Rede von
Margarete
Hütter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Mein Fraktionsfreund Euler hat heute eines Mannes gedacht, der sich an höchster verantwortlicher Stelle im deutschen öffentlichen Leben die Aufgabe gestellt hatte, die den Völkerfrieden beeinträchtigenden alten Gegensätze zwischen Frankreich und Deutschland zu beseitigen: Gustav Stresemann. Man kann aber dieses Mannes nicht gedenken, ohne seinen großen Partner auf der französischen Seite, Aristide Briand, zu erwähnen. Er ist verbunden — ob im Lob, ob in der Kritik der Geschichte der zwanziger Jahre, der Geschichte Europas — mit der Person Stresemanns.
Als ich an einem kalten Wintermorgen des Jahres 1932 meine Wohnung in Paris verließ, um zur Arbeit zu gehen, fand ich wenige, Schritte von meinem Hause entfernt eine Menschengruppe, die sich um einen Sarg gruppierte; und man flüsterte, daß es sich um Briand handele, der in diesem Sarg liege. Die Abendpresse erzählte dann von dem Besuch des deutschen Botschafters, Herrn von Hoesch, als einem der ersten diplomatischen Vertreter fremder Länder in Paris bei der Leiche Briands. Herr von Hoesch legte ein Veilchensträußchen auf das Bett des Toten. Ich verfolgte meinen Weg, der der gleiche war wie der des Sarges, und ich habe beobachten können, daß es damals Franzosen gab, die beim Anblick dieses Sarges die Hand zur Faust ballten.
Damals wurde die Hoffnung der europäischen Jugend, insbesondere die Hoffnung der deutschen Jugend, zu Grabe getragen; und die politische Entwicklung des deutschen Volkes führte zu einer seiner größten Niederlagen.
In den zwanziger Jahren war der Europa-Gedanke hauptsächlich von Deutschland ausgegangen. Heute, meine Herren und Damen, bietet uns ein Franzose die Hand zur Überbrückung der alten Gegensätze zwischen Frankreich und Deutschland. Heute bietet uns Schuman die Hand. Der Schumanplan ist also einerseits ein Stück Verwirklichung alter Wünsche; andererseits — das wissen wir — ist er ein Vorläufer; denn es hinken noch viele ungelöste politische Fragen nach, die nicht nur von der Opposition vorgetragen wurden. Sie dürfen kein politischer Unruhefaktor bleiben, sie müssen bald beantwortet werden.
Ich denke — um nur einen der Faktoren zu nennen — an die noch Festgehaltenen, an die deutschen Festgehaltenen in fremdem Gewahrsam. Aber gerade diese Menschen setzen ihre ganze Hoffnung auf die Verständigungspolitik des heutigen Deutschlands. Gerade diese Menschen erblicken in dem Schumanplan ein Stück Vorwärts in dieser Richtung. Hand in Hand mit der übrigen Welt soll das politische Gleichgewicht wiederhergestellt werden, das uns den Frieden gewährt; denn davon, daß es uns gelingt, mit den übrigen Ländern der christlich abendländischen Welt einen Friedensbund zu gründen, hängt unsere Zukunft, die Zukunft unserer Kinder ab; einen Friedensbund, der vom Friedensvertrag darin unterschieden sein würde, daß dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege zu enden suchte. Oder wie Kant sagt:
Dieser Bund gehe auf keinen Erwerb irgendeiner Macht des Staates, sondern lediglich auf Erhaltung und Sicherung der Freiheit eines Staates für sich selbst und zugleich anderer verbündeter Staaten, ohne daß diese doch sich deshalb öffentlichen Gesetzen und einem Zwang unter demselben unterwerfen sollen.
Die Jugend von damals, die Jugend zu Briands und Stresemanns Zeiten, ist die mittlere Generation von heute, ist die Generation, die an der Front war, die in Gefangenschaft war und zum Teil auch heute noch ist. Sie hat erfahren, daß es vieler Jahre bitterster Erfahrung bedarf, um große Ideen zum Reifen, um Wünsche zum Tragen zu bringen. Sie erwartet — um es zu betonen —, daß Europa nicht länger Diskussionsthema bleibt; sie erwartet, daß es Wirklichkeit wird. Und als eine, die zu dieser Generation gehört und ihre Freuden und Leiden geteilt hat, freue ich mich, daß mit der Ratifizierung des Schumanplans Europa aus der Ebene des Gesprächs gerückt ist, Europa endlich zur Fahne wird.
Ich bitte das Hohe Haus, die Ratifizierung des Schumanplans zu bestätigen.