Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht nicht darum, auf die Beziehungen der beiden Nachbarstaaten Baden und Württemberg irgendwie einzuwirken. Den Initiatoren des Südweststaat-Gedankens soll auch nicht die Bona fides abgesprochen werden. Vielmehr geht es daraum, diejenigen, die das Neugliederungsgesetz beschlossen haben, davon zu überzeugen, daß sie einen verhängnisvollen und folgenschweren Fehler gemacht haben, der irgendwie zu korrigieren ist. Der falsche Abstimmungsmodus hat dazu geführt, daß der echte Volkswille — ich sage: der echte Volkswille —, der sich im Abstimmungsergebnis durch absolute Mehrheitszahlen ausdrückt, nicht verwirklicht werden kann. Das mathematisch und wahlgeometrisch geleitete Denken der Zentralisten bei der Schaffung des Neugliederungsgesetzes wurde durch die Abstimmung der Badener für alle klar und warnend erkennbar ad absurdum geführt. Es wurde bewiesen, daß durch das Gesetz das Parlament — richtiger: die betreffende Mehrheit des Parlaments — eine demokratische Fehlentscheidung getroffen hat,
und ich glaub&, daß eine politische Fehlentscheidung in einem Gesetz auch korrigiert werden kann und daß die Korrektur einer solchen politischen Fehlentscheidung eines Gesetzes_ noch lange nicht verfassungswidrig zu sein braucht.
Aber man muß schon den Mut zur Korrektur haben, wenn man eine Fehlentscheidung getroffen hat.
Meine Damen und Herren! Wir sind uns doch darüber im klaren, daß der Inhalt und die Methodik des Neugliederungsgesetzes und deren praktische Auswirkung in der Mehrheit des badischen Volkes und darüber hinaus auch in anderen Ländern der Bundesrepublik den Glauben und das Vertrauen zur jungen Demokratie erschüttert haben.
Was hat denn dem deutschen Volke nach dem völligen Zusammenbruch und der Kapitulation die Kraft gegeben, den Wiederaufbau und die Rettung des deutschen Vaterlandes mit solcher Schwungkraft in Angriff zu nehmen? Doch nicht die Erinnerung an die Methoden eines autoritären Staatssystems, doch nicht die verfehlte Besatzungspolitik, doch nicht all die bedrückenden und deprimierenden Folgen jeder Besatzungszeit, doch nicht die zusätzliche Beschwernis durch das kaum zu lösende Flüchtlingsproblem und doch nicht das ganze Weh und Ach eines zweiten verlorenen Krieges, sondern allein der elementare Existenzwille, der unmittelbar in den kleinsten Zellen des Staates, den Gemeinden und dann in den Ländern, erhalten blieb, und die Sehnsucht nach Freiheit und Recht, die das Volk durch die Demokratie zu verwirklichen hoffte.
Nun hat eine Mehrheit dieses Hauses genau in dem Zeitpunkt, als diese Kraftquellen der Demokratie zum ersten Male zum Tragen kommen sollten und als ein Volksteil bestätigt erhalten sollte, daß das lange entbehrte Recht und die Sehnsucht nach Freiheit ihre Verwirklichung finden sollten, diese Hoffnung und diese Sehnsucht zerschlagen. Das reale Abstimmungsergebnis demonstriert darüber hinaus, daß es eine Knebelung des echten Volkswillens war, im Neugliederungsgesetz die willkürliche Gebietseinteilung der Besatzungsmächte als Abstimmungsbezirke zugrunde zu legen.
Mit Recht wird in einem uns zugegangenen Schreiben die Frage gestellt, wem es in ganz Deutschland auch nur im Traume eingefallen ware, bei einer in Friedenszeiten ohne Anwesenheit fremder Truppen stattfindenden Abstimmung in anderer Weise als durch die alten Länder mit ihren alten Grenzen abstimmen zu lassen.
Ferner wurde der Gesamtwille der heimattreuen Badener dadurch verfälscht und unterdrückt, daß man die Willenskundgebung der Badener im übrigen Bundesgebiet ausgeschlossen hat. Ein freizügiges Bekenntnis für Freiheit und Recht, das unserem ganzen demokratischen Denken einen ungeheueren Auftrieb gegeben hätte wie dem unterdrückten Deutschland nach 1918 z. B. die Abstimmung in Schlesien, hat man sich wegen falscher Erwägungen entgehen lassen.
Mit der Zusammenlegung von Baden und Württemberg nach solchen Abstimmungsergebnissen wird ein Schritt unternommen, der in Europa schon öfter versucht worden ist. Ich erwähne die Versuche zur Eingliederung der Tiroler, der Schotten, der Iren und Finnen usw. in die Nachbarstaaten entgegen der ausdrücklichen Willensmeinung dieser Völker. Daß diese Versuche falsch waren, zeigte die Geschichte im Sinne einer rückläufigen Bewegung solcher Einigungen. Überall entstanden Freiheitsbewegungen. Diese Volksteile kämpften und kämpfen teils jetzt noch um die Wiedererlangung ihrer Eigenstaatlichkeit und Freiheit. Wertvolle Kräfte werden durch reinen Machtmißbrauch gebunden. Selbst große und mächtige Reiche konnten
diesen Freiheitswillen nicht unterdrücken und mußten vor der Kraft eines solchen Volkswillens kapitulieren.
Man hätte also erwarten müssen, daß ein solcher kapitaler Fehler von den Politikern nicht nochmals gemacht würde. Man kann ihn nur verstehen, wenn man sich an das resignierende Wort Mommsens erinnert, der gesagt hat: „Das traurigste an der Weltgeschichte ist, daß man aus ihr nichts lernt."
Sie können sich dieser Erkenntnis nicht verschließen. Die brutale Gewalt des totalitären Staates hat in unserem Volke die Hoffnung und Sehnsucht auf Recht und Freiheit und das Vertrauen und den Glauben auf unsere Demokratie gemehrt und gestärkt und damit die ideellen Aufbaukräfte nach dem Zusammenbruch Gott sei Dank entstehen lassen. Eine Mehrheit dieses Hauses hat diese Hoffnung, dieses Vertrauen und diesen Glauben im ersten sichtbaren Verwirklichungsfall gelähmt, wenn nicht zerstört, indem sie den unmittelbaren Volkswillen durch das Neugliederungsgesetz durch Verankerung unglücklicher Methoden in seiner echten Auswirkung unterbunden hat.