Rede von
Max
Wönner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur die Absicht, zu der Interpellation zu sprechen, die meine Freunde von der äußersten Linken eingebracht haben.
— Ja bitte, Freunde! Warten Sie bitte ab; denn meine politischen Freunde haben bewußt darauf verzichtet, eine solche Interpellation einzubringen, weil wir der Meinung sind, daß es sich hier um eine Frage handelt, die zwischen dem Herrn Bundesjustizminister und den Gewerkschaften bzw. der Bundesregierung und den Gewerkschaften abzuhandeln wäre. Nachdem aber diese Interpellation da ist, scheint es mir persönlich ganz besonders reizvoll, einiges dazu zu sagen, und zwar vor allen Dingen deshalb, weil der Interpellationsbegründer ganz besonders deutlich hat werden lassen, wie groß die Gefahren tatsächlich wären, wenn diese Vorstellungen sich innerhalb der Gewerkschaften durchzusetzen vermöchten,
und weil diese Interpellation aus diesem Grunde eine Möglichkeit gibt, die demokratische Mittelstellung der Gewerkschaften zwischen zwei, ich will jetzt vorsichtig formulieren, nicht allgemein politischen, aber wirtschafts- und gesellschaftspolititischen Extremen aufzuzeigen.
Niemand aus dem Kreise der Gewerkschaften hat irgendeinen Vertreter der Kommunistischen Partei beauftragt, sie hier vor diesem Forum in Schutz zu nehmen. Sie sind stark genug, das selbst zu tun.
— Aber vor diesem Forum jedenfalls ohne jeden Auftrag!
Es ist ja nichts weiter und nichts mehr als der immerwährende Versuch, jede sich bietende Gelegenheit zu benutzen, die eigene politische Bedeutungslosigkeit dadurch zu überdecken, daß man sich an die Rockschöße der Gewerkschaften hängt.
Würden Ihre Vorstellungen innerhalb der Gewerkschaften auch nur die geringsten Chancen haben
— sie haben keine! —, dann würde ich für mein Teil bereit sein, wenigstens einiges von dem, was der Herr Bundesfinanzminister darüber sagte, was er an Gefahren sieht, irgendwie auch mit zu unterstreichen; denn dann wüßten wir, daß die Gewerk-
schaften nichts weiter werden sollten als ein politisches Instrument, den Bürgerkrieg herbeizuführen, russische Interventionsmöglichkeiten zu gestalten und dergleichen Dinge mehr: Aber verlassen Sie sich darauf, auch Sie, Herr Bundesjustizminister,
es sind echte Demokraten, die in den Gewerkschaften agieren, die nicht Ihres Rates bedürfen. Wenn wir heute wenigstens in dieser relativen Ordnung unsere Geschicke gestalten können, dann — das darf ich doch wohl mit gutem Grund feststellen — ist das nicht zuletzt das Verdienst der Gewerkschaften.
Herr Bundesjustizminister, wir beide hatten mehrfach Gelegenheit, uns vor öffentlichen Foren über die eine oder andere politische Frage zu unterhalten. Ich will Ihnen ein wundervolles Beispiel dafür demonstrieren. Es war in den ersten Monaten des Jahres 1948 — erinnern Sie sich bitte daran —, 75 Gramm Fett pro Monat standen auf der Fettkarte.
Daher kommt es auch, daß Herr Dr. Dehler den Mut gefunden hat, die besondere „Geistigkeit" der Gewerkschaften darin zu erkennen, daß wir damals dafür eingetreten sind, die Nahrungsgüter zur Gänze zu erfassen, damit nicht noch weniger zur Verteilung käme. Damals haben Sie, Herr Dr. Dehler, uns, nachdem wir einen Tag Arbeitsruhe eingelegt hatten, um dem Willen der arbeitenden Menschen Ausdruck zu verleihen, des Hochverrats geziehen. Dann haben wir Ihnen — und ich lege Wert darauf, das zu sagen — in jener turbulenten Zeit die Möglichkeit gegeben, in einer Vollversammlung der Münchener Betriebsratsvorsitzenden Ihre Auffassungen vorzutragen. Ich darf das wiederholen, Herr Bundesjustizminister, was Sie mir in jener turbulenten Zeit nach dieser Versammlung gesagt haben. Sie haben gesagt, Sie hätten nicht geglaubt, daß es möglich wäre, einen so sicheren demokratischen Ablauf dieser Veranstaltung zu garantieren.
Jawohl, das wollen wir auch.
— Das tun wir auch, wenn Sie uns daran nicht hindern.
Die Rede Dr. Dehlers über den bayerischen Rundfunk hat j a nichts weiter als den Parteitag der FDP in München zur Voraussetzung.
Dort sind allerdings — das möchte ich mit aller Klarheit aussprechen — von dem Herrn Bundesjustizminister — und ich kann leider nicht darauf verzichten, auch Sie, Herr Euler, zu nennen — Ausführungen gemacht worden, die wir als absolut
maßlos — bezogen auf die Grundhaltung der Gewerkschaften — erkennen mußten.
Darauf habe ich Sie beide in dem bayerischen Rundfunk angesprochen und habe nicht die ganze FDP in derselben Form diffamiert. Ich für meinen Teil war sehr darüber erstaunt, daß ein Jurist wie der Bundesjustizminister ein so geringes Maß von Abstraktionsvermögen gezeigt hat.
Denn er hat nicht mit einem Angriff auf mich, nicht mit einer Einschränkung des Themas, sondern mit einem Angriff auf die Gesamtpolitik der Gewerkschaften geantwortet.
— Nur in Bayern!
Dabei ist es dem Bundesjustizminister leider passiert — ich glaube hier in diesem Hause keinen Widerspruch zu finden, wenn ich das jetzt sage —, daß er sich einiger Geschichtsklitterungen schuldig machte. Er hat dort erklärt: „Die Gewerkschaften hatten eine große Gelegenheit, zu zeigen, was sie können, als sie nach dem Zusammenbruch der Naziherrschaft die deutsche Wirtschaftspolitik weitgehend beeinflußten." Wer hat denn nach dem Zusammenbruch des Naziregimes die deutsche Wirtschaft beeinflußt? Die deutschen Arbeiter haben sich bemüht, die Wirtschaft aus ihren Trümmern wiederaufzubauen; das ist alles, was sie getan haben.
Im übrigen sind die maßgeblichen wirtschaftspolitischen Dinge in jener Zeit doch wahrhaftig von ganz anderen als deutschen Kräften gestaltet worden.
- Habe ich nicht soeben verlesen, daß Herr Dr. Dehler wörtlich erklärt hat, die Gewerkschaften hätten in jener Zeit die Wirtschaftspolitik bestimmt?
Herr Dr. Dehler hat weiter davon gesprochen
— das ist einer der entscheidenden Punkte, auf die es mir ankommt —: „Mit Sorge sehe ich, daß die Bürokratie der Gewerkschaften sich der Bindung durch das Recht zu entziehen versucht." Herr Bundesjustizminister, wenn die Gewerkschaften je die Absicht gehabt hätten, sich der Bindung durch das Recht zu entziehen, sie hätten in der Vergangenheit mehr als einmal Gelegenheit und vielleicht sogar Anlaß dazu gehabt. Wenn es nicht geschah, dann einfach deshalb, weil wir als Gewerkschaftler wissen, daß die Demokratie und die Freiheit die heiligsten Güter sind, die uns überhaupt noch retten können.
Aber, Herr Bundesjustizminister, ich habe Ihr so großes demokratisches Gewissen noch nie schlagen hören, wenn meinetwegen die Bundesregierung oder der Herr Bundeskanzler die Rechte dieses Parlaments zu beschränken versucht hat.
Ich habe, Herr Bundesjustizminister, Ihr Gewissen niemals laut schlagen hören, wenn auch andere Gruppen des deutschen Volkes ihre Ansprüche mit einem, wie mir scheinen will, nicht immer begründeten außerparlamentarischen Nachdruck zu vertreten bereit waren.
- Es wäre klüger gewesen, Herr Bundesjustizminister, sich zuweilen an die Organisationen und Verbände zu wenden, die ihre Ansprüche in dieser Form nicht nur geltend machen, sondern die schon auf den Amtsstühlen sitzen und sie dort unmittelbar realisieren können.
Dann, Herr Bundesjustizminister, darf ich mir doch einmal die Bemerkung erlauben — dazu hat mich die merkwürdige Begründung von der linken Seite des Hauses veranlaßt —: Sie tun gerade so, als ob der Gegensatz zwischen Staat und Gesellschaft überhaupt nicht mehr bestünde. Wenn es so wäre, dann würden Sie in der Tat das bewirkt haben, was von der linken Seite so wohlbegründet dargestellt worden ist, dann würde die klassenlose Gesellschaft erreicht sein, die Karl Marx einmal geträumt hat. Diese gesellschaftlichen Kräfte sind wirksam.
Daß Sie ein Statiker geworden sind und nur das zu erhalten streben, was ist, das kann uns nicht daran hindern, Dynamiker zu sein,
und wir werden es bleiben.
Sehen Sie, Herr Dr. Dehler, Sie waren liebenswürdig genug, in Ihrem Rundfunkvortrag auch darauf hinzuweisen: Voraussetzungen der lebendigen Demokratie sind der Wille und der Mut zur eigenen Überzeugung! — Nun, Herr Dr. Thomas Dehler, ich habe Sie vorige Woche sehr aufmerksam auf Ihrem Abgeordnetensitz beobachtet, als es galt, sich im Rahmen der Debatte über die Geschäftsordnung dieses Hauses zur namentlichen Abstimmung zu bekennen. Sie haben nicht den Mut gehabt, sich zu bekennen.
Zum Schluß, Herr Dr. Dehler, darf ich mir vielleicht einmal eine persönliche Reminiszenz erlauben. Sie sind einen weiten Weg gegangen von der Reichsbanner-Uniform in der „Münchner Post" bis in die Reihen der Reaktion!