Meine Damen und Herren! Eines der am stärksten unterstrichenen Argumente, die die Herren von der sozialdemokratischen Opposition gegen den Schumanplan ausgesprochen haben, war folgendes. Sie haben ausgeführt: Alles, was jetzt geschieht, ist eine große Sache, wir wollen nicht zu dem Anfang Stellung nehmen jetzt, ob so oder so — wie Herr Abgeordneter Schmid gestern ausgeführt hat —, ohne daß wir Bescheid um das Ganze wissen. Dazu möchte ich einige Worte sagen.
Zunächst ist ein Junktim zwischen Schumanplan und Generalvertrag und Eintritt in die europäische Verteidigungsgemeinschaft und die dazu gehörigen Annexvertrage von keinem der Vertragspartner des Schumanplans gemacht worden.
— Ja, da lachen Sie doch mal!
Ich wiederhole: Von keinem der Schumanplan-
Staaten ist ein Junktim zwischen diesen beiden anderen Verhandlungskomplexen hergestellt worden. Es würde unsere Verhandlungsbasis bei den anderen Vertragswerken erheblich beeinträchtigen, wenn wir von uns aus ein solches Junktim herstellen würden.
Meine verehrten Herren, mit dem Abschluß dieses Vertrags treten wir doch zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch als gleichberechtigte Vertragspartner mit fünf anderen europäischen Staaten zusammen.
Von dem Augenblick an — glauben Sie es mir —, auch wenn das Besatzungsstatut dann noch nicht aufgehoben ist, weil dazu der Generalvertrag gehört, haben wir bei den Verhandlungen, die zu führen sind, eine ganz andere Position. Wir haben in der gesamten Welt eine ganz andere Position, als wir sie haben, wenn wir noch nicht als Vertragspartner von den anderen freien europäischen Ländern anerkannt worden sind.
Zu den Ausführungen „wir wollen erst das Ganze sehen!" — ja, verehrter Herr Schmid, glauben Sie denn wirklich, daß es mit dem Generalvertrag, daß es mit dem Verteidigungsvertrag
am Ende sein wird?
Eine ganze Anzahl anderer Vorgänge, Verhandlungen und Verträge werden sich anschließen müssen.
— Dann würden wir ja niemals überhaupt beginnen können!
Ich meine: wenn wir einen schweren und langen Weg zurückzulegen haben, um unser Vaterland wieder frei und gleichberechtigt zu machen, dann ist es gut, daß wir, sobald wir die Gelegenheit haben, einen nennenswerten Schritt auf dem Wege zu machen, diesen Schritt entschlossen machen!
Aber ich möchte, weil immer gestern, oder vielmehr diese Nacht, die Rede von Vorleistungen, von Mißerfolgen usw. gewesen ist, Ihnen doch einmal trotz der vorgerückten Zeit — ich werde hier nicht mehr lange sprechen — einige Tatsachen im Zusammenhang vorführen, und dann mögen Sie selbst entscheiden, ob nun tatsächlich unsere Arbeit, die Arbeit der Bundesregierung dank der Unterstützung der Regierungskoalition, ergebnislos geblieben ist oder nicht.
Die französische Aufforderung an uns zu Verhandlungen über den Schumanplan führte Deutschland zum ersten Mal seit Kriegsende aus seiner Isolierung heraus
und eröffnete uns Chancen zu einer gleichberechtigten Partnerschaft mit diesen Mächten — sogar
mit einer Besatzungsmacht, mit der französischen
— auf einem wirtschaftlich und politisch, militärpolitisch
entscheidenden Gebiet.
Der Vorwurf, der gemacht worden ist, die europäischen Staatsmänner seien zwar bereit, von der Einheit Europas zu reden, sie wollten sie aber nicht durch eine Tat verwirklichen, wird durch den Schumanplan durchschlagend entkräftet.
Durch den Schumanplan ist weiter ein amerikanisches Interesse an Europa außerordentlich belebt und intensiviert worden. Ich glaube, auch einer der Herren von der sozialdemokratischen Opposition
— ich weiß nicht, ob Herr Kollege Ollenhauer oder Herr Schmid — hat gestern sogar betont, daß ohne die Vereinigten Staaten Europa nicht zu helfen sei.
Weiter wird für die Bestrebungen zur Schaffung eines Europa durch den Schumanplan ein Kristallisationspunkt geschaffen, den leider der Europarat in Straßburg nicht bilden konnte. Der Schuman-plan bedeutet nicht eine französische Hegemonie über Europa. Ich habe schon bei einer früheren Gelegenheit ausgeführt, daß eine französische Hegemonie über Deutschland und damit über Europa durch eine Verewigung der Ruhrbehörde herbeigeführt würde. Der Schumanplan entsagt diesen Plänen, wenn sie je einmal bestanden haben. Er hebt das ganze Problem des Zusammenlebens der Völker auf eine neue überstaatliche europäische Ebene, die jede Vormachtstellung ausschließt. Und dadurch haben wir, meine Damen und Herren, wenn man von der russischen Gefahr absieht, eine wirkliche Aussicht auf eine endgültige Befriedung Europas, das während seiner ganzen langen Geschichte immer wieder dadurch in kriegerische Wirren gestürzt worden ist, daß die eine oder die andere europäische Macht nach einer Vormachtstellung in Europa getrachtet hat.
Und nun die weitere Entwicklung! Durch unser Eingehen auf den Schumanplan haben wir den ehemaligen Feindstaaten die Möglichkeit eröffnet, Deutschland, die Bundesrepublik und die Frage der deutschen Einheit unter neuen Aspekten zu sehen. Wir waren zuerst der gefürchtete Gegner; dann waren wir das Objekt der Besatzung, und morgen werden wir die Partner der anderen sein.
Sehen Sie, das ist eine Entwicklung von einer so fabelhaften Schnelligkeit, daß damals, als wir hier in diesem Saale vor zweieinhalb Jahren zum ersten Mal zusammentraten, noch kein Mensch daran gedacht haben würde, daß so etwas überhaupt möglich wäre.
Die Einzeletappen dieser Entwicklung waren die New Yorker Konferenz vom September 1950, die im März 1951 erfolgte Revision des Besatzungsstatuts, die Washingtoner Konferenz vom September 1951, die Konferenz der vier Außenminister in Paris im November 1951, auf der die grundsätzliche Zustimmung zu dem Generalvertrag gegeben wurde.
Meine Damen und Herren, weil wir infolge unseres ganzen Zustandes verständlicherweise alle miteinander so übermäßig beschäftigt sind mit den Arbeiten, die die ganze Lage auch im Innern uns aufzwingt, ist in Deutschland gar nicht genügend beachtet worden, daß im November 1951 zum ersten Male seit dem Zusammenbruch der Außenminister der Vereinigten Staaten, der Außenminister Englands, der Außenminister Frankreichs und der Außenminister Deutschlands im Quai d'Orsay in Paris als völlig gleichberechtigte Partner zusammengesessen und miteinander gesprochen haben.
Die Zustimmung zum Schumanplan birgt in sich die logische Folgerung der Alliierten, daß der Partner Deutschland — denn wir sind ein Partner Westeuropas geworden! — nicht mehr ein Objekt des westöstlichen Gegensatzes sein darf, sondern durch Einbau in das Sicherheitssystem des Westens gegen sowjetische Angriffe geschützt werden muß. Meine Damen und Herren, weil wir jetzt seit Jahr und Tag von Gefahren umgeben sind, ist uns das Bewußtsein und das Gefühl für diese Gefahr mehr oder weniger abhanden gekommen. Aber die Gefahr ist nach wie vor da. Ich freue mich, daß gestern auch von Herrn Ollenhauer gesagt worden ist, daß eine Neutralisierung Deutschlands nicht in Frage käme. Diese Gefahr der Neutralisierung Deutschlands, durch die wir als Objekt zwischen Osten und Westen dagelegen hätten, entwaffnet, hilflos, wehrlos, quergeschnitten —, diese Gefahr beheben wir damit. Ich kann Ihnen in diesem Zusammenhange auf Grund der Besprechungen, die ich mit dem britischen Premierminister gehabt habe, sagen, daß auch Großbritannien auf demselben Standpunkt steht, den ich eben gekennzeichnet habe.
Diese ganze Entwicklung hat dann dazu geführt, daß der deutsche Außenminister — im Falle von Großbritannien der Außenminister und der deutsche Bundeskanzler — nach Italien, nach Rom, nach Großbritannien und öfters nach Paris eingeladen wurde
und daß er im Frühling auch nach Washington gehen wird.
Fragen Sie doch bitte unsere Landsleute, die im
Ausland leben, welche Wandlung sich im Ausland
in der Haltung gegenüber Deutschland gezeigt hat.
Wir gewinnen durch die Zustimmung zum Schumanplan an politischem Gewicht; diese Zunahme an politischem Gewicht ist ein sehr wesentliches Moment bei dem Ringen um die deutsche Einheit. Glauben Sie mir doch, daß ich als deutscher Bundeskanzler bei allem, was ich tue, die Wiedergewinnung Berlins und des Ostens und den Zusammenschluß zu einem einigen Deutschland als eine meiner vornehmsten Aufgaben ansehe.
Und glauben Sie mir: Nach dem Kriege, der über die Welt hingegangen ist, bei der Atmosphäre, die infolge dieses Krieges in der Welt entstanden ist — bei alledem kommt man in der Politik nur Schritt für Schritt und mit zäher Geduld vorwärts.
Die wesentlichste Voraussetzung dafür, weiterzukommen, ist, daß das deutsche Volk bei den anderen Völkern wieder Vertrauen erwirbt.
Es ist wirklich so — ich habe mich davon überzeugt —: In der Außenpolitik spielen natürlich auch das Materielle und alle möglichen Gesichtspunkte eine große Rolle; aber eine größere Rolle noch spielt die psychologische Atmosphäre,
eine größere Rolle noch spielt die Überzeugung — um hier konkret zu sprechen —, daß das deutsche Volk ein friedliebendes Volk ist, ein Volk, das die Völkergemeinschaft will und das in Frieden, in Freundschaft und in Freiheit mit allen anderen freien Völkern in der Welt leben will.
Und nun, meine Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, richte ich, nachdem dieses Kapitel, das wir in den Tagen behandelt haben, abgeschlossen ist, als Deutscher und als deutscher Bundeskanzler nochmals die herzliche Bitte an Sie: Versuchen wir doch, den Weg, Deutschland wieder in die Höhe zu bringen, zusammen zu gehen, und setzen Sie sich nicht der Gefahr aus — denn ich weiß, daß die Sozialdemokratische Partei wertvolle Leute in sich schließt — —
— Ach, Herr Arndt, ich habe Sie ja gar nicht gemeint!
Dieser Zwischenruf, wenn er auch von einem einzelnen kam, ist doch wirklich bezeichnend.
Es ist mir heiliger Ernst, wenn ich sage, daß in der Sozialdemokratischen Partei
wertvolle Kräfte sind, die wir brauchen zum Wiederaufbau des deutschen Volkes.
Ich bitte Sie daher: Prüfen Sie doch unter diesem
Gesichtspunkt nun mal die ganze Situation nach.
An uns soll es nicht fehlen, daß wir weiterkommen. Aber ich meine, Sie würden auch gut daran tun im eigenen Interesse, damit es nicht nachher heißt, daß in diesen historischen Jahren alles das, was wir für Deutschland erreichen und was wir, wie ich überzeugt bin, noch im Jahre 1952 weiter erreichen werden, erreicht werden mußte im Kampf gegen eine große Partei im Innern.
Ich bin überzeugt, daß trotz alledem der Erfolg dieser Beratungen und die Annahme des Schuman-plans jetzt in dritter Lesung uns den Zielen näherbringen wird, die wir verfolgen, dem Frieden in der Welt, der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Zusammenleben und der Freundschaft mit den anderen freien Völkern der Welt.