Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die heutige Debatte über die Behandlung der gesamtdeutschen Frage vor den Vereinten Nationen und über den Entwurf einer Wahlordnung sollte und dürfte nirgends so aufgefaßt
werden, als wollten wir uns hier eines Pflichtpensums entledigen. Es darf auch nicht der Eindruck entstehen, als könnte es sich bei der Behandlung der deutschen Frage durch die Vereinten Nationen um eine Art propagandistischer Abrundung handeln.
— Das scheint Ihnen unangenehm gewesen zu sein, Herr Rische sonst nicht soviel dazwischenmeckern.
Es scheint uns wichtig zu sein, im Zusammenhang mit dem Art. 4 der zur Beratung stehenden Wahlordnung noch einmal die Auffassung dieses Hauses vom 27. September vorigen Jahres dem gegenüberzustellen, was jetzt in der Debatte gesagt worden ist, nämlich, daß das, was wir anstreben, sobald der außenpolitische Rahmen es ermöglicht. nicht nur eine verfassunggebende Versammlung ist, sondern eine Versammlung, die in der Übergangszeit auch die unbedingt notwendigen Maßnahmen für Gesamtdeutschland und nicht zuletzt für die Freisetzung der Sowjetzone ergreifen kann.
Der Sprecher der CSU und der Herr Vertreter der Föderalistischen Union haben gesagt, daß der Art. 4 den föderativen, bundesstaatlichen Notwendigkeiten, wie sie vor allen Dingen von der Föderalistischen Union, aber auch von der CSU betont werden, nicht gerecht werde. Wir sind der Meinung, daß es bei dieser Wahlordnung, bei allem schuldigen Respekt vor der Eigenständigkeit der Länder der jetzigen Bundesrepublik, darauf ankommt, daran zu denken, daß es außer Bayern, Niedersachsen und Württemberg-Baden auch noch ein Sachsen, Sachsen-Anhalt, ein Mecklenburg und ein Brandenburg gibt und daß hier Formen gefunden werden müssen, durch die eine Ausnutzung des Föderalismus zur Stabilisierung eines kommunistischen Regimes in den Ländern der jetzigen Sowjetzone verhindert wird.
In diesem Zusammenhang ein Wort zu dem, was der Herr Kollege Tichi gesagt hat. Wir sind der Meinung, man soll sich zur Zeit einer Aufgabe annehmen. Das Problem, das heute im Zusammenhang mit der UNO und der Wahlordnung zur Debatte steht, bezieht sich auf die vier Besatzungszonen Deutschlands einschließlich Berlin. Das nächste Problem ist das unserer zukünftigen Ostgrenze. Ich möchte aber keinen Zweifel darüber lassen, daß wir bei aller Würd gung der Probleme, die Kollege Tichi angedeutet hat, nicht von dem Rechtsstandpunkt abweichen können, wonach wir die deutschen Grenzen von 1937, d. h. vor dem Zeitpunkt der Hitlersehen Aggression, anstreben.
Wenn ich mich zu Wort gemeldet habe, so habe ich das eigentlich getan, um noch ein paar Bemerkungen darüber zu machen, daß die Stimmungen der Enttäuschung, der Niedergeschlagenheit, ja auch der Verzweiflung großer Schichten der Bevölkerung in der sowjetischen Zone im Zusammenhang mit diesem Problem vor dem Hause noch einmal angesprochen werden sollten. Wir bekommen erschütternde Briefe, nicht nur aus den Kreisen unserer politischen Freunde. Wir haben auch Unterhaltungen — gerade in den letzten Wochen wieder — mit den Menschen aus der Zone gehabt, die dauernd nach Berlin kommen, welche eben von dieser Stimmung der Verzweiflung erfaßt werden, einmal natürlich, weil die gesamtdeutschen Parolen und die Wahlparolen Hand in Hand m t einem nicht ablassenden Terror der gegenwärtigen Machthaber der sowjetischen Besatzungszone gehen. Wir spüren in diesen Unterhaltungen eine Stimmung der Empörung über die Leute im deutschen Westen, Leute, die manchmal einen Namen haben, wenn auch häufig schon einen etwas verstaubten Namen, und die sich von den Machthabern in Pankow brauchen oder mißbrauchen lassen und dabei nicht merken, wie sehr sie den Landsleuten in der Zone in den Rücken fallen.
Aber wir spüren auch eine Enttäuschung über eine vermutete Inaktivität, über ein der Bevölkerung in der Zone nicht verständliches Zögern. Wir haben, glaube ich, immer wieder zu prüfen, ob diese Vorwürfe so ganz ungerecht sind, oder ob es nicht richtig ist, daß in der Politik, wie sie im Bund betrieben wird, manchmal eine etwas falsche Rangordnung der Probleme angewendet wird. Wenn solche Stimmungen aufkommen, sind sie über das Menschliche hinaus deshalb sehr bedenklich, weil sich aus ihnen Einbruchstellen für die Propaganda der sowjetischen und prosowjetischen Seite ergeben können und weil sich aus solchen Stimmungen auch eine Apathie ergeben kann.
Wenn ich sage, vielleicht ist es nicht so ganz ungerecht, wenn manchmal bemängelt wird, unsere Aktivität — oder die Aktivität der dazu berufenen Stellen im deutschen Westen — sei unzulänglich, dann denke ich auch an das Beispiel Berlin. Dieses Hohe Haus hat am 27. September 1951 einen besonderen Beschluß gefaßt zugunsten freier Wahlen in allen vier Sektoren Berlins als dem möglichen Ausgangspunkt der Verwirklichung der deutschen Einheit. Wir haben es nicht recht verstanden, daß dieser Beselaluß des Hauses in der Note der Bundesregierung an die Adresse der drei Westmächte vom 4. Oktober 1951 nicht mit Erwähnung gefunden hat
und daß dieser Beschluß auch nicht auf irgendeine andere Weise durch die Organe der Bundesrepublik — nicht einmal im Sinne der Propaganda, geschweige denn im Sinne der Politik und der diplomatischen Aktivität — an die Auslandsfaktoren herangetragen worden ist.
Die sowjetzonale Seite hat es sich leicht gemacht und versucht, sich um eine Beantwortung dieser Testfrage zu drücken. Ich frage: haben wir es vielleicht der sowjetzonalen Seite nicht ein bißchen zu leicht gemacht, sich um die Beantwortung dieser Testfrage zu drücken?
Die sowjetzonale Seite hat von Gemeindewahlen gesprochen, von einem Nebengleis, von einem „Versuchskaninchen Berlin", und letztlich hat Herr Ebert gesagt, es sei zu spät, mit dem Vorschlag für freie Wahlen in ganz Berlin zu kommen. Ja, ich frage: wann war es denn eigentlich zu früh?
Ist es andererseits jemals zu spät, wenn es sich um die Realisierung unseres zentralen nationalpolitischen Anliegens handelt?
Wir meinen — und das wollte ich hier noch einmal zusammenfassen —, daß am Beispiel Berlin ein Beweis des guten Willens erbracht werden könnte und daß die Kommunisten und ihre Hintermänner geradezu dankbar sein müßten für die Chance, die sich ihnen hier bietet, ihren angeblich so guten Willen unter Beweis zu stellen.
Wir sind zweitens der Meinung, daß alle, die es mit der Einheit in Freiheit ernst meinen, auch dafür sein müßten, daß der Zustand der widernatürlichen Zerklüftung der deutschen Hauptstadt aufgehoben wird, damit eine deutsche Nationalversammlung in einem wiedervereinigten Berlin zusammentreten und sich betätigen kann. Wir sind der Meinung, daß das Problem der Wiedervereinigung Berlins als möglicher Beginn einer deutschen Wiedervereinigung auch darum ernst genommen werden sollte — wie übrigens auch im Dezember von der „Diplomatischen Korrespondenz" mit guten Gründen unterstrichen wurde —, weil wir in Berlin noch immer eine Wahlordnung des Jahres 1946 mit einer Kontrollapparatur haben, die jeden Tag wieder in Kraft gesetzt werden könnte, weil also die technischen und die formalen Voraussetzungen ganz andere sind als im Verhältnis zwischen den Zonen und weil schließlich in den vier Sektoren von Berlin — also auch im sowjetischen Sektor — die Sozialdemokratische Partei als wenn auch in ihrer Aktivität behinderte, so doch legale Partei noch besteht, während andererseits die SED auch in den Westsektoren zugelassen ist. Ich möchte allerdings in diesem Zusammenhang auch hier vor dem Deutschen Bundestag und vor der deutschen Öffentlichkeit feststellen, daß seit der Jahreswende der Sozialdemokratischen Partei über die früheren Behinderungen hinaus in den acht Bezirken des Ostsektors von Berlin immer neue Schwierigkeiten in den Weg gelegt worden sind, daß in sieben der acht Bezirke im Gegensatz zu einer BKO, d. h. einer Kommandanturanordnung, aus dem Mai 1946 den Sozialdemokraten die Parteibüros gekündigt worden sind
und daß das eine sehr interessante Begleitmusik
zu den Parolen derer ist, die angeblich für die deutsche Einheit sind.
Wir meinen, daß die Berlin-Frage und die Frage
der Berliner Wahlen von der deutschen Politik
nicht nur als eine Sache der Propaganda und der
propagandistischen Abrundung, sondern als eine
Sache der echten Politik betrieben werden sollte.
Zum Schluß noch eines. Wir treffen in den Diskussionen draußen in der Bevölkerung mit unseren Anhängern und auch mit unseren Gegnern in zunehmendem Maße auf die Stimmung, daß das deutsche Volk selber vielleicht völlig ohne Einfluß auf die Entscheidung über die Frage sei, ob und wann wir zu gesamtdeutschen Wahlen kommen könnten. Die Behandlung der Dinge vor den Vereinten Nationen zeigt, daß diese Auffassung nicht ganz richtig ist. Ich glaube, es kommt darauf an, nicht nur in eine Himmelsrichtung, sondern nach mehreren Richtungen in der internationalen Politik klarwerden zu lassen, daß uns in den freien Teilen Deutschlands heute nichts davon abbringen kann, unser Ringen um die Wiedervereinigung auf dem Boden der Freiheit als eine Aufgabe ersten Ranges zu behandeln. Wir haben bei jedem Schritt deutscher Politik dafür zu sorgen, daß wir nicht durch eine Schmalspurpolitik unser nationalpolitisches Anliegen in Gefahr bringen lassen, sondern müssen uns bemühen, es zum gemeinsamen Anliegen der freien Welt zu machen. Wenn so verfahren wird, besteht unserer Überzeugung nach — vielleicht auch durch den heute hier gefaßten Beschluß, wenn er ernst genommen und ernst weiter betrieben wird — die Chance, daß der Wille unseres eigenen Volkes in West und Ost seinen Einfluß auszuüben vermag, indem er als unerschütterlicher Faktor in die Waagschale der internationalen Politik gelegt wird.