Rede von
Johannes
Degener
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der SPD-Gesetzentwurf über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen, Drucksache Nr. 525, ist in der 43. Sitzung des Bundestages dem Ausschuß für Arbeit überwiesen worden. Der Ausschuß hat zunächst die Frage geprüft, ob ein Bedürfnis für ein solches Gesetz bestehe, und hat zur Beratung dieser Frage Sachverständige herangezogen. So sind die Sozialpartner gehört worden, der Hausfrauenbund und auch der Bauernverband. Die Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Deutschen Angestelltengewerkschaft haben das Bedürfnis bejaht. Sie haben darauf hingewiesen, daß es immer noch Arbeitnehmergruppen gebe, die keinen tarif vertraglichen Schutz genössen, deren Arbeitskraft also nach dem Satz von Angebot und Nachfrage wie eine Ware gewertet werde, was in manchen Gruppen und Betriebszweigen zu Zuständen geführt habe, deren Ablösung dringend notwendig sei. Der Vertreter der Arbeitgebervereinigung hat dagegen den Standpunkt vertreten, daß das Tarifvertragsnetz doch nahezu lückenlos sei und die Arbeitgebervereinigung keine Lücken entdecken könne, die ein solches Gesetz rechtfertigten.
Der Ausschuß ist dann bei seinen Beratungen trotz dieser Einstellung der Arbeitgebervereinigung doch zu einer Bejahung des Bedürfnisses gekommen, und zwar auch im Hinblick darauf, daß die Arbeitsbedingungen der Heimarbeiter dann in einem besonderen Gesetz geregelt wurden. In der Generaldebatte über die Bedürfnisfrage ist auch darauf hingewiesen worden, daß sich bei uns in Deutschland da, wo der tarifvertragliche Schutz für Arbeitnehmer nicht vorlag, in der Rechtsprechung der Begriff des ortsüblichen Lohnes durchgesetzt habe, daß sich auch ein Rechtsanspruch auf einen solchen ortsüblichen Lohn entwickelt und dieser Begriff des ortsüblichen Lohnes insonderheit auch im Handelsgesetzbuch für die Angestelltengruppen seinen Niederschlag gefunden habe. Weiter ist betont worden, daß in anderen Ländern, sogar in USA — und das habe ich bei meiner vorjährigen Anwesenheit in USA auch selbst feststellen können —, solche Gesetze über Mindestarbeitsbedingungen existieren.
Im Ausschuß bestanden zunächst verschiedene Meinungen in der Bedürfnisfrage. Es wurde der Sorge Ausdruck gegeben, daß die Sozialpartner, deren ursprüngliche und wichtigste Aufgabe es ja doch ist, die Arbeitsbedingungen in freier Vereinbarung, also in Tarifverträgen zu regeln, durch die Schaffung eines solchen Gesetzes in der Erfüllung ihrer Aufgabe nachlassen könnten bzw. entlastet würden. Aber, wie gesagt, diese verschiedenartigen Auffassungen sind letztlich doch überwunden worden, die Mitglieder des Ausschusses haben mit wenigen Ausnahmen die Bedürfnisfrage bejaht.
Bei der dann einsetzenden Beratung der einzelnen Bestimmungen der Gesetzesvorlage haben sich die Mitglieder des Ausschusses in der Hauptsache von dem Wunsche leiten lassen, alles zu vermeiden, was erstens zur Festsetzung eines sogenannten politischen Lohnes oder Entgeltes führen könnte und
zweitens, wie gesagt, zur Entlastung der Sozialpartner führen müßte. Die Beratungen haben deshalb auch, wie Sie bei einem Vergleich des Gesetzentwurfes mit der Ausschußvorlage leicht feststellen können, zu wesentlichen Abweichungen von der Vorlage Drucksache Nr. 525 geführt. Es erscheint mir zweckmäßig, einmal der Zeitersparnis wegen, zum andern aber auch, um die Berichterstattung so instruktiv wie möglich zu gestalten, mich im wesentlichen auf die Darstellung dieser Abweichungen zu beschränken.
Die Vorlage des Ausschusses, Drucksache Nr. 2697 , enthält Bestimmungen über die Voraussetzungen, die für die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen gegeben sein müssen, über die Organe, die diese Voraussetzungen sowie Art und Umfang der in Frage kommenden Mindestarbeitsbedingungen ermitteln müssen, ferner über Befugnisse und Verfahren dieser Organe, Rechte und Pflichten des Bundesarbeitsministers, die nach der Vorlage nicht unbedeutend sind, und enthält schließlich noch Überwachungs- und Schlußbestimmungen. Zunächst einiges über die Voraussetzungen für die Anwendung des Gesetzes überhaupt, die ihren Niederschlag im wesentlichen in
§ 1 gefunden haben.
Im SPD-Entwurf war vorgesehen, daß diese Mindestarbeitsbedingungen da festgelegt werden sollten, wo eine tarifvertragliche Regelung durch die Gewerkschaften nicht erfolgt sei. Der Ausschuß hat diese allgemeine Fassung abgelehnt und bestimmt, daß Mindestarbeitsbedingungen festgesetzt werden können, wenn Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände fehlen oder nur eine Minderheit der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber umfassen.
Während der SPD-Entwurf nun sagte, daß diese Mindestarbeitsbedingungen festgesetzt werden sollten, also eine Soll-Bestimmung enthielt, wird in § 1 Abs. 2 der Ausschußvorlage bestimmt, daß die Mindestarbeitsbedingungen festgesetzt werden können.
Im Entwurf der SPD wird gesagt, daß diese Bedingungen festgesetzt werden sollen, wenn die Sicherung angemessener Löhne und sonstiger Arbeitsbedingungen zur Befriedigung der notwendigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Arbeitnehmer erforderlich erscheint. Nach der Ausschußvorlage sollen die Mindestbedingungen festgesetzt werden können, wenn es zur Befriedigung der notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeitnehmer erforderlich erscheint.
In der Ausschußfassung wird weiter gesagt, daß eine Regelung auf der Basis dieses Gesetzes nicht eintreten darf, wenn eine Regelung der Arbeitsbedingungen durch Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages erfolgt ist.
Nun etwas über die Organe, die im Gesetz vorgesehen sind. Da ist zunächst der Hauptausschuß nach
§ 2 der Vorlage zu nennen. Im Ausschuß war man übereinstimmend der Meinung, daß die Errichtung eines solchen Hauptausschusses durch den Bundesarbeitsminister zu erfolgen habe. Der Zweck war, durch diesen Hauptausschuß eine einheitliche Durchführung der Maßnahmen, die nach diesem Gesetz möglich werden sollen, zu sichern. Die Befugnisse dieses Ausschusses bestehen lediglich darin, festzustellen, in welchen Wirtschaftszweigen und -gebieten und für welche Beschäftigungsarten oder Personengruppen die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen nach diesem Gesetz überhaupt
erfolgen soll. Im SPD-Entwurf wurde gesagt, daß der Hauptausschuß auf Antrag der Gewerkschaften oder der Arbeitgebervereinigungen bestimme, für welche Arbeitnehmergruppen oder sonstigen Personen Mindestarbeitsbedingungen erlassen oder aufgehoben werden sollen, während die Ausschußvorlage sich darauf beschränkt, zu sagen:
Der Bundesminister für Arbeit bestimmt im Einvernehmen mit dem Hauptausschuß die Wirtschaftszweige oder Beschäftigungsarten, für die Mindestarbeitsbedingungen zu erlassen oder aufzuheben sind.
Es ist hier eine weitgehende Vollmacht in die Hand des Bundesarbeitsministers gegeben, eben um zu sichern, daß nach einheitlichen Grundsätzen für das ganze Bundesgebiet verfahren wird und nicht je nach den Ländern und Wirtschaftsgebieten abweichende Beschlüsse zustandekommen.
Die SPD-Vorlage wünschte, daß der Vorsitzende durch das Bundesarbeitsministerium zu berufen sei. Der Ausschuß hat dagegen entschieden, daß der Bundesarbeitsminister oder ein von ihm benannter Stellvertreter Vorsitzender des Ausschusses ist. Hierin liegt ebenfalls ein ganz wesentlicher Unterschied; der Ausschuß hat diese Bestimmung aus denselben Gründen beschlossen, die ich eben genannt habe.
Nach der SPD-Vorlage soll der Hauptausschuß aus je sechs Vertretern der Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und der Arbeitgebervereinigungen bestehen, die auf Vorschlag der Spitzenorganisationen der Gewerkschaften oder der Arbeitgebervereinigungen auf die Dauer von drei Jahren zu berufen sind. Nach der Ausschußvorlage soll der Ausschuß aus je fünf Vertretern der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber und je einem Stellvertreter dieser Mitglieder bestehen; die Mitglieder sollen, ebenso wie in der SPD-Vorlage gewünscht, auf Grund von Vorschlägen der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber berufen werden, und zwar ebenfalls auf die Dauer von drei Jahren.
Nun, meine Damen und Herren, etwas über den Fachausschuß. Dem Hauptausschuß, der die Aufgabe hat, festzustellen, wo die Anwendung erfolgen soll, folgt der Fachausschuß oder folgen die Fachausschüsse, die nach den gebietlichen Gegebenheiten, nach den wirtschaftlichen Verhältnissen und den sozialen Umständen, nachdem der Hauptausschuß seine Pflicht getan hat, die Mindestarbeitsbedingungen ermitteln sollen. Die Errichtung dieser Fachausschüsse sollte, so verlangte die SPD-Vorlage, durch die Obersten Landesbehörden erfolgen, und nur dann, wenn das Gebiet, für das die Mindestarbeitsbedingungen gelten sollten, wesentlich über das Gebiet eines Landes hinausginge, sollte der Bundesarbeitsminister diese Fachausschüsse errichten. Der Ausschuß hat sich dagegen auf den Standpunkt gestellt, daß die Errichtung in jedem Falle durch den Bundesarbeitsminister zu erfolgen hat, und hat in § 10 der Ausschußvorlage bestimmt, daß der Bundesminister für Arbeit die Oberste Landesbehörde beauftragen kann, die Errichtung vorzunehmen, und ihr auch die Befugnis zur Zustimmung zu Mindestarbeitsbedingungen abtreten kann, wenn das Gebiet, für das diese Bestimmungen gelten sollen, sich nur auf ein Land erstreckt. Der Ausschuß hat das aus den gleichen Gründen beschlossen, die ich vorhin nannte, nämlich um eine einheitliche Linie in allen Maßnahmen zu sichern, die nach dem Gesetz möglich werden sollen.
Diese Fachausschüsse sollen einen unparteiischen Vorsitzenden haben. Während die SPD-Vorlage die Berufung durch die errichtende Landesbehörde fordert, hat der Ausschuß beschlossen, die Berufung durch den Bundesarbeitsminister vornehmen zu lassen. Es heißt im Gesetz eindeutig, daß der Vorsitzende vom Bundesarbeitsminister zu bestimmen ist. Die Ausschüsse sollen drei, höchstens fünf Beisitzer mit je einem Stellvertreter haben. Sie sind auf Vorschläge der Gewerkschaften und der Arbeitgebervereinigungen zu berufen; wenn keine Vorschläge erfolgen, aus den Kreisen der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Grund dafür ist der Gedanke, die Arbeit der Fachausschüsse so wirtschaftsnah wie möglich zu gestalten.
Der Fachausschuß setzt nach der Ausschußvorlage die Mindestarbeitsbedingungen durch Beschluß fest, und zwar mit einfacher Stimmenmehrheit. Zunächst soll der Vorsitzende nicht mit abstimmen. Erst wenn auf diese Weise keine Einigung zu erzielen ist, kann der Vorsitzende seine Stimme in die Waagschale werfen. Weiterhin ist in der Ausschußvorlage gesagt, daß die Fachausschüsse die Mindestarbeitsbedingungen ermitteln, die die unterste Grenze zur Befriedigung der sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeitnehmer darstellen.
In der Ausschußvorlage ist neu bestimmt, daß die Mindestarbeitsbedingungen der Zustimmung des Bundesarbeitsministers bedürfen. Im Gegensatz dazu ist in der SPD-Vorlage gesagt worden, daß die Fachausschüsse die Mindestarbeitsbedingungen nach öffentlicher Verhandlung festzusetzen haben. Wir haben diese Befugnis des Bundesarbeitsministers, die Zustimmung zu geben, aus den vorhin schon genannten Gründen aufgenommen. Wir wollen das Gesetz in seinem Wirkungsgrad einheitlich gestalten und glauben, daß, wenn das geschieht, Mißbräuche vermieden werden können.
Zum Verfahren der Fachausschüsse ist ausdrücklich vorgesehen, daß vor der Beschlußfassung über Mindestarbeitsbedingungen die obersten Arbeitsbehörden der beteiligten Länder gehört werden müssen, daß den beteiligten Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie den Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen Gelegenheit zu schriftlicher Stellungnahme gegeben werden muß. Darüber hinaus müssen sie Gelegenheit haben, in öffentlicher Verhandlung mündlich Stellung zu nehmen.
Nun etwas über die Wirkung der auf solche
Weise zustande gekommenen Mindestarbeitsbedingungen. Die SPD-Vorlage hat hierzu in § 10 gesagt: Mindestarbeitsbedingungen gelten unmittelbar und zwingend zwischen den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die unter ihren Geltungsbereich fallen.
Der Ausschuß hingegen hat folgende Fassung beschlossen:
Für die Mindestarbeitsbedingungen gelten, soweit sich nicht aus dem Fehlen von Tarifvertragsparteien oder aus diesem Gesetz etwas anderes ergibt, die gesetzlichen Vorschriften über den Tarifvertrag sinngemäß.
Der Grund ist der, daß man Wert darauf gelegt hat, nicht neben den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen, die für Tarifverträge gelten, noch auf der Basis des Gesetzes über Mindestarbeitsbedingungen sich neue Rechtsnormen entwickeln zu lassen.
Hinsichtlich der Bestimmungen über die Überwachung der Einhaltung von Mindestarbeitsbedingungen sind wesentliche Abweichungen zwischen den beiden Vorlagen nicht zu verzeichnen.
Die allgemeinen und Schlußvorschriften der Vorlage Drucksache Nr. 525 sind vom Ausschuß nur vereinfacht worden und sind in den §§ 16 bis 18 der Drucksache Nr. 2697 enthalten. Danach kann der Bundesarbeitsminister Rechtsverordnungen über die Errichtung der vorgesehenen Organe und das von ihnen anzuwendende Verfahren erlassen.
Ich habe schon gesagt, daß der Ausschuß für Arbeit bei seiner abschließenden Beratung im wesentlichen zu übereinstimmenden Beschlüssen gekommen ist. Jedoch muß ich bekanntgeben, daß ein Mitglied der FDP-Fraktion im Ausschuß einen grundsätzlichen Vorbehalt der Stellungnahme zu dem Gesetz überhaupt geltend gemacht hat.
Durch die sorgsame Abgrenzung der Rechte und Pflichten der in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Organe, durch die entscheidende Mitwirkung des Bundesarbeitsministers, durch die Beteiligung der Sozialpartner, der unmittelbar betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie der obersten Arbeitsbehörden der Länder, durch die Begrenzung der Anwendbarkeit des Gesetzes auf die Fälle, in denen bestimmten Personengruppen in bestimmten Wirtschaftszweigen mangels tarifvertraglicher Vereinbarungen für ihren vollen Arbeitseinsatz die unterste Grenze, unter der sie ihre sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse nicht befriedigen können, gesichert ist, glaubt der Ausschuß dem Gesetz eine Fassung gegeben zu haben, die unerwünschte Auswirkungen für alle Beteiligten ausschaltet.
Nachdem der Ausschuß in unendlicher Mühe, und nach meiner Überzeugung im wesentlichen übereinstimmend, ein für solche Fälle in jeder Beziehung tragbares Gesetz zustande gebracht hat, bitte ich im Auftrage des Ausschusses das Hohe Haus, der Vorlage Drucksache Nr. 2697 zuzustimmen.