Rede von
Erich
Ollenhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, daß der Herr Bundeskanzler bei der Eröffnung der Aussprache in der zweiten Lesung des Ratifizierungsgesetzes über den Schumanplan die Behauptung aufgestellt hat, alle diejenigen, die hier über den Schumanplan-Vertrag entscheiden, fällen damit eine Entscheidung für oder gegen Europa. Ich halte diese Fragestellung für außerordentlich bedauerlich, weil sie den Eindruck erwecken kann, als wolle man mit dieser Gegenüberstellung einer ernsthaften Diskussion über den konkreten Inhalt des uns hier vorliegenden Vertrags ausweichen
oder aber, als wolle man den Versuch machen, der Kritik der sozialdemokratischen Fraktion eine anti-europäische Einstellung zu unterschieben, von der jedermann weiß, daß sie mit der Geschichte und den Realitäten der sozialdemokratischen Politik nicht vereinbar ist.
Die Sozialdemokratische Partei — ich möchte das nach dieser Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers noch einmal ausdrücklich an die Spitze meiner Ausführungen stellen — ist für europäische Zusammenarbeit und sie ist für eine Zusammenarbeit der freien Völker nach unseren westlichen Vorstellungen. Unser Bekenntnis zur europäischen Zusammenarbeit ist in unserer grundsätzlichen sozialistischen Einstellung begründet.
Die friedliche Zusammenarbeit der Völker ist nach unserer Überzeugung die Voraussetzung für den Frieden und Wohlstand des eigenen Volkes. Diese Zusammenarbeit wiederum ist nach unserer Überzeugung undenkbar ohne die Freiheit der Demokratie. Freiheit, Frieden und soziale Sicherheit der Völker sind unteilbar. Das sind die Grundsätze unserer Politik, die von taktischen Situationen völlig unabhängig sind.
Wir haben das in der Geschichte unserer Partei bis in die jüngste Vergangenheit durch unser Verhalten und durch unsere Handlungen bewiesen.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch eine zweite allgemeine Bemerkung voranschicken. In der Diskussion gestern und vorgestern haben die Verhandlungen in der französischen Kammer über die Ratifizierung des Schumanplans eine wesentliche Rolle gespielt. Das war selbstverständlich und unvermeidlich. Frankreich ist der Initiator dieses Plans. Schließlich heißt er S c h u m a n-Plan. Frankreich ist neben der Bundesrepublik
der wichtigste Partner in der Montan-Union. Nach den Erklärungen seiner Väter soll dieser Plan die Gegensätze zwischen Frankreich und Deutschland für immer auslöschen. Unsere Auseinandersetzung mit den Argumenten in der französischen Kammerdebatte bedeutet keine anti-französische Stellungnahme; aber wir sind der Meinung, daß es ein Gebot der Aufrichtigkeit ist, klarzustellen, mit welchen Vorstellungen Frankreich in die Union mit Deutschland eintritt.
Die Verständigung zwischen dem französischen und dem deutschen Volk ist eine Lebensfrage für Europa. Wir wollen sie. Aber sie wird nur dauerhaft sein, wenn wir unsere Standpunkte und unsere entgegengesetzten Interessen frei diskutieren und zu klären versuchen. Jede offene Streitfrage, die heute im Zusammenhang mit dem Schumanplan auftaucht und die wir jetzt nicht diskutieren, tragen wir als Zünd- und Sprengstoff in die Gemeinschaft der Montan-Union,
und zwar zum Nachteil unserer beiden Völker und zum Nachteil Europas. Platonische Freundschaftserklärungen schaden sicher nicht; aber wenn wir jetzt zum Konkreten kommen wollen, müssen wir offen sprechen. Eine Politik, die bestrebt ist, den Partner mit schwierigen Fragen nicht zu ärgern, ist doch nur ein Beweis des mangelnden gegenseitigen Vertrauens.
Wir wollen den Graben zwischen dem französischen und dem deutschen Volk endgültig zuschütten. Er ist breit und tief. Wir kennen unsere Verantwortung. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir diesen tragischen Abschnitt in der Geschichte unserer beiden Völker definitiv beenden wollen, dann müssen wir uns bei der Lösung dieser Aufgabe als freie Menschen gegenübertreten, und es darf in Bonn und in Paris nicht zwei völlig verschiedene Begründungen für den Beitritt zur Union geben.
Europa muß geeint werden, und es gibt nur zwei Wege zu diesem Ziel. Erstens den Weg der Gewalt. Wir haben die tragischen und grauenhaften Konsequenzen eines solchen Versuchs während der Hitler-Periode erlebt. Wir wissen, daß auch die bolschewistische Vorherrschaft über Europa eine Einheit Europas in der Finsternis der Diktatur sein würde.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur ganz wenige Bemerkungen über die Haltung der kommunistischen Fraktion in dieser Debatte machen. Die Kommunisten haben sich hier gegen den Schumanplan ausgesprochen. Aber das deutsche Volk darf sich keinen Augenblick darüber im Zweifel sein, daß die Haltung der Kommunisten hier im Bundestag auch in diesem Fall eindeutig bestimmt ist durch die russischen Interessen.
Es gibt wahrscheinlich nur einen denkbaren Fall,
in dem ein Vertrag wie der Schumanplan für
Deutschland noch ungünstiger sein könnte als der
uns heute vorliegende Vertrag. Dieser Fall könnte
eintreten, wenn auch die Sowjetunion Vertragspartner einer solchen Montan-Union sein würde.
Erinnern wir uns — ich sage das mit sehr viel Bedacht —, daß während der Viermächte-Konferenz in Paris im Jahre 1949 vor der Inkraftsetzung des Ruhrstatuts die Politik der sowjetrussischen Propaganda sich nicht gegen die Ruhrbehörde richtete,
sondern daß sie getragen war von der Forderung, die Sowjetunion an der Mitgliedschaft in der Ruhrbehörde zu beteiligen.
Auf der Berliner Tagung — um ein neueres Beispiel zu geben, damit Sie Ihr Gedächtnis nicht so weit durch alle Wendungen Ihrer Politik hindurchgeleiten müssen —, auf der Berliner Tagung des kommunistischen Weltfriedensrates im vergangenen Jahr forderte der französische Kommunist Farge die Wiederherstellung der Industriekontrollen und Produktionsbeschränkungen auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens.
Er zitierte zustimmend den Morgenthau-Plan und bedauerte, daß dieser Plan fallengelassen worden sei.
— Meine Damen und Herren, ich finde, die kommunistischen Mitglieder dieses Hauses sollten mit ihren Protesten etwas vorsichtiger sein,
vor allem nach ihrer gestrigen Abstimmung. In der gestrigen Nachtsitzung hatten wir abzustimmen über einen von der sozialdemokratischen Fraktion beantragten Art. I a), in dem wir eine Reihe von Sicherungen dafür schaffen wollten, daß unter allen Umständen Remontagen und der technische Wiederaufbau der Schwerindustrie an der Ruhr nicht durch Beschränkung von Investitionen durch die Hohe Behörde beeinträchtigt werden könnten. Wir haben außerdem auch eine Klarstellung der Gültigkeit des Gesetzes 27 über die Dekartellisierung verlangt.
Und was hat die kommunistische Fraktion gestern in der namentlichen Abstimmung getan? Sie hat gegen diesen Antrag für den Wiederaufbau der Ruhrindustrie gestimmt
Das steht in voller Übereinstimmung mit der sowjetrussischen Politik gegenüber der deutschen Wirtschaft.
Die deutschen Kommunisten spielen ihre Rolle in der russischen Politik gegen den Wiederaufbau der deutschen Industrie in der Bundesrepublik im Rahmen ihrer Propaganda als Kronzeugen deutscher Wiederaufrüstung und angeblicher imperialistischer Vorherrschaft auf dem Kontinent. Mit der Vertretung eines deutschen Standpunktes hat der kommunistische Kampf gegen den Schumanplan nicht das geringste zu tun.
Damit ist für mich das Kapitel kommunistische Propaganda im Bundestag abgeschlossen. Wir werden den anderen Teil dieser Auseinandersetzung im Angesicht der Bergarbeiter und Stahlarbeiter an der Ruhr führen.
Meine Damen und Herren, ich war zu diesen Bemerkungen im Zusammenhang mit der Frage gekommen, wie die Einheit Europas hergestellt werden kann. Der Weg der Gewalt ist ungangbar. Es bleibt nur ein zweiter Weg, der Aufbau einer europäischen Einheit auf Einsicht, Vertrauen und gegenseitiger Achtung aller Partner. Ich meine, daß wir die Untersuchung der Frage, ob wir dem jetzt vorliegenden Plan zustimmen können, unter dem Gesichtspunkt führen müssen, ob die Verhandlungen in diesem Geiste geführt wurden und ob in diesem Vertrag dieser Geist der Einsicht, des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Respektierung wirklich zum Durchbruch gekommen ist.
Ich spreche also hier zum Konkreten, zu diesem Schumanplan, diesem ersten konkreten Schritt zu einer europäischen Union. Wir lehnen ihn ab. Wir lehnen ihn ab als ein ungeeignetes Mittel zur Erreichung des erstrebten Zieles der europäischen Zusammenarbeit. Meine Damen und Herren, Sie haben heute morgen die Vertagung der dritten Lesung abgelehnt. Wir bedauern das, nicht weil wir bei dieser Abstimmung in der Minderheit geblieben sind. Ich beneide Sie auch nicht um den Sieg, den Sie in dieser Frage über uns errungen haben;
denn es scheint mir einer jener Siege zu sein, die nicht errungen werden durch das Schwergewicht der besseren Argumente, sondern durch die Macht der Zahl.
Meine Damen und Herren, ich sage das, weil wir es im Interesse des Ganzen bedauern, daß Sie es auf sich genommen haben, die Ratifizierung des Schumanplans heute trotz all der offensichtlichen Ungewißheiten zu erzwingen.
Wir sehen in dieser Haltung einen Beweis dafür, daß Sie trotz aller Warnungen entschlossen sind, den verhängnisvollen Weg der Außenpolitik der Bundesregierung weiterzugehen.
Unsere Differenz in der Außenpolitik besteht nicht darin, daß wir eine Meinungsverschiedenheit haben über das größere oder geringere Maß von Aktivität. Die Differenz liegt im Grundsätzlichen, und sie ist sichtbar geworden insbesondere bei den Diskussionen über den Schumanplan-Vertrag, den wir hier vorliegen haben. Uns scheint, daß die Außenpolitik der Regierung vom deutschen Standpunkt aus in hohem Maße von rein opportunistischen Gesichtspunkten geführt wird und im Grunde positionslos ist.
Ein Querschnitt durch die widerstreitenden Interessen der Alliierten ergibt doch noch nicht den Inhalt einer deutschen Außenpolitik.
Die Bundesrepublik ist in die Schumanplan-Verhandlungen gegangen ohne vorherige grundsätzliche Auseinandersetzung über die Frage einer echten deutschen Partnerschaft auf allen Gebieten unserer ausländischen Beziehungen. Die Anerkennung dieser Forderung mußte die Voraussetzung für jede internationale Verhandlung sein, in der wir uns aus freiem Entschluß an internationale Verträge binden.
Das Resultat dieses Versäumnisses in der Ausgangsposition liegt jetzt vor uns. Wir sollen den ersten großen internationalen Vertrag ratifizieren ohne jede sichere Grundlage hinsichtlich unserer staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Stellung. Diesen Tatbestand kann doch niemand hier im Hause bestreiten! Und wir Sozialdemokraten sind eben nicht bereit, auf dieser Basis unsere Zustimmung zu einem so weittragenden internationalen Vertrag zu geben. Uns genügen die Erfahrungen, die wir seit der Unterzeichnung des Petersberg-Abkommens gemacht haben, vollauf.
Meine Damen und Herren! Wir tun es auch nicht, weil wir die Dringlichkeit der Ratifizierung von einem Tag auf den andern nicht einsehen können. Überlegen Sie einmal, in welcher Weise sich die Bundesregierung im Laufe der Schumanplan-Verhandlungen dem sogenannten Zeitargument der andern und eines Teils der nicht am Schumanplan beteiligten Alliierten gebeugt hat. Es mußte unbedingt der 18. April 1951 sein. Heute haben wir den 11. Januar 1952. Im April wurde gesagt, wenn die europäischen Völker nicht in kurzer Zeit diesen ersten Schritt tun, dann wird in Europa eine außerordentlich gefährliche Situation entstehen, und das Jahr 1952 wird möglicherweise ein Jahr des Verhängnisses werden.
Nun, dieses Jahr 1952 hat begonnen, und was erleben wir?
— Entschuldigen Sie, ich spreche ja nicht von dem sehr eifrigen Deutschen Bundestag; ich spreche von den andern Partnern.
— Frankreich hat in der Nationalversammlung ratifiziert. Die Ratifizierung im Rat der Republik steht noch aus, und niemand weiß, wann sie kommt, weil Frankreich zur Zeit keine Regierung hat. Die Ratifizierung in Belgien kommt bestenfalls im März, wenn nicht auch die neue belgische Regierungskrise eine neue Verzögerung bedeutet. Wann wird Italien, wann wird Luxemburg ratifizieren? Und steht es fest, daß in diesen drei Ländern, mit Ausnahme von Frankreich und Holland, tatsächlich eine Ratifizierung zustande kommt?
Meine Damen und Herren! Ich will gar nicht die Gründe untersuchen, die in diesen Ländern für die Verzögerung sprechen. Aber durch das Verhalten der demokratischen Länder außerhalb Deutschlands in bezug auf das Zeitproblem hat sich mit Evidenz gezeigt, daß dieses Zeitproblem niemals ein echtes Argument, sondern eine Pression auf die Deutsche Bundesrepublik gewesen ist.
Meine Damen und Herren, das sage ich hier nicht, um noch ein kritisches Argument hinzuzufügen. Ich sage es als ehrliche offene Warnung an die Mehrheit des Hauses und an die Regierung, sich
auch bei den gegenwärtigen weittragenden internationalen Verhandlungen nicht wieder einem solchen Scheinargument auf Kosten der deutschen Position zu beugen.
Es muß doch respektiert werden in Europa und in der Welt, daß dieses deutsche Volk und diese Bundesrepublik bei der Behandlung solcher internationaler Verträge in einer viel schwierigeren Position ist als irgendein anderes Land mit klaren staats-
und völkerrechtlichen Beziehungen, die uns bis heute fehlen.
Was wir nicht akzeptieren und was wir in unserer Ablehnung auch in dieser Beziehung zum Ausdruck bringen wollen: Wir sind nicht bereit, für die Ehre, zu den ersten zu gehören, mit neuen Belastungen und neuen Unsicherheitsfaktoren zu zahlen, die sich nach der Ratifizierung nur schwer oder überhaupt nicht korrigieren lassen.
Es gibt noch ein anderes Argument, das nach meiner Meinung auch nicht mehr stichhaltig ist. Es ist das Argument, das wir in diesen Tagen so oft gehört haben: „Gewiß, der Vertrag hat Mängel und Nachteile. Aber es muß doch endlich der erste Schritt in Richtung auf die Organisation von Europa getan werden. Wenn wir warten, bis alles vollkommen ist, kommen wir nie zurecht!" — Meine Damen und Herren! Es geht nicht um die Vollkommenheit von Verträgen dieser Art. Es geht um ein ganz anderes Problem. Die Organisation von Europa auf Teilgebieten oder im Ganzen ist zu einer praktischen Aufgabe geworden. Soll diese Organisation funktionieren, dann genügt nicht die Aufstellung von allgemeinen Grundsätzen und der Aufbau von Organisationsformen. Das allein schon ist, wie der Schumanplan und die Geschichte seiner Ratifizierung zeigt, ein sehr schwieriges Problem aber es ist nicht das wesentliche. Das Wesentliche ist die Ausbalancierung der natürlichen und unvermeidlichen nationalen Interessengegensätze bis zu dem Punkt, an dem eine für alle tragbare Lösung gefunden ist,
und die Ausbalancierung dieser Gegensätze in den Verhandlungen vor dem Abschluß des Vertrages.
Gelingt das nicht — ich sage es noch einmal —, dann übertragen Sie die Gegensätze in diese neue höhere Organisation mit der ganzen Sprengkraft, die sich in der Einkapselung noch erhöht.
Meine Damen und Herren! Das ist keine theoretische Feststellung. Untersuchen Sie die Debatten in der holländischen Kammer, in der französischen Kammer unter diesem Gesichtspunkt, dann wissen Sie, an welchen Punkten die Schumanplan-Anhänger aller Länder auf echte Schwierigkeiten gestoßen sind, die man hätte vermeiden können, wenn man mit Zeit und Geduld im Vorstadium der Ratifizierung verhandelt hätte.
Das gilt nicht nur für Einzelfragen. Ich will hier nicht noch einmal die Debatte in der französischen Kammer zitieren. Aber vergessen wir doch eines nicht: In dieser Debatte in der französischen Kammer ist das stärkste Argument der französischen Regierung für die Ratifizierung gewesen, daß die französische Regierung dem Parlament die Frage vorgelegt hat: „Wie wäre die Stellung Frankreichs, wenn es keinen Schumanplan gäbe? Wer hat den Koks für die eisen- und stahlschaffende Industrie? — Doch Deutschland, dessen Schwerindustrie schon mit 100 % ihrer Mittel arbeitet, während unsere Kapazität nur zu 85 % ausgenutzt ist! Deutschland, dessen Wiederaufrichtung unvermeidlich ist, wäre mehr und mehr der Schiedsrichter Europas." Man sage nicht, das sei die Sprache für den französischen Hausgebrauch.
Das wäre eine sehr gefährliche Selbsttäuschung unserer selbst. Denn was steckt hinter dieser Argumentation? Die Tatsache, daß die französische Regierung die Mehrheit des französischen Parlaments davon überzeugen konnte, daß der erste europäische Plan mit den Lebensinteressen der französischen Kohle- und Stahlindustrie in Einklang zu bringen ist, ja daß diese Industrie davon Vorteile hat.
Und, meine Damen und Herren, die Frage, die wir in dieser Debatte mit unseren Reden an dieses Haus gestellt haben, ist doch die: Wo ist die konkrete substantiierte Gegenrechnung der deutschen Regierung gegenüber dieser französischen Position?
Wenn Sie diesen Weg weitergehen, wenn Sie sich damit begnügen, in die neue europäische Organisation unsere Bekenntnisse zu Europa einzubringen, während die anderen ihre nationalen Interessen vertraglich verankern und sichern, dann werden die Deutschen immer die Ehre haben, ihre Bekenntnisse am teuersten zu bezahlen.
Es gibt noch ein anderes Gegenargument, das ebenfalls in der bisherigen Debatte selbstverständlich schon eine Rolle gespielt hat, auf das ich aber noch einmal kurz eingehen will. „Wenn wir" — so sagt man uns — „den Schumanplan nicht unterzeichnen, dann bleiben wir unter den jetzigen Belastungen des Besatzungsregimes". Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen wieder einmal geglaubt, uns mahnen zu müssen, an die deutschen Interessen zu denken. Darf ich nicht vielleicht hier in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob nicht die Argumentation der Mehrheit dieses Hauses: „Wenn wir den Schumanplan nicht akzeptieren, bleibt das Besatzungsregime!" eine wesentliche Erleichterung der Politik der Alliierten in bezug auf das Junktim zwischen Schumanplan, Verteidigungsbeitrag und Generalvertrag ist?
Was ist der Schumanplan dank der Tatsache, daß wir am Ausgangspunkt die staats- und völkerrechtliche Position der Bundesrepublik nicht klar gemacht haben? Ist er die vertragsmäßige Sicherung bestimmter Ziele der Besatzungspolitik oder der Anfang einer europäischen Gemeinschaft von Gleichen unter Gleichen?
Meine Damen und Herren, wollen Sie ernsthaft bestreiten, daß er ein Kompromiß ist eindeutig zugunsten der Aufrechterhaltung und Durchsetzung bestimmter Besatzungsziele bestimmter früherer Besatzungsmächte?
Herr Kollege Semler hat gestern abend oder heute morgen davon gesprochen, ihm sei in diesen Tagen die Erinnerung an Locarno gekommen. —
Meine Damen und Herren, es ist meine feste Überzeugung: mit dem Schumanplan sind wir noch lange nicht bei Locarno!
Ich habe vielmehr das Gefühl, daß der Schuman-plan ein Symptom dafür ist, daß man im Gegensatz zur gewaltsamen Ruhrbesetzung im Jahre 1923 — —
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich doch
aussprechen!
— Sie hatten mich noch nicht aussprechen lassen.
Meine Damen und Herren, ich habe bis jetzt — —
— Ich meine, Lautstärke ist auch kein Argument!
Ich habe fortfahren wollen, daß der Schumanplan vielleicht auch ein Beweis dafür ist, daß man gewisse Ansprüche
auf die Ruhr auch auf dem kalten Wege eines solchen Vertrages sichern kann.
— Meine Damen und Herren, ich bin gewohnt, alles das zu sagen, was ich denke.
Aber ich denke nicht daran, mich von Ihnen zu irgendwelchen Äußerungen hinreißen zu lassen, die ich nicht vertreten kann.
Ich möchte noch auf ein weiteres Argument eingehen. Es ist gesagt worden: „Die Ruhrbehörde wird wegfallen!" Aber, meine Damen und Herren, wollen Sie nicht auch akzeptieren, daß die andere Seite mit der festen Vorstellung in die Montan-Union geht, daß die Hohe Behörde ein besseres Instrument zur Vertretung ihrer Interessen ist? Das ist doch unbestreitbar!
Der nächste Punkt. Man sagt: „Die Stahlproduktionsbeschränkung fällt!" Aber, meine Damen und Herren, die Diskussion in diesem Hause und in den Ausschüssen hat völlig klar gemacht: Wenn der Schumanplan in Kraft tritt, dann bildet die Stahlproduktionskapazität der Union eine Einheit, und über ihren Ausbau entscheidet die Hohe Behörde
unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Notwendigkeiten nicht des einzelnen Landes, sondern des Ganzen.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen sagen, warum ich das hier wiederhole.
Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß der Herr Staatssekretär Professor Hallstein hier vor dem Hause die Erklärung abgegeben hat, es gebe nicht den geringsten Zweifel darüber, daß, wenn Deutschland will, es eine Breitbandstraße aufbauen kann. Diese Erklärung des Herrn Staatssekretärs möchte ich hier noch einmal ausdrücklich zu Protokoll genommen wissen.
Das wollen wir abwarten.
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine andere Bemerkung machen: Diese Beschränkungen der Möglichkeiten sind nicht nur eine Lebensgefahr für die deutsche Stahlindustrie an Ruhr und Rhein, sondern auch für das Industriegebiet an der Zonengrenze.
Was wird mit Werken wie Watenstedt und Salzgitter? Wo gibt es eine reale Unterlage für die Annahme, daß wir nach der Ratifizierung des Vertrages aus nationalpolitischen und allgemein demokratischen Gründen dieses wichtige Gebiet in den Wiederaufbau unserer Schwerindustrie wieder einbeziehen können? Die Politik der Abziehung der deutschen Kohlen- und Eisenindustrie von der Zonengrenze nach dem Westen liegt weder im Interesse der deutschen noch der europäischen Demokratie. Frankreich aber betrachtet die Demontage z. B. von Watenstedt und Salzgitter als endgültig und unwiderruflich. Und, meine Damen und Herren, ein wirtschaftliches Niemandsland der Bundesrepublik an der Zonengrenze ist in der gleichen Weise wie die Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen im Ruhrgebiet eine direkte Hilfeleistung für kommunistische und andere antidemokratische Strömungen und Aktionen.
Ich will nicht im einzelnen auf verschiedene Fragen eingehen, die im Zusammenhang mit der Debatte in der zweiten Lesung schon behandelt wurden. Lassen Sie mich aber bitte noch einmal ein Wort über das Gesetz Nr. 27 sagen. Ich denke, der Tatbestand ist durch die Diskussion klar geworden; ich beziehe mich auf sie. Aber ich erwähne diesen Punkt, weil wir auch von der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers heute morgen nicht befriedigt sind. Die Tatsache, daß es sich bei dem Gesetz Nr. 27 um Besatzungsrecht handelt, ist uns bekannt.
Die Tatsache, daß die Besatzungsmächte sich vorbehalten haben, die Durchführung des Gesetzes sicherzustellen, ist uns auch bekannt. Aber es ist doch in dieser Debatte ein neuer, entscheidender Gesichtspunkt aufgetaucht, nämlich die Feststellung in der französischen Kammer durch den Herrn Außenminister Schuman, daß die Dekartellisierung in der Zwischenzeit — in der Zwischenzeit! — nach dem Erlaß des Gesetzes Nr. 27 und nach der Unterzeichnung des Schumanplans im April 1951 Gegen-
stand eines Übereinkommens zwischen den drei Mächten und der Bundesregierung gewesen ist.
Diese Übereinkunft bleibt bestehen und endgültig, wie alle internationalen Übereinkommen; sie muß von der Hohen Behörde respektiert und angewandt werden.
Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, daß ich es Ihnen noch einmal vorgelesen habe.