Rede von
Alfred
Loritz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(Fraktionslos)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)
Gut! — Meine Damen und Herren, mir stehen leider nur 10 Minuten Redezeit zur Verfügung.
— Ja, für Sie ist das zuviel. Ich kann deswegen nur einige wenige Punkte herausgreifen. Lassen Sie mich ein paar Sätze zu dem sprechen, was uns Herr Bundeskanzler Adenauer heute an diesem so historisch wichtigen Zeitpunkt sagte. Die Rede, die er heute hielt, war eine der inhaltlich mattesten, die wir je von ihm vernommen haben. Oder zeugt es vielleicht von einer staatsmännischen Klugheit, Sätze zu gebrauchen, in denen sich Worte finden wie „geschlagener Gegner", gegenüber Deutschen, die auch, wie es die Abgeordneten der Opposition tun, für sich in Anspruch nehmen, das Interesse Deutschlands und der europäischen Zivilisation im Auge zu haben? Vielleicht ist der Herr Bundeskanzler in seinen Gedankengängen schon von den kommenden Dingen so angekränkelt, daß er sich nur noch in militärischen Begriffen äußern kann und von „geschlagenen Gegnern" und vielleicht demnächst gar von Divisionen und Armeekorps
und von Tankangriffen, und von was weiß ich sonst noch spricht!
Meine Damen und Herren, ich möchte es mir verbitten, daß hier solche Ausdrücke in einer Auseinandersetzung unter Deutschen gebraucht werden. Laufen vielleicht heute die Fronten schon so, daß für Herrn Adenauer und die Interessenten des französischen Comité des Forges zusammen wir die Gegner sind, wir, die wir stets gegen Diktatur und Faschismus, und wie all das geheißen hat, gekämpft haben!
Meine Herren, noch eine Äußerung Dr. Adenauers; und das ist weitaus das Wichtigste. Adenauer sagte, die Opposition würde — ich habe es mir wörtlich mitstenographiert — in keiner Weise ein wirkliches Bild sich davon machen, was das Ausland denkt und wie das Ausland und die Welt wirklich uns sieht. Ich glaube, gerade hierin liegt eine enorme Verkennung der Lage seitens Dr. Adenauers. Das Ausland hält gar nichts von einem pseudoidealistischen Vortrag von irgend jemand hier herinnen, in dem es wimmelt von Ausdrücken wie „Europa" und „Idealismus" und „neue Zukunft" und „Vergessen", und weiß Gott was. Im Gegenteil, solche pseudoidealistischen Ausführungen sind im Ausland geradezu verdächtig,
weil im Ausland nichts mehr gefürchtet wird als jene labilitas animi, die sich heute duckt und wehmütige Erklärungen abgibt und in pseudoidealistischen Phantomen schwelgt und vielleicht wieder morgen, so wie sie das gestern getan hat — wenn sie glaubt, sich das leisten zu können —, wieder mit dem Stiefel brutal drauftritt auf die Schwachen, die am Boden liegen. Ich glaube, das Ausland — wenigstens das Ausland, auf das es uns ankommt — will gar nicht solche unwahre idealistische Träumereien hören. Dem Ausland wäre es sehr viel sympathischer, wenn es wüßte, wie wir uns die Dinge denken, was wir zu fordern haben, was wir wirklich fordern und was wir den anderen dafür anbieten wollen.
Diese Politik des do ut des, diese klare Angabe dessen, was wir leisten wollen und dafür verlangen, wird uns nicht verdächtig machen, sondern verdächtig machen Deutschland solche Redensarten, wie wir sie zum Überdruß in den letzten zwei Tagen von seiten der Regierungsparteien und auch der Regierung gehört haben.
Meine Damen und Herren, ich glaube, man wird draußen nicht bloß die Reden der Opposition analysieren, wie der Herr Bundeskanzler meint, sondern gerade Ihre Reden nach diesen pseudoidealistischen Gesichtspunkten hin!
Lassen Sie mich kurz den Kardinalfehler der Politik der Regierungskoalition und der Politik Dr. Adenauers aufzeichnen.
Dr. Adenauer will im Juni Äpfel ernten und essen, statt bis zum September damit zu warten. Ich fürchte, Dr. Adenauer und seine Regierung werden nach dem Genuß dieser unreifen Äpfel an der Ruhr sterben,
wobei Sie mein Wortspiel mit der Ruhr als Krankheit und mit der Industrie an der Ruhr vielleicht begriffen haben, meine Herren Zwischenrufer da vorne.
Ja, meine Damen und Herren, ich fürchte, diese Regierung wird an der Ruhr sterben!
Was wir Dr. Adenauer vorwerfen, das ist, daß er die ungeheurliche Chance nicht erkennt, die zu uns gekommen ist, nicht etwa durch Verdienst der Adenauer-Regierung,
auch nicht durch Verdienst irgendwelcher anderer
Herren, nein, sondern durch die grundsätzliche
Umgestaltung der ganzen Weltsituation infolge des
Korea-Konflikts usw. uns in den Schoß gefallen ist.
Wenn wir die Situation ausnutzen, erregen wir nicht den Verdacht des Auslands, sondern wir würden im Gegenteil als Partner nur geachtet werden, als Partner, die endlich einmal vernünftig und realistisch und nicht pseudoidealistisch denken können.
Ich bin schon als Jurist für klare Abmachungen. Ich will heute wissen: Was wollen wir den Franzosen geben? Wir anerkennen ihre Bedürfnisse auf deutsche Kohle; aber wir anerkennen nicht die unerhörte Benachteiligung Deutschlands und wahrscheinlich auch des französischen Volkes und der Völker der übrigen Schumanplan-Länder durch den Vertragsentwurf, der Ihnen vorliegt. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte eines
D sagen:
Die Wandlung, die sich im Ausland vollzogen hat, ist ein Glückzufall, der uns vielleicht verdientermaßen, vielleicht auch unverdientermaßen,
ja, vielleicht auch verdientermaßen in den Schoß gefallen ist. Wenn wir von den Sünden der Vergangenheit sprechen — gut und recht. Ich bin der erste, der schon seit Jahrzehnten den Finger darauf gezeigt hat. Aber dann müssen wir auch von den Sünden sprechen, die in der Austreibung von 16 Millionen Ostdeutschen bestanden haben. Die Schuld hieran liegt keineswegs nur im Osten. In Jalta und Potsdam haben noch andere Herren mitgewirkt bei diesen Dingen, die genau so ein Verbrechen an der Menschheit sind, und vielleicht in ebenso großem Umfang wie das, was die Gestapo während der Hitlerzeit an unschuldigen Menschen gesündigt hat.
Nachdem ich nur noch eine Minute Redezeit habe, will ich nur noch kurz — —
— Ja, Ihre Einladungen, mit denen der Herr Bundeskanzler nach Paris und London kam, was ist das schon so „Besonderes", das hätte er auch mit einer anderen Politik haben können, eben gerade deswegen, weil wir heute infolge der geopolitischen und allgemein weltpolitischen Lage zu einem unentbehrlichen Partner für die westliche Kultur geworden sind.
Nur einen Satz noch zu den Änderungsanträgen der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 413. Ich habe gestern gegen diesen Änderungsantrag gestimmt und werde das auch heute tun, aber nicht etwa deswegen, weil der Inhalt unter Ziffern 1, 2, 3 und 4 falsch wäre — der ist absolut richtig —, sondern deswegen, weil die Formulierung, und zwar vor allem in den ersten Worten dieses Antrags, so ist, daß man, wenn man für diesen Antrag stimmt, Gefahr laufen kann, daß dies gründlich mißverstanden wird. Wir wollen nicht irgendeinem Antrag die Stimme geben,
in dem auch nur in der einleitenden Formel steht: „Die Zustimmung zum Schumanplan erfolgt", weil wir wissen, daß dieser Schumanplan — und das wiederhole ich noch einmal — ein Unglück für unser gesamtes Volk werden wird. Dieser Tag heute ist ein entscheidender, ich fürchte, ein ebenso entscheidender wie jener Tag im März 1933. Ich beschwöre Sie nochmals: geben Sie kein Ermächtigungsgesetz, weder an inländische Diktatoren noch an eine ausländische Haute Autorité, auf die das Volk keinen oder so gut wie keinen Einfluß hat! Lehnen Sie den Schumanplan ab!