Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In seiner Regierungserklärung am vergangenen Mittwoch hat der Herr Bundeskanzler bereits darauf hingewiesen, daß nahezu alle Vorbehalte und Bedingungen gegenüber dem Vertragswerk, wie sie in der Aussprache der ersten Lesung zum Ausdruck kamen und wie sie insbesondere auch in dem von Ihnen zitierten Antrag Drucksache Nr. 2484 zusammengestellt waren, in der Zeit zwischen der ersten und der zweiten Lesung gegenstandslos geworden sind. Ich kann nur wiederholt auf diese Feststellung und auf die Materialien des Auswärtigen Amtes verweisen, die auch dem Hohen Hause zur Verfügung gestellt worden sind.
Aber, meine Damen und Herren, ich vermag dann um so weniger zu begreifen, warum heute ein Teil dieses Hauses sagt: Zwar wird die Ruhrbehörde ihre Tätigkeit einstellen; zwar werden die Kohle- und Stahlkontrollgruppen verschwinden; zwar werden die Beschränkungen der Stahlkapazität und der Stahlproduktion aufgehoben; zwar wird die Sicherheitsbehörde in die Kohle- und Stahlwirtschaft keine Eingriffe mehr vornehmen können; alles das haben wir erreicht, aber es bestehen noch andere Belastungen und Beeinträchtigungen, die als Folge des verlorenen Krieges über uns verhängt sind, und wir lehnen den Schumanplan ab, weil nicht vor seiner Ratifizierung alle diese Beschränkungen und Belastungen in Wegfall kommen. Diese Einstellung scheint mir sehr unrealistisch und sehr unsachlich zu sein, und diejenigen, die sie vortragen, scheinen mir keine rechte Vorstellung von dem zu haben, was der Schumanplan eigentlich bedeutet.
Wenn w i r zu dem Vertragswerk j a sagen, dann tun wir das doch nicht, weil wir glauben, daß die
Unterzeichnung eines Vertrags mit den fünf anderen Teilnehmerstaaten etwa den Abschluß eines Friedensvertrags ersetzen könne, eines Friedensvertrags, den wir zur Zeit — und darin dürfte ich wohl mit der großen Mehrheit dieses Hauses übereinstimmen — aus den bekannten Gründen gar nicht wünschen. Wir unterschreiben den Vertrag auch nicht, um durch die Unterzeichnung irgendwelche Belastungen abzulösen. Wir haben die Unterzeichnung vielmehr davon abhängig gemacht, daß alle die Beschränkungen, Vorbehalte und Eingriffsmöglichkeiten beseitigt werden, die als Ausfluß des Besatzungsrechts Deutschland auf dem Gebiete der Kohle- und Stahlwirtschaft noch einseitig belasten, weil wir nie versäumt haben, darauf hinzuweisen, daß es in dieser Gemeinschaft nur Partner mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten geben darf. Wenn man mir sagt, diese Belastungen und Beschränkungen würden ja auch ohne Unterzeichnung des Vertrags voraussichtlich irgendwann einmal wegfallen, dann möchte ich antworten: Das ist wohl möglich. Aber glaubt denn irgend jemand wirklich, daß wir so viel Zeit zu verlieren haben und daß unsere Lage in Deutschland, in Europa und in der Welt so gesichert ist, daß wir als verantwortliche und vernünftige Menschen sagen könnten: wir treten in eine Diskussion über eine internationale Zusammenarbeit überhaupt erst dann ein, wenn im Laufe der Jahre und vielleicht Jahrzehnte ein De-facto-
Zustand erreicht ist, der praktisch die Beseitigung aller durch den Verlust des Krieges bedingten Belastungen mit sich bringt!?
Ich wiederhole: wir schließen den Schumanplan nicht ab, weil er unsere wirtschaftliche und politische Lage gegenüber dem Ausgangspunkt verbessert. Wir schließen ihn ab, weil wir die zugrunde liegende Konzeption der weiträumigen Zusammenarbeit zwischen allen europäischen Staaten, die dazu bereit sind, für richtig halten und weil wir sie im Interesse der deutschen Wirtschaft und der deutschen Politik begrüßen und fördern wollen.
Unabdingbare Voraussetzung war dabei die Wiederherstellung der vollen Gleichberechtigung im Rahmen des Vertragswerks. Wenn daher der Schumanplan auch nur dazu beitragen würde, alle die Einschränkungen, von denen ich vorhin gesprochen habe, vorzeitiger zu beseitigen, als dies ohne den Plan geschehen würde, dann wäre allein diese Feststellung genug, um auch aus diesem Grund den Schumanplan im Interesse des deutschen Volkes zu unterstützen.
Mein Fraktionsfreund Etzel hat gestern den Antrag der Fraktionen der Koalition, der Ihnen auf der Drucksache Nr. 2974 vorliegt, vorgetragen und begründet. Ich mache mir die in seinen Ausführungen vertretene Auffassung vollinhaltlich zu eigen. Ich habe darüber hinaus noch den besonderen Wunsch an die Bundesregierung, daß sie unmittelbar nach der Ratifizierung dieses Vertrages durch dieses Haus und durch den Bundesrat die erforderlichen Verhandlungen führen möge, die der Errichtung der Hohen Behörde vorausgehen müssen. Es liegt im Interesse der gesamten deutschen Wirtschaftspolitik, daß die Organe der Montan-Union ihre Tätigkeit unmittelbar nach Inkrafttreten des Vertrages aufnehmen. In den Besprechungen zwischen den Teilnehmerstaaten müssen ohne jedes Zögern alle noch offenen Fragen geklärt werden. Es handelt sich darum, den Sitz der Hohen Behörde festzulegen und die rein technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Hohe Behörde mit einem angemessenen Stab von Mitarbeitern ihre Tätigkeit so rasch wie möglich aufnehmen kann. Weitere Voraussetzung ist, daß sich die vertragschließenden Partner über die personelle Zusammensetzung der Hohen Behörde möglichst jetzt schon einig werden, daß also die acht Mitglieder der Hohen Behörde bestellt werden, die unverzüglich zusammentreten sollten, um die Zuwahl auch des neunten Mitgliedes vorzunehmen.
Alle diese Entscheidungen können und müssen schon jetzt getroffen werden, auch wenn sie noch unter dem Vorbehalt der Ratifizierung durch einige Länder stehen. Denn jede Verzögerung in diesen Vorarbeiten wäre — nicht nur im deutschen Interesse, sondern im Interesse aller Vertragspartner — unerwünscht und schädlich. Es darf nicht dahin kommen, daß Entscheidungen, die der Hohen Behörde zustehen, von ihr nicht rechtzeitig getroffen werden können, weil sie noch nicht aktionsfähig ist, mit der Folge, daß etwa für das zweite Quartal 1952 die Ruhrbehörde noch einmal von ihren Befugnissen Gebrauch machen könnte und müßte. Es kommt deswegen auf eine rechtzeitige Vorbereitung der Beschlüsse an. Denn den ersten Entscheidungen dieser Hohen Behörde wird unzweifelhaft eine ganz besondere politische und psychologische Bedeutung zukommen. Gerade der Start dieses neuen Organismus wird in allen beteiligten Ländern und besonders in Deutschland mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Deswegen halte ich auch die Bildung des Ministerrats jetzt schon für erforderlich.
Ich habe noch ein weiteres Anliegen. Es ist heute morgen schon über die Bedeutung des Gesetzes Nr. 27 im Zusammenhang mit dem Schumanplan diskutiert worden. Ich habe es ebensowenig wie der Herr Bundeskanzler verstanden, daß ein Sprecher dieses Hohen Hauses, noch dazu ein Jurist, von sich aus erklärt hat, das Gesetz Nr. 27 trage den Charakter eines völkerrechtlichen Vertrags und sei daher auch für die Hohe Behörde des Schumanplans bindend. Abgesehen davon, daß ich diese Auslegung für grundfalsch halte, weil sie jeder Basis entbehrt — auch der Redner, der j a obendrein noch Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses ist, müßte wissen, daß die Bundesregierung niemals eine Vereinbarung über das Gesetz Nr. 27 getroffen hat —, halte ich es wirklich nicht für nötig, daß, wenn eine Zweifelsfrage bestehen sollte, die „authentische Interpretation" im Sinne der Gegenseite hier von dieser Tribüne aus gegeben wird.
Daran kann auch die oft zitierte Erklärung des französischen Außenministers in Paris nichts ändern. Welche Bedeutung kommt dieser Erklärung zu?
Herr Kollege Ollenhauer sagt uns: Diese Erklärung ist doch sehr wesentlich, weil sie eine Auslegung des Vertrages bedeuten könnte. — Ja, meine Damen und Herren, erstens einmal kann auch der französische Außenminister bei einer Detailfrage irren. Zum zweiten steht ihm j a nicht nur die eindeutige Erklärung des Bundeskanzlers gegenüber. Wenn Sie sich die Mühe machen, den Brief des französischen Hohen Kommissars François-Poncet als Vertreters der Alliierten Hohen Kommission nachzulesen, der Ihnen auch mit den Materialien
des Auswärtigen Amtes vorgelegt wurde, werden Sie feststellen, daß auch in diesem Brief nicht mit einem Wort von einer Vereinbarung zwischen den drei Alliierten und der Bundesregierung die Rede ist, sondern lediglich von der Durchführung des Gesetzes Nr. 27, eines, wie der Herr Bundeskanzler sagte, oktroyierten Gesetzes, an dessen Durchführung mitzuarbeiten die Bundesregierung gerade deshalb abgelehnt hat, damit nicht der Anschein erweckt wird, daß sie die Rechtsgültigkeit dieser Vorschrift anerkennt.
Aber wir haben wohl den Wunsch, daß die alliierten Regierungen die Zusagen, die sie uns gegeben haben, nun auch einlösen. Es ist an der Zeit, daß die über die deutsche Kohlen- und Stahlindustrie ausgeübten Kontrollen wegfallen, sobald der Schumanplan in Kraft getreten ist. Es ist notwendig, daß nun endlich die Vorarbeiten, für die schließlich sechs Jahre zur Verfügung standen, abgeschlossen werden, damit die schon 1945 von den Alliierten angekündigte und eingeleitete Neuordnung der deutschen Grundstoffindustrien durchgeführt wird. Ich glaube, es ist keine unberechtigte Kritik, wenn man feststellt, daß der große Arbeitsstab, der den Alliierten für diese Aufgabe zur Verfügung stand, wohl schon in der Lage gewesen wäre, mit diesem Problem fertig zu werden, wenn nicht vielleicht auch solchen Arbeitsstäben ein gewisses Beharrungsvermögen innewohnen würde, das behördliche Institutionen nun einmal zu haben pflegen.
Aber wir haben die Bitte, die Bundesregierung möge nichts unversucht lassen, den Alliierten jetzt zu sagen, daß der Zeitpunkt für die alliierten Behörden gekommen ist, die Durchführung des Gesetzes Nr. 27 so zu beschleunigen, daß sie alsbald abgeschlossen werden kann, und daß keine formalen Schwierigkeiten mehr gemacht werden. Der Sinn des Gesetzes Nr. 27 ist bekannt. Es enthält die drei klar umrissenen Ziele: Beseitigung von wirtschaftlichen Machtzusammenballungen, Verhinderung der Fähigkeit zur Kriegführung, Ausschaltung von notorischen Förderern der Angriffspläne des Dritten Reiches.
Es ist an der Zeit, daß klare Verhältnisse und klare Verantwortlichkeiten in der betroffenen Industrie geschaffen werden. Man sollte auch keine formalen Schwierigkeiten und Bedenken mehr geltend machen. Ich werde darauf hingewiesen, daß beispielsweise das, was sich in der Bergwerksindustrie durchaus bewährt hat, die sogenannte Unoactu-Gründung der neuen Gesellschaften, für die Eisenindustrie abgelehnt wird, wohl nur deshalb, weil dort ein anderer Sachbearbeiter sitzt und vielleicht ein umständlicherer Weg gefunden werden kann. Ich habe den Wunsch — ich wiederhole es —, daß die Bundesregierung alles tut, um diese Abschlußarbeiten zu fördern. Sie möge auch das Augenmerk der Alliierten Hohen Kommission, gegebenenfalls der alliierten Regierungen, darauf hinlenken,
daß es eine unerläßliche Voraussetzung für ein wirklich reibungsloses Funktionieren des Schumanplanes sein wird, daß durch eine klare Aufgabenverteilung klare Verantwortlichkeiten, klare Zuständigkeiten in der betroffenen Industrie geschaffen werden.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ollenhauer hat heute morgen seine Rede — ich will mich jetzt mit einigen Ausführungen der Opposition beschäftigen — damit begonnen, daß er sagte, der Herr Bundeskanzler habe bedauerlicherweise der Aussprache heute morgen die Tendenz gegeben: Wer sich für den Schumanplan entscheidet, entscheidet sich für Europa, wer sich dagegen entscheidet, entscheidet sich gegen Europa. Herr Kollege Ollenhauer hat es leidenschaftlich abgelehnt, daß man die Dinge so simplifiziert und die europäische Überzeugung seiner Partei angreift.
Nun, meine Damen und Herren, ich möchte etwas antworten. Es war nicht nur Herr Kollege Ollenhauer schon in seiner Rundfunkrede wohl heute vor acht Tagen im Frankfurter Rundfunk, sondern es waren auch Herr Kollege Schmid und Herr Ollenhauer heute morgen, die dieser Diskussion eine andere Tendenz gegeben haben: Wer für den Abschluß des Schumanplans ist, ist gegen die Einheit Deutschlands. Wenn wir darauf reagieren, dann hält man das für eine Empfindlichkeit.
Nein, meine Damen und Herren, ich muß sagen, ich bin über diese Tendenz, die der Diskussion gegeben wird — und darin stimme ich vollkommen mit den Ausführungen meines Freundes Tillmanns von gestern überein — überrascht und bestürzt, und zwar deswegen, weil ein seicher Gedankengang überhaupt erst vor einigen Wochen aufkam. ich frage mich: Warum hat die große Sozialdemokratische Partei mit all ihren Experten und Sachverständigen erst vor wenigen Wochen gemerkt, daß die Durchführung des Schumanplans der deutschen Einheit im Wege steht?
— Ach, Herr Kollege Arndt, ich habe sehr genau aufgepaßt. Und wenn Sie dazu etwas zu sagen haben, dann melden Sie sich nachher und geben Sie mir alle Fundstellen an, wo Sie und Ihre Freunde im Zusammenhang mit dem Schumanplan auf die Gefährdung der deutschen Wiedervereinigung bereits früher hingewiesen haben.
— Das wird Ihnen sehr schwer gelingen, Herr Kollege Arndt.
Es ist gestern schon dem Herrn Kollegen Schmid vorgehalten worden, daß er in der Debatte vom 12. Juli 1951, also in der ersten Lesung, als er als Redner seiner Partei und Fraktion die Bedenken gegen den Schumanplan vortrug, ebenso wie der Kollege Henßier, mit keiner Silbe auch nur angedeutet hat, daß die Annahme des Schumanplans die Wiedervereinigung Deutschlands gefährde. Ich kann mir kaum denken, daß diesen beiden Rednern dieses nach den heutigen und gestrigen Ausführungen wichtigste Argument damals durch einen Zufall aus der Erinnerung geschwunden war.
Aber ich habe noch eine weitere Frage. Herr Kollege Schmid hat auch dem Parlamentarischen Rat angehört. Er war es, der sich mit der großen Mehrheit des Parlamentarischen Rates auch mit größter Leidenschaft für die Annahme des Art. 24 eingesetzt hat. Dieser Art. 24, der die Übertragung von Souveränitätsrechten vorsieht, kam in ein Grundgesetz, dessen provisorischen Charakter wir gekannt und noch durch die Aufnahme des Art. 146 betont haben. Also ich nehme für mich in Anspruch — und wohl auch für die anderen, die am
Grundgesetz mitgearbeitet und sich über ihre Entscheidungen gewisse Vorstellungen gemacht haben —, daß wir uns damals schon sagten — da uns ja damals die tragische Tatsache der Teilung Deutschlands bekannt war —, eine Integration Deutschlands in Europa auf dem Wege des Art. 24 steht der Wiedervereinigung Deutschlands nicht im Wege. Sonst hätten wir ja diesen Artikel nicht beschlossen. Selbst wenn uns das nicht bekannt gewesen sein sollte — ich nehme für mich in Anspruch, daß es mir bekannt war —, dann wäre es wohl den deutschen Länderregierungen bekannt geworden, die ihren Landtagen die Annahme empfohlen haben, und es wäre wohl den Landtagen bekannt geworden, die jeweils, auch mit den Stimmen Ihrer Partei, meine Damen und Herren, das Grundgesetz angenommen haben. Nun frage ich Sie, wenn Sie heute sagen: Wenn wir jetzt Art. 24 gebrauchen, gefährden wir die Wiedervereinigung, warum haben Sie dann den Art. 24 überhaupt beschlossen?
Außerdem habe ich auch kein Verständnis dafür, daß noch am 10. Mai vorigen Jahres — da war es wohl — Herr Kollege Nölting in der Beratenden Versammlung des Europarates in Straßburg, als er über den Schumanplan sprach, gesagt hat — auch damals war von der Gefahr für die Wiedervereinigung mit keinem Wort die Rede —: Nein, wir lehnen den Schumanplan nicht ab, weil er uns zuviel ist; wir lehnen ihn ab, weil er uns zuwenig ist; wir. wollen eine echte Integration auf allen Gebieten der Wirtschaft und moglichst auch der Politik. Da habe ich die schüchterne Frage: Wenn eine solche vollkommene Integration der Deutschen Bundesrepublik in Europa sogar Ihr Wunsch ist,
I) glauben Sie denn, daß eine etwas mildere Form der Integration auf einem gewissen Teilgebiet die Wiedervereinigung Deutschlands mehr gefährden könne als das, was Sie wollen?
Ein Weiteres. Ich habe den Eindruck, daß man sich manchmal der Unsicherheit der eigenen Situation auch bewußt ist. In einer Diskussion, die etwas ähnliches zum Gegenstand hatte, hat Herr Kollege Schmid vor wenigen Wochen in der Beratenden Versammlung in Straßburg noch gesagt, er sage nein zu einer kleineuropäischen Lösung, da sie als eine Teillösung eine Endlösung erschwere, wenn nicht gar ausschließe. Als ein Zwischenruf ihn auf die nicht sehr überzeugende Logik dieses Gedankengangs hinwies und als er gefragt wurde, wie er das belegen wolle, hat er zum Beweis darauf hingewiesen, die kleindeutsche Lösung habe seinerzeit ja auch die großdeutsche Lösung verhindert. Ich muß sagen, wenn ein Staatsrechtler vom Format des Herrn Kollegen Schmid bereits zu solchen Erklärungen Zuflucht nehmen muß, dann scheint er von seiner eigenen Darstellung nicht mehr recht überzeugt zu sein.
— Aber gern, Herr Kollege, ich werde alles nachholen, was ich bisher versäumt habe.
Wenn es überhaupt ein Beispiel dafür gibt, daß eine Teillösung eine Gesamtlösung nicht erschwert, sondern erleichtert, dann ist es gerade das Beispiel der Teillösung, die mein Freund Etzel gestern schon erwähnt hat, nämlich der Deutsche Zollverein. Wenn mir ein Mensch sagt, daß die kleindeutsche Lösung die großdeutsche unmöglich
gemacht habe, dann muß ich allerdings dem, der das behauptet, empfehlen, ein wenig Geschichte nachzulernen.
Meine Damen und Herren, ich muß mich jetzt noch mit einigen Worten mit den Ausführungen des Kollegen Professor Nölting beschäftigen. Herr Professor Nölting hat gestern die Behauptung aufgestellt, daß in der Debatte der französischen Nationalversammlung kein europäischer Geist spürbar geworden sei, vielmehr habe man dort — ich wiederhole, was er sagte — mit dem gewetzten Schlächtermesser gearbeitet. Nun, meine Damen und Herren, ich bin überrascht und auch ein wenig bestürzt, daß es sich Herr Kollege Nölting so leicht macht und ein so gefährliches Schlagwort in die Welt setzt.
Haben Sie denn, Herr Kollege Nölting, die Debatte in Paris wirklich gelesen?
— Und wenn Sie sie gelesen haben — —
— Ach, ich habe sie schon vor Ihnen aus Paris kommen lassen, verehrter Herr Kollege.
— Es ist furchtbar einfach, man schreibt an die deutsche Botschaft und bittet, das Compte rendu zu schicken. Ich empfehle Ihnen, das nachzumachen.
Herr Schuman hat — wenn Sie einen Ausdruck europäischer Gesinnung hören wollen, Herr Kollege Nölting — in dieser Debatte erklärt:
Unsere beiden Nationen, die jahrhundertelang durch blutige Konflikte getrennt waren, wären vermutlich nicht reif für ein sofortiges Zusammengehen. Zu viele Zwischenfälle, vor allen Dingen in den letzten Monaten, haben uns gezeigt, wieviel wunde Punkte, wieviel Mißtrauen noch vorhanden sind trotz der riesigen Fortschritte, die von Menschen guten Willens erzielt worden sind. Aus diesem Grund sind wir fest überzeugt, daß das sicherste Mittel für einen raschen Erfolg darin liegt, daß Frankreich und Deutschland in einer mehrseitigen Gemeinschaft zusammenarbeiten, in der die partikularistischen Bestrebungen dank dem ständigen Kontakt aller Beteiligten allmählich verschwinden. Auf diese Weise wird mit dem Problem Deutschland stillschweigend und notwendig das Problem Europa aufgeworfen, dieses Europa, von dem alle Welt spricht, von dem man sich nur schwer ein genaues Bild machen kann.
Indem wir diese Gemeinschaft gründen, haben wir die Sicherheit, nicht etwa Europa zu schaffen, aber einen entscheidenden Schritt zu tun in der Richtung auf dieses Europa, das sich vereinigen und organisieren will.
Ich kann Ihnen noch viele Beiträge zu Ihrem Zitatenschatz geben, Herr Kollege Nölting. Eines möchte ich wenigstens hier anführen. Ein junger Abgeordneter im französischen Parlament, M. Faure, sagte:
Darum hängt das Funktionieren dieser Gemeinschaft in erster Linie von dem guten Willen der Menschen ab. Das ist das klassische Schicksal aller Institutionen. Sie haben den gleichen Wert wie der Geist, der sie beseelt. Und wenn wir nicht von Anfang an unsere Minderwertigkeitskomplexe gegenüber Deutschland aufgeben, wäre es zweifellos unnütz und sogar gefährlich, sich auf dieses Unternehmen einzulassen.
Meine Damen und Herren, ich habe, obgleich Herr Kollege Ollenhauer sagte, daß er und seine Freunde keinen antifranzösischen Aspekt in die Diskussion tragen wollten, doch den Eindruck, daß aus solchen Erklärungen — ich könnte sie beliebig vermehren — mehr an europäischer Gesinnung und Verständigungsbereitschaft spricht als etwa aus der Feststellung des Herrn Kollegen Ollenhauer, man könne die Montan-Union allenfalls mit der Ruhrbesetzung vergleichen.
Ich weiß auch nicht, ob sehr viel von europäischer Gesinnung in der Feststellung zu finden war, daß die Montan-Union an Schlechtigkeit allenfalls überboten werden könne durch einen Vertrag mit der Sowjetunion.
Nun, meine Damen und Herren, zurück zu den Ausführungen des Kollegen Nölting. Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Nölting, daß Sie selbst gestern ein Schlächtermesser gewetzt haben; und Sie haben versucht, damit den europäischen Gedanken zu töten. Es ist Ihnen nicht gelungen, Herr Kollege Nölting. Das Messer war nicht scharf genug, und die Schlächtergesellen, die Sie ausgewählt haben, sind nicht geeignet, Ihnen bei Ihrer Aufgabe zu helfen.
Vielleicht liegt es auch daran, wenn ich die
blumenreiche Sprache meines Kollegen Schmid von heute morgen dabei in Erinnerung zurückrufen darf, daß Sie an Stelle des Schlächtermessers ein Messer ohne Heft und Klinge benutzt haben.
— Ja, doch, kommt noch.
— Also, lassen wir das, es ist etwas peinlich.
Wenn Sie, Herr Kollege Nölting, wirklich der Meinung sind, daß der Schumanplan die Fortsetzung einer brutalen Besatzungspolitik auf Kosten des deutschen Volkes sei, wie erklären Sie sich dann eigentlich, daß auch Ihre sämtlichen sozialistischen Freunde in den Ländern des Schumanplans diesem Plan zugestimmt haben? Müßten Sie dann nicht konsequenterweise die internationale Zusammenarbeit mit denen alsbald aufgeben, die in so brutaler Weise die Besatzungspolitik zu verewigen suchen?
Aber ich habe mir bei der Anführung der einzelnen Zitate manchmal überlegt, wie leicht es doch ist, um Stimmung zu machen, Zitate zu bringen. Herr Kollege Nölting hat gestern sehr dramatisch geschildert, daß man ein wenig das Gruseln bekommen könne, daß man mit den Kohlen „den Hahn abstellen und den wirtschaftlichen Belagerungszustand verhängen" könne. Es ist ganz originell, dann etwa die „Humanité", die bekannte Zeitung in Paris, vom 28. Dezember 1951 zu vergleichen. Dort können Sie einen ebenso interessanten wie erregenden Artikel lesen „Die Ruhrmagnaten legen ihre Hand auf die Gaszufuhr von Paris".
Ich könnte sehr viele Zitate aus der Debatte bringen, die beweisen, daß die gleichen Vorbehalte und Bedenken, die hier von der Sozialdemokratischen Partei gegen den Schumanplan vorgetragen werden, dort von der Schwerindustrie und von den Kommunisten mit dem gleichen Nachdruck vorgetragen wurden.
Es genügt ja vielleicht, wenn ich einige wenige besonders interessante Stimmen zitiere. Aus der Rede des unabhängigen Generals Aumeran:
Wenn die Montan-Gemeinschaft und die europäische Armee vom Parlament angenommen werden, verliert Frankreich seine Bedeutung als große Nation. Es wird ihm unmöglich sein, seine Souveränität über die Gebiete der französischen Union aufrechtzuerhalten.
Pierre André von der äußersten Rechten hat es noch deutlicher ausgesprochen:
Warum haben die Deutschen unterzeichnet? Wir haben den Deutschen, woran ich erinnern möchte, das königliche Geschenk der Abschaffung unserer Zollschranken gemacht. Das ist unsere Morgengabe. Wir öffnen unsere Grenzen der deutschen Kohle und dem deutschen Stahl, und zwar nicht nur in Frankreich, sondern auch in den überseeischen Gebieten.
Dann können Sie nachlesen die Ausführungen des Herrn Professor Perroux, Professor an der Universität Paris, der in einem Rechtsgutachten erklärt hat:
Deutschland erstrebt durch den Montanpakt zunächst die wirtschaftliche und dann die politische Hegemonie in Europa. Es ist offensichtlich, daß Deutschland durch seine Industrie, durch seine Arbeitskraft, durch seine schöpferische Energie danach strebt, zur führenden Macht in Europa zu werden.
Als das gestern einmal gesagt wurde, hat interessanterweise Herr Kollege Paul einen Zwischenruf gemacht, durch den er zum Ausdruck gebracht hat, daß er damit gar nicht einverstanden sei.
Ich verzichte schon mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit darauf, Ihnen noch eine Reihe von Zitaten zu bringen, die ich beliebig bringen könnte, viel reichlicher als Sie, Herr Kollege Nölting, der Sie uns mit langen Zitaten aufgehalten haben, länger, als ich es heute tue.
Es genügt vielleicht, wenn ich noch ein kurzes Zitat aus der „Neuen Zürcher Zeitung" anläßlich der Ratifizierung in der französischen Kammer bringe, wo es heißt:
Die Anwälte der schwerindustriellen Interessen traten Seite an Seite mit den Wortführern der traditionellen französischen Sicherheitspolitik gegenüber Deutschland auf und bedienten sich
auch ihrer Argumente. Aber beide Gruppen zusammen konnten die Opposition gegen die Montan-Union nur um wenige Stimmen verstärken. Daß die wirtschaftlich mächtige Schwerindustrie mit ihren Anstrengungen einen so sichtbaren Mißerfolg erlitt, beweist die feste Fundierung der europäischen Initiative Schumans und widerlegt überdies die Behauptung der Linken, daß der politische Mißbrauch wirtschaftlicher Macht nur durch die Nationalisierung der Industriekonzerne verhindert werden kann.
Eine Bemerkung noch zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Nölting, der mit bewegten Worten vor der drohenden Massenabwanderung der deutschen Arbeiter gewarnt hat. Würden Sie es denn wirklich für eine so schlechte Auswirkung des Vertrages halten — —
— Gut, also Abwanderung von Arbeitskräften.
— Hätten Sie mir Ihr Manuskript gegeben, hätte ich es etwas genauer sagen können. — Würden Sie es wirklich für eine so schlechte Auswirkung des Vertrages halten, wenn er die Freizügigkeit des arbeitenden Menschen ein wenig erleichtern würde? Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie und Ihre Freunde auch in Straßburg für die Freizügigkeit des arbeitenden Menschen gestimmt haben.
Ich finde, das ist eine Selbstverständlichkeit, weil ich nicht der Meinung bin, daß man in Europa weiterhin die Arbeitskraft eines Menschen mit einem Ausfuhrzoll belegen soll.
Außerdem, Herr Kollege Nölting, erinnere ich mich nicht, Ihre mahnende und zürnende Stimme gehört zu haben, als einer Ihrer Parteiangehörigen, ein Funktionär der Gewerkschaft IG Metall, anläßlich eines Streiks den deutschen Arbeitern empfohlen hat, sich in Frankreich Arbeit zu suchen!
Noch ein weiteres, ernstes Wort zu dem Saarproblem. Herr Kollege Mommer hat zu dem Saarproblem Stellung genommen, und ich muß sagen, ich konnte seinen Ausführungen weiß Gott nicht mehr folgen.
— Nein, nein, nicht bestürzt, darüber schon gar nicht! — Er hat immer wieder gesagt, die deutsche Bundesregierung habe es versäumt, ihre Trümpfe auszuspielen. Aber er hat uns verschwiegen, worin die Trümpfe bestehen. Ich glaube, wenn wir anfangen würden, mit den anderen Mächten Karten zu spielen, dann würde es sich ja wohl nur um ein Glücksspiel handeln.
In einem anderen Spiel pflegt der Partner im allgemeinen sehr rasch zu erkennen, welche Trümpfe der Gegner in der Hand hat. Ich glaube, bei uns wäre das j a nicht so schwer zu durchschauen, und ich hätte mich gefreut, Herr Kollege Mommer,
wenn Sie uns gesagt hätten, welche Trümpfe die Bundesregierung hätte ausspielen sollen.
Ich stelle Ihnen die Gegenfrage: Wird die Saarfrage denn gelöst, wenn wir nun den Schumanplan nicht ratifizieren? Oder wird die Lösung erschwert, wenn wir ihn ratifizieren, oder wird die Lösung erleichtert? Ich bin schon der Meinung, daß nur eine Feststellung richtig sein kann: Die Lösung der Saarfrage kann nur erleichtert werden nach der Ratifizierung des Schumanplans, nachdem das gesamte Wirtschaftspotential der sechs Länder und damit auch Frankreichs und Deutschlands auf dem Gebiete von Stahl und Kohle in die Montan-Union eingebracht ist.
Nach dieser Entscheidung hat der Wunsch der französischen Politik, der bedauerlich ist — ich werde darauf noch zu sprechen kommen —, sich in der Saar eine Art Faustpfand zu sichern — um gewisse, wie ich glaube, abgestandene Sicherheitsbedürfnisse damit zu befriedigen —, der Wunsch, das weiter aufrechtzuerhalten, seine letzte Begründung verloren.
Wir bedauern es selbst hier alle auf das tiefste, und wir haben es schon oft gesagt, daß die französische Politik im Jahre 1945 und 1946 in einer Wallung der Gefühle, die damals vielleicht noch bestand, die aber niemals politische Entscheidungen tragen sollte, an der Saar Verhältnisse geschaffen hat, die wir niemals anerkennen können und niemals anerkennen werden. Unsere Weigerung, das anzuerkennen, beruht nicht auf irgendeiner engstirnigen nationalstaatlichen Vorstellung, nicht auf einem falschen Nationalismus, sondern sie beruht darauf, daß wir glauben, daß auch die Beziehungen zwischen den Völkern nur auf dem Fundament des Rechts beruhen können, und weil wir der Überzeugung sind, daß man, indem man im Saargebiet Tatsachen schuf, die mit der Rechtsgrundlage nicht vereinbar sind und die auch sittlich und moralisch nicht gerechtfertigt sind, das Recht im Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland verletzt hat und daß diese Rechtsverletzung nicht nach einer Rechtfertigung, sondern nach einer Veränderung des Zustandes verlangt.
Es ist ganz klar — und es geht auch aus dem Schriftwechsel hervor, der dem Vertrag beigefügt ist —, daß die deutsche Bundesregierung und die Parteien der Koalition niemals — ich wiederhole es — daran gedacht haben und daran denken, den Zustand, der heute an der Saar praktisch geschaffen ist, als Rechtens anzuerkennen, und daß wir niemals darauf verzichten werden, immer wieder von neuem und immer wieder mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß hier ein Unrechtstatbestand wiedergutgemacht werden muß, ein Unrechtstatbestand, der auch die Beziehungen aller freien Völker Europas zu gefährden, zu belasten und zu vergiften droht.
Dem dient auch unser Antrag, den wir eingereicht
haben und den ich dem Herrn Kollegen Mommer
erläutern möchte. Er glaubt, daß in dem Antrag
Wesentliches fehlt. Ich glaube, das Wesentliche ist darin enthalten.
— Wann?
— Ach, lassen Sie doch, Herr Kollege! — Herr Kollege Mommer hat, wie ich fürchte, Punkt 1 des Antrags nicht verstanden, sonst hätte er nicht gesagt, das Wesentliche fehle. Ich glaube, es gibt ein Wesentliches, was wir verlangen können, sollen und müssen, die Wiederherstellung echter freiheitlicher Verhältnisse an der Saar. Wenn diese Entscheidung einmal getroffen ist, dann ist mir um die spätere Entscheidung des deutschen Volkes an der Saar nicht bange.
— Herr Kollege Mommer, deswegen haben wir unseren Antrag gestellt, wenn Sie es immer noch nicht begriffen haben.
Ich muß noch eine weitere Feststellung treffen,
weil ich mich mit dem, was gestern gesagt worden
ist, auseinandersetzen muß und will, auch wenn es
Ihnen nicht paßt. Es blieb in der gestrigen Debatte
Herrn Kollegen Veit vorbehalten, eine Äußerung
zu tun, die ich bedaure. Er hat es für richtig gehalten, die Behauptung aufzustellen, man beschwöre hier — ich zitiere sinngemäß — das Andenken an die Toten zweier Weltkriege, uni mit
einem solchen Pathos fehlende sachliche Argumente
zu ersetzen. Er fügte hinzu, daß ihm und seinen
Freunden das Andenken an diese Toten dazu zu
heilig sei. Ich bedaure so etwas, weil ich finde, man
sollte solche Gefühle nicht in eine Debatte ziehen.
— Ich bedaure es um so mehr, als Sie offenbar
— ich kann es nicht anders verstehen, weil es von unserer Seite nicht geschehen ist — in einer höchst merkwürdigen Weise auf die französische Kammerdebatte anspielen. In der französischen Kammerdebatte hat der unabhängige Abgeordnete General Aumeran, einer der radikalsten Nationalisten der französischen Kammer, mit den gleichen bewegenden Worten wie hier Herr Veit gegen den Schumanplan gesprochen. Er hat das Andenken an die Toten zweier Weltkriege beschworen und erklärt, er berufe sich auf das Andenken der Toten der zwei Weltkriege und warne die französische Regierung und die Kammer, das Opfer dieser Toten zu vergessen und den Vertrag zu ratifizieren.
Dann war es der französische Ministerpräsident Pleven — diese Erklärung ist schon gestern genannt worden —, der antwortete: ,.Nos morts, mon général, ne sont pas morts pour que tout recommence comme avant —Unsere Toten, Herr General, sind nicht gefallen, damit alles noch einmal von vorn anfängt!"
Ich kann nicht finden, daß derjenige, der in diesem Sinne die sinnlosen Opfer zweier Weltkriege in Erinnerung ruft, damit das Andenken dieser Toten in irgendeiner Weise herabzieht. Ich glaube sogar — und ich möchte beinahe annehmen, daß Sie mir darin zustimmen müssen —, man könnte sagen: Wenn wir vor 25 Jahren in Europa bereits so weit gewesen wären, einen Schumanplan zu ratifizieren, dann wären Millionen in den Jahren 1939 bis 1945 nicht gefallen!
Ich komme zu den abschließenden Bemerkungen der Debatte. Herr Kollege Ollenhauer hat heute morgen noch einmal die Argumente vorgetragen, die seine politischen Freunde bestimmen, gegen die Ratifizierung Stellung zu nehmen. Die sachlichen Argumente, die gestern von anderen Rednern und auch von Herrn Kollegen Ollenhauer vorgetragen worden sind — und es sind eine Reihe von sachlichen Argumenten und eine Reihe von Punkten, die uns auch nachdenklich stimmen — haben wir, wie ich glaube, sehr sorgsam und sehr reiflich in monatelanger Arbeit geprüft. Wir sind nicht der Auffassung, daß diese Bedenken uns irgendwie hindern könnten, Ja zu sagen. Wir sind nicht etwa jetzt bereit und gewillt, alles in den schönsten lichten Farben zu schildern und zu glauben, daß mit dem Tage, an dem die Hohe Behörde ihre Arbeit aufnimmt, eine neue Epoche des Glücks und des Friedens ausbricht. Wir wissen sehr wohl, daß dieser Organismus auch schweren Belastungsproben ausgesetzt sein wird. Wir wissen sehr wohl, daß selbstverständlich dieser Organismus nur funktionieren kann, wenn alle in ihn das Vertrauen setzen, daß dort eine echte europäische Gesinnung herrscht und daß sich die Mitglieder der Hohen Behörde als einer supranationalen Instanz der großen und einmaligen Aufgabe bewußt sind, über nationalstaatliche Grenzen, über Ländergrenzen und über enge nationalstaatliche Vorstellungen hinaus Entscheidungen zu treffen, die immerhin 150 Millionen Menschen auf das unmittelbarste berühren.
Ich glaube aber — und das möchte ich Herrn Kollegen Ollenhauer antworten —, daß die Abstimmung, die wir gestern in der zweiten Lesung hatten, nicht, wie er es etwas simplifizierte, nur ein Ergebnis der Macht der Zahl war. Wenn wir schon hier im Parlament und Demokraten sind, dann müssen wir zugeben, daß eben das Schwergewicht der Argumente sich durch die Macht der Zahl auszudrücken pflegt.
Und deswegen finde ich diese Apostrophierung nicht gut. Ich glaube, Sie würden es uns sehr übelnehmen, wenn Sie einmal die Mehrheit hätten und wir sagten: Es ist nur die Macht der Zahl.
Ich werde es auch nicht tun! Aber ich glaube auch nicht, daß das die Auffassung des deutschen Volkes ist. Ich habe die feste Überzeugung, daß hier das deutsche Volk und auch große Teile der Wähler der Opposition anders denken als diejenigen, die hier gesprochen haben.
— Herr Kollege, regen Sie sich doch nicht auf! Sie sagen ja auch, wir hätten nicht die Mehrheit hinter uns!
— Es ist doch ganz gut in der gespannten Atmosphäre, daß sie einmal lachen können, Herr Kollege!
Ich bin der festen Überzeugung, daß die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes hinter dieser Vorstellung steht, auch wenn sie die Einzelheiten dieses sehr komplexen Vertragswerkes nicht kennt, weil es den Millionen von Menschen diesseits und jenseits der Grenzen darauf ankommt, einmal zu sehen, daß man nicht nur über Europa spricht, sondern etwas tut, was auch sichtbar ist.
Was nützen alle Lippenbekenntnisse zur europäischen Integration, wie wir sie auch hier gehört haben und ebenso in Straßburg soviel zu hören bekommen haben! Ich glaube, die Reaktion auf diese Lippenbekenntnisse, die der Präsident der Beratenden Versammlung Henri Spaak — übrigens ein Sozialist —
gezeigt hat, als er in tiefster Enttäuschung über die wiederholten Erklärungen und über den Mangel an Entschlußkraft, zu handeln, sein Präsidium niederlegte, diese Reaktion der Enttäuschung war der Ausdruck der Meinung von Millionen von Menschen in ganz Europa.
Ich sage Ihnen für meine Freunde und für mich: ich bin sehr stolz darauf, daß wir an diesem ersten Werk europäischer Integration mitarbeiten können und daß wir mit dazu berufen sind, den ersten Stein zu dem europäischen Gebäude zu setzen und das erste Fundament zu legen. Ich lasse mich hier nicht etwa nur von falschen Vorstellungen oder Utopien leiten.
Ich bin der festen Überzeugung — und das ist allerdings die Zwangsläufigkeit, die Sie, Herr Kollege Schmid, befürchten —, daß die Zwangsläufigkeit der Entwicklung, die durch diesen ersten Schritt nun ausgelöst wird, uns weiterführen wird zu einer echten Integration der freien Völker Europas einschließlich eines freien ungeteilten Deutschland.