Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Herren Interpellanten haben die Interpellation auf ein Mißverständnis begründet, für das man auch verantwortlich sein müsse, und sie haben sie ferner darauf begründet, daß die Wirkung dieses Mißverständnisses geschadet habe. Ich darf in aller Kürze auf diese beiden Behauptungen antworten.
Erstens: Es handelte sich um eine umfassende Rede, die der Herr Bundeskanzler in ihren wesentlichen Grundzügen, soweit es den beanstandeten Text betrifft, analysiert hat. Es ist immer ein mißliches oder böswilliges Unterfangen, aus einer so langen Rede, die auch einen stark philosophischen Gehalt gehabt hat,
Einzelheiten herauszuziehen. — Ihr Gelächter, meine Herren — ich möchte diese Frage wirklich in Ruhe und Gelassenheit behandeln —, beweist mir immer wieder: von dem ganzen Parteitag, auf dem soviel Positives, entscheidend Positives vorgetragen worden ist, ist so gut wie nichts Wesentliches gewürdigt worden, aber diese eine Stelle, bei der man, wenn man nicht nachdenken wollte, ein Mißverständnis konstruieren konnte, ist herausgezogen worden!
Der Herr Bundeskanzler hat die Gründe, die bei genauem Nachdenken gegen ein solches Mißverständnis sprechen sollten, sehr deutlich gemacht. Nach der gesamten Tätigkeit von Herrn Dr. Seebohm im Parlamentarischen Rat kann ich sagen — und ich bin durch viele Monate hindurch sein enger Mitarbeiter gewesen —, daß nur eine völlige Verkennung seines Denkens die Handhabe zu einem solchen Mißverständnis bietet. Wenn im Ausland nach solchen Mißverständnissen gesucht wird, dann hat das ja oft eine sehr leicht begreifbare Begründung. Es sollte in unserem parlamentarischen und politischen Leben zum Anstand gehören, daß man die dem Aufbau verpflichtete Gesinnung als selbstverständlich jedem unterstellt, der in unserem schwergeprüften Vaterland politisch tätig ist.
Durch Jahre hindurch haben wir dafür gekämpft. Ich möchte einmal ein indisches Sprichwort zitieren zu all diesen Fragen, die heikel sind und die das Gefühl verletzen, wenn man überhaupt noch von ihnen spricht. Das indische Sprichwort lautet: Der Edle wird das Schlechte nicht ausspucken und auch nicht sein Herz vergiften lassen, sondern er wird es verdauen. Das heißt, er wird stärker sein als das Schlechte. Ich glaube, es gehört zu unseren deutschen Aufgaben, das Schlechte zu verdauen, um stärker zu sein, um etwas Gutes und konstruktiv Neues aufzubauen.
Die Herren Interpellanten haben auf die Wirkung im Ausland hingewiesen. Ich darf nur kurz erwähnen, daß der holländische Verkehrsminister, Herr Wemmer, der der Bundesrepublik einen Besuch abgestattet hat — und das geschah nach der Rede des Herrn Dr. Seebohm —, dem deutschen Botschafter im Haag erklärt hat, daß er mit dem Ergebnis der Verhandlungen und mit der persönlichen Haltung des Herrn Dr. Seebohm, der eine
wahrhaft europäische Sprache gesprochen habe, äußerst zufrieden sei.
Gerade dieses Urteil, wenn Sie schon auf die Wirkung abgestellt haben, Herr Kollege Arndt, gerade dieses Urteil des Ministers eines Landes, in dem neben Norwegen doch wohl noch besondere Schwierigkeiten zu überwinden sind, dürfte von besonderer Bedeutung sein.
Ich glaube, wir würden uns im politischen Leben .einen guten Dienst erweisen, wenn wir nicht in eine ausländische Pressekampagne, die irgend etwas Hergesuchtes auf den Plan bringt, einstimmten und damit den Eindruck erweckten, als gebe es in diesem Lande überhaupt noch maßgebliche Leute, die eine solche Äußerung tun könnten, wie sie dem Herrn Bundesverkehrsminister unterschoben worden ist.
Meine Damen und Herren, das ist doch nichts anderes als die Fortsetzung einer alten Erscheinung, die wir kennen.
Früher war es einmal üblich, daß man die Linke im Hinblick auf ihre nationale Zuverlässigkeit diffamierte. Das war eine sehr böse und schlechte Sache.
Heute ist es üblich, in jeder konservativen Richtung eine Wiederkehr reaktionärer Grundgedanken zu finden. Es sollte doch nun langsam klargeworden sein, daß zwischen einer Gesinnung des Radikalismus, wie sie vom Nationalsozialismus vertreten worden ist, und der alten konservativen Gesinnung, die in einer politischen Richtung wie der unsrigen zum Ausdruck kommt, ein Abgrund von Unterschieden besteht. Eine Welt trennt uns! Diese Erkenntnis sollte sich allmählich durchsetzen.
Ich darf von seiten meiner politischen Freunde aus sagen, wir bedauern es sehr, daß dieser Vorfall wiederum in einer Weise aufgebauscht worden ist, die unseren gesamten deutschen Interessen abträglich ist. Ich glaube — ich habe vermieden, mit Retourkutschen aufzufahren — das ist absolut ungut. Wir sollten so viel Vertrauen und gegenseitige Achtung haben, daß gewisse grundsätzliche Dinge, die die Lebensinteressen unseres Landes betreffen, die die Grundlagen unserer politischen Haltung betreffen, als selbstverständlich bei allen deutschen Parteien vorausgesetzt werden. Dann sind solche Mißverständnisse nicht mehr möglich!