Rede von
Dr.
Richard
Hammer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren, ich habe noch vier Minuten. Wie ich es fertigbringen soll, in dieser Zeit das Problem „Rente und Gesundheit" einigermaßen klar darzustellen, weiß ich nicht. Ich habe das andernorts schon oft mit Erfolg versucht. Hier kann ich nur das eine ganz kurz feststellen: Die primitive Vorstellung, daß es ein organisch bedingtes Leiden gäbe und daß es außerdem eine Simulation gäbe, reicht nicht aus, um das entscheidende Phänomen der Rentenpsychose zu verstehen.
— Es gibt auch Schwachsinnige!
Um diese Frage, „was die Rente für die Volksgesundheit bedeutet" und „was sie als Gefahr für den einzelnen — nicht als Gefahr für den Finanzminister — bedeutet", bemühen sich seit Jahrzehnten' Ärzte, Psychologen und Sozialpolitiker. Diese ringen miteinander um die Wahrheit, und nun ziehen Sie in diesem Augenblick das entscheidende Problem in den Kampf der Straße hinab. Wie kann das einer verantworten?!
Meine Damen und Herren, sind Sie so primitiv, uns Ärzten zu unterstellen, daß wir Herrn Minister Dehler vorwerfen, er hätte uns beleidigt?
Ich weiß aus vielen Unterredungen mit meinem
Freund Dehler, daß sich wohl niemand gründlicher
mit dem Problem der Renten beschäftigt hat als er.
Es ist für den Arzt nicht leicht, eine objektive Entscheidung zu treffen. Sie meinen: so wie er ein gebrochenes Bein diagnostizieren könne, könne er auch eine Neurose diagnostizieren. Haben Sie eine Ahnung von der Subjektivität der Krankheit!
Krankheit ist nicht nur ein Spiel von Bazillen, sondern ein Lebensschicksal.
Meine Damen und Herren, ich habe bei einer ähnlichen Diskussion einmal ein hübsches Beispiel aus meinem eigenen Stand erzählt. Man kannte in der Ärzteschaft Deutschlands früher so gut wie keine Invalidität. Etwa um das Jahr 1923 herum haben wir aber eine Invalidenversicherung eingeführt, — und wenige Monate darauf hatten wir eine Invalidität! Dabei war keiner der Antragsteller ein Betrüger, sondern in dem Augenblick, in dem ihm der Weg
in ein anderes, leichteres Schicksal freigegeben war, hatte seine körperliche Widerstandskraft nachgelassen.
Verzichten Sie doch darauf, diese Dinge der Rente dem parteipolitischen Streitgespräch auszuliefern!
Ich habe auch einmal mit Ihnen, Herr Bazille, — —
— Ich komme nicht von einer Wahlversammlung, sondern das ist die Antwort darauf, daß Sie das immer und immer wieder versuchen!
— Herr Kollege Bazille, ich kann mich daran erinnern, daß ich mit Ihnen hier — draußen in der Halle — auf einem schwarzen Kanapee einmal über diese Dinge gesprochen habe und daß wir beide in der Beurteilung sehr weitgehend einig gewesen sind.
Ich kann in dieser kurzen Zeit das Problem der Renten nicht erschöpfend behandeln. Aber das ist das Problem der deutschen Sozialpolitik überhaupt, und ich hoffe, daß wir bei der Aussprache darüber einmal zu einem guten Ende kommen werden.