Meine Damen und Herren! Der Versuchung, dieses Haus in eine Halle der Wiederholungen zu verwandeln, widerstehe ich, indem- ich mich darauf beschränke, nur einige wenige Punkte aus dem ziemlich umfangreichen Gemisch der Erörterungsgegenstände herauszugreifen und zu ihnen die Meinung meiner politischen Freunde zu sagen.
Ich darf dabei zurückgreifen und auf das verweisen, was mein Kollege Pfleiderer in der 68. Sitzung ausgeführt hat, indem er, glaube ich, umfangreicher und gründlicher, als es je von einem anderen hier geschehen ist, die Problematik einer neuen deutschen Außenpolitik in bezug auf ihre gedanklichen, ihre organisatorischen, ihre institutionellen und ihre personellen Voraussetzungen dargestellt hat. Ich verweise also darauf.
Aber weil ich an diese Dinge erinnere, muß ich auch kritisch an das anknüpfen, was der Herr Staatssekretär Hallstein vorhin gesagt hat. Er hat etwas leichthin von , der Gestaltung der Institutionen im deutschen Auswärtigen Amt gesprochen, als er von den Planstellen berichtet hat, die man nun besetzt habe, und von der Erwartung, bis Ende des Jahres 1952 zu endgültigen Ergebnissen zu kommen. Ich weiß nicht, ob man diese Dinge so mit der normalen Betrachtungsweise eines Aufbaues politischer Organisationen und Einrichtungen ansehen kann. Denn dies Auswärtige Amt und die deutsche auswärtige Politik stehen im Augenblick vor einer Fülle von Aufgaben und Verpflichtungen, die weit über das normale Maß der Tätigkeit eines Auswärtigen Amtes hinausgehen.
Wir haben in der vorigen Woche den Schumanplan verabschiedet. Ja, da ist nun ein internationales Vertragswerk, von einer großen Verwickeltheit zustandegekommen. Aber das Entscheidende beginnt erst, wenn die institutionellen und die personellen Entscheidungen zu treffen sind, die sich nicht in einem Moment vollziehen. Hier wird eine große Entwicklung eingeleitet, eine Entwicklung, die doch zu noch tieferen Wirkungen — Breitenwirkungen — führen soll, als das zunächst in der Begrenztheit dieses Vertragswerkes vorgesehen scheint.
Darf ich darauf aufmerksam machen, was es bedeutet, wenn sich nun diese Schumanplan-Länder auf einem bestimmten Zweige des wirtschaftlichen Geschehens gleichsam als Urkantone einer europäischen Föderation erstmalig zusammenfinden, und was sich daraus an Folgerungen und Folgen ergeben kann und ergeben mag? Ich darf auch darauf hinweisen, daß danach noch die ganze Fülle der übrigen Verträge kommt: alles, was mit der Ablösung des Besatzungsstatuts zusammenhängt, alles, was zusammenhängt mit den Fragen der Schuldenregelung, und dann alles, was zusammenhängt mit der Angelegenheit des Verteidigungsbeitrags, — lauter Entschlüsse und Entscheidungen, die ungeheuer verwickelte politische Untersuchungen verursachen. Man vermag sie nur mit einem vielgestaltigen Reservoir auch von Personen und Einsichten zu bewältigen, also lauter Erfordernisse, die uns vor ganz ungewöhnliche Aufgaben und Verpflichtungen in der deutschen Außenpolitik stellen. Ich darf auch darauf hinweisen, daß andere Verpflichtungen noch weit rückständig behandelt sind, etwa, wenn wir sehr wenig bisher tun, um die Tatsache der UNO-Tagung in Paris zu nutzen. Es gilt hier, Zusammenhänge herzustellen, gerade die politischen Entscheidungen, die sich dort in weltweitem Rahmen abspielen, mit unseren Überlegungen, mit unseren Einsichten, j a mit den ach, so unbekannten und unverstandenen Tatbeständen unseres politischen Lebens vertraut zu machen. Alle diese Vorgänge stellen also Verpflichtungen für ein deutsches Auswärtiges Amt dar und ergeben eine solche Fülle der Aufgaben, daß man sich, glaube ich, nicht mit alltäglichen Erwägungen über den Aufbau der üblichen Ämter und mit Planstellen und mit dem üblichen Ablauf der Maßnahmen selbstzufrieden begnügen sollte.
Es kommt aber etwas Weiteres hinzu, nämlich daß zu allem Gelingen in einer Außenpolitik zweierlei gehört: eine Resonanz bei den übrigen Völkern, mit denen man seine Außenpolitik, seine Lebensformen, seine internationalen Beziehungen entwickeln muß; und auf der andern Seite gehört auch zum Erfolg dieser Politik — und davon ist eben vor mir auch vom Herrn Bundeskanzler gesprochen worden — die Konsonanz im eigenen Land und im eigenen Volke, vor allen Dingen die Konsonanz zwischen den widerstrebenden und rivalisierenden 'Gruppen im Parlament innerhalb des Rahmens der außenpolitischen Entscheidungen.
Ich darf da doch, was die Unterrichtung angeht, den Herrn Bundeskanzler einmal darauf aufmerksam machen, daß sich die Abgeordneten, auf
welcher Seite des Hauses sie auch sein mögen, sehr oft in seltsamer Lage befinden,
wenn sie auf amtliche Weise über Absichten und Phasen der zwischenstaatlichen Vorgänge nicht ausreichend unterrichtet sind. Da und dort geraten sie in Unterhaltungen oder Auseinandersetzungen oder Reden in die Verlegenheit, als Abgeordnete ungenügend oder überhaupt nicht über Dinge unterrichtet zu sein, die weithin in der Presse, in öffentlichen Einrichtungen, im Rundfunk oder auch in Organisationen und Verbänden erörtert werden. Das schafft keine glückliche Voraussetzung für die Stellung des Abgeordneten, der als wichtiges Instrument für die Übermittlung des Verständnisses für die außenpolitischen Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung wirken möchte, wenn er, schlecht unterrichtet, immer wieder in neue Verlegenheiten gebracht wird.
Also: die Maße und die Mittel einer schnelleren und besseren Unterrichtung des Parlaments, der Abgeordneten und der zuständigen Ausschüsse sollten stärker beachtet und stärker berücksichtigt werden. Es ist eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen einer Außenpolitik, wenn man die Konsonanz im Inneren herstellt, um die Resonanz nach außen zu verstärken.
In diesem Zusammenhang dann noch ein paar Bemerkungen über den Personenkreis, den wir für diese auswärtigen Aufgaben brauchen und den wir nötig haben, um die gekennzeichnete Fülle der außenpolitischen Aufgaben durchzuführen. Ich will heute nicht wieder auf die Frage der Personalunion eingehen. Seit dem Frühjahr 1950 hat sich in dieser Hinsicht die Auffassung meiner politischen Freunde nicht geändert. Wir- haben auf unserem letzten Parteitag ganz klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, daß wir für den Zusammenhang zwischen Parlament und außenpolitischer Leitung und auch in anderem Zusammenhang das Institut eines parlamentarischen Staatssekretärs für dringend erforderlich halten. Ich glaube, wenn man das durchgeführt hätte, wäre die heutige Unterhaltung über die Kompetenzbegrenzung des beamteten Staatssekretärs nicht nötig gewesen. Man ist vielleicht in diesem Fall von seiten der Opposition etwas gouvernantenhaft an die Beurteilung der Dinge herangegangen. Ich bin der Meinung, daß auch ein beamteter Staatssekretär in der Lage sein muß, politische Einrichtungen und Gestaltungen sachlich aufzuklären und zu kennzeichnen. Das gilt nicht nur für den Staatssekretär des Auswärtigen, der einen Vortrag über eine Neukonstruktion hält, wie sie der Schuman-plan darstellt, sondern das gilt auch für andere. Man hat es bisher nicht beanstandet, wenn etwa ein Staatssekretär über den Wohnungsbau in einer Wohnungsbaugenossenschaft geredet hat oder wenn ein anderer in einer wirtschaftlichen Organisation über bestimmte Steuermaßnahmen und dergleichen mehr gesprochen hat. Es ist zwar mit Recht gesagt worden, daß es hier eine Grenze gibt, die nicht überschritten werden darf, wenn wir nicht in die Gefahr kommen wollen, daß bei einem etwaigen Wechsel der politischen Kräfteverhältnisse und bei Kabinettsumbildungen jedesmal eine große Garnitur von Ministerialbeamten mit ausgewechselt wird; das wäre verhängnisvoll und gefährlich für die staatliche Ordnung.
Der Hinweis auf diesen Zusammenhang mag ganz gut sein. Auf der andern Seite darf man aber auch nicht zu eng auslegen. So erschien mir der Zwischenruf, der die Ausführungen ides Herrn Berichterstatters beanstandete, unberechtigt; denn ein Berichterstatter muß doch schließlich, ohne daß ihm daraus der Vorwurf des Polemisierens gemacht werden kann, die Motive zum Ausdruck bringen können, die für die Mehrheit — in diesem Falle handelt es sich sogar um einen einstimmigen Beschluß —, also für diejenigen bestimmend gewesen sind, die einen Beschluß gefaßt haben. Also ich weiß nicht, ob wir von dieser gouvernantenhaften Betrachtungsweise nicht etwas loskommen sollten, die immer gleich kleine Überschreitungen von Grenzen und dergleichen irgendwie zu rügen geneigt ist. Man kann solche Dinge ruhig etwas großzügiger behandeln.
Aber noch eins zu den personellen Frauen. Es gibt ida zwei Aufgaben: Auslese und Ausbildung. Einmal handelt es sich um die Auslese eines Beamtenkörpers. Das ist ein sehr schwieriges Beginnen, weil auf diesem Gebiet nicht alles, was sich anbietet, zu gebrauchen ist. Die Kenntnis fremder Sprachen reicht bestimmt noch nicht aus, auswärtige Politik zu machen oder im Rahmen des auswärtigen Dienstes verantwortliche Funktionen auszuüben.
Zum zweiten ist eine bestimmte Ausbildung notwendig. Auslese und Ausbildung hängen aufs innigste zusammen. Ich glaube allerdings, man darf sich bei dieser Ausbildung nicht darauf beschränken, in einer etwas kleinstädtischen Weltabgeschiedenheit einfach bloße Kenntnisse zu vermitteln, sondern man sollte Wert darauf legen, die Anwärter für diese Tätigkeiten dort in den unmittelbaren Zusammenhang mit idem Weltgeschehen zu bringen, wo sich dieses auch bei uns sichtbar macht, nämlich in den Formen des Außenhandels und der Außenwirtschaft. Von da aus öffnet sich nämlich der Weg zu den psychologischen Einsichten, die wesentlich sind, auch in den Fragen des internationalen Nachrichtenwesens, der Bildung der öffentlichen Meinung, der Geschmacksbildung und was damit alles zusammenhängt, — eine ungeheure Fülle von Einsichten, die auf diese Weise sehr viel besser zu gestalten sind als lediglich über Vorträge, Vorlesungen und Seminare. Da wird, glaube ich, einiges geschehen müssen.
Ferner, meine Damen und Herren, zu einer Frage, in der zweifellos nicht mit der notwendigen oder wünschenswerten Schnelligkeit oder Beschleunigung gewirkt worden ist; das ist die Erweiterung des Kreises unserer ausländischen Missionen. Es ist kein gutes Bild, wenn wir bei uns Missionen fremder Länder haben, aber in das entsprechende Land von uns keine Mission entsandt ist und wenn dieser Zustand von Monat zu Monat bestehen bleibt. Da muß auch rasch das Notwendige geschehen.
Auch für die angemessene wirtschaftliche Sicherstellung der Personen, denen wir zumuten, unser Land draußen zu vertreten, muß etwas getan werden. Wenn man sie materiell und geistig in Kümmernis und Dunkelheit vegetieren läßt, kann man auf die Dauer nicht von ihnen verlangen, daß sie mit Phantasie, mit Wendigkeit und mit Einfallsreichtum wirken.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist nun zu Ende. Ich habe besonderen Anlaß, mich der
Mahnung durch die Laterne sehr fügsam zu erweisen; infolgedessen gehe ich.