Rede von
Erwin
Schoettle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Jahre lang ist in den Ländern Südwestdeutschlands die Frage debattiert worden, die heute noch einmal auf der Tagesordnung des
Bundestages erscheint. Es ist nicht nur viel darüber geredet und geschrieben worden; es sind auch tiefe Gräben aufgerissen worden; es sind menschliche Beziehungen zerrissen und vergiftet worden, und es will uns scheinen, als ob es Zeit wäre, dieses grausame Spiel zu beenden.
Meine Damen und Herren, ich und meine Freunde bedauern, daß dieser Gesetzentwurf überhaupt eingebracht worden ist. Man kann die Vertretung des Rechtsstandpunktes auch zu weit treiben, Herr Kollege Kopf. Ich habe Verständnis für Ihre Argumente aus Ihrer besonderen Position heraus. Aber ich glaube nicht, daß der Bundestag diesen Argumenten folgen kann, wenn er sich nüchtern die Entstehungsgeschichte des Zweiten Neugliederungsgesetzes und das vergegenwärtigt, was inzwischen geschehen ist.
Der Bundestag hat entsprechend den Vorschriften des Art. 118 des Grundgesetzes von seinem Recht der Gesetzgebung Gebrauch gemacht, nachdem alle Versuche, im Wege einer Vereinbarung zwischen den drei südwestdeutschen Ländern zu einer Regelung zu kommen, als gescheitert angesehen werden mußten. Der Bundestag hat ein Gesetz geschaffen, das Zweite Neugliederungsgesetz, das die Vorschriften enthält, nach denen eine Volksbefragung mit bindender Wirkung durchgeführt und die weiteren Schritte in diesem Raume unternommen werden sollten. Die badische Regierung hat gegen dieses Gesetz den Bundesverfassungsgerichtshof angerufen. Der Bundesverfassungsgerichtshof hat das Gesetz mit Ausnahme einiger unwesentlicher Bestimmungen für verfassungsmäßig erklärt. Auf Grund dieses Beschlusses, dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtshofes hat am 9. Dezember 1951 eine Volksabstimmung stattgefunden, die eine Mehrheit für den Südweststaat in drei Abstimmungsbezirken ergeben hat.
Ich glaube nicht, meine Damen und Herren, daß auf dem Boden des geltenden Rechts das Argument möglich ist; eine Gesamtauszählung nur in dem alten Lande Baden könne die Wirkung der Mehrheit, die sich in den drei Abstimmungsbezirken ergeben hat, aufheben.
— Nein, nein, Herr Kollege Hilbert. Ich glaube, Sie können uns ein solches Argument nicht unterschieben.
Es ist einfach so, daß sowohl der Bundesgesetzgeber wie der Bundesverfassungsgerichtshof von dem Recht ausgehen mußten, das sich die Bevölkerung in den drei Ländern durch ihre eigene Verfassunggebende Versammlung gesetzt hat.
— Meine Damen und Herren, ich will dieses Argument nicht vertiefen, sondern nur noch auf ein weiteres Argument eingehen.
Herr Kollege Kopf hat davon gesprochen, daß die badische Regierung nach der Abstimmung vom 9. Dezember feierlich Rechtsverwahrung eingelegt
habe. Aber vielleicht darf ich den Herrn Kollegen Kopf daran erinnern, wie diese feierliche Rechtsverwahrung zustande gekommen ist. Es ist ja keineswegs so, daß die Anhänger der Wiederherstellung des alten badischen Landes nach der Abstimmung durchaus einer Meinung gewesen sind. Sie kennen ja auch den Konflikt in der badischen Landesregierung. Schließlich mußte eine Mehrheit für die Rechtsverwahrung dadurch herbeigeführt werden, daß man die Abstimmung im schriftlichen Umlaufverfahren durchführte, um damit auch noch die Stimme des sehr kranken Herrn Justizministers Dr. Fecht zu bekommen. Das ist nicht gerade ein Beweis dafür, daß alle maßgebenden früheren Verfechter der Wiederherstellung des Landes Baden nach der Abstimmung die Auffassung geteilt haben, der Kampf müsse in der Weise weitergeführt werden, wie es jetzt offenbar geschehen soll.
Meine Damen und Herren, ich glaube, der Bundestag muß nach Prüfung aller Umstände zu dem Ergebnis kommen, daß die Voraussetzungen erfüllt sind, die das zweite Neugliederungsgesetz aufgestellt hat. Und dieses Gesetz muß jetzt vollzogen werden. Der Bundestag sollte sich nicht dazu hergeben, diesen Vollzug noch weiter zu hemmen.
Der Gesetzentwurf, den die Herren Hilbert und Genossen dem Hause vorgelegt haben, steht aber auch in klarem Widerspruch zu Art. 118 des Grundgesetzes. Man kann nicht einfach sagen: der Vollzug des Gesetzes soll solange aufgeschoben werden, bis Art. 29 zum Zuge kommt. Ich glaube, das ist eine Unmöglichkeit. Denn der Art. 118 ist ausgesprochenermaßen zu dem Zwecke geschaffen und ins Grundgesetz eingefügt worden, damit die Bereinigung der staatsrechtlichen Verhältnisse im südwestdeutschen Raum vorweggenommen werden kann. Das ist schon aus dem Wortlaut dieses Art. 118 klar zu erkennen. In diesem Artikel ist weiter gesagt: man kann von den Vorschriften des Art. 29 abweichen, wenn eine Vereinbarung der beteiligten Länder erfolgt. Und es heißt weiter:
Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, so wird die Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt, das eine Volksbefragung vorsehen muß.
Wollen Sie, meine Herren, behaupten, daß die Voraussetzungen, die der Art. 118 aufgestellt hat, nicht erfüllt sind? Wollen Sie das Gesetz in seinem Vollzug hindern? Dann setzen Sie den Art. 118, also einen Teil des Grundgesetzes, außer Kraft!
Sie haben nicht die Möglichkeit, sich auf einen Zeitpunkt zu beziehen, in dem der Art. 29 etwa in Kraft tritt. Denn dieser Art. 29 ist noch weiterhin suspendiert, und niemand weiß, wann er praktisch durchgeführt werden kann, ganz abgesehen von den sachlichen Schwierigkeiten, die seiner Durchführung wahrscheinlich im Wege stehen.
Und nun darf ich vielleicht eine Frage an den Herrn Bundesinnenminister als den Verfassungsminister des Bundes richten. Ich behaupte: das Gesetz widerspricht dem Grundgesetz.
Ich möchte den Hüter des Grundgesetzes, der Bundesverfassung, bitten, uns seine authentische Interpretation seines eigenen Standpunktes zu dieser wichtigen Frage zu geben. Ich glaube, das würde
dem Bundestag vielleicht helfen, seine eigene Meinung zu finden.
— Wir ändern hier kein Gesetz, Herr Kollege Wuermeling, sondern wir heben praktisch die Wirkungen eines Gesetzes auf, das der Bundestag beschlossen hat, aus guten Gründen beschlossen hat.
- Ja, ich möchte jetzt vom Politikum reden, Herr Kollege Hilbert! Es ist in der Tat ein Politikum. Was ist denn geschehen, meine Damen und Herren? Der Bundestag hat ein Gesetz beschlossen. Die Bundesregierung hat das Gesetz verkündet. Der Bundespräsident hat es durch seine Unterschrift in Kraft gesetzt. Der Bundesverfassungsgerichtshof hat auf eine Verfassungsklage hin das Gesetz für verfassungsmäßig erklärt. Die Wähler haben gesprochen. Ja, glauben Sie denn, meine Damen und Herren, daß eine glatte Inhibierung des Vollzugs dieses Gesetzes im Bewußtsein der Mehrheit derjenigen, die am 9. Dezember für den Südweststaat gestimmt haben, nicht einen Schaden anrichten wird, der weit über das hinausreicht, was Sie vielleicht an Nutzen ins Auge fassen könnten, wenn Ihre Absichten erfüllt würden?
Ich glaube, man muß die Frage unter einen höheren Gesichtspunkt stellen. Das, was Sie, Herr Kollege Hilbert, als ein Politikum bezeichnen, ist in Wahrheit von so großer politischer Bedeutung, daß der Bundestag unter keinen Umständen seine Hand dazu bieten darf, unserer demokratischen Entwicklung diesen Schaden zuzufügen, der entstehen würde, wenn man den Wählern sagen würde: was ihr beschlossen habt, ist ungültig und wertlos, weil eine Minderheit es so will. Ich glaube, das geht nicht.
Und nun, meine sehr verehrten Herren Kollegen, darf ich Sie vielleicht persönlich anreden, Herr Kollege Hilbert und Herr Kollege Kopf. Ich weiß, daß die Auseinandersetzungen um diese Frage in der Vergangenheit zwischen den Beteiligten viel Bitternis hervorgerufen haben, und ich kann sagen: die Bitternis ist auf der anderen Seite nicht viel geringer als auf Ihrer Seite, denn die Argumente sind manchmal so gewesen, daß man darauf ohne große Zurückhaltung sehr scharf, viel schärfer hätte antworten müssen, als es in der Praxis geschehen ist.
— Herr Kollege Hilbert, Sie sind ja auch Mitglied des Haushaltsausschusses gewesen, und ich glaube, ich habe Ihnen da einige Beispiele für meine Zurückhaltung geliefert. Aber vielleicht lassen Sie sich jetzt von dem einigermaßen beeindrucken, was ich sage.
Ich kann zu der Frage, die ich jetzt berühre, mit einiger Autorität sprechen; denn ich bin nicht nur Mitglied dieses Hohen Hauses, ich bin auch Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei in Württemberg/Baden, und ich werde in der politischen Entwicklung, die nun einsetzen soll, auch einen gewissen Einfluß haben und nehmen, Herr .Kollege Hilbert. Und da darf ich doch für die Zukunft einiges sagen, was auch für unsere heutige Entscheidung von Bedeutung ist.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, man kann eine solche politische Auseinandersetzung mit der Absicht führen, auf der einen Seite Sieger zu haben und auf der anderen Seite zu Boden Geschlagene. Ich glaube, das wäre ein falscher Ausgangspunkt.
Ich bin der festen Überzeugung, daß die einzige Möglichkeit einer wirklichen Bereinigung und Befriedung in diesem Raum eine vernünftige Politik im neuen Südweststaat ist,
eine Politik, die beweist, daß es keine Sieger und Besiegten gibt, eine Politik, die beweist, daß die größeren Möglichkeiten in einem zusammengefaßten Staate allen zugute kommen.
— Herr Kollege Hilbert, ich kann nicht auf alle Ihre Zwischenrufe eingehen; denn ich verstehe nicht so gut südbadisch, wie Sie es sprechen!
die- nerr Jaeger, warum Sie sich ausgerechnet in Auseinandersetzung einmischen, ist mir immer nicht ganz klar gewesen; aber vielleicht haben
Sie Ihre eigenen Gründe!
Jedenfalls sprechen die Mergentheimer und die Tauberbischofsheimer ein gemeinsames ähnliches Idiom.
— Ganz unten nach der Grenze zu zwischen Baden und der Schweiz, nicht wahr? Da spricht man alemannisch!
Meine Damen und Herren! Was ist denn in Wahrheit der Ausgangspunkt für diejenigen, die positiv zum Südweststaat eingestellt waren? Ist es etwa die Absicht der Vergewaltigung eines kleinen Landes?
— Nein, Herr Kollege Hilbert, ich glaube, hier interpretieren Sie in die Haltung derer, die Sie Ihre Gegner nennen, etwas hinein, was ihnen nicht im mindesten in den Sinn gekommen ist! Der Ausgangspunkt derer — ich kann das für mich und meine Freunde in Anspruch nehmen —, die sich positiv für den Südweststaat eingesetzt haben, ist die Überwindung der staatlichen Zersplitterung, damit die Kräfte, die in diesen drei Ländern vorhanden sind, so organisiert und so entwickelt werden können, daß sie allen, auch den zurückgebliebenen, auch den in wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Landesteilen, in vollem Umfange zugute kommen.
— Ich habe nie beansprucht, ein Engel zu sein, also kann das auch nicht auf mich zutreffen, was Sie eben sagten! Ich glaube, Herr Kollege Hilbert, man kann heute, nachdem der Abstimmungskampf vorüber ist, auch vom Standpunkt der Württemberger, die in diesen Fragen sehr zurückhaltend waren,
- ja, sehr zurückhaltend waren! — mit viel größerer Offenheit von dem reden, was in der sechsjährigen Zusammenarbeit zwischen den beiden
nördlichen Landesteilen praktisch für beide Teile herausgekommen ist.
— Das badische Volk hat sich offenbar nicht so sehr beleidigt gefühlt, da sich sonst nicht eine Mehrheit für den Südweststaat in Nordbaden gefunden hätte!