Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Deutschen Partei darf ich zum Ausdruck bringen, daß wir mit unserer Zustimmung die volle Verantwortung für dieses entscheidende Vertragswerk mit zu übernehmen bereit sind. Wir stimmen zu, weil durch diesen Vertrag die notwendigen wirtschaftlichen und politischen Tatsachen geschaffen werden, die es ermöglichen, die europäische Zusammenarbeit wirksam zu machen; weil durch diesen Vertrag der unschätzbare Vorteil eines größeren Wirtschaftsraumes errungen wird; weil dieser Vertrag — und hier kann der Bundesregierung das Verdienst nicht abgesprochen werden — uns bereits jetzt wesentliche Befreiungen für den Wiederaufbau Deutschlands gebracht hat und weiterhin fort und fort bringen wird; weil dieser Vertrag die Möglichkeit in sich schließt, unsere Wirtschaft im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit so zu entwickeln, daß es möglich sein wird, die großen sozialen Verpflichtungen und Aufgaben, die unserer Generation und unserem Jahrhundert gestellt sind, wirklich zu lösen. Denn wir gehen von der Auffassung aus, daß die sozialen Fragen nicht mehr allein aus der Kraft einer Nationalwirtschaft heraus gelöst werden können, sondern nur aus der Kraft der Zusammenarbeit in einem größeren Wirtschaftsraum lösbar sind.
Wir stimmen diesem Vertrage zu, weil er die Aussicht auf eine wirkliche und dauerhafte Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich
bietet. Diese Verständigung zweier Völker und
Kulturen, zweier geschichtlicher Räume wird entscheidend sein für eine Wiedergeburt des europäischen Geistes, für eine Wiedergeburt seiner Leistungsfähigkeit, für das Wiederheraufkommen Europas in der Welt, also für die Geltung eines Erdteils, dem die ganze Welt so viel an geistigen und materiellen Gütern verdankt.
Wir stimmen diesem Vertrage zu, weil er auch die Voraussetzungen für eine Beilegung des Streites um die Saar in sich schließt. Dabei halten meine politischen Freunde mit so gut wie allen Deutschen an dem klar definierten deutschen Standpunkt fest; aber wir sehen, daß dieser Vertrag wirklich eine Möglichkeit bietet, auch für die Interessen unseres deutschen Volkes an der Saar einzutreten und sie wirksam zu vertreten.
Wir stimmen diesem Vertrage zu, weil seine Verwirklichung es unmöglich machen wird, Deutschland an den sowjetisch-imperialistischen Machtblock preiszugeben, und weil diese Sicherung in Mitteleuropa für Deutschland das entscheidende Lebensinteresse ist. Wir stimmen diesem Vertrage zu, weil er künftig auch eine Isolierung Deutschlands verhindern wird; und die Weltlage, meine Damen und Herren, ist so, daß in Europa jeder isolierte Staat verloren wäre.
Wir hätten gewünscht, die Ratifikation dieses Vertrages hätte bereits im Sommer stattgefunden. Ich bekenne das heute hier noch einmal und möchte es unterstreichen. Wir stimmen diesem Vertrage jetzt zu, weil angesichts der Weltlage keine Zeit zu verlieren ist. Ich brauche dazu keine weiteren Ausführungen zu machen. Jedem ist klar, daß hier der Zeitgewinn der Gewinn von allem ist. Letzthin stimmen wir diesem Vertrage schließlich zu, weil er ein Werk werdender Solidarität in unserem zerrissenen Kontinent darstellt.
Wir sind uns gewiß dessen bewußt, welch unendliche Schwierigkeiten in einem so vielgestaltigen Kulturraum zu überwinden sind, in einem Raum, in dem so viel Geschichtliches in uns lebt und gegeneinander steht. .Aber dieser Vertrag zwingt und erzieht in seinem Funktionszusammenhang zur Integrierung, d. h. zur Solidarität der Menschen, der Gesinnungen und der Organisation der Arbeit.
Wir kennen die großen Risiken, die in diesem Vertrage liegen; aber wir sind der Überzeugung, daß ohne ein Aufsichnehmen solcher Risiken der entscheidende Schritt in die Zukunft nicht getan werden kann.
Wir stimmen diesem Vertrage zugleich in dem Bewußtsein zu, daß er Sicherungen enthält, neuartige Konstruktionen des Rechtes und der politischen Technik, die es sicherstellen, daß kein Lebensinteresse irgendeines dieser Partner gekränkt und beseitigt werden kann.
Wir lehnen die Konzeption der sozialdemokratischen Opposition ab, man könne in dieser Zeit und angesichts der gegenwärtigen Weltlage durch ein Versagen der Zustimmung irgendeine Besserung der Position erzielen. Ein solches Vertragswerk, das überhaupt die Basis für eine Gesundung unseres diplomatischen und politischen Lebens schafft, kann und darf angesichts der Gefahren, die über Europa schweben, nicht nach dem üblichen Konzept des do ut des ausgehandelt werden. Es wäre verderblich in diesem Zeitpunkt, in dem es darauf ankommt, größte Anstrengungen zu unternehmen, um Europa die letzte Chance zu geben, nicht nur zu überdauern und den Frieden zu erhalten, sondern wieder zu einem Aufstieg in der Zukunft zu kommen. Deshalb dürfen wir diesen Vertrag nicht zum Ausgangspunkt eines diplomatischen Kaesong benutzen. Wir verkennen nicht den Ernst, den uns die Opposition vor Augen gestellt hat, wie notwendig und richtig es ist, in einer aktiven Außenpolitik auch Trümpfe auszuspielen, die man in der Hand hat; aber wir müssen es aus dem Gefühl der Verantwortung und der Einsicht in die Situation ablehnen, aus dieser Frage des gemeinsamen Interesses Europas, das zugleich das Lebensinteresse unseres Landes ist, zu einem Spiel mit Trümpfen zu machen. Wir lehnen die sozialdemokratische Konzeption ab, daß die Bundesrepublik als Provisorium anzusehen sei. Wir bleiben konsequent bei unserer Auffassung, daß Westdeutschland, dieser Teil Deutschlands, der sich in Freiheit entscheiden kann, in dem die erste freie Entfaltung einer deutschen Politik nach dem Zusammenbruch überhaupt möglich geworden ist, der deutsche Kernstaat ist und der Treuhänder für unser gesamtes deutsches Volk, dem zu handeln versagt ist.
Wenn Sie den Begriff des Provisoriums hinsichtlich
der räumlichen Ausdehnung verstehen, dann will
ich zustimmen. Wenn Sie d' eses Provisorium aber
dahingehend verstehen, man müsse die politische
Organisation unseres Landes als minderen Ranges
ansehen, als sei uns Zeit gegeben. Geschichte sozusagen provisorisch in die Kladde zu schreiben, dann
müssen wir diese Auffassung ablehnen. Diese Bundesrepublik ist der Repräsentant des deutschen Reiches, des deutschen Volkes und hat bei jedem Schritt so zu handeln, als ob es sich hier um die Führung des Ganzen handele.
Mit dieser Auffassung, daß es sich hier um ein Provisorium handele, da sonst die Gefahr einer kleinstdeutschen Lösung bestünde, hängt die Auffassung der Opposition zusammen, man müsse auch kleineuropäische Lösungen ablehnen, weil sie zu partikularistischer Zersplitterung, zur Einengung des Aktionsraums führten, weil sie also praktisch das, was als eine Hypothek und Last auf dem alten geschichtlichen Kontinent liegt, verstärken könnten. Diese Auffassung ist falsch. Wir sind der Meinung, daß sowohl in Europa als auch in Deutschland — Sie können überhaupt eine Identität zwischen unseren eigenen politischen Aufgaben und Anliegen und den europäischen Aufgaben und Anliegen feststellen —, daß überall da, wo wahrhafte Initiative entfaltet wird, nicht eine Desintegration stattfindet, sondern daß an diesen Punkten Energien wach werden, die zur Integration und Konzentration führen.
Teillösungen in Europa werden nicht blockieren,
denn in einem so vielgestaltigen Raum kann sich
eine politische und wirtschaftliche Organisation
immer nur in regionalen Bereichen vollziehen. Ich
glaube, England und die skandinavischen Völker,
mit denen uns eine alte Tradition der Zusammenarbeit verbindet, haben keinen Zweifel
darüber gelassen, daß sie jeder guten Initiative,
die in diesem europäischen Raum ergriffen wird,
ihren Beistand und ihre Mithilfe geben werden.
England und Skandinavien haben andere politische Bedingungen und andere Bedürfnisse. Das ist im Europarat oft zutage getreten und das gilt es einzusehen. Wenn England es von vornherein verneinen mußte, sich auf ein supranationales, auf ein übernationales Konzept festzulegen, so ist das aus seiner Situation gewissermaßen als Vorort des Commonwealth verständlich.
Von der Oppositon ist die Konstruktionsformel des Schumanplans angeriffen worden. Man hat gesagt, daß der Schritt in jene Konstruktion ein Schritt auf einem falschen Wege sei, und es sei bei diesen Fragen von entscheidender Bedeutung, daß der erste Schritt, der bekanntlich die anderen Schritte nach sich ziehe, auf dem richtigen Wege geschehe. Aus den Ausführungen der Opposition klingt an, daß sie eine gesamtdemokratische, gewissermaßen einheitsstaatliche Lösung in Europa anstrebt, eine Totallösung unter Einschluß alles dessen, was zu Europa gehört. Das ist das Fernziel, das sich aber nur in Stationen erreichen läßt. So unsere Meinung. Wenn Sie schon nicht das einheitsstaatliche und unitarische Konzept nehmen können, sondern von den historischen Einheiten — das sind die Staaten Europas — ausgehen müssen, dann gibt es keinen anderen Weg, als daß man zunächst jene dem bundesstaatlichen Aufbau ähnliche Organisationsform anwendet. Ich kann das Argument nicht gelten lassen, daß bei der Hohen Behörde, die ja nicht einer Regierung, einem Ministerium, sondern eher einem Staatssekretariat in einer Bundesverfassung zu vergleichen ist, nicht die notwendigen demokratischen Sicherungen getroffen worden seien. Was versteht man überhaupt unter Demokratie? Soll man hier irgendwelche Mechanismen verstehen, oder soll man hierunter den Geist verstehen, auf den es ankommt?
Was geschieht in Deutschland, was geschieht in Europa? Ich glaube, es ist nicht zu viel gesagt, daß als eine Frucht dieser unheimlichen Zeit, in der der Mensch sich in seiner Unfreiheit erkannt hat, als eine Frucht der unendlichen Leiden in Konzentrationslagern und hinter dem Stacheldraht, hinter dem die Kriegsgefangenen gesessen haben, in Europa eine wahrhaftige Neubegründung der menschlichen Freiheit hervorgehen wird. Das mögen Sie eine Revolution nennen. Ich glaube, daß diese Erneuerung viel tiefer greift, als man das mit dem politischen Begriff der Revolution fassen könnte. Es beginnt in all den Völkern, die viel erlitten haben, und in den Menschen — ich denke hier insbesondere an die Vertriebenen — ein neuer Geist aufzubrechen, zu fühlen, daß der Mensch seine Verantwortung Gott gegenüber trägt und daß Freiheit und Verantwortung, das Einstehenwollen und das Einstehenmüssen für sein Leben wieder neue Wirklichkeit werden müssen. Ich glaube, daß in diesem Aufbruch einer neuen Freiheit der eigentliche Kernpunkt der Erneuerung unseres europäischen Geistes ist, eines Geistes, der in der Geschichte hervorgetreten ist durch die Aktivität, den Mut und die Selbständigkeit des Denkens, den Mut, in neue Bezirke vorzustoßen, nicht verhaftet und erstarrt in alten Kulturformen, alten Gesinnungen. Es ist aus diesem europäischen Kontinent so oft und oft der Funke der Energie aufgesprungen. Möge dieser Funke der Energie, der inneren, echten Befreiung auch jetzt aufbrechen, damit die Befreiung all der Teile Europas geistig, innerlich vor sich gehen möge, die gegenwärtig in Knechtschaft leben. Ich meine hiermit nicht nur unsere Brüder östlich der Elbe, in Mitteldeutschland; ich meine nicht nur den historischen Anspruch Deutschlands auf seine Gebiete ostwärts von Oder und Neiße. Ich meine auch die Befreiung der Staaten Osteuropas, deren Schicksal von uns so verstanden werden muß wie unser eigenes Schicksal auch.
Ich glaube, es ist ein schlechter Dienst, den man der deutschen Einheit und der inneren geistigen Dynamik dieses Vorgangs der Wiedervereinigung leistet,
wenn man unserer Bundesregierung, die als erste deutsche Regierung nach dem Zusammenbruch um Deutschlands Lebensrecht und Freiheit, Gleichberechtigung und Gleichwertung ringt, irgend etwas unterschiebt. was das Vertrauen in ihre Auffassung, daß die Einheit unserer Nation das erste, wichtigste, unverzichtbare Anliegen ist, als unabdingbare Grundlage unserer Politik in Frage stellen könnte. Es kommt hierbei doch nicht nur auf die diplomatische Geschicklichkeit der Regierung an, sich in den Verhandlungen richtig zu bewegen. Die Befreiung unseres Vaterlandes ist eine grundlegende Tat, die aus dem Herzen der ganzen Nation hervorbricht, und dazu ist vor allen Dingen Vertrauen zwischen der Regierung und dem Volke erforderlich. Dieses Vertrauen zu stärken, die Voraussetzungen zu schaffen, um wirklich aktiv sein zu können, dafür bietet dieser Vertrag in der europäischen Solidarität die Grundlage, und weil es so ist, deshalb sagen wir Ja.