Rede von
Rudolf
Kohl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Botschaft des Herrn Kollegen Horn, daß im Bundesarbeitsministerium eine Reform der Sozialversicherung vorbereitet wird, hör' ich wohl; aber Sie gestatten mir, daß ich daran anfüge: Mir fehlt tatsächlich — wegen der Länge der inzwischen vergangenen Zeit — der Glaube an diese `Botschaft.
Aber warten wir ab, vielleicht wird aus diesen Dingen doch noch etwas.
Wir haben in der Frage der Erweiterung der Pflichtversicherungsgrenze sowohl in der Krankenals auch in der Angestelltenversicherung eine Grenze nach dem Einkommen — aus einem Gebot der dringenden Notwendigkeit heraus — nicht für wünschenswert gehalten, eben um die Sozialversicherung und in diesem Falle insbesondere die Angestelltenversicherung zu sanieren und ihr eine Grundlage zu geben, die es ermöglicht, auf breiter finanzieller Basis die Aufgaben zu erfüllen, die der Angestelltenversicherung erstehen.
Wir sind der Auffassung, daß dieser Antrag auf Aufhebung der Pflichtversicherungsgrenze in der Angestelltenversicherung, der heute gestellt worden ist, wohl der Unterstützung wert ist. Wir Stimmen diesem Antrag vollinhaltlich zu; aber wir sind auch der Auffassung, daß diese Methode der — sagen wir —Reformbestrebungen in der Sozialversicherung „auf Stottern" auf die Dauer nicht tragbar ist und daß sich das Bundesarbeitsministerium einmal überlegen sollte, ob das eigentlich der Sinn der Aufgaben ist, die beim Bundesarbeitsministerium liegen.
Ich darf darauf hinweisen, daß vor den Bundestagswahlen von seiten der Gewerkschaften allen Kandidaten — und auch auf seiten der Regierungsparteien sitzen ja eine Anzahl gewerkschaftlich organisierter Abgeordneter — eine Reihe von Fragen in bezug auf ihre Einstellung zu der Sozialversicherung überhaupt gestellt worden sind. Dabei wurde auch die Frage nach der Sanierung der Sozialversicherung sehr eindeutig gestellt. Ich habe nichts davon gehört, daß den Gewerkschaften gerade von diesen Abgeordneten, die heute gegen diese Sanierung Stellung nehmen, eine entsprechende Stellungnahme zugegangen wäre.
— Ja, leider!
Bereits im Jahre 1946 und auch im Verlaufe der weiteren Jahre haben sich die zuständigen Länderminister mit der Frage der Sanierung beschäftigt. Sie haben damals einen sehr eindeutigen Vorschlag gemacht, der unsere Unterstützung eigentlich heute noch verdiente, nämlich den Sozialversicherungsanstalten, den Landesversicherungsanstalten, die Reichsschatzanweisungen abzukaufen, um die sie betrogen worden sind, ihnen also einen Teil des Vermögens wiederzugeben, das ihnen durch den nationalsozialistischen Staat geraubt worden ist.
Eine andere Frage, die uns interessiert, ist die der Ressortverschiebung in der Behandlung der Frage der Sozialversicherung. Bisher waren wir der bescheidenen Meinung, daß die Sozialprobleme eigentlich im Bundesarbeitsministerium behandelt werden müßten. Wir sind nicht unterrichtet worden, daß eine Ressortverschiebung durchgeführt worden ist. Die Sozialprobleme werden aber, wie es scheint, im Bundesjustizministerium behandelt.
Denn der Herr Bundesjustizminister hat in einem Interview, das er vor einiger Zeit gegeben hat, ebenfalls zur Reform der Sozialversicherung Stellung genommen, und in seiner Art, so wie er die Dinge versteht — er versteht nämlich nichts davon —,
nun eine brutale Reform der Sozialversicherung verlangt. Der Herr Bundesjustizminister Dr. Dehler sieht die Verhältnisse nun nicht so, daß er offen und ehrlich sagt: Es gibt zwei Möglichkeiten, wie wir die Probleme in Deutschland lösen können; entweder der Sicherheitsbeitrag und die neue Wehrmacht oder eine Reform der Sozialversicherung. Er sieht eine Reform der Sozialversicherung nur nach der Richtung: Wir müssen die Gewerkschaften auffordern, auf genossenschaftlicher Grundlage ein neues Gebilde zu schaffen. Er sieht seine Aufgabe weiter darin, festzustellen, daß die Kranken sich an den Arzt- und Arzneikosten noch viel stärker beteiligen müßten als bisher.
Meine Damen und Herren! Wenn das Arbeitsministerium Reformvorschläge in dieser Linie ernst nimmt, dann sehen sie ungefähr so ähnlich aus wie die Vorschläge, die einmal unter Mitwirkung des Herrn Staatssekretärs Sauerborn in einem Gutachterkomitee verabschiedet worden sind, in dem auch Herr Professor Sitzler tätig gewesen ist, Reformvorschläge, die bei fortschrittlichen Menschen auf den stärksten Widerspruch stoßen müssen.