Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Rechtsausschuß hat sich eine einheitliche Auffassung nicht herausgebildet. Infolgedessen hat der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht den Herrn Kollegen Dr. Kopf u n d mich beauftragt, die einander widerstreitenden Auffassungen hier darzulegen, und zwar in der Form, daß der Herr Kollege Kopf, wie er es getan hat, beantragen solle, der Bundestag möge der Beklagten, d. h. der Bundesregierung beitreten, und ich beauftragt sei, Ihnen den Antrag zu unterbreiten, das Hohe Haus möge der klagenden Fraktion beitreten.
Im einzelnen habe ich hier folgendes dazu zu sagen. Der Herr Kollege Kopf ist nicht auf die Rechtsfrage eingegangen, ob das Petersberger Abkommen ein Vertrag ist, der nach Art. 59 des Grundgesetzes der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften in der Form eines Gesetzes bedurft hätte. Der Herr Kollege Kopf hat sich darauf beschränkt, darzulegen, daß der Bundestag seinerzeit einen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion abgelehnt hat, in dem gefordert wurde, die Bundesregierung möge dieses Abkommen dem Bundestag in der Form eines Gesetzes zur Entscheidung vorlegen. Daraus folgerte Herr Kollege Kopf, die Entscheidung des Bundestages sei schon gefallen. Erstens sind ja derartige Beschlüsse für den Bundestag selbst nicht bindend. Der Bundestag kann und muß vielmehr erneut in die Prüfung der Rechtsfrage, und zwar in diesem Falle — da ja das Bundesverfassungsgericht die politische Zweckmäßigkeit nicht zu prüfen hat — nur der Rechtsfrage eintreten. Zweitens werden Sie sich an jene heftige Abstimmungsnacht erinnern, in der doch wesentlich mehr um die politische Zweckmäßigkeit als um die formelle Rechtslage gestritten wurde. Der Herr Kollege Onnen hat im Rechtsausschuß sehr klar gesagt, daß die Rechtsfrage damals nicht im Vordergrund stand, sondern die politische Zweckmäßigkeitsfrage. Er hat darauf hingewiesen, in welch eigentümliche Lage sich das Parlament begibt, wenn es hier der Bundesregierung beitritt, um gegen seine eigenen Befugnisse zu kämpfen.
Wenn das Parlament einen Vertreter nach Karlsruhe entsendet, um vor dem Bundesverfassungs-
gericht geltend zu machen, daß es, das Parlament selbst, keine Rechte habe, ist das an sich schon eine absolut paradoxe Lage für ein Parlament.
Aber darüber hinaus hat der Herr Kollege Onnen mit Recht darauf hingewiesen, was für eine phantastische Folge eintritt, wenn etwa das Bundesverfassungsgericht der Klage entspricht und feststellt, daß der Bundestag mehr Rechte hat, als er selbst für sich in Anspruch nahm, und weiter feststellt, daß der Vertreter des Bundestags in der mündlichen Verhandlung gegen die dem Bundestag vom Bundesverfassungsgericht zugebilligten Rechte Stellung genommen hat. Dieser Situation wird man sich unmöglich aussetzen können.
Schließlich noch eine Nebenbemerkung. Sie wissen ja auch — wenn Sie sich erinnern —, daß jener Beschluß in der heftigen Nacht des Petersberg-Abkommens in Abwesenheit der Opposition gefaßt wurde. Es war damals das einzige Mal, daß von dem gefestigten Grundsatz abgewichen worden ist, einer Fraktion, die sich noch in der Beratung befindet, die Zeit zu gönnen, ihre Beratung zu Ende zu führen. Obgleich damals die sozialdemokratische Fraktion ihre Beratung gerade erst begonnen hatte, ist die Mehrheit des Bundestages erzürnt in die Verhandlung und Abstimmung eingetreten.
In der Sache werden wir also prüfen müssen — und jetzt insoweit sine ira et studio —, ob ein Vertrag im Sinne des Art. 59 des Grundgesetzes vorliegt oder nicht. Ich habe nicht die Absicht, Sie allzu lange damit aufzuhalten. Ich muß aber auf einiges insoweit eingehen und insbesondere darauf hinweisen, daß in der Klagebegründung — die ich Herrn Kollegen Dr. Kopf zur Verfügung gestellt hätte, wenn er sie hätte sehen wollen — der Antrag geändert ist. Die Anträge lauten jetzt:
Festzustellen,
1. daß die Bundesregierung die dem Bundestag nach Art. 59 des Grundgesetzes zustehenden verfassungsmäßigen Rechte verletzt hat, indem sie es unterließ, die vom Bundeskanzler am 22. November 1949 getroffenen Abmachungen — Petersberger Abkommen — dem Bundestag zur Zustimmung in der Form eines Bundesgesetzes vorzulegen;
2. daß das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949 ein Vertrag ist, der die politischen Beziehungen des Bundes regelt und daher rechtsunwirksam ist, weil er nicht vom Bundespräsidenten geschlossen wurde und die gesetzgebenden Körperschaften nicht in der Form eines Bundesgesetzes zugestimmt haben.
Zur Begründung darf ich insoweit darauf hinweisen was auch sehr wesentlich ist —, daß nämlich in jener Nacht zu einer Rechtsprüfung seitens des Hohen Hauses überhaupt keine Zeit war. Der Herr Bundeskanzler hat am Nachmittag erstmals das Petersberg-Abkommen b ekanntgegeben. Es trat dann eine kurze Pause ein von ungefähr anderthalb Stunden, in der ein hektographierter Abzug des Abkommens verteilt wurde. Man wunderte sich bei der Mehrheit, daß ich mich bereits im Besitz des französischen und englischen Textes befand, wie Sie aus den im Protokoll festgehaltenen Zwischenrufen sehen können, und daß ich auch das Gutachten des Herrn Bundesjustizministers in der Hand hatte. Anschließend daran ist man gleich in die Debatte eingetreten. Zu irgendeiner Prüfung in verfassungsrechtlicher Hinsicht bestand daher für den Bundestag überhaupt keine Möglichkeit.
Soweit damals in jener Sitzung über Rechtsfragen diskutiert wurde, ging man, soweit man das Ratifizierungserfordernis verneinte, regelmäßig davon aus — das können Sie in den Protokollen nachlesen —, daß es sich um einen Vertrag handele nicht mit auswärtigen Staaten, sondern nur mit der Alliierten Hohen Kommission, und daß es sich um einen Vertrag im Bereich des Besatzungsrechts handle, nicht in der internationalen Sphäre. Wenn Sie heute auf Grund der vorliegenden Materialien an die Sache herangehen, werden Sie bei ruhiger Prüfung sehen, daß diese Auffassungen, wie sie damals insbesondere durch den Herrn Bundesminister der Justiz, durch den Herrn Kollegen von Merkatz und auch durch andere Mitglieder der Regierungskoalition vertreten worden sind, sich in keiner Weise halten lassen. Sie werden bereits aus der Präambel des Vertrags sehen, daß die Hohen Kommissare nicht im eigenen Namen gehandelt haben, sondern — wie es heißt — „bevollmächtigt" und „beauftragt", und zwar von der Konferenz. der Außenminister.
Aber sehr viel bedeutungsvoller ist noch, daß der Herr Bundeskanzler dann selbst in der 18. Sitzung des Bundestags festgestellt hat, das Abkommen trage — und nun zitiere ich wörtlich —: „die Unterschriften der Vereinigten Staaten, Englands und Frankreichs". Dies der eigene Ausspruch des Herrn Bundeskanzlers! Der Herr Bundeskanzler hat in einer späteren Sitzung — in der 68. Sitzung vom 13. Juni 1950 — wörtlich ausgeführt:
Die Bundesregierung ist hier zum ersten Male
als gleichberechtigter Verhandlungspartner mit
den alliierten Regierungen aufgetreten, die
durch ihre Hochkommissare vertreten waren. Also in zwei Sitzungen hat der Herr Bundeskanzler selber das Abkommen dahin interpretiert, wie es auch mit seinem Wortlaut übereinstimmt, daß es ein Abkommen mit den alliierten Regierungen war und die Unterschriften der Vereinigten Staaten, Englands und Frankreichs trägt. Der Herr Bundeskanzler hat deshalb auch in der 18. Sitzung darauf hingewiesen, daß wir, wie er sich ausdrückte, zum ersten Male wieder in die internationale Sphäre eintreten, und er hat in der 68. Sitzung dann auf die alliierten Regierungen als Vertragspartner hingewiesen.
Nun zum Inhalt des Abkommens selbst. Es ist eindeutig, daß es sich um den klassischen Fall eines Vertrages handelt, der im Sinne des Art. 59 des Grundgesetzes ein politischer Vertrag ist. Zu diesem Zwecke darf ich Ihnen doch einiges aus dem Abkommen in das Gedächtnis rufen. Es heißt ausdrücklich darin, daß der Sinn des Vertrages sei, die Republik Deutschland einzufügen in den Kreis der westeuropäischen Mächte; also der typische Freundschafts- und Integrationsvertrag, wie er Herrn von Mangoldt vorgeschwebt hat, als er im Parlamentarischen Rat den Begriff des politischen Vertrages eingeführt hat. Herr Kollege Kiesinger hat das noch ausdrücklich bestätigt, indem er in seiner Rede am 24. November 1949 wörtlich ausrief, daß „von dieser Stunde, von hier und von heute eine neue Epoche der Beziehungen des deutschen Volkes zur Welt beginnt". Ich glaube, pompöser kann man den politischen Charakter des Vertrages wohl kaum zum Ausdruck bringen.
Sodann ist noch darauf hinzuweisen, was in dem Vertrag alles enthalten ist. Da bekräftigt die Bundesregierung in Abschnitt V den Entschluß, die Grundsätze der Freiheit, der Toleranz und der Menschlichkeit rückhaltlos zur Achtung zu bringen. In Abschnitt VI ist festgelegt, daß die Bundesregierung auf dem Gebiet der Dekartellisierung und zur Beseitigung monopolistischer Tendenzen gesetzgeberische Maßnahmen treffen wird. In Abschnitt III des Petersberger Abkommens erklärt die Bundesregierung ihre Entschlossenheit, die Entmilitarisierung des Bundesgebiets aufrechtzuerhalten und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die Neubildung irgendwelcher Streitkräfte zu verhindern.
Also wenn das kein politische Vertrag mit auswärtigen Mächten ist, dann möchte ich noch den Vertrag sehen, der nach Art. 59 des Grundgesetzes der Zustimmung durch die gesetzgebenden Körperschaften bedarf!
Ich glaube, damit habe ich genug gesagt. Ich könnte noch sehr viel mehr vortragen. Ich habe auch keinen Zweifel daran, wie das Ergebnis der verfassungsgerichtlichen Klage sein wird.
— Da brauchen Sie nicht „na, na" zu rufen! Ich habe ja hier keine politische Rede zu halten, sondern einen Bericht vorzutragen, und was ich bisher gesagt habe, genügt, glaube ich, um den Antrag zu rechtfertigen, daß der Bundestag .zur Verteidigung seiner Rechte beschließen möge, der klagenden Fraktion beizutreten und geltend zu machen, daß dieses Abkommen in Form eines Gesetzes dem Bundestag zur Zustimmung vorgelegt werden muß.