Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß zunächst unserem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß bei der Beratung dieses Punktes die Regierungsbank so gut wie nicht besetzt ist.
Es spricht zwar für das Interesse des Herrn Arbeitsministers, daß er hier ausharrt und Zeuge von Darlegungen in einer Frage ist, die auch sozialpolitisch eine erhebliche Bedeutung hat. Es wäre aber wünschenswert gewesen, wenn der Herr Wirtschaftsminister und der Herr Justizminister neben dem Herrn Bundeswohnungsminister Veranlassung genommen hätten, dieser Debatte beizuwohnen.
Es handelt sich hier um Fragen, die vielschichtiger Natur sind. Über die Anhebung, Angleichung, Erhöhung der Altmieten wird seit Monaten geredet, und wir wollen nicht leugnen, daß es sich hierbei um ein ernstes Problem handelt, das eigentlich nicht polemisch debattiert werden sollte, sondern einer sachlichen und gründlichen Prüfung bedarf. Wir wissen, daß die Bundesregierung wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, daß sie in diesen Fragen initiativ zu werden gedenke. Wir entsinnen uns auch, daß es die Koalitionsparteien im Juli dieses Jahres waren, die mit einem Antrag eine Prüfung und Entscheidung der Fragen der Mietangleichung für Althäuser verlangten. Aus diesem Antrag ist offenbar nichts geworden. Wir wissen nicht, wo er blieb; er ist in Ausschüssen nicht behandelt worden.
Es hat ein langes Hin und Her und Diskussionen in der Öffentlichkeit gegeben. Die Bundesregierung hat im März dieses Jahres ihre angedeutete Absicht, eine Entscheidung herbeizuführen, fallen gelassen. November ist es geworden, bis der Herr Bundeswohnungsbauminister plötzlich einer erstaunten Öffentlichkeit mitteilte, nun werde etwas geschehen, und den Plan kundtat, eine 20 %ige Erhöhung der Altmieten einzuführen. Die Hälfte dieses Satzes sollte dem Hausbesitz überlassen, die andere Hälfte dem sozialen Wohnungsbau zugeführt werden. Das hat man dann auch am 8. November in dem Lohn- und Preisausschuß beim Bundeskanzleramt erörtert, und man war sehr verwundert, daß sowohl die Vertreter der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber den Zeitpunkt als verfrüht bezeichneten und den Wunsch zum Ausdruck brachten, erst Anfang nächsten Jahres die Verhandlungen über diese Frage fortzusetzen. Am selben Tage konnte man jedoch schon in der Presse lesen, daß die Entscheidung am Vortage gefallen sei; in der CDU-Fraktion habe man sich bereitgefunden, dem Vorschlag des Bundeswohnungsbauministers beizutreten. Das war so im „Kölner Stadtanzeiger" vom 8. November zu lesen.
Aus all dem ergibt sich, daß die Bundesregierung offensichtlich bemüht war, sich für die von ihr geplanten Maßnahmen im Parlament eine Rückendeckung zu verschaffen.
Um so verwunderlicher muß es erscheinen, daß sie den ersten Schritt auf dem von ihr angekündigten Wege, nämlich den Erlaß der Preisrechtsverordnung Nr. 71, getan hat, ohne damit den Bundestag und Bundesrat zu befassen. Sollten Sie, in deren Reihen einige Herren keine Gelegenheit vorübergehen lassen, um davor zu warnen, sich einem Druck von außen — der Straße, pflegt man meist düster zu sagen — zu beugen, diesmal selbst einem Druck unterlegen sein? Es ist nicht ohne Delikatesse, feststellen zu müssen, daß zur gleichen Zeit, als das Kabinett die besagte Verordnung beriet, die Organisation der privaten Hausbesitzer in Bonn tagte und daß der Beschluß, die Verordnung zu erlassen, dieser Tagung durch einen besonderen Boten übermittelt worden ist.
Zu der Verordnung selbst ist zu sagen, daß sie aus einer ganzen Reihe von Gründen rechtsunwirksam ist. Sie ist weder dem Bundestag noch dem Bundesrat zur Zustimmung vorgelegt worden. Da hätte aber geschehen müssen und dies müßte auch hinsichtlich weiterer, zum Teil bereits angekündigter Regelungen geschehen.
Warum ist dies so? Durch die Verordnung Nr. 71 unternimmt die Bundesregierung den Versuch, das geltende Preisrecht für Mieten in einer Weise zu ändern, die für den gesamten Preisstand, ins- D besondere für die Lebenshaltung der Bevölkerung von grundlegender Bedeutung ist. Diese Auswirkungen sind sowohl unmittelbarer als auch mittelbarer Natur.
Nach zuverlässigen und teilweise bereits der Öffentlichkeit zugänglichen Informationen werden im Bundeswirtschaftsministerium weitere Verordnungen auf dem Gebiet des allgemeinen Miet- und auch des Grundstückspreisrechts vorbereitet, durch die, wenn sie wirksam werden sollten, die gleichen Auswirkungen auf das allgemeine Preisniveau und die allgemeinen Lebenshaltungskosten eintreten werden. Mit diesen Maßnahmen überschreitet die Bundesregierung die ihr gesetzes- und verfassungsrechtlich zugestandenen Befugnisse. Es ist festzustellen, daß die bereits erlassene Verordnung Nr. 71 rechtsunwirksam ist und daß die weiteren Verordnungen, wenn sie den bekanntgewordenen Inhalt haben und ohne Befassung von Bundesrat und Bundestag erlassen werden sollten, ebenso rechtsunwirksam sein würden.
Die Bundesregierung beruft sich zu Unrecht auf die in § 2 des Preisgesetzes vom 10. April 1948 enthaltene Ermächtigung. Die sehr allgemein gehaltene Fassung dieser Vorschrift deckt die Verordnung Nr. 71 nicht; denn diese Verordnung ist, wie sich aus ihrem Inhalt und den verfolgten Zwecken eindeutig ergibt und auch durch die amtliche Bezeichnung bestätigt wird, eine echte Rechtsverordnung. Sie hat die Qualität eines Rechtssatzes im materiellen Sinn. Das verfassungsmäßig berufene Rechtsetzungsorgan des Bundes ist aber der Bundestag. Die Exekutive darf Recht nur in Verordnungsform auf Grund wirksamer formell-gesetzlicher Ermächtigung setzen. Die Ermächtigung
des § 2 des Preisgesetzes, auf welche sich die Regierung beruft, deckt die erlassene Verordnung nicht.
Im übrigen empfehlen wir der Bundesregierung, sich hinsichtlich der Grenzen der Ermächtigung zum Erlaß von Verordnungen doch einmal mit dem Grundgesetz zu beschäftigen und darauf zu achten, daß wir sowohl in Art. 129 als auch in Art. 80 klare Regelungen vorfinden. Art. 129 Abs. 3 des Grundgesetzes stellt fest, daß Ermächtigungen zum Erlaß von gesetzesändernden, gesetzesergänzenden und gesetzesvertretenden Rechtsverordnungen erloschen sind. Die Verordnung Nr. 71 unternimmt es aber, bestehendes Gesetzes- und Verordnungsrecht zu ändern.
Grundlage des Preisnotrechtes war die alle Preissteigerungen verbietende Preisstoppverordnung vom 26. November 1936, Grundlage der Zuständigkeitsregelung im Hinblick auf die Preisbildung und Preisregelung das Preisbildungsgesetz vom Jahre 1936. Dem Preisgesetz des Wirtschaftsrates vom 10. April 1948 kommt lediglich die Bedeutung zu, daß es die Zuständigkeitsregelung des Preisbildungsgesetzes auf die neuen staatsrechtlichen Verhältnisse umstellte und die Befugnisse der Exekutiv- und Legislativorgane der Wirtschaftsverwaltung und des Wirtschaftsrates abgrenzte.
Die Mietpreise sind auf Grund der bisherigen Rechtsetzung noch in vollem Umfange, abgesehen von den durch Sondergesetz zugelassenen Mieten für Neubauten gewisser Art, preisgebunden. Die Bindung beruht auf der Preisstoppverordnung, die ihrer Rechtsqualität nach eine gesetzesvertretende, also gesetzesstarke Verordnung ist. Die Verordnung Nr. 71 versucht, diesen Rechtszustand zu ändern. Das kann sie nicht. Denn gegen die Fortgeltung der Ermächtigung im § 2 des Preisgesetzes spricht über Art. 129 Abs. 3 des Grundgesetzes hinaus die Vorschrift des Art. 80 des Grundgesetzes. Hier heißt es, daß eine Wirksamkeit für Ermächtigungen nur insoweit besteht, als deren Zweck, Inhalt und Ausmaß im Gesetz genau bestimmt sind.
Ich möchte die Bundesregierung in diesem Zusammenhang auf das erste Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinweisen, das hier zu Art. 80, zu seinem Inhalt und 2u seiner Auslegung außerordentlich interessante Ausführungen gemacht hat und das die Bundesregierung offenbar nicht beachtet hat, als sie die erwähnte Verordnung erließ. Es ist also nach dem von mir nur Angedeuteten eine wirksame Ermächtigung der Bundesregierung aus § 2 des Preisgesetzes nicht mehr vorhanden.
Aber auch die Auslegung, die die Bundesregierung dem § 2 des Preisgesetzes gibt, ist unrichtig. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des zugegebenermaßen vieldeutigen § 2 des Preisgesetzes, sondern aus dessen Zusammenhang mit § 1 desselben Gesetzes einerseits und aus der für Mieten noch geltenden Preisstoppverordnung andererseits. § 1 des Preisgesetzes schreibt vor, daß eine Veränderung der Preise von Waren und Leistungen, die eine grundlegende Bedeutung für den gesamten Preisstand, insbesondere die Lebenshaltung, haben, der Zustimmung des Wirtschaftsrates, d. h. also heute des Bundestages, bedarf. Nähere Ausführungen zu der tatsächlichen Frage, ob die Verordnung Nr. 71 eine grundlegende Bedeutung für die allgemeine Lebenshaltung haben wird, erübrigen sich, wenn man an die Auswirkungen
denkt, die mit den Geschäftsraummieten wie mit den Untermieten und anderen Regelungen dieser Verordnung direkt und indirekt verbunden sind.
Die verfassungsrechtliche Frage aber ist, ob die im § 1 des Preisgesetzes geforderte Zustimmung des Bundestages in der Form eines einfachen Beschlusses oder eines förmlichen Gesetzesbeschlusses ergehen muß. Die erste denkbare Möglichkeit wäre ein verfassungsrechtliches Novum, die Zustimmung des Gesetzgebers zu einer auf Grund einer eigenen Ermächtigung erlassenen Rechtsverordnung wäre ein Widersinn. Die Unrichtigkeit einer solchen Ansicht ergibt sich aber auch daraus, daß das Preisgesetz überhaupt nicht den materiellen Rahmen der preisrechtlichen Ermächtigungen, sondern nur die Zuständigkeitsregelung enthält. Da die in materieller Hinsicht bezüglich der Mietpreise noch geltende Stoppverordnung weitergilt, kann das geltende Mietpreisrecht, da in einer gesetzesvertretenden Rechtsverordnung geregelt, nur durch Gesetz des zuständigen Gesetzgebers geändert werden. Die Zustimmung gemäß § 1 des Preisgesetzes kann demzufolge nur durch Bundesgesetz erteilt werden.
Im übrigen ist der Anwendungsbereich der Ermächtigung im § 2 des Preisgesetzes auf die Fälle des rein exekutiven Aufgabenbereichs beschränkt. Aus dieser ausschließlich exekutiven Delegation ergibt sich die praktische Begrenzung ohne weiteres. Auch die Exekutive kann Ausnahmeregelungen nicht zur Regel machen. Die Regel ist der Preisstopp bei Mieten. In ihm wird durch die Preisrechtsverordnung Nr. 71 und die weiteren in Aussicht gestellten Maßnahmen aushöhlend eingegriffen.
Die bisher getroffenen Maßnahmen und die Maßnahmen, die von der Bundesregierung angekündigt wurden, erfüllen uns mit Sorge, weil der von der Bundesregierung beschrittene Weg dem Gesetz und vor allem auch dem Grundgesetz nicht entspricht, weil wir in dieser Praxis einen weiteren Schritt auf dem Wege zu einer Art Notverordnungsrecht und auf dem Wege zu einer Aushöhlung der Rechte und der Pflichten dieses Hauses sehen.
Es gibt in der Öffentlichkeit und auch in Zeitschriften und Zeitungen, die nicht meiner Partei nahestehen, keinen Zweifel darüber, daß die Verordnung und gegebenenfalls auch die weiter angekündigten Maßnahmen sich auf einem rechtlich außerordentlich problematischen Boden aufbauen. In Nr. 49 der Zeitschrift „Der Volkswirt" vom. Dezember 1951 finden sich unter der Überschrift „Erster Schritt zur Mietbereinigung" einige sehr bemerkenswerte Sätze und ein Schlußsatz, den ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen möchte. Er sollte auch Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, Anlaß zum Nachdenken darüber sein, ob Sie in diesem Falle die Bundesregierung unter allen Umständen stützen sollten. Hier heißt es nämlich:
Nach den geltenden Vorschriften ist es denkbar, daß das Parlament auf seiner Zustimmung zur Mieterhöhung beharrt, so unsinnig es an sich auch scheint, wirtschaftlich notwendige Preisentscheidungen von demokratischen Mehrheitsbeschlüssen abhängig zu machen.
Das ist eine Einstellung zur parlamentarischen Demokratie, das ist auch eine Bewertung dieses Hauses und seiner Fähigkeit, sachliche Entscheidungen zu treffen, über die man nur verwundert
den Kopf schütteln kann. Sind wir schon wieder so weit, daß es zur allgemeinen Übung gehört, einem Parlament von vornherein die Fähigkeit abzusprechen, sachlich vielleicht dringliche und gebotene Entscheidungen zu treffen?
Der Antrag meiner Fraktion geht dahin, der Bundestag möge beschließen:
Der Bundestag erwartet, daß die Bundesregierung auf Grund des § 1 des Preisgesetzes eine
Anordnung über die Erhöhung von Altbaumieten, wie sie mit Wirkung vom 1. April 1952
an beabsichtigt sein soll, rechtzeitig dem Bundestag zur Entscheidung darüber vorlegt, ob
der Bundestag seine Zustimmung. gibt.
Ich habe Ihnen dargetan, daß nach Auffassung meiner Freunde die erste bisherige Verordnung auf diesem Gebiet rechtsungültig ist. Daraus ergeben sich selbstverständlich für die Praxis entsprechende Konsequenzen. Ich möchte die Bundesregierung davor bewahrt sehen, daß auch über ihre weiteren Maßnahmen dasselbe zu sagen ist. Der Bundestag aber sollte auf einem Recht bestehen, das ihm nach dem Gesetz und vor allem nach dem Grundgesetz zusteht; er sollte der Regierung heute sagen, daß sie einhalten möge auf einem Wege, der ein Weg sein kann zum Staatsstreich.