Rede von
Dr.
Hugo
Decker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der zweiten Lesung sind die Gründe, die für und gegen den Schumanplan sprechen, einzeln bewertet worden, und je nach dem Ergebnis dieser Wertung wurden sie auf die linke oder auf die rechte Waagschale gelegt. Aufgabe der dritten Lesung ist es nun, die Wägung vorzunehmen, und dies möchte ich für meine politischen Freunde von der Föderalistischen Union tun.
Es ist am Schumanplan sehr viel Kritik geübt worden, auch die beiden Redner von unserer Seite brachten ein gutes Maß davon zum Ausdruck. Diese Kritik war zum größten Teil berechtigt, begründet und oft von sehr schwerem Gewicht. Es ist offensichtlich, daß man nach dem Fehlschlag, Europa auf parlamentarischem Wege zu schaffen, nach dem Leerlauf von Straßburg die Dinge nicht einfach weiter treiben lassen darf.
Dem fehlgeschlagenen Versuch Straßburg muß ein neuer auf einem neuen Gebiete folgen, und ein solcher Versuch auf wirtschaftlichem Gebiet ist der Schumanplan. Unsere Redner haben nicht verhehlt, daß sie im Schumanplan weder ein voll durchkonstruiertes noch ein ungefährliches Instrument zur wirtschaftlichen Vereinigung Europas sehen. Allein, der beste Vertrag nützt nichts, wenn bei den Partnern nicht der Wille vorhanden ist, ihn in loyaler Weise auszulegen und zu erfüllen. Man sagt: es ist der Geist, der sich den Körper bildet. Es ist auch der Geist, der den Buchstaben eines Vertrags mit Leben erfüllt. Hoffen wir, daß die Sehnsucht der Völker Europas nach Einigung und Frieden die Vollstrecker des Vertrags zwingt, ihn im Sinne europäischer Verbrüderung, im Sinne europäischer Humanitas auszulegen und zu verwirklichen.
Die wirtschaftlichen Bestimmungen des Schumanplans sind in vieler Hinsicht nicht klar, erschöpfend und eindeutig abgefaßt. Zum Teil können sie für uns zu ungünstigen Folgen führen. Aber alle diese Mängel sind reparabel. Irreparabel dagegen ist die politische Auswirkung einer Ablehnung des Schumanplans. Gerade Schwierigkeiten, die sich bei der Durchführung zeigen werden, können mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer gewissen allgemeinen Konzilianz führen, da solche Schwierigkeiten sich in der Regel auf alle Vertragspartner erstrecken werden. Es können aus dem Vertrag auch keine aggressiven Tendenzen, selbst nicht gegen den Osten, in dem ja eine Montan-Union effektiv längst vorhanden ist, herausgelesen werden, und der Schumanplan läßt auch keine antiföderalistische Tendenz erkennen, da die Zusammenarbeit der Völker und der Schutz der einzelnen in einem freiwilligen — ich betone: freiwilligen — Zusammenschluß gewährleistet werden sollen.
Wägen wir nun die beiden randvoll gefüllten Waagschalen gegeneinander ab, so liegen auf der einen Seite schwerste Bedenken und vielleicht auch große Gefahren, auf der anderen Seite Erwartungen und Möglichkeiten einer neuen und besseren Zukunft. Nehmen wir an — vielleicht ist es so —, daß die beiden Waagschalen gleich schwer sind: meine Fraktion würde sich auch in diesem Fall entschließen, der positiven Waagschale den Vorzug zu geben.
Selbst im ungünstigsten Falle würde sich meine Fraktion von dem Gedanken leiten lassen, daß der Arzt, um einen auf den Tod Erkrankten zu retten, sich zu einer Operation entschließt, auch wenn sie weniger als 50 % Aussichten auf ein Gelingen hat. Er geht das Wagnis mit vollem Bewußtsein ein, weil er weiß, daß auch nichts zu tun schaden kann, wie nichts zu tun ja auch nicht von der Verantwortung befreit.
Meine Fraktion ist sich klar, daß die Zustimmung zum Schumanplan ein ähnliches Wagnis ist. Sie weiß, daß die Zustimmung auch ein Opfer ist, und sie weiß, daß das Integral über Europa, das jetzt gebildet werden soll, nur ein partielles Integral ist. Aber in der Hoffnung, damit einen Schritt für eine bessere Zukunft Deutschlands und
1 Europas zu tun, stimmt die Fraktion der Föderalistischen Union, Bayernpartei/Zentrum, dem Schumanplan zu.