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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Drucksache Nr. 2902 legt Ihnen meine Fraktion den Entwurf eines Gesetzes vor, der sich auf die Änderung des § 7 des Knappschaftsversicherungs-Anpassungsgesetzes bezieht. Dieser § 7 beinhaltet den alten § 28 des Reichsknappschaftsgesetzes. Der von meiner Fraktion vorgelegte Gesetzentwurf findet die Zustimmung der Industriegewerkschaft Bergbau und ebenso die Zustimmung der westdeutschen Knappschaften. Ich hoffe, daß auch Sie, meine Damen und Herren, ihm Ihre Unterstützung nicht versagen werden, auch dann nicht, wenn es schwer sein sollte, sich vom Althergebrachten abzuwenden und neue Wege zu gehen.
Die deutsche Sozialversicherung beschränkte sich in ihrer Regelung der Versicherungspflicht bewußt auf die Personenkreise, denen es auf Grund ihrer Einkommensverhältnisse nicht zugemutet werden konnte, die Versorgung bei Krankheit, Invalidität und Alter selbst zu sichern. Aus diesem Grunde waren und sind auch heute noch nicht nur in der Angestelltenversicherung, sondern auch in der knappschaftlichen Rentenversicherung nur die Angestellten versicherungspflichtig, deren Arbeitseinkommen — ohne Familienzuschläge — eine gewisse Grenze nicht übersteigt. Diese Grenze ist in den letztes Jahren auf Grund der wirtschaftlichen Schwankungen wiederholt geändert worden. Man ging aus von 4000 Mark und änderte die Grenze dann in 6000, in 8400 und in 7200 Mark. In der knappschaftlichen Rentenversicherung liegt diese Grenze seit dem 1. Juni 1949 wiederum bei 8400 DM jährlich. Diese Erhöhung auf 8400 DM war notwendig geworden, weil die Abteilungssteiger und die ihnen gleichgestellten Bergbauangestellten, die seit j eher versicherungspflichtig waren, durch Gehaltsaufbesserungen im Gefolge der Teuerung die bisherige Pflichtgrenze überschritten und dadurch versicherungsfrei wurden. Die Gefahr einer vorübergehenden Versicherungsfreiheit bei dem hier angeführten Personenkreis kehrte infolge von Gehaltsaufbesserungen und der leider oft mit Verzögerung durchgeführten Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze stets wieder und verursachte oft Lücken in der kontinuierlichen Beitragsleistung für die Sozialversicherung.
Diese Gefahr ist zur Zeit besonders groß. Sie veranlaßte den Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Knappschaften der Bundesrepublik, wiederholt die Erhöhung der Pflichtversicherungsgrenze zu beantragen, einmal auf 9600 DM, zum anderen und zum letzten Male auf 10 200 DM jährlich; leider ohne Erfolg.
Selbst dann, wenn man sich dazu entschließen könnte, dieser Forderung stattzugeben, ware das, was wir mit unserem Antrag erreichen wollen, noch nicht erreicht, nämlich die. Erfassung aller im Bergbau Beschäftigten, die doch alle den gleichen Gefahren ausgesetzt sind. Dieser bisher nicht erfaßte Personenkreis — etwa 3500 bis 4000 Menschen — hat die jetzige Berufsstellung erst im Laufe eines langen Arbeitslebens erreicht und daher zum Teil eine erhebliche Zeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung zugebracht; er hat damit die für die Errechnung der Wartezeit notwendigen Voraussetzungen erfüllt. Die Anwartschaft auf spätere Rentenansprüche wird durch freiwillige Weiterversicherung erhalten. Die relativ hohen Beiträge mögen dafür Veranlassung gewesen sein, daß nicht wenige Angestellte nach dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung sich nicht um die Erhaltung ihrer Anwartschaft bemüht haben. Vielleicht geschah dies aus Sorglosigkeit oder auch aus Unkenntnis der Dinge. Ist nun bei Eintritt des Versicherungsfalles die Halbdeckung nicht erreicht oder sind freiwillige Beiträge nicht gezahlt worden, dann würde kein Rentenanspruch bestehen, selbst dann nicht, wenn der Betreffende zehn oder zwanzig Jahre Beiträge in die Pflichtversicherung gezahlt hat.
Die Praxis beweist uns immer wieder, daß Rentenanträge der ehemals Versicherungspflichtigen abgelehnt werden müssen, weil die Anwartschaft erloschen ist. Diese Leute fallen dann trotz einer jahrelangen Beitragsleistung der öffentlichen Fürsorge zur Last. Niemand — mag er sozial stehen, wo er will — konnte oder kann für die Zukunft von sich behaupten, gegen alle Wechselfälle des Lebens gefeit zu sein. Die früheren Auffassungen über den Personenkreis der sozial Gefährdeten sind heute völlig veraltet. Die großen politischen sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte und die sich daraus ergebende Labilität unserer Wirtschaft und unseres ganzen Seins sollten uns davor schützen, anzunehmen, daß der einzelne auf sich allein gestellt sich durch private Maßnahmen für sein Alter, für den Fall der Berufsunfähigkeit oder Invalidität eine auskömmliche Rente schaffen kann. Das kann nur die Solidarität der Sozialversicherung. Ich bitte Sie, unserem Entwurf zuzustimmen.