Rede von
Dr.
Luise
Rehling
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Frau Kollegin Strohbach hat sich heute früh berufen gefühlt, als Anwältin der deutschen Mütter und der deutschen Jugend einen dringenden Appell an die Abgeordneten dieses Hauses zu richten, die Montan-Union abzulehnen, weil sie die erste Etappe auf dem Wege zu einem dritten Weltkrieg bedeute. Ich schmeichle mir nicht, Frau Strohbach eines Besseren belehren zu können, und möchte das auch gar nicht versuchen. Wir sprechen zwar die gleiche Sprache, aber wir füllen die Begriffe mit einem völlig verschiedenen Inhalt, und diese Tatsache macht leider ein gegenseitiges Verstehen unmöglich.
Ich möchte aber von dieser Stelle aus ganz kurz begründen, warum ich mich getraue, als eine Frau, die ja zum Schumanplan sagt, ohne Scheu vor deutsche Mütter und deutsche Jugend hinzutreten. Als wir im Mai vorigen Jahres in Straßburg über den Schumanplan debattierten, sagte Paul Reynaud, der 1940 beim Einzug der Deutschen in Paris französischer Ministerpräsident war, in den folgenden Jahren viel gelitten hatte und einer der Organisatoren der französischen Widerstandsbewegung war, unter Bezugnahme auf die Rede der deutschen Delegierten Professor Nölting, Dr. von Campe und Dr. von Brentano folgendes:
Wir haben zwischen zwei Geistesrichtungen zu wählen. Die von unserem Kollegen Nölting vertretene bedeutet einen Schritt rückwärts zu einem in Nationalstaaten sich gegeneinander abkapselnden Europa, während die Kollegen von Brentano und von Campe sich in ihren Reden auf ein wahrhaft europäisches Niveau erhoben haben.
Ich entscheide mich für den letzteren Weg; denn es handelt sich um Europa.
Unter starkem Beifall der Versammlung fuhr er fort:
Wenn es uns gelingt, hier zum erstenmal die punktierten Ländergrenzen auszulöschen, dann wird es uns auch gelingen, die Tränen der Mütter in Europa zu trocknen.
Aus diesem Geist heraus ist die Konzeption des Schumanplans geboren, und das ist ihre Zielsetzung. Und weil ich es als das Hauptanliegen meiner politischen Tätigkeit ansehe, alles zu tun, was der Sicherung eines echten Friedens dienen kann, nachdem ich erlebt habe, was an Jammer und Elend über die Frauen, die Mütter und die Jugend der beteiligten Völker allein durch die beiden Weltkriege dieses halben Jahrhunderts gebracht worden ist, stimme ich für den Schumanplan; denn er ist ein konstruktiver Beitrag zu einer echten Friedenspolitik.