Belastung ein bitteres Unrecht am deutschen Volke ist.
In Deutschland verbleibt pro Kopf der Bevölkerung zum Leben ein Satz von 91,8 % — wiederum bezogen auf 1937 —, in Großbritannien von 101 %, in Frankreich von 111,9 % und in den USA von 143,3 %.
Meine Damen und Herren, nach meiner Uhr habe ich noch 4 Minuten Zeit. Ich mache aber Schluß, weil ich einem Fraktionsfreund noch die Möglichkeit zu einer besonderen Feststellung geben will. Unsere Herren Minister sind jetzt aus Paris zurückgekehrt. Sie wurden dort von den drei Weisen, nicht von den drei Weisen aus dem Morgenland, sondern von den drei Weisen aus dem Abendland, empfangen.
Wir sind begierig, zu hören, was demnächst auf diesem Gebiet vorzutragen sein wird. Ich hoffe sehr, daß auch durch diese Verhandlungen und durch die erstrebte Revision eine Wendung zum Guten eintritt, die in bezug auf das Verhältnis zwischen den Besatzungstruppen, den Hohen Alliierten und dem deutschen Volk als eine dringende Notwendigkeit bezeichnet werden muß.