Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann in das Lob, das mein verehrter Vorredner der Bundesregierung gespendet hat, nicht voll einstimmen. Ich hätte es gern getan; aber die Antwort der Bundesregierung hat mich nicht voll befriedigt, nicht so sehr deswegen, weil uns der Herr Bundeskanzler zu Punkt 1 der Interpellation nicht mitteilen konnte, daß er in der Sitzung des Ministerkomitees des Europarats diese Aspekte der Saarfrage angesprochen habe. Ich gebe zu, daß es in der ersten Sitzung schwer war, dies zu tun. Ich glaube aber, der Herr Bundeskanzler hätte schon in dieser ersten Sitzung offiziell anmelden können, daß er es in der nächsten Sitzung tun werde.
— Haben Sie es getan? Dann bedauere ich, daß Sie es uns nicht gesagt haben.
Ich wäre dann um eine Enttäuschung ärmer gewesen.
In diesem Falle, meine Damen und Herren, wäre die Unterrichtung des Parlaments wirklich sehr einfach gewesen.
Der Bundeskanzler hätte nichts anderes zu tun brauchen, als uns vollständig zu sagen, was er getan hat.
Aber es wäre mir recht lieb gewesen, wenn uns der Herr Bundeskanzler hätte sagen können, daß diese nächste Sitzung des Minister-Komitees auch in bezug auf die Saarfrage jetzt schon und ausreichend diplomatisch vorbereitet wird.
Er hätte uns vielleicht sagen können, ob den Regierungen, die in diesem Minister-Komitee vertreten sind, Noten zugestellt worden sind. Er hätte uns sagen können, ob diplomatische Sondierungen stattgefunden haben, ob man eine Dokumentation zusammengestellt und ob man diese Dokumentation den Regierungen übermittelt hat, deren Außenminister im Minister-Komitee zusammenkommen werden. Denn schließlich kann man ja nicht gut ein gutes Ergebnis dieser Intervention erwarten, wenn die einzelnen Außenminister nicht vor ihrer Zusammenkunft ausreichend und ausgiebig unterrichtet worden sind.
Wir stehen heute im Zeitalter der Konferenzdiplomatie — das mag eine gute Methode sein —, aber auch die Konferenzdiplomatie beginnt nicht erst im Konferenzsaal, sondern sie muß durch eine direkte diplomatische Fühlungnahme mit den einzelnen Regierungen, die sich in diesen Konferenzen konfrontieren, vorbereitet werden. Es mag sein, daß man auch hier wieder sagen wird: Gut, aber man darf doch das Werden Europas durch solche Sondierungen, durch solche diplomatischen Aktionen nicht stören. Ich habe mich gefreut, daß der Herr Bundeskanzler in aller Klarheit gesagt hat, daß er in der nächsten Sitzung des Minister-Komitees die Zustände an der Saar ansprechen wird. Er hat das mit aller Deutlichkeit gesagt, und ich bin überzeugt, daß er mit der gleichen Deutlichkeit in Straßburg sprechen wird.
Damit stellt er sich auf einen andern Standpunkt als den, den ein deutscher Delegierter im Europarat vertreten hat: solange er die Hoffnung auf die Verwirklichung Europas nicht verloren habe, werde er sich weigern, die Saarfrage auch nur anschneiden zu lassen ...
Das scheint mir keine gute Methode zu sein. Wir meinen, daß man gerade um Europas willen die Saarfrage anschneiden muß; denn Europa beginnt zu Hause!
Und Europa kann man zunächst nur so schaffen, daß man uneuropäische Zustände beseitigt und das Recht verwirklicht, wo es gekränkt wurde! Die Saarbevölkerung wartet darauf, daß man die Saarfrage anschneidet, und sei es nur, um bei den Wahlen dieses Jahres sich frei entscheiden zu können. Das kann sie a heute nicht, wo sie nur staatlich konzessionierte Parteien wählen darf; das kann sie heute nicht, wo man ihr die freie Presse verweigert, die sie haben will; und das kann sie nicht, solange das Polizeiregime dauert, das man an der Saar eingerichtet hat. Da muß etwas anders werden, und es kann nur anders werden, wenn sich der Europarat in Straßburg um diese An-
gelegenheiten kümmert; und wir meinen, daß diese Sache in dem Organ des Europarats angesprochen werden sollte, in dem man nicht nur reden, sondern auch handeln kann, und dieses Organ ist das Minister-Komitee.
Zum zweiten Punkt der Interpellation. In dem Dokument, das für die Auffassung der Besatzungsmächte über den Status Deutschlands entscheidend ist, nämlich der Erklärung vom 5. Juni 1945, ist dort, wo vom deutschen Staatsgebiet geredet wird, ausdrücklich gesagt, daß Deutschland innerhalb der Grenzen vom 31. Dezember 1937 in Zonen aufgeteilt wird. Es ist weiter gesagt, daß die Übernahme der obersten' Gewalt in allen Teilen dieses Gebietes durch die Alliierten keine Annexion bedeute. Das steht wörtlich dort! Ich glaube, daß damit die Frage, was deutsches Staatsgebiet ist, auch von alliierter Seite klar und eindeutig beantwortet ist.
Man sollte aber nicht vom früheren „Deutschen Reich" sprechen, obwohl ich weiß, daß der Herr Bundeskanzler damit nicht sagen wollte, daß wir jetzt einen andern Staat hätten. Ich nehme an —j a ich bin sicher, daß er auch auf dem Standpunkt der Identität steht —: der Staat, der früher einmal „Deutsches Reich" hieß, ist mit den Grenzen, in denen er legal bestanden hat, Staat geblieben.
Nun ist uns in der Note vom 22. Oktober des Jahres 1950 gesagt worden — in der Note, in der es sich um die Frage der deutschen Vorkriegs- und Nachkriegsschulden handelte —, daß die Bundesregierung die einzige Stelle sei, die Deutschland international vertreten könnte. Gemeint war damit ganz offenbar die einzige Stelle, die für Deutschland, die für Gesamtdeutschland sprechen
könne. Das ist richtig. In der Note vom 29. Mai heißt es aber, daß die Jurisdiktion der Bundesrepublik sich nur auf das Anwendungsgebiet des Grundgesetzes erstrecke, und der Herr Bundeskanzler sagte, daß er in diesen beiden Noten keinen Widerspruch sehen könne. Ich hoffe, daß er recht hat; aber immerhin kann man doch Zweifel haben, und ich habe den Eindruck, daß in der Note vom 29. Mai nicht so sehr gemeint war, daß die Bundesregierung nicht obrigkeitliche Gewalt im Saargebiet ausüben könne, sondern daß ihr dort vielmehr das Recht abgesprochen werden sollte, für die Saarbevölkerung zu sprechen.
Das ist der Sinn dieser Note, und das sollte damit gesagt werden.
— Aber gemeint war, was ich sagte. Der zitierte Satz ist doch niedergeschrieben worden als Antwort auf das Anliegen der Bundesregierung, und die Bundesregierung hat ja nicht verlangt, hoheitliche Gewalt im Saargebiet auszuüben, sondern hat nur für sich das Recht in Anspruch genommen, auf Vorgänge hinzuweisen, die sich im Saargebiet ereignen,
und es ist ihr durch die Note dieses Recht bestritten worden. Ich meine, daß es richtig gewesen wäre, wenn die Bundesregierung dagegen protestiert hätte und wenn sie erklärt hätte, daß sie für sich das Recht in Anspruch nimmt — nicht obrigkeitliche Gewalt im Saargebiet auszuüben, aber für die Saarbevölkerung zu sprechen, weil es sich um Deutsche handelt und weil die Bundesregierung für die Interessen aller Deutschen sprechen kann, mögen diese Interessen betroffen werden wo auch immer.
Ich glaube, daß auf diese Note hin den beteiligten Regierungen gegenüber eine deutliche Erklärung am Platze gewesen wäre und daß diese noch nachgeholt werden könnte und nachgeholt werden sollte.
Zu Ziffer 3 der Interpellation. Ein Staatssekretär ist ein politischer Beamter; das ist richtig. Auch ein Regierungspräsident ist ein sogenannter politischer Beamter. Aber das bedeutet doch nicht, daß das Beamte sind, die Politik zu machen haben!
Zwischen politischen Beamten im Sinne des Beamtenrechts und jemandem, der, wenn auch in beamteter Stellung, Politik zu machen hat, besteht doch ein Unterschied. Nun meinen wir, daß Beamte die Aufgabe haben, die Aufträge der Regierung in ihrem Dienst zu erledigen, daß sie aber nicht die Aufgabe haben, draußen Politik zu machen und die Politik ihrer Regierung zu verteidigen. Das ist eine ganz wesentlich politische Funktion und nicht eine Funktion, die einem Beamten ansteht. Wie soll denn sonst in einem parlamentarischen Regime das Prinzip der Kontinuität der Beamtenschaft gewahrt werden, wenn man den Beamten hinausschickt, um die Politik der jeweiligen Regierung zu verteidigen? Er soll in seinem Amt gemäß den politischen Aufträgen seiner Regierung als Beamter handeln; er soll sich aber nicht draußen auf die Tribüne stellen und eine bestimmte Politik verteidigen. Gewiß, der Minister, der Kanzler kann dafür die Verantwortung übernehmen und muß dann für das, was der Beamte draußen gesagt hat, in diesem Saal geradestehen. Aber ich stelle die Frage nach der Zweckmäßigkeit eines solchen Verhaltens. Ist es denn zweckmäßig, aus einem beamteten Staatssekretär, aus einem Beamten also, etwas wie einen Ersatzminister zu machen? In den alten parlamentarischen Demokratien scheidet man mit aller Schärfe zwischen civil service, also zwischen der spezifischen Beamtenfunktion, und den Männern, deren Aufgabe es ist, politische Ziele aufzustellen oder bestimmte politische Ziele und Methoden zu vertreten und zu verteidigen. Wir sollten das auch tun, und ich hielte es für gar keine schlechte Sache, wenn wir darangingen, parlamentarische Staatssekretäre zu schaffen.
Man hat Herrn Staatssekretär Hallstein in der Schumanplan-Debatte meinem Dafürhalten nach überstrapaziert. Man hätte ihn nicht dazu bestellen sollen, auf wirtschaftspolitische Kritiken mit wirtschaftspolitischen Argumenten zu antworten und ähnliches mehr. Wir glauben, daß in einem solchen Falle der Fachminister sprechen sollte; denn auch dann, wenn über einen internationalen Vertrag debattiert wird — den natürlich der Außenminister politisch zu vertreten hat —, müssen doch die Fachminister die fachliche Verantwortung für den Inhalt des Vertrags, der ihr Fachgebiet betrifft, übernehmen. Sie hätten dazu sprechen sollen; denn
es genügt nicht, daß man von der Ministerbank zweimal „Hört! Hört!" gerufen hat.
Ich halte es auch für eine unmögliche Sache, daß ein Staatssekretär vor Besatzungsbeamten politisch und polemisch spricht. Wenn man ihn eingeladen hätte, den Besatzungsbeamten Ratschläge für ihre Amtsführung zu geben, — gut. Aber dazu hat man ihn ja nicht gerufen. Es sollten ja diese Beamten nicht bewogen werden, ihr Amt in einer bestimmten Weise zu führen! Politische Prognosen vortragen, wie Staatssekretär Hallstein es getan hat, ist aber politische Stellungnahme; und so etwas wirkt doch, wenn auch ungewollt — denn ich bin überzeugt, daß Herr Hallstein das nicht wollte —, objektiv als ein Anreiz für die Besatzungsmächte, sich in innenpolitischen Auseinandersetzungen der Deutschen gewissermaßen als Streitgenossen zu fühlen, und das ist eine Situation, die man nicht schaffen sollte.
Zum vierten Punkt. Der Bundeskanzler hat sich darüber beklagt, daß man über die Regierung geurteilt habe, ohne den Tatbestand zu kennen. Nun, man hat ja die Bekanntgabe des Tatbestands schon vor etwa Jahresfrist durch einen Beschluß dieses Hauses angefordert. Wir meinen, daß in der Zwischenzeit Gelegenheit gewesen wäre, uns diese Dinge mitzuteilen. Schließlich müssen ja Aufträge innerhalb eines tempus utile, innerhalb einer nützlichen Zeit,. ausgeführt werden, sonst hat es keinen Sinn, an die Regierung Aufträge zu beschließen. Immerhin: die Art, wie diese Anfrage beantwortet ist, scheint mir ein Muster dafür zu sein, wie Große Anfragen im allgemeinen beantwortet werden sollten, nämlich durch schlichte_ Bekanntgabe einwandfreien Materials; und das ist geschehen.
Der Herr Bundeskanzler hat weiter erklärt, daß man ihm zu Unrecht vorwerfe, daß die erbetenen Antworten nicht schon während der Etatdebatte gegeben worden seien, und er hat daran erinnert, dais in dieser Debatte eine Situation entstanden sei, die die Aufmerksamkeit auf etwas anderes als das Gefragte gelenkt hätte. Ich erinnere mich an diese Debatte, und ich gebe zu: das ist ein Einwand. Aber schließlich hätte man ja die Antworten, die man in der Debatte nicht gegeben hat, später nachholen können. Man hätte ja nicht unbedingt zu warten brauchen, ob man einige Monate später erneut gefragt werden würde. Denn die Beantwortung von Fragen, die im Parlament gestellt werden, ist doch die erste Verpflichtung einer parlamentarisch verantwortlichen Regierung, und zwar auch dann, wenn diese Fragen von der Opposition oder von irgendeiner Minderheit gestellt werden; denn auch wenn eine Minderheit fragt, fragt durch sie hindurch das ganze Parlament, und Sache der Mehrheit ist es nur, aus den Antworten, die auf diese Fragen gegeben werden, die geeigneten politischen Konsequenzen zu ziehen.
Aber darüber hinaus hat die Regierung unseres Erachtens die Verpflichtung, das Parlament von sich aus, ohne besonders gefragt zu werden, zu unterrichten, und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem die Auffassung des Parlaments sich noch auf die Tätigkeit der Regierung auswirken kann. Die französische Regierung hat hier eine gute Lehre gegeben. Sie hat jüngst die Vertagung der Lissaboner NATO-Konferenz erbeten mit dem Hinweis darauf, sie wolle vorher die Meinung des französischen Parlaments zur Frage der Europaarmee einholen und brauche deswegen noch die Zeit für eine parlamentarische Debatte. Ich glaube, daß es gut für die Demokratie in Deutschland wäre, wenn die Bundesregierung sich ähnlich verhalten wollte. Der Herr Bundeskanzler hat neulich darauf hingewiesen, wie so anders als in Deutschland in England das Verhältnis zwischen Opposition und Regierung sei. Aber hat er sich denn dabei auch überlegt, ob e r sich der Opposition gegenüber so zu verhalten pflegt wie die englische Regierung ihrer Opposition gegenüber?
Unterrichten heißt ja nicht, nachträglich mitteilen, daß der Zug angekommen ist. Unterrichten heißt auch nicht mitteilen, daß die Geleise schon liegen, auf denen der Zug fahren soll. Unterrichten heißt doch, das Parlament, und zwar alle Seiten des Parlaments, schon an der Fragestellung zu beteiligen; denn die Fragestellung bedingt doch schon die halbe Antwort! Wenn so verfahren wird, dann, meine Damen und Herren, ist eine Diskussion mit uns über die Grundlage einer gemeinsamen Außenpolitik möglich. Wenn nicht so verfahren wird, dann ist diese Diskussion nicht möglich, und zwar wird sie dann durch Verschulden der Regierung nicht möglich sein. Wir wären um Deutschlands willen sehr froh, wenn es möglich wäre, Voraussetzungen — echte, tragfähige Voraussetzungen — für eine gemeinsame deutsche Außenpolitik zu schaffen.