Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der geschätzte Herr Kollege Schoettle hat vorhin gesagt, er wundere sich, warum ich als Bayer mich immer in die badisehen Angelegenheiten eingemischt hätte.
Ich kann ihn nun fragen, warum er als Württemberger sich eigentlich in die badische Frage eingemischt hat.
Oder ich könnte daran erinnern, daß ja auch der Parteivorsitzende der Freien Demokraten, der Herr Vizekanzler, in seiner Eigenschaft als Parteivorsitzender in den Abstimmungskampf in Baden eingegriffen hat,
längst bevor ich dort gesprochen habe. Ich glaube, er ist weder Württemberger noch Badener noch Bayer. Ich kann Ihnen, Herr Kollege Schoettle, genau sagen, warum ich hier heute zum siebten Male in dieser Frage auf der Tribüne des Bundestages stehe.
Einfach deshalb, weil ich als Abgeordneter der Christlich-Sozialen Union die Verpflichtung und den Auftrag habe, mich um den bundesstaatlichen Aufbau Deutschlands zu kümmern, der durch die Gestaltung der deutschen Länder wesentlich beeinflußt wird, was auch Sie mir nicht werden bestreiten können. Wenn ich heute noch einmal an die höhere Einsicht dieses Hauses, an seinen Gerechtigkeitssinn und an sein politisches Verständnis
appelliere, dann hoffe ich, daß es doch nicht ganz umsonst geschieht. Jedenfalls habe ich noch nie mit so guten Gründen sprechen können wie heute. Denn durch die Volksabstimmung vom 9. Dezember ist nun zum zweiten Male in klarer Weise vor aller Welt der Beweis geführt worden, daß das badische Land im ganzen mit eindeutiger Mehrheit für die Wiederherstellung seiner historischen Einheit eintritt und daß das Land Südbaden sogar mit überwältigender Mehrheit gegen seine Auflösung stimmt.
Nur ein gekünstelter Abstimmungsmodus, nur ein manipulierter Abstimmungsmodus, der in scheindemokratischer Weise den Willen des badischen Volkes verfälscht hat,
läßt es legal erscheinen, daß man nun den Südweststaat schafft, gegen den das badische Volk gestimmt hat.
Wenn man den jahrelangen Kampf und die Widerspenstigkeit der badischen Braut beobachtet hat, dann kann man sich nur über den württembergischen Freier und seine Hartnäckigkeit wundern, und man muß sich fragen, ob nicht vielleicht der Besitz der Braut allein nicht das Ziel ist, das er anstrebt, sondern der Besitz der Mitgift!
Wenn Sie die Bedeutung des Rheines als des großen Mittelstromes Europas in den Vereinigten Staaten von Europa, die kommen werden, sehen und wenn Sie die Bedeutung des Schluchsee-Werkes sehen, dann werden Sie darüber kaum einen Zweifel haben. Nun weiß ich: nach der zweiten Abstimmung in der Frage des Südwestens haben auch im Lande Württemberg manche, die sachlich für den Südweststaat waren, ihre Bedenken bekommen. Sie können sogar da und dort in der Presse, soweit sie südweststaatlich ist, lesen, daß der Südweststaat mit einem Schönheitsfehler behaftet sei, weil die Mehrheit des badischen Volkes im alten Staatsgebiet sich gegen ihn ausgesprochen habe. Hier ist kein Schönheitsfehler. Wenn wir Demokraten sind, so ist es ein Kardinalfehler, über den Willen des badischen Volkes hinwegzugehen. Wenn das badische Volk sich heute klar zu seinem alten Lande und damit gegen den Südweststaat bekennt, dann ist das ein Ergebnis der Abstimung und damit eine neue Tatsache, die den Bundestag veranlassen kann, ein Gesetz, das er beschlossen hat, zu ändern oder zu suspendieren.
Man sagt: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden. Meine Damen und Herren, Sie werden aus meinem Munde kein Wort unsachlicher Kritik über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gehört haben und Sie werden es auch heute nicht hören, wenn ich persönlich als Jurist auch nicht mit allen Schlußfolgerungen dieses Urteils einverstanden bin. Aber ich erkenne es an. Ich erkenne an, daß nunmehr nach dem geltenden Recht dieses Gesetz mit dem Grundgesetz übereinstimmen mag, aber ob es mit überpositiven Rechtsgrundsätzen, ob es mit der Gerechtigkeit in einem höheren Sinne übereinstimmt, ist eine andere Frage. Dies um so mehr, als sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zwar einleitend für die Anwendung überpositiver Rechtsgrundsätze ausgesprochen hat, in diesem besonderem Falle praktisch aber nur die Verfassungsmäßigkeit untersucht hat.
Ich vertrete die Auffassung,
wenn der rechtliche Fehler nicht beim Neugliederungsgesetz gemacht worden ist, dann ist er eben bei der Schaffung des Art. 118 des Grundgesetzes begangen worden. Meine Freunde von der CSU haben gut gewußt, warum sie dieses Grundgesetz als nicht hinreichend föderativ und nicht hinreichend demokratisch abgelehnt haben.
Aber Sie, meine Damen und Herren, sollten nicht versäumen, den Fehler nun dadurch gutzumachen, daß Sie eine andere Form des Gesetzes beschließen, die sich auch im Rahmen des Grundgesetzes hält. Außerdem haben ja die Folgen im Lande Baden bewiesen, daß es politisch im äußersten Maße unzweckmäßig ist, dieses Gesetz gegen die erregte Bevölkerung Badens durchzusetzen. Dem sollte der Bundestag auch Rechnung tragen. Wenn man in der Schweiz — wie Herr Dr. Kopf gesagt hat — bei den noch nicht ein halbes Jahrhundert alten Kantonen Basel-Land und Basel-Stadt nicht einmal eine knappe Mehrheit als für die Durchführung der Wiedervereinigung ausreichend angesehen hat, sollte man hier, wo sich die Mehrheit gegen die erstmalige Vereinigung ausgesprochen hat, erst recht Bedenken haben. Wir können in unserer jungen Demokratie immerhin von andern Demokratien, auch von der Schweiz, noch einiges lernen.
Ich habe immer die größten Bedenken, wenn Länder mit Zirkel und Lineal geplant werden, wie es die neuen und alten Raumplaner tun, von denen einer am letzten Samstag im Ausschuß für innergebietliche Neuordnung dem Vorsitzenden erklärt hat: Für unsere Arbeit müssen wir zuerst wissen, wieviel Länder in Deutschland der Ausschuß überhaupt will!
Als ob man Länder von oben dekretieren könnte, von oben dekretieren in einem Land, das eine lange Geschichte hat mit vielen historischen Traditionen! — Ich warte bei diesem Wort auf Ihren Beifall, Herr Kollege Schoettle; denn ich habe jetzt aus Ihrer Rede zitiert, die Sie zum Schumanplan gehalten haben. Wenn die verehrten Kollegen der Sozialdemokratischen Partei ihre starken Bedenken gegen die freiwillige größere europäische Einheit zu einem gewissen Teil gegen die oktroyierte kleinere Einheit des Südweststaates anwendeten, dann ständen sie jedenfalls nicht im Ruf logischer Inkonsequenz.
Der Rationalismus der Raumplaner, die selbst — oder ihre Vorgänger — sich einst von den Pyrenäen bis zum Ural getummelt haben und heute ihre verdienstvolle Arbeit leider auf das Gebiet zwischen Saar und Elbe beschränken müssen, erfüllt mich mit größter Sorge für das Schicksal einer gesunden, organischen Demokratie in unserem Vaterland. Man hat gesagt — ès ist sogar einmal in diesem Hause ausgesprochen worden —, die Badener hätten die Instinkte aufgeputscht, und dem sei das Ergebnis der Volksabstimmung zuzuschreiben. Was heißt Instinkte aufgeputscht? Ist die Heimatliebe ein Instinkt? Ich glaube, sie ist eine Tugend; denn ohne die Liebe zur engeren Heimat kann man keine Liebe zur gesamten deutschen Heimat, zum deutschen Vaterland erwarten.
— Ich werde Ihnen das im Hinblick auf die badische
Heimatliebe kaum beweisen können, denn da ist
ein Teil von Ihnen vielleicht voreingenommen, und
meine bayerische Heimat betrachtet man als Sonderfall.
Lassen Sie mich deshalb ganz kurz mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Worte eines württembergischen Patrioten über Württemberg vorlesen, eines Mannes, den Sie alle kennen.
Dieser Mann hat einmal gesagt — es ist noch gar nicht lange her —:
Unser schönes Württemberg, das uns so liebe,
wird durch eine militärische Demarkationsgrenze durchgezogen ... Es hat uns so bitter weh getan, weil Württemberg für uns nicht ein bloßer Verwaltungsbezirk, ein Sprengel, eine Provinz ist, sondern unser engeres Vaterland. Es ist für uns keine bloße Gewohnheit, kein Gebilde, das wir eben hingenommen hätten, weil es irgendwann in der Geschichte zu ganz bestimmten politischen Kuhhandeln gekommen sein mochte, - nein, dieses Land an Neckar und Donau ist uns eine lebendige Wirklichkeit, eine unteilbare Quelle vieler Ströme, die durch unsere Seele wogen,
— es kommt noch viel besser —
es ist für uns gerade in seiner ungebrochenen Ganzheit ein Element, dessen Versehrung uns mehr als arm zurücklassen würde, nämlich als andere, als wir vom Wesen her sind und sein wollen, wir alle, die vom Bodensee so gut wie die aus dem Frankenland .. .
Und er hat geschlossen: „Hie gut Württemberg allwege!"
Schöner hätte es auch ein badischer Heimatredner nicht sagen können! Sie werden es an der Logik der Sprache gemerkt haben, daß es ein Mitglied dieses hohen Hauses ist, das diese Worte gesprochen hat, und an der poetischen Sprache werden Sie gemerkt haben, daß es unser verehrter Kollege Herr Professor Carlo Schmid ist, der diese Worte gesprochen hat,
— im Jahre 1945 auf einer Landräteversammlung und dann geschrieben im Jahre 1946 in seinem leider vergriffenen, aber sehr lesenswerten Buch: „Die Forderung des Tages".
Ich nehme gerne an, daß der Herr Kollege Schmid inzwischen, da er ja ein eifriger Verfechter des Südweststaats geworden ist, eine politische Konversion erlebt hat, die wir achten wollen; denn sonst müßte ich mich fragen, ob er nicht vielleicht im Südweststaat nur ein um das annektierte Baden vergrößertes Württemberg sieht und darum heute erst recht rufen könnte: „Hie gut Württemberg allwege!"
Im Jahre 1866 hat Preußen mit dem Schwerte das Königreich Hannover erobert und annektiert,
und noch im Jahre 1945 war die reichstreue, aber antipreußische Irredenta im Lande Niedersachsen so stark, daß sie ihren politischen Ausdruck in der Bildung dieses Landes gefunden hat und heute noch ihre Minister in der Bundesrepublik stellt.
Was mit dem Lande Baden geschehen ist, ist in demokratischer, in scheindemokratischer Form gar nichts anderes als eine dürftig getarnte Annexion moderner Art. Ich garantiere Ihnen, in 80 Jahren wird es auch noch so heimattreue Badener geben, wie es heute heimattreue Hannoveraner gibt, und ich fürchte, wir können uns heute keine innerdeutsche Irredenta leisten.
Dann sagt man uns immer wieder: Die napoleonische Landkarte muß bereinigt werden; denn sie ist dem deutschen Volke aufgezwungen worden. Ich will Ihnen in wenigen Worten sagen, was der Unterschied ist zwischen dem, was Napoleon getan hat, und dem, was jetzt getan wird. Gewiß, im Zeitalter Napoleons hat man das Volk ignoriert und nicht gefragt.
In unserm Zeitalter hat man das badische Volk gefragt; man hat es sogar zweimal gefragt — und dann das Gegenteil von dem getan, was das Volk entschieden hat.
Das ist der ganze sogenannte Fortschritt des zwanzigsten Jahrhunderts! Das nennt man dann noch Demokratie!
Hier ist eine Wunde des Unrechts.
Nach allem, was geschehen ist, wollen wir in unserm Vaterland keinen Bundesstaat, keinen Gliedstaat und auch sonst nichts auf dem Boden des Unrechts aufbauen.
Deshalb fordere ich Sie auf, den Antrag heute dem Rechtsausschuß zu überweisen und alsbald endgültig anzunehmen.