Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, über den wir heute in dritter Lesung beraten, verdankt seine Entstehung der allgemein anerkannten Notwendigkeit eines schnellen Ausbaus der Grundstoffindustrien. Über dieses ursprüngliche Ziel war man sich allgemein einig. Die Gegensätze entstanden bei der Beratung über die Art der Durchführung dieser Maßnahmen. Für die Sozialdemokratische Partei ist die Grundbedingung für die Zustimmung zu diesem Gesetz erstens eine schnelle und wirksame Abhilfe und zweitens ein ausreichender Schutz der Verbraucher, also keine Gefährdung der Stabilität der Preise und keine Verschlechterung in der sozialen, Einkommensverteilung.
Für die Koalitionsparteien scheint mir die unausgesprochene Grundbedingung vorzuliegen: unter keinen Umständen ein Eingriff in die freien Dis-
positionen der Unternehmer. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie scheinen gewillt zu sein, dieser Grundbedingung alle die anderen Voraussetzungen, die wir mit Recht aus volkswirtschaftlichen Gründen an diese Vorlage knüpfen, zu opfern. An Stelle dieser unausgesprochenen Bedingung der uneingeschränkten Dispositionsfreiheit der Unternehmer versuchen Sie nun der Öffentlichkeit zwei Fiktionen zu suggerieren, erstens die Fiktion von der Freiwilligkeit der Investitionsumlage und darum zweitens die Fiktion, daß es sich, wegen dieser Freiwilligkeit, um eine ureigenste Angelegenheit der aufbringenden Wirtschaft handele.
Wir stehen aber auf dem Standpunkt, das Investitionslenkungsproblem ist ein allgemeines volkswirtschaftliches Problem, und die Sicherung der richtigen Investitionen ist eine Pflicht der Bundesregierung. Man könnte sich nach den Gesichtspunkten der Koalition ebenso gut auf den Standpunkt stellen, daß auch die Umsatzsteuer nur eine Angelegenheit der Organisationen der Unternehmungen sei.
Diesen Fiktionen, meine Damen und Herren, entspricht nun allerdings auch der Gehalt dieses Gesetzentwurfes.
Sprechen wir erst einmal von der Organisation der Investitionshilfe. Ich verweise auf das Kuratorium mit seinem Übergewicht der Unternehmerseite; ich verweise auf die Konstruktion der Kredittitel, die die Aufbringenden bekommen sollen und die der ganzen Angelegenheit mehr die Eigenschaft eines profitablen Beteiligungsgeschäftes geben sollen als die einer wirklichen Hilfe.
Das wesentlich Schlimmere ist aber die Einwirkung der Fiktionen, von denen Sie ausgehen, auf die Durchführung der Investitionshilfe. Wir haben in der zweiten Lesung bereits ausführlich über die Beschränkung der Investitionshilfe gesprochen, die Sie durch den § 1 in Ihrer Fassung durchsetzen wollen. Sie wollen die echte Investitionsumlenkung auf 1 Milliarde und auf ein Jahr beschränken, obschon anerkannt ist, daß diese Summen völlig unzureichend sind. In letzter Minute haben Sie zwei Ersatzmaßnahmen vorgeschlagen, von denen man wirklich sagen kann, daß sie „Ersatz" im wahrsten Sinne des Wortes sind.
Ich spreche zunächst von den steuerlich begünstigten Abschreibungen nach § 36, die auf öffentliche Verkehrsbetriebe überhaupt keine Anwendung finden können. Man läßt also das Sanierungsproblem der Bundesbahn völlig außer Betracht. Ich spreche dann von der Bestimmung über preispolitische Maßnahmen, die Sie noch in der letzten Sitzung mit dem § 36 a hineingebracht haben. Es ist noch nicht ganz klar, welche Absichten Sie bezüglich des Umfangs der Anwendung dieses § 36 a haben. Aber eins ist klar: ohne wesentliche Preiserhöhungen werden auch keine wesentlichen Investitionen vorgenommen werden können. Wenn Sie nun die Verpflichtung übernehmen, keine wesentlichen Preiserhöhungen durchzuführen, dann wird auch dieser § 36 a zu keinem wesentlichen Investitionsvolumen führen. Das brauchen wir aber gerade.
Was ist nun die wirtschaftspolitische Folge dieser unzureichenden Konzeption? Der § 36 a kann nicht einmal eine nutzbringende Auswirkung auf die Energiewirtschaft haben, von der Bundesbahn gar nicht zu sprechen. Wir stehen also vor der einfachen Tatsache, daß auf Grund des Gesetzentwurfs, den Sie jetzt hier vorlegen, ein zureichender Ausbau der Grundstoffindustrien unmöglich ist. Dadurch, daß Sie auf einen möglichen
schnellen Ausbau der Grundstoffindustrien verzichten, verzichten Sie auch auf eine mögliche
Steigerung der Beschäftigtenzahlen. Sie verzichten
auf eine mögliche Steigerung der Produktion und
auf eine mögliche Steigerung des Lebensstandards.
In diesem Zusammenhang möchte ich — ich nenne
ausdrücklich nicht etwa Äußerungen aus unseren
Kreisen — auf eine Äußerung des rheinisch-westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung hinweisen, das in den letzten Tagen festgestellt hat:
Bei ausreichender Kohleversorgung hätte die Arbeitslosenzahl um 200 000 niedriger und das Volkseinkommen um zwei Milliarden höher sein können.
Dieser Verzicht auf einen möglichen schnellen Ausbau der Grundstoffindustrien erscheint mir besonders verhängnisvoll angesichts der bekannten großen Investitionspläne für die französischen Grundstoffindustrien und angesichts des von Ihnen empfohlenen Eintritts in die Montanunion. Dieser Verzicht bedeutet gleichzeitig einen solchen auf eine mögliche Exportsteigerung und auf eine mögliche Schließung der noch immer gefährlichen Dollarlücke. Ich weise darauf hin, daß es wichtigste Rohstoffe gibt, deren Zulieferung von der Schließung dieser Dollarlücke abhängt: USA-Kohle, Baumwolle, Zucker, Futtergetreide und anderes. Schließlich bedeutet es — und das scheint mir ein sehr wichtiger Punkt zu sein — den Verzicht auf die Möglichkeit, früher als sonst zu einer tatsächlichen Unabhängigkeit von materieller Auslandshilfe zu kommen. Ich glaube, durch einen solchen Schritt würden wir ein wichtiges Stück unserer tatsächlichen — nicht bloß fiktiven — politischen Unabhängigkeit erwerben.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie werden es in Zukunft mit den Hinweisen auf Ihre angeblichen wirtschaftspolitischen Erfolge zweifellos nicht mehr so leicht haben wie bisher, wo Sie in sehr bequemer Weise die Öffentlichkeit immer wieder auf die Fortschritte der deutschen Wirtschaft seit der Währungsreform hingewiesen haben. Diese Fortschritte sind doch im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß der Tüchtigkeit des deutschen Volkes durch die Währungsreform und durch die gleichzeitige Zulieferung ausländischer Rohstoffe zum ersten Mal eine effektive Chance gegeben worden ist.
Das verschweigen Sie immer, aber Sie werden in Zukunft vor der Aufgabe stehen. die günstigen Wirkungen ihrer Wirtschaftspolitik auf die deutsche Wirtschaft beweisen zu müssen, ohne daß so ein Deus ex machina zu Hilfe kommt.
Nun die anderen ungünstigen Wirkungen dieses Gesetzes. Vorhin habe ich schon von der Wirkung auf die Bildung des Einkommens und des Privatvermögens gesprochen. Ich habe schon in der ersten Debatte darauf hingewiesen, daß durch die Preissteigerungen im Zusammenhang mit dem Korea-Konflikt der Anteil der Löhne und Gehälter am Sozialprodukt der Industrie vom ersten Halbjahr 1950 bis zum ersten Halbjahr 1951 gesunken ist. Man kann das noch anders ausdrücken und sagen: durch diese Verschiebung des Anteils am Sozialprodukt infolge der Preissteigerungen ist die Lohn- und Gehaltssumme in der deutschen In-
dustrie im ersten Halbjahr 1951 um eine Milliarde niedriger gewesen, als sie es bei gleichbleibendem Anteil am Sozialprodukt gewesen wäre.
Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, festzustellen, daß diese eine Milliarde die gleiche Summe ist, die von der Wirtschaft „freiwillig" angeboten worden ist.
Nun zum Thema der bevorzugten Bildung von Privatvermögen durch die steuerliche Begünstigung der Abschreibungen. Man hat die Auffassung vertreten, es gebe hier ein Recht auf eine Gelegenheit zur Selbstfinanzierung, ein Recht auf Nachholung dieser unseligen Selbstfinanzierung, die wir nun Gott sei Dank eingeschränkt haben, erst sehr spät allerdings durch den späten Entschluß des Bundesfinanzministers.
Wie sieht es aber nun mit dem anderen Argument aus, daß es sich bei der steuerlichen Begünstigung der Abschreibungen nur um eine Stundung handelt? Beim beweglichen Vermögen beträgt die zusätzliche Abschreibung 50 °/o. Das wirkt sich in der Weise aus, daß der Steuerbetrag erst in 5 bis 10 Jahren nachgezahlt werden muß. Bei unbeweglichen Vermögen wird dieser Betrag jetzt. für 30 % der Neuanlagen gestundet und muß erst in 20 bis 30 Jahren in die öffentlichen Kassen gezahlt werden. Lassen Sie mich einmal nach den heutigen mittleren Zinssätzen — ich nehme gar nicht die höchsten — eine Bewertung solcher Forderungen vornehmen. Haben Sie sie in 5 bis 10 Jahren zu zahlen, dann kommen Sie auf einen Jetztwert von der Hälfte. Wenn Sie sie aber zinslos erst nach 20 bis 30 Jahren zurückzuzahlen haben, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, daß
D eine solche Forderung heute einen Wert von 1/5 bis 1/io hat. Es ist also gar nicht so, wie es hier gesagt wird, daß es sich lediglich um ein Darlehen handelt. Vielmehr handelt es sich um eine Schenkung aus der Finanzkasse an die betreffenden Privatvermögen in der Größenordnung der Hälfte bis zu 9/10 dieser Steuerbeträge.
Nun noch zu dem Thema des Ausfalls in den öffentlichen Kassen. In der letzten Diskussion über diese Frage hier im Bundestag ist die Frage aufgetreten: Welche Ausfälle werden sich für die öffentlichen Kassen durch die steuerliche Begünstigung dieser Abschreibungen ergeben? Der Herr Bundesfinanzminister hat diesen Ausfall auf 150 Millionen DM pro Jahr geschätzt. Von unserer Seite ist er auf 500 Millionen DM geschätzt worden. Der Zusammenhang ist doch eigentlich furchtbar einfach. Sehen Sie sich einmal die gesetzlichen Bestimmungen an. Aus diesen geht klar hervor, daß die Investitionen das Drei- bis Fünffache des Ausfalls für die öffentlichen Kassen ausmachen werden. Wenn man also, wie der Herr Bundesfinanzminister, den Steuerausfall auf 150 Millionen DM schätzt, kommt man zu dem Ergebnis, daß das Investitionsvolumen, das wir durch diesen Steuerausfall bekommen, auf 450 bis 750 Millionen DM beschränkt sein wird. d. h. im Durchschnitt auf 600 Millionen DM. Wir wissen alle, daß diese 600 Millionen DM für den Zweck, den wir verfolgen, völlig unzureichend sind. Wenn Sie die Schätzungen der SPD zugrunde legen, dann kommen Sie auf ein Investitionsvolumen von ungefähr 2 Milliarden DM, wie wir es für notwendig halten.
Man kann also zu diesem § 36 a nur folgendes sagen. Entweder ergibt er die kleineren Steuerausfälle, die der Bundesfinanzminister geschätzt hat; dann ist die Folge ein völlig unzureichendes Investitionsvolumen. Oder es ergibt sich ein ausreichendes Investitionsvolumen; dann treten unerträgliche Schmälerungen des Steueraufkommens ein, und die ausgefallenen Beträge werden erst in 10 oder 20 Jahren wieder hereinkommen.
Nun habe ich in der Debatte hier in diesem Hause vergeblich nach irgendwelchen sachlichen Gründen gesucht, die für die Ablehnung unseres § 1 angeführt werden könnten. Mir ist nicht bekannt, daß ein einziger sachlicher Grund dafür genannt worden ist, ausgenommen höchstens wiederum der Grund, daß man eben den Unternehmern das volle Dispositionsrecht über ihre Mittel allein sichern will.
Für den ausschließlichen Zweck, dieser kleinen Minderheit das alleinige Recht der Verfügung über ihre Mittel anzuvertrauen, opfern Sie die echte Investitionslenkung. Sie opfern dafür die Möglichkeit einer endgültigen Stabilisierung der Preise und Sie opfern unter Umständen die Sicherungen gegen eine weitere Verschlechterung der Einkommensverteilung. Sie nehmen weiter neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte mit all den Folgen für die Sozialleistungen in Kauf.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch kurz etwas zitieren, was die OEEC in ihren neuesten Empfehlungen zur Inflationsbekämpfung
— Herr Dr. Preusker! — zum Deutschlandproblem gesagt hat:
Unter diesen Bedingungen muß daß Ziel der deutschen Politik sein, Investitionen in den Grundstoffindustrien zu fördern,
— und bitte, hören Sie zu —
gleichzeitig aber jene in weniger wichtigen Zweigen einzuschränken.
Das ist das, was wir verlangen, und das ist das, was auch die OEEC allgemein für eine deutsche Wirtschaftspolitik im jetzigen Zeitpunkt für notwendig hält.
Wir werden darauf verzichten, nachher im einzelnen nochmals unsere Änderungsanträge zu begründen, weil das schon ausführlich geschehen ist. Aber es ist klar, daß wir uns mit einem Gesetz, in dem unsere Änderungsanträge nicht berücksichtigt werden, nicht einverstanden erklären können. Für uns ist dieses Gesetz ein stümperhaftes Flickwerk. Es mangelt an konstruktivem Gehalt, und dieses Flickwerk, meine Damen und Herren von der Koalition, ist ein Ausdruck der Abhängigkeit Ihrer Kreise von gewissen finanzkräftigen Unternehmerkreisen.
Es ist außerdem der traurige Ausdruck der Tatsache, daß man sich von der richtigen Idee einer echten Investitionslenkung hat abbringen lassen zugunsten restaurativer Ziele der Herstellung einer überalterten Einkommens- und Vermögensverteilung.