Rede von
Dr.
Thomas
Dehler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich möchte nicht den Eindruck entstehen lassen, daß ich irgendwelche leichtfertigen Angriffe gegen die Ärzte oder die Rentner erhebe. Herr Kollege Bazille hat die Dinge wieder aufgegriffen, und ich bin es meinem Ansehen schuldig, hier zu widersprechen.
Es wäre wirklich verantwortungslos von mir, wenn ich leichtfertig eine These von solchem Gewicht aufstellen wollte.
Ich bin seit Jahren in diesen Problemen drinnen. Mir haben es die Unfallverletzten in der US-Zone mit zu verdanken, daß alle, die über 50 % erwerbsbeschränkt waren, von der Entnazifizierung befreit wurden.
— Herr Renner, davon können Sie gar nichts verstehen. Darum ist Ihre Heiterkeit vollkommen unbegründet.
Ich habe erlebt, daß die Betreffenden mit den Bescheinigungen, die die Ärzte in der US-Zone den Verletzten ausgestellt haben, damit sie dem, ich muß schon sagen, Unheil dieses sonderbaren Entnazifizierungsverfahrens entrannen, ihre Kriegsrenten bezogen haben. Sie kennen ja das merkwürdige Verfahren, das man zunächst besonders in Bayern und notgedrungen dann auch in den anderen Ländern der US-Zone glaubte einschlagen zu müssen. Das sind doch Tatsachen! Glauben Sie, daß das Renten sind, die mit echtem Grund bezogen werden? Das sind Ansprüche, die in die vielen Hunderttausende gehen.
Verhalten der Ärzte, ein sehr ernstes Problem. Ich habe einen Bruder, der Arzt ist, ich habe einen Neffen, der junger Arzt ist; meinen Sie, ich stehe außerhalb der Dinge? Mein Neffe kam zu mir, ein junger, empfindsamer Mensch, und war entrüstet über das, was er erleben mußte, über die Mechanik, die sich da entwickelt hat und die dazu führt, daß am Ende sich kaum ein Arzt mehr diesem Druck entziehen kann. Lesen Sie nach! Vielleicht nur ein Beispiel: Einer der erfahrensten Ärzte, die es jemals auf dem Gebiet des Rentenwesens gegeben hat, war der alte Strümpell. Der erzählte mit Stolz, wie er einmal einen Rentenschwindler, nachdem dieser sechs Jahre Rente bezogen hatte, entlarvt hat. Dieser Mann kam nämlich am Vormittag zu ihm mit allen Zügen der schweren Krankheit, japsend, wehklagend, und am Nachmittag sah ihn der Herr Geheimrat Strümpell am Bahnhof quietschvergnügt zigarrenrauchend einhergehen.
Das sind die Fälle, die es zu behandeln gilt. Wenn Sie nicht den Willen haben, an- die Dinge heranzugehen, dann verletzen Sie eine wesentliche Pflicht. Der Herr Abgeordnete Renner hat doch recht, daß es Milliarden sind, die hier auf dem Spiel stehen.
Der Herr Abgeordnete Bazille hat mir vorgeworfen, ich wollte einen Keil zwischen Rentenberechtigte und Steuerzahler treiben. Ach, Herr Kollege Bazille, wie sehen Sie die Dinge leicht! Ich habe Ihnen dargelegt, aus welchen Erwägungen ich das Problem angeschnitten habe. Es ist ein wesentliches Problem, das am Ende zu den großen Fragen unserer Zeit führt. Sie, meine Herren, die im Sozialismus etwas Wertvolles sehen, haben, glaube ich, etwas mit Grund bekämpft: das arbeitslose Einkommen. Am Ende ist aus dem Sozialismus
eine Massenpsychose des arbeitslosen Einkommens herausgewachsen, ein Sichdrängen nach Renten, ohne daß sie verdient sind.
Das ist die Frage unserer Zeit.
Eine Bemerkung zu meinem Verhältnis zu den Gewerkschaften. Der Herr Vertreter der Sozialdemokratischen Partei hat ihnen dargelegt, daß ich wahrlich diese Frage nicht leicht nehme. Meine
Reden waren keine Reden gegen die Gewerkschaften, sondern waren Reden um die Gewerkschaften.
Der Herr Abgeordnete Wönner hat Ihnen erzählt, daß ich in Bayern nicht einmal, sondern wiederholt zu den Betriebsräten gegangen bin, die Auseinandersetzung, das Gespräch mit ihnen gesucht habe. Mir geht es nicht um eine Diffamierung der Gewerkschaften, die man mir unterstellt, sondern um eine echte geistige Auseinandersetzung,
und mir kann niemand absprechen, daß ich den ehrlichen Willen zu dieser Auseinandersetzung habe.
Der Herr Abgeordnete Wönner hat wieder einmal den Vorwurf hervorgeholt, ich hätte im Januar 1948 die Gewerkschaften als Hochverräter beschimpft, herabgesetzt. Es ist ganz interessant, zur Illustration zu schildern, wie die Dinge waren. Sie wissen doch, Januar 1948: Hochstand der Fehlentwicklung unserer Wirtschaftspolitik, völlige Entartung unserer Wirtschaft. Das war die Situation, und die Frage war doch: Was ist die richtige Wirtschaftspolitik? Ich kann zu meinen Gunsten behaupten, daß ich schon lange vor dem Juni 1948 verlangt habe: Werft das Steuer der Wirtschaftspolitik herum; wir müssen andere Wege gehen! Was hat damals die Gewerkschaft verlangt? Hat damals der bayerische Gewerkschaftsbund — der Deutsche Gewerkschaftsbund war noch nicht gegründet — eine andere, eine richtige Wirtschaftspolitik verlangt, die dem einzelnen die Lebensgrundlage schafft? Nein! Man hat verlangt: Steigerung der verfehlten Wirtschaftspolitik, nämlich restlose Erfassung aller Güter der Landwirtschaft, des Gewerbes und restlose Verteilung dieser Güter durch den Staat.
Man hat also eine grundsätzlich falsche Wirtschaftspolitik für richtig gehalten und man hat diese falsche Wirtschaftspolitik am Ende noch mit dem Zwang verfochten, genau so wie jetzt im Januar dieses Jahres. Man hat erklärt: Wenn die Regierung diesen Forderungen nicht entspricht, wird man — na, Sie wissen es ja; damals hat man noch nicht den Mut gehabt, von Streik zu sprechen — das Mittel der Arbeitsruhe anwenden. Ich habe damals im Landtag erklärt — und halte das für richtig —, daß das ein Weg war, der vom Recht wegführte, daß niemand im Staate das Recht hat, unter Druck von der Regierung eine Maßnahme zu fordern. Daß das die Haltung des Hochverrats ist, das habe ich gesagt.
Herr Kollege Wönner hat die Liebenswürdigkeit gehabt, am Schluß seiner Rede meinen politischen Weg darzulegen. Er hat daran erinnert, daß ich einmal in der Zeit des Kapp-Putsches als Reichsbannermann das sozialdemokratische Organ von München, die „Münchener Post", gegen Rechtsradikale verteidigt habe.
— Ja, wir waren schon vorher dran, bevor das Reichsbanner — der Herr Wönner hat sich geirrt — da war. Ich habe schon, bevor es ein Reichsbanner gab, den „Reichsadler", und dazu in München, geschaffen.
Herr Kollege Baur, ich habe niemals aus meiner
politischen Haltung ein Hehl gemacht und ich
habe keinen Anlaß, gar keinen Anlaß, meine politische Vergangenheit irgendwie zu beschönigen oder zu verleugnen.
Die Frage ist nur, wer den richtigen Weg gegangen ist, Herr Abgeordneter Wönner.
Die Männer, die damals von der Gewerkschaft her mit mir wirkten — abgesehen von so ausgezeichneten Leuten wie Erhard Auer, die meine Vorstellung von Sozialdemokratischer Partei bestimmt haben; das Gesicht, das sich hier bietet, ist wirklich ein grundsätzlich anderes —, die sitzen heute nicht in der Gewerkschaft
und schreiben mir traurige Briefe über die Entwicklung der deutschen Gewerkschaft.